Dieser Beitrag legt dar, weshalb die Festlegung auf das Pariser 1,5°C Ziel nicht die Antwort auf alle klimapolitischen Fragen ist und inwiefern "Negative Emissionstechnologien" wichtiger Bestandteil einer zukünftigen Klimapolitik sein müssen. Die Festlegung auf Temperaturziele im Pariser Klimaabkommen vereinfacht das ökomische Optimierungsproblem. Das Ausmaß des Klimawandels wird nicht mehr endogen im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Betrachtung bestimmt, sondern durch einen zwischenstaatlichen Konsens. Das Optimierungsproblem reduziert sich darauf, die Temperaturgrenzwerte kosteneffizient einzuhalten. Aufgrund der nahezu linearen Beziehung zwischen kumulativen CO2-Emissionen und Temperaturanstieg reduziert sich das Problem auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt wir die Emissionen um wie
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Dieser Beitrag legt dar, weshalb die Festlegung auf das Pariser 1,5°C Ziel nicht die Antwort auf alle klimapolitischen Fragen ist und inwiefern "Negative Emissionstechnologien" wichtiger Bestandteil einer zukünftigen Klimapolitik sein müssen.
Die Festlegung auf Temperaturziele im Pariser Klimaabkommen vereinfacht das ökomische Optimierungsproblem. Das Ausmaß des Klimawandels wird nicht mehr endogen im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Betrachtung bestimmt, sondern durch einen zwischenstaatlichen Konsens. Das Optimierungsproblem reduziert sich darauf, die Temperaturgrenzwerte kosteneffizient einzuhalten. Aufgrund der nahezu linearen Beziehung zwischen kumulativen CO2-Emissionen und Temperaturanstieg reduziert sich das Problem auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt wir die Emissionen um wie viel senken und wie der kosteneffektive Technologiepfad aussieht.
Das verbleibende CO2-Budget veranschaulicht, wie viele Jahre die Weltgemeinschaft ihre jetzigen CO2-Emissionen (theoretisch) noch fortsetzen könnte ohne die gesteckten Temperaturziele zu überschreiten. Das Budget ist aber keine allgemeingültige und eindeutige Kennzahl: Je nachdem, welche Annahmen man trifft, welche Definitionen man verwendet und welche sozioökonomischen Entwicklungen man den Modellszenarien zugrunde legt, hat die Welt ihr CO2-Emissionsbudget bereits verbraucht oder könnte noch fast 30 Jahre seinen derzeitigen Emissionsausstoß fortsetzen, bis das Restbudget für das 1,5°C-Ziel ausgeschöpft ist. Doch woher kommt diese Bandbreite und was bedeutet sie für die Gestaltung effizienter Klimapolitik?[ 1 ]
Kosten-Nutzen-Abwägungen weiterhin erforderlich
Erstens, 1,5°C ist keine allgemeingültige magische Grenze und Klimaschutz ist nicht dichotom – Ziel eingehalten, Welt gerettet versus Ziel überschritten, alles ist verloren und weitere Bemühungen lohnen nicht. Es erscheint trivial, aber im Pariser Abkommen ist nicht genau definiert, wie eine Erhöhung um 1,5°C eigentlich gemessen werden soll. Je nachdem welche historische mittlere globale Temperatur man als Bezugspunkt definiert und wie man die Durchschnittstemperatur misst, erhält man unterschiedliche Werte für die bereits eingetretene globale Erwärmung und damit auch für das verbleibende Budget. Beispielswiese bleiben 570 Gt CO2 wenn die Temperatur der Meeresoberfläche berücksichtigt wird, während nur 420 Gt CO2 bleiben, wenn stattdessen die Lufttemperatur über dem Meer bzw. 260 Gt CO2 wenn ebenfalls die Temperaturen in der Arktis berücksichtigt werden (jeweils als mittleres Emissionsbudget ab dem 01.01.2018 für eine Wahrscheinlichkeit von 66 % das Ziel nicht zu überschreiten, IPCC 2018). Zudem zeigen Simulationen mit naturwissenschaftlichen Erdsystemmodellen, dass es bei einem globalen mittleren Temperaturanstieg von 1,5°C in den USA und Zentralbrasilien zu einer Erwärmung um 2°C beziehungsweise 2,3°C und in der Arktis sogar von bis zu 4,2°C kommen könnte (Seneviratne et al. 2018).
Daher sollten trotz der Vorgabe der Pariser Klimaziele Kosten-Nutzenabwägungen weiterhin Eingang in die Klimapolitik finden, denn aus ihnen kann sich möglicherweise sogar ein noch geringerer Temperaturanstieg als optimal ergeben. Außerdem werden auch bei 1,5°C Erwärmung die regionalen Herausforderungen enorm sein, deshalb müssen Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel mehr politische Aufmerksamkeit erhalten, selbst wenn der Temperaturanstieg bald gestoppt werden könnte. Dabei kann das Denken in absoluten Gradzielen für die Klimapolitik sogar hinderlich sein, besonders wenn sie als strenge Grenzen interpretiert werden. Das drohende Verpassen von Gradzielen kann zu fatalistischen Reaktionen führen, wie Einstellungen dass „jetzt“ Verhaltensänderungen zur Emissionsreduktionen auch keinen Sinn mehr machen, beziehungsweise Maßnahmen, die das Problem des steigenden Anteils von Treibhausgasen in der Atmosphäre nicht ursächlich lösen, wie die Ausbringung von Schwefel in die Stratosphäre oder die Modifikation mariner Schichtwolken zur Reflektion von Sonnenlicht unausweichlich erscheinen lassen. Gleichzeitig verliert bei der Überschreitung von Grenzwerten und Gradzielen und dem Ausbleiben einer unmittelbaren Katastrophe sowohl die Klimawissenschaft als auch Klimapolitik an Glaubwürdigkeit (Asayama et al. 2019). Dabei gerät aus dem Blick, dass auch wenn das 1,5°C Ziel verpasst wird, es immer noch einen erheblichen Unterschied macht, ob man es schafft den Temperaturanstieg auf 1,8°C statt auf 2°C zu begrenzen.
Die CO2-Emissionen sind nicht das einzige Problem
Zweitens, wenn die Klimapolitik nicht anfängt sich mit der Vermeidung aller Treibhausgase und der Rolle kühlender Aerosolemissionen zu beschäftigen, bleiben Diskussionen über ein vermeintlich verbleibendes CO2-Budget unvollständig und ergeben wenig Sinn. Wärmende nicht-CO2-Treibhausgase werden besonders im Agrarsektor freigesetzt, zum Beispiel Methan aus der industriellen Haltung von Wiederkäuern oder Lachgas beim Düngen der Felder aber auch bei der Abfallentsorgung und der Verbrennung von Biomasse. Das technische Einsparpotential bei gleichbleibender Produktion erscheint derzeit relativ gering; zusätzlich ist mit einem Anstieg der Weltbevölkerung und damit des Nahrungsmittelbedarfes zu rechnen.
Aerosolemissionen entstehen bei der Verbrennung fossiler und erneuerbarer Energieträger; sie wirken kühlend und kompensieren derzeit einen erheblichen Teil der Erwärmung durch Treibhausgase. Annahmen über die Entwicklung der nicht-CO2-Emissionen haben einen starken Einfluss auf die Höhe des verbleibenden CO2-Emissionsbudgets. Unterstellt man zum Beispiel, dass sie 0,5°C statt nur 0,3°C zur zukünftigen Erwärmung beitragen, dürfte für das 1,5°C Ziel bei einer Einhaltungswahrscheinlichkeit von 50 Prozent 500 Gt weniger CO2 ausgestossen werden (Kriegler et al. 2018). Die nicht-CO2-Emissionen werden von der Politik bisher aber kaum beachtet – nachfrageseitige Anreize zur Reduzierung des Fleisch- und Milchverbrauchs werden zumeist reflexartig zurückgewiesen – obwohl sie für ambitionierten Klimaschutz höchst relevant sind.
Wir brauchen die schwarze Null
Drittens, die CO2-Emissionen müssen langfristig auf netto null sinken. Während in der Energiewirtschaft bereits fossile und CO2-freie Anlagen zur Stromerzeugung parallel existieren und der Dekarbonisierungspfad prinzipiell klar ist, sind die Herausforderungen in der Industrie, insbesondere der Zement-, Stahl- sowie der chemischen Industrie erheblich höher. Hier ist die vollständige Reduktion prozessbedingter CO2-Emissionen wie bei der Zementherstellung nicht (oder nur sehr schwierig) möglich, gleichzeitig werden wir auch in Zukunft Zement und Stahl benötigen. Die Prozessemissionen müssten direkt abgeschieden und gespeichert werden, man spricht von Carbon Capture and Storage (CCS). In Deutschland ist die unterirdische Speicherung von CO2 zwar technisch und physikalisch möglich, aber infolge öffentlicher Protestkampagnen vorerst rechtlich ausgeschlossen.
Eine unbequeme Wahrheit
Aus diesen drei Punkten wird ersichtlich, dass das 1,5°C Ziel nicht die Antwort auf alle Fragen ist und auf dem Weg zu effizienter Klimapolitik noch viele Herausforderungen liegen. Weder die Klimapolitiken, die im Rahmen der national festgelegten Beiträge (NDCs) zum Pariser Klimaabkommen versprochen worden sind, noch die bestehende Energieinfrastruktur oder die jüngsten Wahlergebnisse und politischen Entscheidungen in Brasilien und den Vereinigten Staaten deuten auf eine Umkehr des Trends jährlich steigender Emissionen hin. Neben der zwingend erforderlichen schnellen Senkung der Treibhausgasemissionen wird daher der Einsatz von negativen Emissionstechnologien (NETs) notwendig sein, das heißt der Atmosphäre muss zusätzlich bereits ausgestoßenes CO2 wieder entzogen werden. Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen und Ideen, wie der Kohlenstoffkreislauf, d.h. die Aufnahme von CO2 durch Böden, Vegetation und Ozean, beschleunigt werden kann: beispielsweise durch (Wieder-)Aufforstung, beschleunigte Verwitterung (das Ausbringen von Gesteinsmehl auf Äckern, Flusseinzugsgebieten und Küsten), die Kombination von Bioenergieerzeugung mit der Abscheidung und unteririschen Speicherung von CO2 (BECCS) oder der direkten chemischen Entnahme von CO2 aus der Luft mit anschließender geologischer Speicherung (Direct Air Capture).
Natürlich käme es beim Einsatz von NETs zu einer partiellen Substitution der Emissionsvermeidung. Diese Substitution würde besonders in Sektoren mit hohen Vermeidungskosten, wie der Luftfahrt, auftreten (und ist im Abkommen Corsia—Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation—bereits vorgesehen). Dadurch könnten exogene Temperaturziele mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erreicht werden, beziehungsweise könnte sich in einer Kosten-Nutzen-Analyse ein geringerer endogener Klimawandel ergeben (Obersteiner et al. 2018 bzw. Rickels et al. 2018). Darüber hinaus bieten NETs potentiell strategische Vorteile, da die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen nicht direkt beeinflusst wird und gleichzeitig die Anwendung der Technologien keine konzentrierte CO2-Emissionsquelle erfordert, weil das CO2 direkt aus der Atmosphäre entnommen wird.
Den möglichen strategischen Vorteilen in global nicht-koordinierten Klimapolitiken und dem Beitrag zur Einhaltung des 1,5°C-Zieles steht aber das Zusammenspiel verschiedener Faktoren gegenüber: die Ablehnung der Technologien in der Bevölkerung, das begrenzte Potential einzelner NETs und Nutzungskonkurrenzen. Aufforstung wird in der Bevölkerung als gutartige Methode wahrgenommen und stößt kaum auf Ressentiments (17% Ablehnung) wohingegen CCS mit Speicherung im Meeresgrund auf sehr viel mehr Ablehnung (43%) in Deutschland stößt (Braun et al. 2018). Aufforstung hat im Vergleich zu anderen NETs aber ein geringes Aufnahmepotential, wohingegen CCS ein wichtiger Baustein verschiedener NETs mit hohem Potential (z.B. BECCS und DAC) und der Dekarbonisierung einiger Sektoren sein könnte. Besonders land-basierte NETs wie Aufforstung oder BECCS stehen in Konkurrenz zu anderen Landnutzungsformen, wie der Nahrungsmittelproduktion. Die inhärenten Widersprüche sind noch unzureichend aufgeklärt: BECCS wird einerseits ein hohes Aufnahmepotential unterstellt, andererseits sehen Experten aber starke Einschränkungen der Machbarkeit durch Ressourcenkonkurrenz (Rickels et al. 2019b).
Insgesamt zeigen diese Überlegungen, dass NETs zwar ein wichtiger Bestandteil zukünftiger Klimapolitiken sein müssen (wenn ambitionierter Klimaschutz realisiert werden soll), gleichzeitig ist aber noch unklar, welche NETs in welchem Umfang eingesetzt werden können. In Abhängigkeit der Entwicklungen von und Diskussionen über NETs werden sich in den kommenden Jahren auch die Schätzungen der Emissionstrajektorien, die im Einklang mit den Pariser Klimazielen sind, wieder verändern.
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Braun, C., C. Merk, G. Pönitzsch, K. Rehdanz und U. Schmidt (2018), Public perception of climate engineering and carbon capture and storage in Germany, Survey evidence, Climate Policy 18(4), S. 471–84.
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Rickels, W., C. Merk, F. Reith, D. Keller, A. Oschlies. 2019b. (Mis)conceptions about modelling of negative emissions technologies, Environmental Research Letters: 10.1088
Seneviratne, S.I., J. Rogelj, R. Séférian, R. Wartenburger, M.R. Allen and M. Cain (2018), The many possible climates from the Paris Agreement’s aim of 1.5 °C warming, Nature 558 (7708), S. 41–49.
©KOF ETH Zürich, 9. Sep. 2019