Werner Vontobel wirft den Pensionskassen volkswirtschaftliche Denkfehler vor. In seiner Replik greift Peter Wirth vom Vorsorgeforum dessen Kritikpunkte auf und warnt: Das grössere Risiko liegt derzeit bei der AHV. Mit einem Beitrag auf dieser Webseite hat Ringier-Journalist und Ökonom Werner Vontobel das ebenso wichtige wie leider vernachlässigte Thema der ökonomischen Bedeutung des in der 2. Säule angesparten Vorsorgevermögens aufgegriffen. Und ist bei der Frage gelandet, was aus volkswirtschaftlicher Sicht für die Altersvorsorge zweckmässiger sei, das Umlagesystem der AHV oder die Kapitaldeckung der beruflichen Vorsorge. Titel des Beitrags: «Die fatalen Denkfehler der Pensionskassen-Lobby». Man ist als Vertreter der «Lobby» also gewarnt. Der fatale Denkfehler besteht, so
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Werner Vontobel wirft den Pensionskassen volkswirtschaftliche Denkfehler vor. In seiner Replik greift Peter Wirth vom Vorsorgeforum dessen Kritikpunkte auf und warnt: Das grössere Risiko liegt derzeit bei der AHV.
Mit einem Beitrag auf dieser Webseite hat Ringier-Journalist und Ökonom Werner Vontobel das ebenso wichtige wie leider vernachlässigte Thema der ökonomischen Bedeutung des in der 2. Säule angesparten Vorsorgevermögens aufgegriffen. Und ist bei der Frage gelandet, was aus volkswirtschaftlicher Sicht für die Altersvorsorge zweckmässiger sei, das Umlagesystem der AHV oder die Kapitaldeckung der beruflichen Vorsorge. Titel des Beitrags: «Die fatalen Denkfehler der Pensionskassen-Lobby». Man ist als Vertreter der «Lobby» also gewarnt. Der fatale Denkfehler besteht, so Vontobel, im Sparprozess zur Kapitaldeckung der Rentenansprüche, dem Kernelement der 2. Säule. Aufgezeigt wird die angebliche Untauglichkeit der Kapitalbildung als Vehikel der Altersvorsorge. Sie könne nicht funktionieren, so die Argumentation, weil für das angesparte Kapital keine Verwendung besteht. Im Inland weder bei der öffentlichen Hand noch bei der Wirtschaft, und im Ausland sei keine positive Rendite zu erzielen.
Nun könnte man empirisch argumentieren. Etwa mit dem Hinweis, dass zahlreiche Vorsorgeeinrichtungen seit 100 und mehr Jahren bestens funktionieren und dies zur nachweislichen Zufriedenheit der Destinatäre. Oder dass die Kapitalerträge im Schnitt rund 40 Prozent zum Altersguthaben beitragen, oder dass für die ersten sieben Monate des laufenden Jahres trotz aller Widrigkeiten ein fabelhaftes Rendement von 8 Prozent erzielt wurde. Dass sich die Politik zunehmend und in wenig zielführender Weise mit realitätsfremden Vorgaben einmischt, steht auf einem anderen Blatt. Verweisen könnte man auch auf den norwegischen Staatsfonds, der einen ähnlichen Umfang hat wie das Kapital unserer 2. Säule und damit bemerkenswert gut lebt und auch im Ausland Geld verdient. Aber Vontobel geht die Sache mehr von der Theorie her an. Suchen wir also nach wissenschaftlicher Unterstützung für unsere Sache.
Eine der wenigen Studien zum Thema haben die Professoren Bütler und Jaeger an der Universität St. Gallen unter dem Titel «Die 2. Säule der schweizerischen Altersvorsorge im Wandel» im Jahr 2007 vorgelegt und sie stellen der 2. Säule ein durchaus positives Zeugnis aus. Im Summary halten die Autoren fest: «Für eine Volkswirtschaft ist eine höhere Kapitalbildung von grossem Vorteil: Dank eines grösseren Kapitalstocks sind zusätzliche Investitionen möglich, mit denen der wirtschaftliche Output gesteigert werden kann. Eine höhere Kapitalbildung bietet zudem die Chance zum Kapitalexport: Kapitalanlagen können dank des offenen Kapitalmarktes weltweit dort getätigt werden, wo sie die besten Renditen erzielen. Der Befürchtung einer Überkapitalisierung mit ungenügenden Kapitalrenditen wird damit die Grundlage entzogen.»
Vielleicht haben sich die Verhältnisse zwischenzeitlich völlig verändert. Aber dann wäre die Kritik Vontobels soweit zu relativieren, dass man feststellen müsste, dass die 2. Säule unter den aktuellen Kapitalmarktverhältnissen leidet und keine grundsätzliche Fehlkonstruktion vorliegt. Aber so argumentiert er nicht. Der Denkfehler scheint grundsätzlicher Natur. Vontobel steht mit seiner Meinung nicht allein da. Zu verweisen wäre etwa auf ein Interview, das Prof. Ambros Lüthi von der Uni Freiburg 2003 der Handelszeitung gab und damals feststellte: «Für den Einzelnen mag es richtig sein, mehr zu sparen. Aber im Aggregat hat dies verheerende Effekte. Für die Privaten wie für die Kassen. Denn wenn zu viel Geld angelegt werden muss, sinken die Renditen, und spekulative Blasen und Crashs kommen zu Stande. Pensionskassen, die im heutigen Umfang anlegen müssen, treiben die Kurse in die Höhe. Die 2. Säule in der heutigen Form ist eine wirtschaftspolitische Zeitbombe. Zudem zieht Geld in diesen Mengen zwielichtige Gestalten an. Man müsste mal prüfen, wie viel Geld in Pensionskassen durch Frontrunning, Insidervergehen oder Unterschlagungen verloren geht.» Dem ersten Teil seiner Antwort könnte man trotz aller Übertreibungen allenfalls noch etwas Substanz abgewinnen, allerdings versinkt dann der zweite im Morast wilder Unterstellungen, so dass man auch den ersten nicht mehr ernst nehmen will. Mehr Gehalt ist bei den Überlegungen von SNB Chef Thomas Jordan vorauszusetzen, der die sinkenden Zinsen mit der wachsenden Sparneigung einer alternden Bevölkerung in Verbindung bringt und von den Kassen gerne ein grösseres Auslandsengagement sehen würde. Aber eine grundlegende Bestätigung für Vontobels Thesen ist von dieser Seite auch nicht zu gewinnen.
Offenbar mangels wissenschaftlicher Unterstützung für seine Thesen bezieht sich Vontobel abschliessend und etwas irritierend auf einen kürzlich in der NZZ erschienen Kommentar von Daniel Wiener, der die kapitalgedeckte Vorsorge als «das ineffizienteste Vorsorgesystem» bezeichnete, «das man sich vorstellenkann». Was oder wen den von Vontobel als «Ökonom und Investor» deklarierten Wiener veranlasst hat, seine Attacke gegen die Pensionskassen zu reiten und das hohe Lied der Linken zu deren Abschaffung zu singen, ist schleierhaft. Als Bestätigung für die Untauglichkeit der Pensionskassen für die Altersvorsorge sind seine Argumente für unseren Geschmack jedenfalls zu dürftig. Wie bringt nun Vontobel die AHV ins Spiel? Beitragserhöhungen zur Stabilisierung der Rentenhöhe in der 2. Säule lehnt er konsequenterweise ab. Tiefere Renten würden die Nachfrage jedoch entscheidend schwächen. Er schreibt: «Der einzige logische Ausweg aus diesem Dilemma ist der Ausbau der AHV, bzw. des Umlageverfahrens. Die Pensionskassen-Lobby ist strikt dagegen. Sie will das Problem mit noch mehr Sparen lösen. Doch mit welchen volkswirtschaftlichen Argumenten? Nun, sie hat keine. Volkswirtschaftliche Argumente und Zusammenhänge sind nicht ihr Ding.»
Weshalb sind sie nicht ihr Ding? Als Beleg führt er einen Satz aus einem E-Mail an, dass wir ihm kürzlich geschickt hatten mit der Bemerkung: «Ich muss dir recht geben, volkswirtschaftliche Aspekte kommen bei uns zu kurz». Und wieso kommen sie zu kurz? Weil dazu kaum Material vorliegt und das Thema deshalb nur selten in unseren Infos auftaucht. Daraus wird bei Vontobel: «Typisch für diese Verweigerungshaltung ist etwa die Denkfigur des anonymen „3. Beitragszahlers“. Woher dessen Geld kommt, worauf er verzichten muss, interessiert nicht. Hauptsache, das Geld liegt auf dem Konto.» Allerdings wird aus einem verdrehten Zitat kein gescheites Argument.
Zu fragen wäre, ob makroökonomische Forschung überhaupt Sache der Pensionskassen ist. Sie führen eine klar umschriebenen, in der Verfassung und unzähligen Gesetzen, Verordnungen und Weisungen definierten Auftrag aus. Wenn denn ein Denkfehler vorliegen sollte, so wäre er nicht bei den Pensionskassen, sondern primär beim Verfassungsgeber resp. dem Stimmbürger zu suchen. Aber dem ist schwerlich ein Vorwurf zu machen, auch wenn er keinesfalls unfehlbar ist. Aber jedenfalls hat er keine Lobby, die man attackieren könnte. (Übrigens, soweit wir sehen können, auch die 2. Säule nicht.) Es wäre mehr als verwegen, für unsere Altersvorsorge das Heil allein bei der AHV zu suchen, wie uns Wiener und auch die Jungsozialisten überzeugen wollen und wo auch die Sympathien von Vontobel liegen. Was uns davor zurückschrecken lässt, ist ihr bereits heute schon beunruhigender Zustand, dessen Beschönigung nun wahrlich mit «fatal» zu charakterisieren wäre und der sich im kommenden Jahrzehnt noch deutlich verschlechtern wird.
Die nicht zu beeinflussenden demographischen und biometrischen Entwicklungen sind bekannt, ihre finanziellen Konsequenzen ebenfalls. Wir zitieren zur Illustration einen Passus der UBS-Studie mit dem Titel «Wer zahlt für die AHV-Sanierung?»: «Der heutige Barwert der gesamten AHV-Rentenversprechen übersteigt den Barwert der zukünftigen Einnahmen der AHV um 169,2 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP). Tatsächlich verspricht die derzeitige Gesetzgebung in der Schweiz jedem heute lebenden Altersjahrgang im übrigen Lebensverlauf mehr Leistungen aus der AHV, als sie ihm im Gegenzug an Zahlungsverpflichtungen auferlegt. Seit 2014 übersteigen die laufenden Ausgaben der AHV bereits die laufenden Einnahmen. Dieses Umlagedefizit wird von Jahr zu Jahr wachsen, weil die Zahl der Rentner deutlich ansteigt, während die Anzahl Erwerbstätiger stagniert.
Unklar ist, wer die AHV-Finanzierungslücke, also das Missverhältnis zwischen künftigen Rentenansprüchen und Zahlungsverpflichtungen, finanzieren wird.» Mit «unklar» ist die Dramatik der Frage noch sehr zurückhaltend charakterisiert. Verglichen damit sind die Anlageprobleme der Pensionskassen geradezu «Peanuts», wie man heute zu sagen pflegt. Wenn Vontobel den Pensionskassen ein angebliches Desinteresse an volkswirtschaftlichen Zusammenhängen vorwirft, so wäre ihm wiederum Desinteresse an den Wünschen und Interessen der Versicherten anzukreiden. Diese zeigen nämlich bedeutend mehr Skepsis bezüglich der Sicherheit der 1. als der 2. Säule. Sich allein auf den sogenannten, und noch nie von jemandem unterschriebenen Generationenvertrag zu verlassen, scheint einer Mehrheit riskanter, als den linken AHV-Fans lieb ist.
Die obige Argumentation mag streckenweise anekdotisch und aus wissenschaftlicher Sicht methodisch unbefriedigend erscheinen. Unsere Leser seien versichert: für neues und aufschlussreiches Material, das mehr als Commonsense und Ideologie zum Thema bietet, sind wir jederzeit offen. Von "Verweigerungshaltung" kann keine Rede sein. Zumindest vorderhand sehen wir aber bei der 2. Säule keine fatalen, also schicksalsbedingen Denkfehler vorliegen, vielmehr auf Seite ihrer Fundamentalkritiker kapitale Irrtümer.
Dieser Beitrag erschien bereits im Newsletter des Vorsorgeforums[ a ].
©KOF ETH Zürich, 28. Aug. 2019