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Knappheit treibt Beschäftigungswachstum

Summary:
Was treibt den anhaltenden Beschäftigungsaufschwung? Die Hartz-Reformen liegen lange zurück, die Konjunktur hat an Bedeutung für den Arbeitsmarkt verloren. Entscheidend ist ein selbstverstärkender Effekt: Angesichts der steigenden Knappheit sichern sich Arbeitgeber wertvolle Arbeitskräfte. Viel wird derzeit diskutiert darüber, was die Hartz-Reformen für den deutschen Arbeitsmarktaufschwung gebracht haben. So wichtig diese auch gewesen sein mögen, um die Zeiten der Massenarbeitslosigkeit hinter sich zu lassen – eines sollte doch zu denken geben: Der starke Aufwärtstrend der Beschäftigung setzt sich bis heute fort, anderthalb Jahrzehnte nach den Reformen! Schwer vorstellbar, dass ein Reformimpuls über so lange Zeit immer noch zusätzliche Verbesserungen bringt. Was liegt da näher,

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Sabine Klinger, Enzo Weber considers the following as important:

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Was treibt den anhaltenden Beschäftigungsaufschwung? Die Hartz-Reformen liegen lange zurück, die Konjunktur hat an Bedeutung für den Arbeitsmarkt verloren. Entscheidend ist ein selbstverstärkender Effekt: Angesichts der steigenden Knappheit sichern sich Arbeitgeber wertvolle Arbeitskräfte.

Viel wird derzeit diskutiert darüber, was die Hartz-Reformen für den deutschen Arbeitsmarktaufschwung gebracht haben. So wichtig diese auch gewesen sein mögen, um die Zeiten der Massenarbeitslosigkeit hinter sich zu lassen – eines sollte doch zu denken geben: Der starke Aufwärtstrend der Beschäftigung setzt sich bis heute fort, anderthalb Jahrzehnte nach den Reformen! Schwer vorstellbar, dass ein Reformimpuls über so lange Zeit immer noch zusätzliche Verbesserungen bringt.

Was liegt da näher, als die Konjunktur als entscheidenden Beschäftigungstreiber auszumachen? Allein, das Argument zieht nicht: Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum seit den Reformen lag bei 1,4 Prozent pro Jahr. Das ist ziemlich mittelmäßig und bestimmt kein Grund für einen Beschäftigungsaufschwung. Zudem zeigt sich auch aktuell wieder: Seit Mitte 2018 hat sich die Konjunktur stark abgeschwächt, aber der Beschäftigungstrend läuft weiter.

Viele Branchen sind deutlich weniger konjunkturabhängig

In der Tat zeigen Forschungsergebnisse des IAB (Klinger/Weber 2019, 2014), dass die Wirkung der Konjunktur auf die Beschäftigung seit der großen Rezession 2009 deutlich schwächer geworden ist. Früher übersetzte sich eine Änderung des Wirtschaftswachstums von einem Prozentpunkt in 0,4 Prozent Beschäftigung. Heute ist es nur noch halb so viel. Verantwortlich dafür ist zunächst der Wandel in der Wirtschaftsstruktur: Viele wachsende Dienstleistungsbranchen sind deutlich weniger konjunkturabhängig als etwa das Verarbeitende Gewerbe. Besonders augenfällig ist dies beim Beschäftigungsboom etwa in der Pflege oder Erziehung, wo die vielen Jobs sicherlich nicht als Folge einer guten Konjunktur entstehen. Es geht aber vor allem auch darum, dass Arbeitskräfte in Deutschland mittlerweile deutlich knapper geworden sind. Dies dämpft die Beschäftigungswirkung von Auftragsschwächen, da Unternehmen lange und teure Rekrutierungsprozesse im Anschluss vermeiden wollen.

Die gestiegene Arbeitsmarktanspannung reduziert aber nicht nur die Bedeutung der Konjunktur für die Arbeitsmarktentwicklung, nach den Ergebnissen von Klinger/Weber (2019) ist sie zugleich der wichtigste Grund dafür, dass die Beschäftigung – auch unabhängig von der Konjunktur – immer weiter steigt. Angesichts der Knappheit sichern sich Arbeitgeber wertvolle Arbeitskräfte; sie stellen also neue ein, wenn sie die Chance dazu haben, und halten die schon bei ihnen beschäftigten. So zeigen etwa Czepek et al. (2015, 2017), dass Betriebe in beträchtlichem Umfang Bleibeangebote selbst an rentenberechtigte Mitarbeiter machen, und zwar vor allem dann, wenn diese für sie am Arbeitsmarkt schwer zu ersetzen sind.

Sinken der Entlassungsquote leistete grössten Beitrag

Entsprechend sinkt die Entlassungsquote bis heute und liegt mittlerweile auf dem weitaus niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Klinger/Weber (2016) finden, dass dieses persistente Sinken der Entlassungsquote in der Zeit nach den Hartz-Reformen (2005-2011) den größten Beitrag zur Reduktion des Arbeitslosigkeitstrends geleistet hat. Im Gegensatz zu einmaligen Reformeffekten kann die Wirkung der Arbeitsmarktanspannung die langanhaltende Entwicklung erklären, denn es ergibt sich ein selbstverstärkender Effekt: Ab der Trendwende nach den Hartz-Reformen wurden Arbeitskräfte knapper, mit den beschriebenen Wirkungen auf das Einstellungs- und Entlassungsverhalten der Unternehmen. Der starke Aufwärtstrend der Beschäftigung verknappt Arbeitskräfte dann wiederum zusätzlich. Dieser Effekt der Arbeitsmarktanspannung steht von 2006 bis 2018 für gut die Hälfte des gesamten Beschäftigungsaufschwungs von knapp sechs Millionen Jobs. Besonders in den 2010er Jahren spielt der Wirkungskanal angesichts beständig steigender Anspannung für die Beschäftigungsentwicklung eine entscheidende Rolle.

Offensichtlich kann sich dieser selbstverstärkende Effekt aber nicht dauerhaft fortsetzen. Steigt die Knappheit immer weiter, wird der Spielraum für zusätzlichen Beschäftigungsaufbau immer geringer. Dazu trägt auch bei, dass der demographische Wandel, vor allem die beginnende Verrentung der Babyboomer, immer negativere Wirkung auf die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland hat. Tatsächlich dürfte dies bereits kurzfristig beginnen, die Beschäftigungsentwicklung zu dämpfen (Fuchs et al. 2019). Der Beschäftigungstrend wurde bisher aber neben der Knappheit durch einen weiteren Faktor gestützt: die sehr hohe Zuwanderung nach Deutschland, wie auch die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren. Ohne diese Zuwächse hätte die Beschäftigung nicht annähernd so stark expandieren können. Und so trafen für den Arbeitsmarktboom zwei Faktoren zusammen: Die steigende Knappheit hielt den Beschäftigungsaufbau in Gang, aber das Arbeitskräftepotential weitete sich noch genügend aus, um dafür den nötigen Raum zu bieten. Der erste Faktor wird uns erhalten bleiben, aber der zweite gerät in den kommenden Jahren mehr und mehr an seine Grenzen.

Czepek, Judith; Gürtzgen, Nicole; Moczall, Andreas; Weber, Enzo (2017): Halten rentenberechtigter Mitarbeiter in den Betrieben: Vor allem kürzere und flexiblere Arbeitszeiten kommen zum Einsatz. IAB-Kurzbericht 16/2017.

Czepek, Judith; Moczall, Andreas; Weber, Enzo (2015): Rente mit 63 und betriebliche Reaktionen. IAB, Aktuelle Berichte 09/2015. 

Fuchs, Johann; Gehrke, Britta; Hummel, Markus; Hutter, Christian; Klinger, Sabine; Wanger, Susanne; Weber, Enzo; Zika, Gerd (2019): IAB-Prognose 2019: Trotz Konjunkturflaute: Arbeitsmarkt hält Kurs. IAB-Kurzbericht 07/2019.

Klinger, Sabine; Weber, Enzo (2014): Seit der Großen Rezession: schwächerer Zusammenhang von Konjunktur und Beschäftigung. Wirtschaftsdienst, Jg. 94, H. 10, S. 756-758.

Klinger, Sabine; Weber, Enzo (2019): GDP-Employment Decoupling and the Slow-down of Productivity Growth in Germany. IAB-Discussion Paper 12/2019.

©KOF ETH Zürich, 8. Mai. 2019

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