Die EU, aber auch viele europäischen Nationalstaaten, leiden unter einem Vertrauensmangel, welcher das Zusammenleben in heterogenen Gemeinschaften schwierig macht. Dieser Beitrag stellt vier mögliche Koordinationsmechanismen vor, die helfen sollen, das Vertrauen zu stärken. Gemeinsame Identität wird oft durch das Bündeln von Ressourcen gestiftet. Bei fehlendem Vertrauen kann dies jedoch als schmerzvolle Entwendung eigener Ressourcen empfunden ...
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Die EU, aber auch viele europäischen Nationalstaaten, leiden unter einem Vertrauensmangel, welcher das Zusammenleben in heterogenen Gemeinschaften schwierig macht. Dieser Beitrag stellt vier mögliche Koordinationsmechanismen vor, die helfen sollen, das Vertrauen zu stärken.
Gemeinsame Identität wird oft durch das Bündeln von Ressourcen gestiftet. Bei fehlendem Vertrauen kann dies jedoch als schmerzvolle Entwendung eigener Ressourcen empfunden werden. Somit kann die Bündelung von Ressourcen helfen, eine gemeinsame Identität aufzubauen, kann diese aber auch erodieren. Derartige Probleme existieren auf nationaler sowie auf supranationaler Ebene. Historisch entwickelten Nationalstaaten eine fiskalische Kapazität zunächst hauptsächlich aus militärischen Gründen, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch zunehmend auch für die Bereitstellung eines breiteren Spektrums an öffentlichen Gütern, darunter Ausgaben für Bildung sowie für die soziale Sicherung.
Vertrauen in kleineren Staaten eher stärker
Vertrauen ist tendenziell in kleinen Staaten und Gemeinschaften stärker ausgeprägt, während größere Staaten typischerweise mehr Regeln und Normen benötigen. Kleine Staaten sind notwendigerweise offener gegenüber globalen Vernetzungen, besonders in Bezug auf den Handel; sie haben stärker ausgeprägte soziale Sicherungsnetze und Transfermechanismen sowie allgemein höhere Staatsausgaben. Diese können als idealer Verteidigungs- oder Kompensationsmechanismus in Hinblick auf die Globalisierung gesehen werden (Rodrik, 2011). Dahingegen neigen Staaten, die größer und heterogener sind, zu weniger Umverteilung (Alesina, Glaeser und Sacerdote, 2001). Sie sind auch weniger offen gegenüber Handelsströmen. Anstatt für die Globalisierung zu kompensieren, sind sie eher versucht ihre Macht zu nutzen, um die Globalisierung nach inländischen Interessen zu gestalten. Dieser unterschiedliche Umgang von kleinen und großen Staaten mit Offenheit und Globalisierung beschreibt weitgehend die Anpassungen an Handelsentwicklungen und -schocks.
Globalisierung schafft Vielfalt, kann aber auch größere Schocks auslösen und bei manchen Menschen das Gefühl erzeugen, im Rahmen der Globalisierung benachteiligt zu werden. Dies senkt die Wahrscheinlichkeit, dass Bürger soziale Unterstützungsnetzwerke, die ganz fundamental auf Vertrauen basieren, bilden oder befürworten (Alesina und La Ferrara, 2002). Transferzahlungen finden generell weniger Zuspruch, wenn Bürger andere des Betrugs verdächtigen. Solches Misstrauen steigt mit ethnischer Vielfalt. Vor diesem Hintergrund könnte Globalisierung, vor allem in Verbindung mit erhöhten Migrationsströmen, das vorhandene Vertrauen sowie die darauf aufbauende wirtschaftliche und politische Interaktion untergraben.
Wichtig ist, dass Vertrauensbildung nicht von der Identifikation mit Werten abhängt. Alesina, Tabellini und Trebbi (2017) zeigen in einem aufschlussreichen Beitrag, dass es eine wesentliche kulturelle Heterogenität innerhalb der Europäischen Union gibt. Ihr Fazit ist, dass “zwischen 1980 und 2009 Europäer in ihren Einstellungen gegenüber Vertrauen, Werten wie die Anerkennung harter Arbeit oder Gehorsamkeit, Geschlechterrollen, Sexualmoral, Religiosität, Ideologie, der Rolle des Staates in der Wirtschaft und damit zusammenhängenden Wirtschaftsfragen etwas unterschiedlicher wurden.” Doch es gibt eine ähnliche Diversität in den Vereinigten Staaten und sogar innerhalb einzelner EU-Mitgliedsstaaten. Das zentrale Thema ist die Fähigkeit, Vertrauen trotz kultureller Unterschiede und über politische Grenzen hinweg zu bilden.
Abbildung 1: Vertrauen in die EU
Quelle: Eurobarometer Umfrage (2007), angepasst von Tabelle 1 in Armingeon und Ceka (2014).
Die globale Finanzkrise, gefolgt von der europäischen Staatsschuldenkrise erodierte zwischen 2007 und 2011 das Vertrauen in die Europäische Union in den meisten Ländern (Abbildung 1 auf der vertikalen Achse, s. Armingeon und Ceka, 2014). Wenig überraschend sank die Unterstützung am deutlichsten in den Ländern, die am stärksten von der Krise betroffen waren (besonders in Griechenland). Dahingegen wuchs die Unterstützung in manchen Ländern (Finnland und Schweden) im Vergleich zu 2007 sogar, jedoch zugegebenermaßen von niedrigeren Ausgangswerten.
Inwieweit ist die geringere Unterstützung ein Ergebnis ungünstiger Einstellungen gegenüber der eigenen Regierung; und inwieweit ist sie eine direkte Reflektion der Unzufriedenheit, insbesondere mit der “EU-Austeritätspolitik”? Und wechseln, als Ergebnis der Krise, mehr Menschen zum “Nationalismus”? Abbildung 2 zeigt, wie sich die Verteilung zwischen vier Gruppen von Menschen (im Hinblick auf das Vertrauen in ihre nationale Regierung und in die Europäische Union) zwischen 2007 und 2011 verändert hat. Unterschieden werden dabei Länder, die vom IWF Bedingungen auferlegt bekamen (sogenannte Krisenländer); Länder, welche sich nicht in einer Krise befanden; sowie die gesamte EU-27. Der Anteil der Menschen in Krisenländern, die ihrem Staat, nicht aber der Europäischen Union vertrauen (“Nationalisten”), war vor der Krise sehr gering und blieb dies auch danach (er stieg von 3 auf 4%). Dagegen fiel der Anteil derjenigen, die sowohl ihrer eigenen Regierung als auch der Europäischen Union vertrauten, von 28 auf 21%, während der Anteil derjenigen, die keiner der beiden Institutionen vertrauten, substantiell zunahm (von 30 auf 45%). Gleichzeitig fiel die Zahl der Menschen, die lediglich der Europäischen Union vertrauten, von 39 auf 30%. Insgesamt vertrauten in den Krisenländern vor der Krise also sehr viele Menschen der Europäischen Union. Während der Krise sank allerdings das Vertrauen in nationale wie in supranationale Regierungen.
Abbildung 2: Vertrauen in nationale Regierungen und die EU
Quelle: Eurobarometer Umfrage (2007), angepasst von Tabelle 1 in Armingeon und Ceka (2014).
Vier mögliche Koordinationsmechanismen
Koordinationsmechanismen können bei der Neugestaltung von Institutionen in Übereinstimmung mit langfristigen Bedürfnissen helfen, ohne dass Einschnitte nötig sind, wie sie mit Krisenmaßnahmen assoziiert werden. Natürlich kann Koordination in verschiedenen Weisen ausgeführt werden.
Der erste, wichtigste und erfolgreichste Weg im europäischen Kontext ist die Wettbewerbspolitik, welche Kartellbildung und den Missbrauch von Marktbeherrschung verbietet. Die Idee hinter dieser Art von Koordination ist, dass der Markt – und nicht der Staat – gute Resultate erzielen kann, jedoch nur wenn der Staat einen funktionierenden Rahmen an Regeln geschaffen hat. Einige der Ideen hinter diesem Ansatz haben einen deutschen Ursprung: Die Einsicht über einen Wettbewerb, welcher durch einen vom Staat gegebenen Rahmen gefördert wird, war das Herzstück der Freiburger Schule, des sogenannten Ordo-Liberalismus. Doch der Ansatz geht hauptsächlich auf ein Modell der Vereinigten Staaten, wo der zweite New Deal in den späten 1930ern Wettbewerbspolitik zur Waffe gegen den Missbrauch unternehmerischer Macht machte. In der Wettbewerbspolitik gibt es einen klaren Durchsetzungsmechanismus auf europäischer Ebene.
Die zweite Art der Koordination beinhaltet eine angemessene Entschädigung für diejenigen, die unter dem Strukturwandel leiden. In Europa hat die Politik aus den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit gelernt, als die Landwirte die großen Verlierer der Globalisierungswelle waren. Der Wettbewerb von außerhalb Europas und Preissenkungen führten zu Überschuldung und Insolvenzen. Der Hauptteil der Haushaltsmittel der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihrer Nachfolgeorganisationen (einschließlich der Europäischen Union) war der Gemeinsamen Agrarpolitik gewidmet, entworfen, um Verluste zu kompensieren, ländliche Verarmung zu begrenzen und politische Radikalisierung zu verhindern. Diesen Ansatz auf Arbeiter in der Fertigungsindustrie zu übertragen ist jedoch ungleich schwieriger.
Die dritte Koordinationsaufgabe beinhaltet das Monitoring von sowohl Fiskal- als auch Geldpolitik aufgrund von Übertragungseffekten auf benachbarte Länder, die durch Politikinkonsistenz entstehen können. Die Überwachung durch europäische Institutionen, aber auch durch internationale Organisationen wie die OECD oder den IWF waren in der Vergangenheit oft ineffektiv und Zielscheibe von Kritik. So hat beispielsweise Eurostat falsche nationale Berichterstattung nicht erkannt oder nicht gemeldet. Internationale Institutionen waren zu sehr davon überzeugt, dass die europäische Wirtschafts- und Währungsunion ein stark politisches Projekt mit einer enormen Menge an investiertem politischem Kapital war und dass Kontrolle deshalb hauptsächlich den nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission überlassen werden sollte. Sie waren außerdem zu sehr gewillt, nationale Beteuerungen, dass alles in bester Ordnung sei, Glauben zu schenken.
Die vierte Koordinationsalternative ist davon abhängig, von was als “Soft Law” bezeichnet wird: Der Etablierung von Normen und Maßstäben und der Veröffentlichung vergleichbarer Daten, jedoch ohne formelle Durchsetzungsmechanismen, abgesehen von Gruppendruck oder davon, Dinge “deutlich beim Namen zu nennen”. In Europa wurde dieser Ansatz in den späten 1990ern in Bezug auf die Beschäftigungspolitik entwickelt, gleichzeitig zur Entwicklung in Richtung einer Währungsunion, in dem Versuch einen parallelen Mechanismus der Konvergenz zu etablieren. Der Ansatz wurde auf dem Lissabonner Gipfel im Jahr 2000 als “Offene Methode der Koordination” formalisiert und später um weitere Gebiete, einschließlich sozialer Inklusion sowie Kultur und Gesundheit, erweitert. Der Ansatz ist tolerant gegenüber Unterschieden in nationalen Ansätzen. In gewisser Weise ist es wenig mehr als die Nutzung staatlicher Ressourcen, um Vergleiche zu ermöglichen und daraus zu lernen – eine Funktion die von Think Tanks, Akademikern und Medienkommentatoren gleichermaßen ausgeführt werden könnte. Das heikle Thema der Unterschiede in der Bezahlbarkeit von Wohnraum, einem Kernthema für sozialen Zusammenhalt, wurde beispielsweise hauptsächlich Akademikern überlassen. Kürzlich haben aber internationale Organisationen, wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und der IWF damit begonnen, Daten über dieses Thema zu sammeln und zu veröffentlichen.
Literatur
Alesina, A. und E. La Ferrara (2002), “Who Trusts Others?”, Journal of Public Economics 85(2), 207-234.
Alesina, A., E. L. Glaeser, und B. Sacerdote (2001), “Why Doesn’t the United States Have a European-Style Welfare State?”, Brookings Papers on Economic Activity 2001(2), 187-277.
Alesina, A., G. Tabellini, und F. Trebbi (2017), “Is Europe an Optimal Political Area?”, Brookings Papers on Economic Activity 2017, 169-213.
“Chapter 2: Building Trust between Suspicious Minds”, EEAG Report on the European Economy 2018, 2018, 35–4.
Armingeon, K. und B. Ceka (2014), “The Loss of Trust in the European Union during the Great Recession since 2007: The Role of Heuristics from the National Political System”, European Union Politics 15(1) 82-107.
Rodrik, D. (2011), The Globalization Paradox: Democracy and the Future of the World Economy, Norton, New York.