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Möglichkeiten einer europäischen Arbeitsmarktpolitik

Summary:
In Deutschland zahlen reiche Bundesländer überproportional hohe Beiträge in die zentrale Arbeitslosenversicherung während ärmere Länder deutlich mehr von deren gebotenen Leistungen in Anspruch nehmen. Bei der deutschen Arbeitslosenversicherung handelt es sich insofern um einen dynamischen Finanzausgleich. Sie könnte als Vorbild für eine europäische Arbeitsmarktpolitik fungieren, welche langfristig sogar die innereuropäischen Disparitäten verringert. In Deutschland gibt es bekanntlich seit langem einen Länderfinanzausgleich als ein festgefügtes Regelsystem, das allerdings politisch gestaltbar bleibt; es wird ca. alle 10 Jahre angepasst. Interessant ist dabei, dass auch diejenigen Länder, die am liebsten autark sind und eher Probleme mit einem offenen Hilfsprogramm für ihre ärmeren

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Klaus Mackscheidt considers the following as important:

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In Deutschland zahlen reiche Bundesländer überproportional hohe Beiträge in die zentrale Arbeitslosenversicherung während ärmere Länder deutlich mehr von deren gebotenen Leistungen in Anspruch nehmen. Bei der deutschen Arbeitslosenversicherung handelt es sich insofern um einen dynamischen Finanzausgleich. Sie könnte als Vorbild für eine europäische Arbeitsmarktpolitik fungieren, welche langfristig sogar die innereuropäischen Disparitäten verringert.

In Deutschland gibt es bekanntlich seit langem einen Länderfinanzausgleich als ein festgefügtes Regelsystem, das allerdings politisch gestaltbar bleibt; es wird ca. alle 10 Jahre angepasst. Interessant ist dabei, dass auch diejenigen Länder, die am liebsten autark sind und eher Probleme mit einem offenen Hilfsprogramm für ihre ärmeren Nachbarregionen haben, dennoch einem verdeckten Finanzausgleich unterworfen sind. So gibt es bei ihnen überregionale öffentliche Güter wie Verteidigung oder das Außenministerium samt seinen Botschaften, aber auch Teile der inneren Sicherheit und der Infrastruktur wie Fernstraßen und Küstenschutz. Alle diese öffentlichen Güter müssen durch Steuern gemeinsam finanziert werden. Geschieht das dominant durch die Einkommensteuer und ist diese mit Progressionstarifen verbunden, dann findet innerhalb eines Länderverbundes ein verdeckter Finanzausgleich von den reicheren Ländern hin zu den ärmeren Ländern statt, weil die reicheren Länder überproportional am Einkommensteueraufkommen beteiligt sind und die ärmeren Länder unterproportional weniger zahlen. Ein verdeckter Finanzausgleich findet überall da statt, wo Steuern zentral gesammelt und eingesetzt werden, aber in unterschiedlicher Höhe von den Regionen aufgebracht worden sind, so dass die ärmeren Regionen im Vergleich zu den reicheren Regionen entlastet werden.

Ein markantes Beispiel für Deutschland ist die zentrale Arbeitslosenversicherung einschließlich der damit verbundenen Förderungsmaßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmärkte. Wiederum sind es die reicheren Länder, die über die Beiträge überproportional einzahlen und zudem auch noch weniger entnehmen, während die ärmeren Länder weniger einzahlen, aber wegen ihrer hohen Arbeitslosigkeit sehr viel von den gebotenen Leistungen in Anspruch nehmen. Tatsächlich findet hier ein verdeckter Transfer von reich zu arm statt, den man auch durchaus statistisch ermitteln und offen nachweisen könnte. Dieser Finanzausgleich über die Bundesagentur für Arbeit hat zudem eine dynamische Wirkung: Er ist desto umfangreicher, je größer die Disparitäten zwischen den Regionen im Blick auf die Arbeitslosigkeit sind. Ebenso erwünscht ist die umgekehrte Dynamik: Gehen die Disparitäten zurück, so schmilzt auch die Höhe des Finanzausgleichs zwischen den Regionen ab. Niemand braucht politisch aktiv einzugreifen, denn dieser verdeckte Finanzausgleich passt sich ohne jede administrative Schwerfälligkeit und ohne jede Zeitverzögerung situationsgerecht, flexibel an. Tatsächlich könnte er am Ende ganz aufhören – sich also erübrigen –, wenn nämlich die regionalen Disparitäten in der Beschäftigungssituation verschwunden sind. Da das letztlich das Ziel gerade dieses Finanzausgleichs ist, handelt es sich also um einen idealen eingebauten Stabilisator: eine built-in-stability, wie es die frühen Keynesianer für die fiscal policy damals erfunden hatten, während hier dieser Stabilisator für den Finanzausgleich auf den Arbeitsmärkten gebraucht wird. Insofern handelt es sich bei der Idee eines Stabilisators nicht um eine neue Erfindung, sondern um die Umwidmung einer alten Erfindung.

Die Frage ist nun, ob man einen solchen Stabilisator, wie er bei der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsförderung innerhalb von Deutschland funktioniert, auch zum Aufbau einer europäischen Arbeitsmarktpolitik nutzen könnte.

Dabei ist das Wichtigste die Feststellung, dass die Disparitäten in der Beschäftigtensituation in Europa sehr groß sind. Entsprechend würde es sich in der jetzigen Startsituation um einen sehr großen Finanzausgleich handeln. Fest steht dabei, dass die Länder mit einem sehr hohen Beschäftigungsniveau überproportional mehr an Beiträgen zahlen werden und entsprechend weniger entnehmen werden als die Länder mit hoher Arbeitslosigkeit. Verstärkt werden diese Zahlungs- und Entnehmungsströme noch durch die Tatsache, dass ja in der Regel neben der reinen Arbeitslosenversicherung noch Maßnahmen der Arbeitsförderung (sog. aktive Arbeitsmarktpolitik) hinzukommen, die dazu geeignet sind, Arbeitslosigkeit weniger entstehen zu lassen. Das kann bis zu einer Verdoppelung der Höhe dieses Finanzausgleichs führen. Man sieht, dass dieser Finanzausgleich unterschiedlich gestaltet werden kann, der Politik also durchaus Spielraum lässt.

Sodann ist zu prüfen, ob die Beitragszahler eine Übertragung ihrer Zahlung vom nationalen Fonds auf einen europäischen Fonds zulassen werden. Wenn dieser Fonds die Vollmacht bekommen sollte, die jeweiligen Beiträge für ganz Europa festzusetzen, dürfte das auf Schwierigkeiten stoßen; jedenfalls würde das besonderer Voraussetzungen bedürfen (siehe unten). Darüber hinaus ist nicht gesichert, dass alle europäischen Nationen eine beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung anbieten können; es gibt nämlich auch Länder, die steuerfinanzierte Systeme der sozialen Sicherung haben. So hätte beispielsweise England, das nicht das Bismarcksystem der sozialen Sicherung, sondern das steuerbasierte Beveridgesystem anwendet, Schwierigkeit mit einer Integration gehabt. Am besten ist es daher wohl, die Eigenarten der nationalen Systeme bestehen zu lassen und die Zahlungsströme unverändert an den europäischen Fonds weiterzuleiten.

Am Anfang wird man mit diesem Fonds für die europäische Arbeitsmarktpolitik sehr zurückhaltend starten. Für jedes Land werden die bisherigen Zahlungen und Zuordnungen aufrechterhalten, damit kein Land sich als Verlierer der neuen, europäischen Arbeitsmarktpolitik empfinden muss. Aus politischen Gründen wird es wahrscheinlich sogar notwendig sein, über einen Fonds des europäischen Haushalts von vorneherein eine ganz leichte Erhöhung der Auszahlung an alle Länder zu bewirken. Dass in diesem Zusammenhang überhaupt auch der zentrale Haushalt (Brüssel) gefordert sein wird, entspricht ja im Übrigen der Erfahrung, die wir in Deutschland im Jahr 2017 bei der Neufassung des Bund-Länder-Finanzausgleichs gemacht haben; dort bekam der Bundeshaushalt im vertikalen Finanzausgleich sogar eine Führungsrolle.

Erst wenn die Zuschüsse der Zentrale höher werden und wenn vor allen Dingen der Fonds selbst Überschüsse erzielt, können die Überweisungen vorzugsweise an diejenigen Länder gehen, in denen die Not auf den Arbeitsmärkten am größten ist. Ebenso langsam wie diese finanzielle Umstellung sollte auch die organisatorische Umstellung erfolgen. Was spräche dagegen, die jeweiligen Landesbehörden vor Ort zu behalten und lediglich in europäische Behörden umzuwidmen? So kann man allmählich in einen spürbaren europäischen Finanzausgleich auf dem Arbeitsmarkt hineinwachsen.

Die meisten Politiker feiern es als einen Erfolg, dass Europa zu einer einheitlichen Währung gefunden hat. Sehr viele Ökonomen in Deutschland haben gefordert, dass der Euro von Anfang an eine Unterstützung durch eine gemeinsame europäische Finanzpolitik haben müsse. Nun haben wir z.Z. zwar zwei spezielle Fonds – den für die Agrarpolitik und den für die Strukturpolitik –, aber das ersetzt noch keineswegs eine gemeinsame Finanzpolitik, zumal der Agrarfonds Mittel bindet, die in einer Gesamtschau im Zweifel woanders eingesetzt würden. Der französische Präsident Macron will nun durch einen zentralen Finanzfonds in Europa den Weg zu einer wahren europäischen Finanzpolitik einschlagen. Was das Volumen dieses Fonds angeht, so schlägt er eine großzügige Ausstattung vor. Die deutsche Kanzlerin unterstützt zwar den Vorschlag im Prinzip, ist aber, was das Volumen angeht, deutlich zurückhaltender. Inzwischen haben die Finanzminister der Euro-Zone ein Budget verabredet, dessen Höhe jedoch noch verhandelt werden wird. Eine erste Voraussetzung für eine europäische Finanzpolitik wird also geschaffen.

Vielleicht könnte man von Deutschland aus eine europafreundliche Botschaft aussenden, wenn man die Diskussion über eine europäische Arbeitsmarktpolitik, die vom Brüsseler Haushalt flankiert wird, anstößt. Was ein horizontaler Finanzausgleich zwischen den Ländern Europas im Rahmen einer ausgleichenden Arbeitsmarktpolitik sicherlich alleine nicht schaffen kann, könnte durch die Ergänzung eines vertikalen Finanzausgleichs über den Brüsseler Zentralhaushalt in den oben beschriebenen kleineren Etappen realisiert werden. Dann mag es sogar sein, das dies sich als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Finanzausgleich in Europa erweist.

©KOF ETH Zürich, 29. Nov. 2018

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