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Deutsche Altersvorsorge: “Nicht-Finanzierbarkeit” ist ein Scheinargument

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Bei der Debatte um die Reform der deutschen Altersvorsorge fällt meist irgendwann das Totschlagargument der „Nicht-Finanzierbarkeit“ der diskutierten Vorschläge. Aus geldtheoretischer Betrachtung entbehrt dieses Argument jeglicher Grundlage, was auch ein Blick nach Kanada oder Japan zeigt. Die Frage wie das Rentensystem mittelfristig finanziert werden soll, ist und bleibt eine politische, die sich für Deutschland seit dem Beitritt zur Europäischen Währungsunion etwas verkompliziert hat. Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ brachte am 4. Oktober einen Artikel mit der Überschrift „Wer bezahlt die Rente?“ und platzte schon in der Unterüberschrift damit heraus, dass „die jüngsten Vorschläge“ allesamt „nicht finanzierbar“ wären. Steuererhöhungen, höheres Renteneintrittsalter,

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Bei der Debatte um die Reform der deutschen Altersvorsorge fällt meist irgendwann das Totschlagargument der „Nicht-Finanzierbarkeit“ der diskutierten Vorschläge. Aus geldtheoretischer Betrachtung entbehrt dieses Argument jeglicher Grundlage, was auch ein Blick nach Kanada oder Japan zeigt. Die Frage wie das Rentensystem mittelfristig finanziert werden soll, ist und bleibt eine politische, die sich für Deutschland seit dem Beitritt zur Europäischen Währungsunion etwas verkompliziert hat.

Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ brachte am 4. Oktober einen Artikel mit der Überschrift „Wer bezahlt die Rente?“ und platzte schon in der Unterüberschrift damit heraus, dass „die jüngsten Vorschläge“ allesamt „nicht finanzierbar“ wären. Steuererhöhungen, höheres Renteneintrittsalter, Zuwanderung, etc. – alles nicht ausreichend, alles nicht finanzierbar. Diese Schlussfolgerung kann in einer Welt des staatlichen Geldes nur falsch sein. Hier soll es um das warum gehen.

Sie kennen sicherlich das Spiel Monopoly. Die Spieler erzeugen eine schöne, große Immobilienblase, in deren Verlauf auch Häuser gebaut werden und einige Investoren auf der Strecke bleiben. Ein Spieler übernimmt dabei die Bank. Und jetzt kommt die Frage: Kann diese Bank Pleite gehen? Die Antwort darauf ist sicherlich „Nein“, vielleicht mit der Einschränkung, dass irgendwann die vorgedruckten Geldscheine alle sein könnten. Wenn wir die Bank jedoch digitalisieren und die Spieler digitale Konten halten in einem Computersystem, welches von der Bank verwaltet wird, dann ist die Antwort ein klares „Nein“, ganz ohne Einschränkungen. Wenn die Bank mehr Geld schöpfen möchte, dann werden auf der Tastatur mehr Zahlen eingegeben – fertig!

So ist das auch bei einer modernen Zentralbank. Sie erzeugt Guthaben auf den Konten der  Banken. Diese können sich gegen Sicherheiten Guthaben bei der Zentralbank per Kredit besorgen. Ohne Sicherheiten gibt es keinen Kredit und auch kein Guthaben. Solange Sicherheiten vorhanden sind, können die Banken sich Guthaben per Kredit besorgen. Der Europäischen Zentralbank (EZB) kann das Geld nicht ausgehen, denn sie erzeugt es ja per Software selbst! So ist es bei der Bank von Monopoly ja auch.

Zentralbanken haben neben den Konten der Banken noch ein ganz besonderes Konto. Das gehört dem Staat. Die meisten modernen Länder haben Regeln, nach welchen die Zentralbank auch dem Staat Geld gutschreibt. In Kanada beispielsweise darf die Zentralbank u. a. Kredite und Vorschüsse für bis zu sechs Monate an die kanadische Regierung vergeben, wenn diese dafür Staatsanleihen übergibt. Das ist also ganz einfach. Die kanadische Regierung schreibt auf ein (digitales) Papier: „Der Besitzerin oder dem Besitzer dieser Staatsanleihen zahle ich am 31.12.2018 einen Betrag von 10.000.000 C$ aus plus einen Zins von 1,5%“. Dieses Papier wird der Zentralbank übergeben, welche daraufhin der kanadischen Regierung 10.000.000 C$ gutschreibt. Wenn die kanadische Regierung Renten überweisen möchte, dann ist sie weder auf Steuern angewiesen noch auf den Verkauf von Staatsanleihen an (internationale) Investoren. Sie bekommt das Geld einfach von der Zentralbank gutgeschrieben. Wenn sie statt 10 Millionen dann 10 Milliarden braucht für ihre Rentenzahlungen, dann muss sie halt bei den Staatsanleihen noch vier mal mehr die Taste null drücken. Fertig! Die kanadischen Renten sind sicher, denn der Staat kommt immer an Geld.

Ein kurzer Einschub ist angebracht. Viele denken sicherlich jetzt: Das kann doch nicht sein! Das führt doch zu Hyperinflation! Entwertung der Währung! Zusammenbruch der Wirtschaft! Worauf zu antworten wäre: nein. Kanada ist ein lebendes Beispiel dafür, dass ein Geldsystem mit aktiver Staatsfinanzierung sehr gut funktioniert, und das schon seit Jahrzehnten. In anderen Ländern ist das übrigens auch so oder so ähnlich. Hätten Sie vielleicht gewusst, dass die japanische Zentralbank letztes Jahr mehr als 70% der japanischen Staatsanleihen angekauft hat, ohne dass es dort zu Hyperinflation und Absturz des Yen kam? Eine Erhöhung der Staatsausgaben kann tatsächlich eine Erhöhung der Inflationsrate erzeugen. Aber es kann halt sein, dass dies eine gute Sache ist, weil es die Inflationsrate in Richtung Inflationsziel der Zentralbank drückt. Wichtig ist also eigentlich nicht die Art der Staatsfinanzierung, sondern der wohl dosierte Einsatz der Staatsausgaben, um Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit zu verhindern – anstatt sie durch staatliche Kürzungspolitik künstlich herbeizuführen.

Kommen wir nun zu Deutschland und der Frage, ob Renten finanzierbar sind. Die Antwort auf diese Frage liegt, wie wir gerade festgestellt haben, auf geldtheoretischem Gebiet. Kann die deutsche Bundesregierung sich von ihrer Deutschen Bundesbank unbegrenzt neue Einlagen sichern gegen die Abgabe von Staatsanleihen? Die Antwort ist – kompliziert. In der Eurozone kauft die EZB und damit auch die nationalen Zentralbanken den Regierungen keine Staatsanleihen ab. Das sollen die Banken machen, die sich das Geld dafür vorher bei der EZB besorgen. Solange die Banken vermuten, dass Deutschland die Anleihen zurückzahlen kann, kann die Bundesregierung Anleihen in den Markt verkaufen und sich so den Zugriff auf die Einlagen bei der Bundesbank sichern. Das Zentralkonto des Bundes wäre prall gefüllt, Rentenzahlungen immer möglich.

Leider ist es in der Eurozone aber so, dass zwar die Staatsausgaben theoretisch unbegrenzt sein können, in der Praxis aber durch die Willigkeit der Banken und den Stabilitäts- und Wachstumspakt beschränkt sind. Das erste Problem ist dabei eine Erwartungsfrage, die um das zweite Problem kreist. Wenn die Rentenzahlungen zu einem staatlichen Defizit führen würden von über 3%, dann könnte die deutsche Bundesregierung von einer Troika aufgefordert werden, die Rentenzahlungen zu kürzen. Da dies die Wirtschaft abwürgen würde und damit auch die Steuereinnahmen wird so die Schuldenlast des Staates immer schwieriger zu handhaben, wie man u. a. in Griechenland gesehen hat. Hier kommt es also auf die EZB an und die Europäische Kommission. Lässt beispielsweise letztere die Deutschen durchkommen mit ihrem hohen Defizit, weil deutsche Rentnerinnen und Rentner „too big to fail“ sind, dann ist die deutsche Rente sicher. Alternativ wäre sie auch sicher, wenn Mario Draghi und die EZB beschließen würden, so viele deutsche Staatsanleihen aufzukaufen, dass die Banken kein Risiko in den Papieren sehen. Die Banken wären sich sicher, dass sie im Zweifelsfall immer ohne großen Verlust an die EZB verkaufen können.

Das deutsche „Rentenproblem“ ist also kein finanzielles Problem oder müsste keines sein, wie das Beispiel Kanada zeigt. Hätten wir noch die D-Mark, dann wäre der ehemalige Arbeitsminister aus der Kohl-Zeit, Norbert Blüm, im Recht: Die Renten sind sicher. Nun, mit dem Euro, haben wir ein Problem. Deutsche Staatsanleihen sind nicht mehr sicher, und damit ist auch die Zahlungsfähigkeit des deutschen Staates nicht mehr gesichert.

Der Rest über die Alterung der deutschen Gesellschaft ist schnell erzählt: wenn weniger Menschen arbeiten und mehr Menschen Rente bzw. Pension beziehen, dann muss man den Jungen mehr wegnehmen (z. B. über Rentenversicherung, Steuern und Abgaben) und den Alten mehr zukommen lassen (über höhere Renten). Um diese Umverteilung abzufedern sollte die Politik Produktivitätssteigerungen sowie Vollbeschäftigung anstreben, um den Kuchen zu vergrößern. Höhere Produktivität bekommen wir durch die Steigerung öffentlicher Investitionen und dazu ein höheres Lohnwachstum, um die Firmen zum Einsatz von mehr Maschinen zu bewegen. Außerdem sollten diejenigen stärker besteuert werden, die eh schon viel haben und deren Glück wohl mit höheren Einkommen nicht mehr zunimmt. Eigentlich ganz einfach, nur politisch schwer durchzusetzen. Dies erklärt wohl den momentan allgegenwärtigen Einsatz des ökonomischen Scheinarguments der „Nicht-Finanzierbarkeit“.

©KOF ETH Zürich, 16. Nov. 2018

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