In seinem Beitrag Von Nichts kommt nichts – auch nicht Geld greift Christian Müller Dirk Ehnts' Geld aus dem Nichts an. An dieser Stelle folgt eine Duplik, warum der Begriff sowohl richtig wie auch sinnvoll ist. Der Monatsbericht April 2017 der Bundesbank hat die Geldtheorie wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt, während gleichzeitig die europäische Politik um ein europäisches Finanzministerium mit Eurobonds streitet. Während ich in meinem Beitrag das Geld aus dem Nichts als Erkenntnis vorstellte, sieht Christian Müller dies in seinem Beitrag anders. Das klassische Beispiel der Buchgeldschöpfung wäre die Buchkreditgewährung: "Diesem klassischen Beispiel zufolge steht hinter jedem Kredit eine realwirtschaftliche Aktivität, die im besten Fall genug Mehrwert abwirft, um die Kreditzinsen zu begleichen. [..] Geld entsteht gerade nicht "aus dem Nichts". Geld entsteht nur als Gegengeschäft zu einem Kredit." Kapitalismus als Entwicklung im Sinne von Schumpeter Dieser Ansatz, den Christian Müller hier vertritt, erinnert stark an Schumpeter. Die Unternehmen leihen sich Geld, erzeugen Innovationen, und können mit Profiten ihre Kredite tilgen. Können sie es nicht, scheiden sie im Prozess der "schöpferischen Zerstörung" aus.
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In seinem Beitrag Von Nichts kommt nichts – auch nicht Geld greift Christian Müller Dirk Ehnts' Geld aus dem Nichts an. An dieser Stelle folgt eine Duplik, warum der Begriff sowohl richtig wie auch sinnvoll ist.
Der Monatsbericht April 2017 der Bundesbank hat die Geldtheorie wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt, während gleichzeitig die europäische Politik um ein europäisches Finanzministerium mit Eurobonds streitet. Während ich in meinem Beitrag das Geld aus dem Nichts als Erkenntnis vorstellte, sieht Christian Müller dies in seinem Beitrag anders. Das klassische Beispiel der Buchgeldschöpfung wäre die Buchkreditgewährung: "Diesem klassischen Beispiel zufolge steht hinter jedem Kredit eine realwirtschaftliche Aktivität, die im besten Fall genug Mehrwert abwirft, um die Kreditzinsen zu begleichen. [..] Geld entsteht gerade nicht "aus dem Nichts". Geld entsteht nur als Gegengeschäft zu einem Kredit."
Kapitalismus als Entwicklung im Sinne von Schumpeter
Dieser Ansatz, den Christian Müller hier vertritt, erinnert stark an Schumpeter. Die Unternehmen leihen sich Geld, erzeugen Innovationen, und können mit Profiten ihre Kredite tilgen. Können sie es nicht, scheiden sie im Prozess der "schöpferischen Zerstörung" aus. Diese Perspektive teile ich, allerdings ist sie meiner Meinung nach nicht komplett, da auf theoretischer Ebene der Staat ausgeblendet wird und auf empirischer Ebene die Realität.
Fangen wir mit der empirischen Realität an. Ein Blick in die Statistik der EZB zeigt, dass Kredite an Firmen der Realwirtschaft etwa 1.000 Mrd. Euro ausmachen. Kredite an Haushalte machen etwa 5.000 Mrd. Euro aus, Staatsanleihen etwa 2.500 Mrd. Euro. Während der private Sektor seine Verschuldung durch Kreditaufnahme finanziert, emittieren die Staaten Staatsanleihen. Dieser Posten ist nicht zu vernachlässigen. Zudem sind Kredite an Haushalte weitaus bedeutsamer als Kredite an Unternehmen. Wenn sich Unternehmen durch die Ausgabe von Anleihen oder Aktien finanzieren, dann schaffen sie kein Buchgeld. Insofern ist die Rolle privat finanzierter Investitionen sehr wichtig für die Eurozone, aber sie beruht zu einem großen Teil auch auf Haushaltsverschuldung.
Spekulation
Haushalte kaufen also Häuser, Wohnungen und Grundstücke per Kredit. Dabei steht eben nicht "hinter jedem Kredit eine realwirtschaftliche Aktivität", so wie es sich Christian Müller vorstellt. Die Situation wird umso bedenklicher, als dass in vielen Fällen die per Kredit erworbene Immobilie selbst als Sicherheit für den Kredit gilt. Kredit, so müssen wir uns das vorstellen, beruht also in großen Teilen auf erwarteten steigenden Häuserpreisen, denn nur dann steigt die Kreditvergabe an. So war das auch in Deutschland vor der Krise, als stagnierende Immobilienpreise zu einer schwachen Kreditnachfrage und daher schwachen Investitionen führten. Erst ab 2010 kam mit dem Fluchtkapital aus den Krisenländern ein Anstieg der Immobilienpreise ins Rollen, der einen kreditfinanzierten Investitionsboom auslöste.
Im Boom kommt es zu einem interessanten Effekt. Der Anstieg der Immobilienpreise führt dazu, dass der Wert der Sicherheiten im Besitz des privaten Sektors zunimmt. Dadurch kann sich der private Sektor mehr Kredite besorgen und so höhere Preise zahlen. Solange Banken mitspielen, weil auch sie höhere Preise erwarten und sich bei Zahlungsunfähigkeit darüber freuen, dass die im Wert gestiegene Immobilien nun ihnen gehört, wird die Kreditvergabe völlig abgekoppelt sein von der realwirtschaftlichen Aktivität. Christian Müller schreibt: "Geld und Kredit beruhen folglich auf dem Vertrauen, dass das Versprechen des Kreditnehmers (auf Rückzahlung des Kredits nämlich) tatsächlich etwas gilt." Dies wäre entsprechend zu modifizieren. Auch bei erwartetem Zahlungsausfall können Banken Gewinne erwarten, da die Sicherheiten an sie zurückgehen. Zudem können sie Schrottkredite an Ahnungslose verkaufen, so dass sie über Provisionen und Gebühren Gewinne erzielen, ohne von den Verlusten betroffen zu sein.
Banken und andere Finanzmarktteilnehmer können übrigens auch selbst spekulieren, indem sie ihr Fremdkapital erhöhen und über "leveraging" ihr Eigenkapital hebeln. Während dies meist kein Giralgeld, sondern etwas illiquidere Forderungen bzw. Verbindlichkeiten (z. B. sog. "certificates of deposit"), erzeugt, sollte aber auch dieser Prozess in der Ökonomie thematisiert werden. Eine Kreditschöpfung vor dem Hintergrund realwirtschaftlicher Aktivität ist wünschbar, aber man sollte die Augen vor der Realität nicht verschließen. Wie bereits Hyman Minsky erkannte, hat insbesondere die Finanzierung im Finanzsystem einen starken Einfluss auf Vermögenspreise, was wiederum die kreditfinanzierten Investitionen beeinflusst.
Geld aus dem Nichts heißt nicht, dass Geld ohne Grund entsteht
Rein technisch gesehen, und so ist "Geld aus dem Nichts" zu verstehen, erhöhen bzw. reduzieren Banken in ihrer Software die Einträge unserer Konten, wenn wir Kredite aufnehmen oder tilgen. Wenn ich einen Kredit über 1.000 Euro aufnehme, dann entsteht also trotzdem das Geld aus dem Nichts. Allerdings muss es immer einen triftigen Grund geben, warum die Banken die Einträge verändern. Die Frage nach dem Grund ist unabhängig von der technischen Tatsache, dass das Giralgeld aus dem Nichts geschöpft wird.
Christian Müller, und da stimme ich ihm zu, will "klassische Beispiele" der Kreditgeldschöpfung herausarbeiten. Allerdings vermisse ich weitere klassische Beispiele. Der Artikel der Bundesbank nennt auch die Giralgeldschöpfung durch Leistungsbilanzüberschüsse. Wenn Deutsche mehr Geld für die Exporte bekommen als sie an Ausländer für die Importe zahlen, so entsteht auch dadurch netto mehr Giralgeld. Bei einem Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von etwa 8% des BIP ist dies nicht trivial. Der Wert liegt höher als der der Kredite an das verarbeitende Gewerbe (Bundesbank, 2017). Ebenfalls fehlt die Kreditgeldschöpfung des Staates, der über entsprechende Defizite ebenfalls Giralgeld erzeugen kann (vgl. Ehnts 2016).
Akzeptanz des Geldes, Geldwert und Inflation
Meiner Meinung nach ist die Geldschöpfung aus dem Nichts zu betonen, um dann die institutionellen Mechanismen der Giralgeldschöpfung durchzugehen. Wenn man diese Untersuchung nicht auf Kredite an Unternehmen zur Erhöhung der realwirtschaftlichen Position beschränkt, dann kommt man auch bei anderen interessanten Fragen zu anderen Ergebnissen.
Christian Müller schreibt: "Denn diejenigen, die das Geld annehmen und ihre Leistungen dem Kreditnehmer zur Verfügung stellen, müssen darauf vertrauen, dass das angenommene Geld dereinst auch zur eigenen Bedürfnisbefriedigung eingesetzt werden kann." Dies ist zu modifizieren, denn mit Giralgeld kann der private Sektor Bankkredite tilgen und, sehr wichtig, Steuern und Abgaben an den Staat zahlen. Das mit dem Euro auch Steuern in Euros eingeführt wurden ist kein Zufall, sondern die Macht des Staates, mit dem er Nachfrage nach Euros erzeugt.
"Schwindet das Vertrauen, verliert das Geld seinen Wert und es entsteht Inflation. Inflation bekämpfen heisst darum gleichzeitig immer auch Vertrauen stiften." Inflation, da stimme ich Christian Müller zu, gilt es zu bekämpfen. Allerdings entsteht meiner Meinung nach Inflation nicht durch Vertrauensverlust (leider wird kein Transmissionsmechanismus vorgestellt), sondern durch Lohnsteigerungen über dem Produktivitätszuwachs bei Knappheit von Arbeit, durch steigende Rohstoffpreise, die als Kosten von Unternehmen über Preiserhöhungen an KonsumentInnen weitergegeben werden, und durch Abwertungen der eigenen Währung.
Moderne Geldtheorie, moderne Makroökonomie
Von daher bestimmt nicht "unser Vertrauen in diese Institutionen [...] in letzter Konsequenz den [realen] Geldwert", sondern potentiell die Angebotsseite unserer Wirtschaft: die Kapitalausstattung der Unternehmen, der Einsatz von Fähigkeiten und Wissen durch die Menschen während ihrer Arbeitszeit, die erzeugten Gemeingüter und der Zugang zu Ressourcen. Eine moderne Geldtheorie stellt die Produktion in den Mittelpunkt und erkennt, dass langfristig unser potentieller materieller Wohlstand nur davon abhängt. Insofern sind Kredite zur Steigerung der realwirtschaftlichen Aktivität wichtig und ebenso staatliche Investitionen in Infrastruktur, welche die Produktivität oder das Gemeinwohl oder sogar beides erhöhen.
Die zweite Einsicht ist dann die, dass Güter und Dienstleistungen mit Geld erworben werden. Ein Mangel an Geld bzw. Verschuldung und damit an Einkommen kann die Ökonomie langfristig ausbremsen, wenn das nachfrageseitige Problem nicht erkannt und behoben wird. Die Ökonomie wächst dann unter Potential und fällt zurück.
In der Realität ist es so, dass die Höhe der privaten Investitionen fast nie so hoch ist, dass wir Vollbeschäftigung haben. Also haben wir einen strukturellen Nachfragemangel, den wir thematisieren müssen. Paul Samuelson hatte angemerkt, dass Gott uns zwei Augen gegen habe: eines für die Nachfrage, eines für das Angebot. Dies gilt im 21. Jahrhundert mehr denn je.
Bundesbank (2017), Zeitreihe Nr. 05: Kredite der Banken (MFIs) in Deutschland an inländische Nichtbanken (Nicht-MFIs)[ a ], Stand vom 15.5.2017.
Ehnts, Dirk (2016), "Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive", 2. Auflage, Metropolis Verlag, Marburg
Ehnts, Dirk (2017), Die Bundesbank erklärt den Geldmultiplikator für falsch und das Geld aus dem Nichts für richtig, Ökonomenstimme.
Müller, Christian (2017), Von Nichts kommt nichts – auch nicht Geld, Ökonomenstimme.
©KOF ETH Zürich, 23. Mai. 2017