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Die Bundesbank erklärt den Geldmultiplikator für falsch und das Geld aus dem Nichts für richtig

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Im Monatsbericht April 2017 erklärt die Bundesbank "Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschöpfungsprozess" und kommt zu dem Schluss, "dass die Kreditvergabe grundsätzlich ohne vorherige Zuflüsse von Kundeneinlagen stattfinden kann". Diese revolutionäre Einsicht wird die Universitäten zwingen, neue Lehrbücher in Makroökonomie anzuschaffen, wie dieser Beitrag zeigt. Die Lehrbücher der Makroökonomie stehen schon seit Jahrzehnten unter Druck, da Zentralbanker, Banker und andere Finanzmarktakteure die Theorie des Geldmultiplikators und auch die Theorie der Zentralbank mit dem Instrument Geldmenge ablehnen. So steht etwa in dem Lehrbuch "Makroökonomik" von Gregory Mankiw (1993, S. 607): "Wir wollen nun davon ausgehen, dass Banken einen Teil ihrer Einlagen zur Vergabe von Krediten verwenden, z.B. an Familien, die sich ein Haus kaufen wollen, oder an Unternehmen, die in neue Gebäude oder Ausrüstungen investieren wollen". Banken sind demnach Intermediäre, die Ersparnisse in Form von Einlagen einsammeln und weiterverleihen an die, die kreditfinanziert Investitionen tätigen wollen. Die Bundesbank sieht das in dem oben genannten Artikel grundlegend anders.

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Im Monatsbericht April 2017 erklärt die Bundesbank “Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschöpfungsprozess” und kommt zu dem Schluss, “dass die Kreditvergabe grundsätzlich ohne vorherige Zuflüsse von Kundeneinlagen stattfinden kann”. Diese revolutionäre Einsicht wird die Universitäten zwingen, neue Lehrbücher in Makroökonomie anzuschaffen, wie dieser Beitrag zeigt.

Die Lehrbücher der Makroökonomie stehen schon seit Jahrzehnten unter Druck, da Zentralbanker, Banker und andere Finanzmarktakteure die Theorie des Geldmultiplikators und auch die Theorie der Zentralbank mit dem Instrument Geldmenge ablehnen. So steht etwa in dem Lehrbuch “Makroökonomik” von Gregory Mankiw (1993, S. 607): “Wir wollen nun davon ausgehen, dass Banken einen Teil ihrer Einlagen zur Vergabe von Krediten verwenden, z.B. an Familien, die sich ein Haus kaufen wollen, oder an Unternehmen, die in neue Gebäude oder Ausrüstungen investieren wollen”. Banken sind demnach Intermediäre, die Ersparnisse in Form von Einlagen einsammeln und weiterverleihen an die, die kreditfinanziert Investitionen tätigen wollen.

Die Bundesbank sieht das in dem oben genannten Artikel grundlegend anders. Sie schreibt schon auf der ersten Seite des Beitrags: “Dabei hängt die Fähigkeit der Banken, Kredite zu vergeben und Geld zu schaffen, nicht davon ab, ob sie bereits über freie Zentralbankguthaben oder Einlagen verfügen”. Banken brauchen also nicht “einen Teil ihrer Einlagen zur Vergabe von Krediten verwenden”, und ein genauerer Blick in die Bilanzdarstellung der Bundesbank zeigt auch wieso: Zentralbankguthaben können von Nichtbanken nicht gehalten werden, da sie kein Konto bei der Zentralbank führen. Nun könnte man argumentieren, dass mit Einlagen die Einlagen der KundInnen der Bank gemeint sind. Allerdings läuft auch diese Argumentation ins Leere, denn diese Einlagen sind aus Sicht der Bank Verbindlichkeiten. Wie soll Kreditvergabe dann buchungstechnisch funktionieren? Die Bank kann ja nicht einfach ihre Verbindlichkeiten (Einlagen) gegenüber Kunde X reduzieren und dafür diese zugunsten von Kunde Y verändern.

Die Geldschöpfung “aus dem Nichts” hatte ich an anderer Stelle bereits bei Ökonomenstimme erklärt, ebenso die Rolle der Banken und der Zentralbank (vgl. Ehnts 2013, 2014, 2015). Die Theorie des Bankkredits “aus dem Nichts” war auch schon einmal Konsens in der Ökonomik, und zwar am Anfang des 20. Jahrhunderts. Autoren wie Knut Wicksell, Joseph Schumpeter oder auch John Maynard Keynes schrieben über die Vorteile des Kreditgeldes für die Ökonomie. Die legitimen Nachfolger im 21. Jahrhundert sind die Forscher der “Modern Mone(tar)y Theory”, welche die auch von der Bundesbank inzwischen genutzte Darstellung von Bilanzen populär gemacht haben. Es scheint sich hier ein neues geldtheoretisches Paradigma zu entwickeln, welches inzwischen sowohl von Praktikern wie auch von Akademikern akzeptiert wird.

Der Artikel der Bundesbank ist nur ein erster Aufschlag bei der Betrachtung der Ökonomie aus der bilanziellen Perspektive. In Fußnote 4 wird erklärt, dass auch öffentliche Institutionen Zentralbankguthaben halten können, davon aber bei den folgenden Überlegungen abstrahiert wird. Das ist bedauerlich, denn die Rolle des Staates für eine moderne monetäre Ökonomie ist keineswegs trivial. Ähnlich wie die Geschäftsbanken Einlagen aus dem Nichts erzeugen, tun dies auch die Regierungen, sofern sie sich in eigener Währung verschulden und die Zentralbank auf dem Sekundärmarkt potentiell als “buyer of last resort” zur Verfügung steht. Mosler (2017) zeigt in seinem populärwissenschaftlichen Buch eindrucksvoll, dass Steuern ebenso wenig Staatsausgaben finanzieren wie Ersparnisse die privaten Kredite.

Es gibt eine kleine Zahl von Büchern, welche die Funktionsweise des monetären und des fiskalischen Systems genauer untersuchen. Wray (2015) untersucht die Dollarzone, Ehnts (2016) die Eurozone. In beiden Büchern wird davon ausgegangen, dass nicht Ersparnisse, sondern Kredite die Investitionen finanzieren. Die resultierende Makroökonomik ist eine andere als die der aktuellen Lehrbücher. Unter anderem können jetzt Immobilienblasen nicht mehr durch ausländische Ersparnisse finanziert werden, wie das in der Eurozone so häufig im Kontext von Spanien und Deutschland behauptet wurde. Auch für die fiskalische Seite ergeben sich gravierende Unterschiede zu den bestehenden Lehrbüchern, in denen beispielsweise die Obergrenze einer nachhaltigen öffentlichen Verschuldung berechnet wird.

Es bleibt zu hoffen, dass die Veröffentlichung der Bundesbank zu einer Beschleunigung des Umdenkens in der Makroökonomik führt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es Lehrbücher gibt, welche die Bilanzsichtweise in den Fokus stellen und unter realistischen Annahmen zu einer neuen Perspektive führen. Ein Beharren auf den alten Lehrbüchern würde den heutigen Studierenden die Zukunftschancen verbauen, denn die kommenden Generationen werden besser ausgebildet sein. Zehn Jahre nach der “sub-prime crisis” zündet die Makroökonomik also die nächste Evolutionsstufe. Es kommt Hoffnung auf, dass die immer noch zahlreichen makroökonomischen Probleme unserer Zeit mit Hilfe von neuer Theorie besser in den Griff zu bekommen sind.

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