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Wer mehr Gleichheit will, muss die Beteiligung an der Risikoprämie fördern

Summary:
In der von Thomas Piketty mit seinem Buch "Capital" neu entfachten Debatte rund um die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten von Gesamtwirtschaft und Kapitalrendite und der damit verbundenen steigenden Ungleichheit geht vergessen, dass die Kapitalrendite auf einer Risikoprämie beruht. Um die Ungleichheit abzubauen, müsste die Beteiligung aller an letzterer erhöht werden, wie dieser Beitrag zeigt. Ist die Piketty’sche Formel zur Ungleichheit wirklich so aufregend neu? Da Piketty unter "r" den durchschnittlichen Realzins einer Volkswirtschaft subsummiert, bleiben die unterschiedlichen Risikoprämien aber unberücksichtigt. Wie nachfolgenden Berechnungen zeigen, ist aber die Risikoprämie der eigentliche Treiber der Ungleichheit. Wer also weniger Ungleichheit will, muss die Beteiligung an der Risikoprämie fördern. Die sich auf historische Daten stützende Argumentationskette von Thomas Pikettys viel diskutiertem Buch "Capital in the Twenty-First Century" geht entlang der von ihm postulierten Ungleichung "r > g". Die auf das Kapital erzielte Rendite "r" überträfe das gesamtwirtschaftliche Wachstum "g". Aus dieser Ungleichung ergäbe sich im Zusammenspiel der von ihm so genannten "fundamentalen Gesetze des Kapitalismus" eine zunehmende Kräfteverschiebung weg vom Arbeitseinkommen hin zum Kapitaleinkommen.

Topics:
Hans-Jörg Naumer considers the following as important:

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In der von Thomas Piketty mit seinem Buch “Capital” neu entfachten Debatte rund um die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten von Gesamtwirtschaft und Kapitalrendite und der damit verbundenen steigenden Ungleichheit geht vergessen, dass die Kapitalrendite auf einer Risikoprämie beruht. Um die Ungleichheit abzubauen, müsste die Beteiligung aller an letzterer erhöht werden, wie dieser Beitrag zeigt.

Ist die Piketty’sche Formel zur Ungleichheit wirklich so aufregend neu? Da Piketty unter “r” den durchschnittlichen Realzins einer Volkswirtschaft subsummiert, bleiben die unterschiedlichen Risikoprämien aber unberücksichtigt. Wie nachfolgenden Berechnungen zeigen, ist aber die Risikoprämie der eigentliche Treiber der Ungleichheit. Wer also weniger Ungleichheit will, muss die Beteiligung an der Risikoprämie fördern.

Die sich auf historische Daten stützende Argumentationskette von Thomas Pikettys viel diskutiertem Buch “Capital in the Twenty-First Century” geht entlang der von ihm postulierten Ungleichung “r > g”. Die auf das Kapital erzielte Rendite “r” überträfe das gesamtwirtschaftliche Wachstum “g”. Aus dieser Ungleichung ergäbe sich im Zusammenspiel der von ihm so genannten “fundamentalen Gesetze des Kapitalismus” eine zunehmende Kräfteverschiebung weg vom Arbeitseinkommen hin zum Kapitaleinkommen. Während der Anteil des Arbeitseinkommens am volkswirtschaftlichen Einkommen sinke, steige der Anteil des Kapitaleinkommens. Die Ungleichheit, so seine These, nehme durch diese Kräfteverschiebung noch weiter zu. Die Verteilungswirkung zu Gunsten der Kapitaleigentümer verschärfe sich zusätzlich dadurch, dass bei letzteren eine höhere Sparquote unterstellt werden könne als bei den Beziehern von Arbeitseinkommen.

Aber ist dieses Ungleichung tatsächlich so aufregend neu und richtig? Und: Falls es stimmt, welche Konsequenzen sollten daraus gezogen werden? Wird bei der Debatte nicht übersehen, dass für unterschiedliche Investitionen unterschiedliche Erträge zu erwarten sind? Wer risikoreicher investiert, sollte erwarten können, dass diese Investitionen über die Zeit eine höhere Risikoprämie erwirtschaften. Die Kapitalmarkttheorie lehrt, dass auf Risikokapital eine Prämie für das eingegangene Risiko zu erwarten ist. Es stellt sich die Frage, wie ausgeprägt die Bereitschaft ist, in risikoreichere Anlagegattungen, wie z.B. Aktien, zu investieren. Ist die Bereitschaft, in unternehmerisches Kapital zu investieren unterschiedlich ausgeprägt, sollte es dadurch zu einer unterschiedlichen Vermögensentwicklung kommen.

Da Piketty unter “r” den durchschnittlichen Realzins einer Volkswirtschaft subsummiert, bleiben die unterschiedlichen Risikoprämien aber unberücksichtigt.

Das eigentliche “fundamentale Gesetz des Kapitalismus” müsste deshalb folgendermaßen formuliert werden: Wer in risikobehaftete Anlageformen investiert, kann längerfristig eine Prämie als Entlohnung für dieses Risiko erwarten – sonst würde er es ja auch nicht eingehen.

Aus langen historischen Zeitreihen, wie sie für den US-amerikanischen Aktienmarkt vorliegen, zeigt sich, dass die Erwartung einer Risikoprämie nicht enttäuscht wurde, wenn es sich auch nicht über alle Zeiträume hinweg gleichermaßen gelohnt hat, in US-Aktien zu investieren. Wird die Risikoprämie von US-Aktien gegenüber US-Treasuries mit 30-jähriger Laufzeit über Zeiträume von 30 Jahren vom Beginn der erhältlichen Zeitreihen (1801) bis Ende 2015 verglichen, so zeigt sich, dass im Durchschnitt der 30-Jahreszeiträume eine Risikoprämie von 3,7-Pozentpunkten erzielt wurde. Der schlechteste 30-Jahreszeitraum war von 1981-2011 mit einer durchschnittlichen Risikoprämie von -0,85%-Punkten. Der beste Zeitraum fiel auf die Periode 1943-1973 mit 11%-Punkten an Risikoprämie.

Abbildung: Risikoprämie von US-Aktien gegenüber US-Staatsanleihen (rollierende 30 Jahresrenditen; in %-Punkten)

Quelle: Jeremy Siegel database 1801 – 1900 & Elroy Dimson, Paul Marsh, and Mike Staunton 1900 – 2009, Datastream , Allianz Global Investors Capital Markets & Thematic Research; Stand 30.11.2015; Wertentwicklungen der Vergangenheit erlauben keine Prognose für die Zukunft

Definiert der Anleger Sicherheit nicht als Abwesenheit von Kursschwankungen, sondern als Kaufkrafterhalt, das heißt unter Einbeziehung der Inflation, so waren Aktien in der Historie über einen langen Anlagehorizont von zehn Jahren oder mehr sogar “sicherer” als Anleihen. Bei der Analyse der 10-jährigen rollierenden Durchschnittsrenditen im Zeitraum der letzten 215 Jahre waren die negativen Ausreißer für Aktien im Vergleich mit kurz- und langlaufenden Staatsanleihen sogar geringer. Ein Aktionär konnte in der Spitze im 10-Jahreszeitraum 1949 bis 1959 real durchschnittlich circa 17 % p. a. verdienen, während er im Zuge des Ersten Weltkrieges von 1911 bis 1921 und der ersten Ölkrise 1965 bis 1975 beim Aktienkauf rund 4 % p. a. verloren hätte. US-Anleihebesitzer verzeichneten hingegen mit über –5 % p. a. den größeren realen Verlust in der Anlageperiode 1971 bis 1981 – eine Phase stark gestiegener Inflation. Im Vergleich dazu fiel die negative Aktienmarkt-Performance von 2000 bis 2009 während des Platzens der Technologieblase und der Finanzkrise in Höhe von –3 % p. a. noch moderat aus.

Bei noch weiterer Verlängerung des Anlagehorizontes ergaben sich bei rollierenden 30-jährigen Zeitperioden der letzten 215 Jahre immer positive reale Renditen bei Aktien. Im Schnitt betrug der Vermögenszuwachs nach Inflation 6,94 % p. a. Die niedrigste 30-Jahresrendite betrug im Zeitraum 1903 bis 1933 2,81 % p. a., die höchste 10,6 % p. a. in der Periode 1857 bis 1887. Aber auch die jüngste 30-jährige Aktienmarktperiode kann sich trotz zahlreicher Kapitalmarktverwerfungen im historischen Vergleich sehen lassen. Hätte ein Aktionär im Jahr 1985 US-Aktien gekauft, hätte er einen realen Vermögenszuwachs von knapp 7,9 % p. a. verbuchen können.

Bei Zeiträumen von 10 und 30 Jahre war dagegen das Risiko eines realen Vermögensverlustes bei US-Staatsanleihen durchaus gegeben. So verzeichneten Anleger in Treasuries während der Periode 1934 bis 1964 und den Folgeperioden bis 1985 – die Zeit der “Finanziellen Repression” – negative reale Renditen. In der Spitze betrug der Verlust über einen Zeitraum von 30 Jahren bei 10-jährigen Staatspapieren real –2,00 % p. a. (1950 bis 1980). Das Rekordniveau 30-jähriger Renditen bei US-Staatsanleihen liegt dabei gar nicht so weit zurück: Im Zuge der Nullzinspolitik der Notenbanken sind die Renditen in den letzten Jahren nahe ihrer historischen Tiefststände gesunken. Die Folge: Der Anleiheinvestor verzeichnete in der 30-jährigen Anleihe-Hausse zwischen 1981 und 2011 den größten realen Wertzuwachs mit im Schnitt 7,44 % p. a. Über die letzten 30 Jahre von Ende 2015 an gerechnet hat er p.a. 5,38% verdient.

Was sich bei der Betrachtung der Zeiträume über 10 und 30 Jahre zeigt, ist, dass nur die Aktien, anders als Anleihen, es schafften, in allen 30-Jahreszeiträumen eine real positive Rendite zu erzielen. Während bei Anleihen im schlechtesten 30-Jahreszeitraum -2% p.a. erreicht wurden, waren real knapp +3% p.a. der niedrigste reale Wertzuwachs, den Aktien erreichten. Der beste 30-jährige Anlagezeitraum bei Anleihen erbrachte 7,44%, bei Aktien knapp 11%.

Ergebnis: Das Eingehen von höheren Risiken wurde offensichtlich bei Aktien entlohnt. Aktien brachten unter Berücksichtigung der Kaufkraft ein höheres Maß an Sicherheit als Anleihen.

Aus der Betrachtung über den gesamten verfügbaren Zeitraum von 1800 bis Ende 2015 wird noch einmal ganz besonders deutlich, wie sich die Risikoprämie von Aktien auswirkte. Angenommen, ein Investor hätte im Jahr 1801 einen US-Dollar in Treasuries investiert, so hätte er bis Ende 2015, kaufkraftbereinigt, etwas über 1.550 US-Dollar erzielt. Ein Investment in Aktien hätte im gleichen Zeitraum mehr als 1,4 Millionen ergeben.

Die Risikoprämie ist die große Ungleichmacherin! Wer weniger Ungleichheit will, muss Kapitalbeteiligung wollen.

Literatur

Fama, F. and K. French (2002), “The Equity Premium”, The Journal of Finance, Volume 57, Issue 1

Ibbotson, R.G. und P. Chen (2003), “Long-Run Stock Returns: Participating in the Real Economy”, Financial Analyst Journal, Volume 59 Issue 1

Naumer, H.-J., Kapitalbeteiligung im 21. Jahrhundert: Antwort auf Thomas Piketty, Wirtschaftsdienst, März 2016, Volume 96, pp.179-184

Naumer, H.-J. und D. Nacken (2016), “Aktien – die neue Sicherheit im Depot?”, Allianz Global Investors, Frankfurt

Piketty, T. (2014), CAPITAL in the Twenty-First Century, Cambridge, Massachusetts London.

Datennachweis

Die verwendeten Daten gehen für den Zeitraum 1801 – 1900 auf die Jeremy Siegel Database. Für den Zeitraum 1900-2009 wurde auf die Elroy Dimson, Paul Marsh and Mike Staunton zurückgegriffen. Für die Jahre danach kam Datastream zum Einsatz.

©KOF ETH Zürich, 13. Jun. 2016