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Volkswirtschaftliche Effekte der Flüchtlingszuwanderung: Ökonometrische Evidenz

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Was sind die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Flüchtlingszuwanderung in Deutschland? Dieser Beitrag vergleicht diese mit den Effekten "normaler" Zuwanderung, die ohne negative Konsequenzen abläuft. D.h., dass bei einer besseren Integration und somit einer Annäherung an die übliche Migration auch von der Flüchtlingszuwanderung keine negativen Effekte zu erwarten sind. Angesichts der starken Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland wird derzeit intensiv die Frage der ökonomischen Effekte dieser Entwicklung diskutiert. Aus der etablierten Migrationsliteratur gibt es dazu allerdings praktisch keine Ergebnisse. Dies dürfte auch auf den bisherigen Mangel an (Mikro-) Daten für die spezielle Teilgruppe der Zuwanderer zurückzuführen sein. Angesichts von (potentiell) großen Unterschieden in der Qualifikation, den Wanderungsmotiven oder den Regulierungen können die Erkenntnisse der generellen Migrationsliteratur nicht ohne weiteres herangezogen werden. In jüngster Zeit erschienen mehrere Studien zur Abschätzung volkswirtschaftlicher und fiskalischer Wirkungen (darunter Fratzscher/Junker 2015, Fuchs/Weber 2015, Bach et al. 2016, Bonin 2016, Hummel/Thöne 2016, Raffelhüschen/Moog 2016, van Suntum/Schultewolter 2016), die insgesamt als deterministische Simulationen klassifiziert werden können.

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Was sind die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Flüchtlingszuwanderung in Deutschland? Dieser Beitrag vergleicht diese mit den Effekten “normaler” Zuwanderung, die ohne negative Konsequenzen abläuft. D.h., dass bei einer besseren Integration und somit einer Annäherung an die übliche Migration auch von der Flüchtlingszuwanderung keine negativen Effekte zu erwarten sind.

Angesichts der starken Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland wird derzeit intensiv die Frage der ökonomischen Effekte dieser Entwicklung diskutiert. Aus der etablierten Migrationsliteratur gibt es dazu allerdings praktisch keine Ergebnisse. Dies dürfte auch auf den bisherigen Mangel an (Mikro-) Daten für die spezielle Teilgruppe der Zuwanderer zurückzuführen sein. Angesichts von (potentiell) großen Unterschieden in der Qualifikation, den Wanderungsmotiven oder den Regulierungen können die Erkenntnisse der generellen Migrationsliteratur nicht ohne weiteres herangezogen werden.

In jüngster Zeit erschienen mehrere Studien zur Abschätzung volkswirtschaftlicher und fiskalischer Wirkungen (darunter Fratzscher/Junker 2015, Fuchs/Weber 2015, Bach et al. 2016, Bonin 2016, Hummel/Thöne 2016, Raffelhüschen/Moog 2016, van Suntum/Schultewolter 2016), die insgesamt als deterministische Simulationen klassifiziert werden können. Dafür sind naturgemäß etliche Annahmen zu den Eigenschaften der Zuwanderer und der Funktionsweise der Ökonomie nötig.

In einer neuen Studie (Weber/Weigand 2016) verfolgen wir stattdessen einen makroökonometrischen Ansatz, um Wirkungen der Flüchtlingszuwanderung basierend auf tatsächlicher statistischer Inferenz aus Zeitreihen abzuschätzen. Hierzu verwenden wir ein strukturelles vektorautoregressives Modell (SVAR) mit Identifikation über Instrumentvariablen. Der jährliche Umfang der Flüchtlingszuwanderung wird durch die Zahl der Asylanträge approximiert, die anderweitige Zuwanderung ergibt sich durch Subtraktion von der Gesamtzuwanderung (vgl. Abbildung 1). Als Variablen der Volkswirtschaft werden das BIP pro Kopf, die Lohnquote und die Erwerbslosenquote betrachtet.

Abbildung 1: Flüchtlingszuwanderung und andere Zuwanderung nach Deutschland

Die Methode kann makroökonomische Effekte und Interaktionen von Zuwanderungs-Impulsen sehr umfassend abbilden und stellt dabei minimale Anforderungen an identifizierende Annahmen. Der Datenbedarf ist sehr niedrig. Es müssen a priori keine speziellen Spezifikationen bspw. zu Lohnverhalten oder Substitutionsbeziehungen getroffen werden. Damit können sich Interpretationen allerdings auch weniger als in anderen Ansätzen an klar vorgegebenen ökonomischen Mechanismen orientieren.

Die Impulsantworten auf Impulse in der Flüchtlings- und der anderen Zuwanderung (jeweils in Höhe von 1 Prozent der Gesamtbevölkerung) sind in Abbildung 2 dargestellt. Flüchtlingszuwanderung hat mittelfristig negative ökonomische Effekte. Dies Ergebnis dürfte auf die Schwierigkeiten geringer Qualifikation und schlechter Passung im Arbeitsmarkt zurückzuführen sein. Dies entspricht einem Arbeitsangebotsschock in Segmenten mit hohen Arbeitslosigkeitsrisiken. Längerfristig gehen die Effekte tendenziell zurück, was durch verzögerte Kapitalstockanpassung, verstärkte Qualifizierung und Integration, aber auch (selektive) Abwanderung bedingt sein kann. Zur Interpretation der relativ starken längerfristigen Reaktion der Erwerbslosenquote ist als Basis der Gesamtumfang der durch den definierten Impuls implizierten Zuwanderung zu beachten: Die kumulierte Impulsantwort der Flüchtlingszuwanderung beträgt 3,7 Prozent der Gesamtbevölkerung bis zum Horizont 15. Die positiven Kurzfristeffekte dürften mit der Nachfrageseite in Verbindung stehen. So führt Flüchtlingszuwanderung zu unmittelbarem Investitions- und Arbeitskräftebedarf sowie zusätzlichen Wohlfahrtsausgaben, mit entsprechenden kurzfristigen Multiplikatorwirkungen. Zudem treten Flüchtlinge auch aufgrund von Regulierungen erst verzögert in den Arbeitsmarkt ein, so dass Druck auf Arbeitslosigkeit oder Löhne nicht sofort entsteht.

Abbildung 2: Impulsantworten auf Zuwanderung. Asyl- und andere Zuwanderung in % der Gesamtbevölkerung, BIP pro Kopf in Prozent (log*100), Lohnquote und Erwerbslosenquote in Prozentpunkten.

Impuls auf Asylzuwanderung                            Impuls auf andere Zuwanderung

Impulse in der anderen Migration haben dagegen nur geringe Effekte. In der Tendenz lassen sich jedenfalls keine ökonomischen Verschlechterungen feststellen. Da die volkwirtschaftlichen Variablen hier pro Kopf bzw. in Quoten angegeben sind, bedeutet das, dass die Zuwanderer das Volumen der Ökonomie entsprechend der durchschnittlichen Leistung aller Erwerbspersonen erhöhen. Im Vergleich zur Flüchtlingszuwanderung dürften hier eine stärkere Arbeitsmarktorientierung und höhere Qualifikation den Ausschlag geben, die eher zu Wanderungsgewinnen und Komplementaritäten mit bereits vorhandenen Beschäftigten führen.

Dies zeigt aber zugleich Potential für Wirkungen der Integration von Flüchtlingen auf. Offenbar kann Zuwanderung nach Deutschland ohne negative Konsequenzen für die Volkswirtschaft ablaufen. Und auch bei den Nicht-Asyl-Zuwanderern hat es sich bekanntlich nicht nur um hochbezahlte Software-Ingenieure gehandelt. Gelingt die Integration der aktuellen Flüchtlingskohorte besser als im betrachteten Zeitraum, könnten sich die Wirkungen der Flüchtlingszuwanderung demnach jenen der anderen Migration annähern. Wenn man also die Bedingungen in Zusammenhang mit der Flüchtlingszuwanderung weiter verbessert, bestehen gute Aussichten auf eine Rendite in Form günstigerer ökonomischer Ergebnisse. Dabei geht es vor allem um Integration, Sprache, Qualifizierung, Nutzung informeller Kompetenzen, gesicherte Aufenthalts-Perspektiven und Arbeitsmarktzugang.

Literatur

Bach, Stefan; Brücker, Herbert; Haan, Peter; van Deuverden, Kristina; Romiti, Agnese; Weber, Enzo (2016): Fiskalische und gesamtwirtschaftliche Effekte: Investitionen in die Flüchtlingsintegration lohnen sich. DIW / IAB, im Erscheinen.

Bonin, Holger (2016): Gewinne der Integration. Berufliche Qualifikation und Integrationstempo entscheiden über die langfristigen fiskalischen Kosten der Aufnahme Geflüchteter. Heinrich-Böll-Stiftung, böll.brief #1.

Fratzscher, Marcel; Junker, Simon (2015): Integration von Flüchtlingen: eine langfristig lohnende Investition, DIW Wochenbericht, 45/2015.

Fuchs, Johann; Weber, Enzo (2015): Flüchtlingseffekte auf das Erwerbspersonenpotenzial. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Aktuelle Berichte, 17/2015.

Hummel, Caroline-Antonia; Thöne Michael (2016): Finanzierung der Flüchtlingspolitik. Für eine ausgewogene Finanzierung der Flüchtlingsleistungen bei Bund, Ländern und Kommunen. Studie für die Robert Bosch Stiftung.

Raffelhüschen, Bernd; Moog, Stefan (2016): Zur fiskalischen Dividende der Flüchtlingskrise: Eine Generationenbilanz. ifo Schnelldienst 2016, 69, 04.

van Suntum, Ulrich; Schultewolter, Daniel (2016): Kosten und Chancen der Migration. ifo Schnelldienst 2016, 69, 04.

Weber, Enzo; Weigand, Roland (2016): Identifying macroeconomic effects of refugee migration to Germany. IAB-Discussion Paper 20/2016.

©KOF ETH Zürich, 27. Jun. 2016

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