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Staatliche Hochschulen im Dienste eines politischen Wertewandels?

Summary:
Ein Positionspapier des Deutschen Wissenschaftsrats hat unlängst die Möglichkeit in Betracht gezogen, staatliche Hochschulen stärker für die Initiierung "gesellschaftlicher Veränderungsprozesse" zu nutzen. Dieser Beitrag spricht sich gegen eine normative Instrumentalisierung aus, da diese die für die Wissenschaft eminent wichtige Ergebnisoffenheit beeinträchtige. Hochschulen und "Große gesellschaftliche Herausforderungen" Als der Politologe Bassam Tibi in seinem Buch "Europa ohne Identität?" den Begriff der "Leitkultur" einführte, machte er die erstaunliche Erfahrung, wie schnell sich solch ein Begriff verselbständigen kann (Tibi (1998) und (2005)). Vor allem Politiker aus dem konservativen Spektrum kaperten den Begriff regelrecht und forderten von hier lebenden Ausländern nicht nur Respekt vor den Werten des Grundgesetzes, sondern auch eine Anpassung an Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten bis hin zur Berücksichtigung religiöser Traditionen. Dabei versteht Tibi unter dem Begriff "Leitkultur" eigentlich eine Abwendung vom Begriff der Nation als "Kulturnation", und stattdessen eine Orientierung am Wertekanon des Grundgesetzes, der jedem Bürger individuelle Freiheit der Kultur, des Glaubens, der Weltanschauung und des persönlichen Wertesystems gewährt. Blickt man auf die aktuelle hochschulpolitische Debatte, stellt sich dabei ein seltsames Déjà-vu Gefühl ein.

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Ein Positionspapier des Deutschen Wissenschaftsrats hat unlängst die Möglichkeit in Betracht gezogen, staatliche Hochschulen stärker für die Initiierung "gesellschaftlicher Veränderungsprozesse" zu nutzen. Dieser Beitrag spricht sich gegen eine normative Instrumentalisierung aus, da diese die für die Wissenschaft eminent wichtige Ergebnisoffenheit beeinträchtige.

Hochschulen und "Große gesellschaftliche Herausforderungen"

Als der Politologe Bassam Tibi in seinem Buch "Europa ohne Identität?" den Begriff der "Leitkultur" einführte, machte er die erstaunliche Erfahrung, wie schnell sich solch ein Begriff verselbständigen kann (Tibi (1998) und (2005)). Vor allem Politiker aus dem konservativen Spektrum kaperten den Begriff regelrecht und forderten von hier lebenden Ausländern nicht nur Respekt vor den Werten des Grundgesetzes, sondern auch eine Anpassung an Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten bis hin zur Berücksichtigung religiöser Traditionen. Dabei versteht Tibi unter dem Begriff "Leitkultur" eigentlich eine Abwendung vom Begriff der Nation als "Kulturnation", und stattdessen eine Orientierung am Wertekanon des Grundgesetzes, der jedem Bürger individuelle Freiheit der Kultur, des Glaubens, der Weltanschauung und des persönlichen Wertesystems gewährt.

Blickt man auf die aktuelle hochschulpolitische Debatte, stellt sich dabei ein seltsames Déjà-vu Gefühl ein. So hat der "Deutsche Wissenschaftsrat" jüngst in einem eigentümlich zwiespältigen Positionspapier "Zum wissenschaftspolitischen Diskurs über Große gesellschaftliche Herausforderungen" (Wissenschaftsrat (2015)) zwar einerseits formuliert "Die Organisation und Finanzierung wissenschaftlicher Einrichtungen und Tätigkeiten muss insgesamt so ausgelegt werden, dass sie die Vielfalt und Freiheit der Wissenschaft erhält und fördert."; andererseits aber auch gefordert, das Wissenschaftssystem stärker für die Initiierung "gesellschaftlicher Veränderungsprozesse" zu nutzen, denn "Die Bewältigung Großer gesellschaftlicher Herausforderungen zielt auf umfassende gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die eine Bewusstseinsbildung sowie ggf. einen Wertewandel voraussetzen und sowohl technische als auch soziale Innovationen umfassen können."

Die unterschiedliche Stoßrichtung dieser (und anderer) Formulierungen legt die Interpretation nahe, dass sich im Wissenschaftsrat derzeit zwei Fraktionen gegenüberstehen: Eine Fraktion, die die klassische Konzeption eines am Primat der wissenschaftlichen Freiheit orientierten selbstbestimmten Wissenschaftssystems vertritt und eine Fraktion, die das Wissenschaftssystem in den Dienst eines gezielten "Wertewandels" stellen möchte.

Zu den Vordenkern letzterer Fraktion darf man sicherlich die Autoren Schneidewind (der sich zuletzt auch hier mit einem "Plädoyer für eine transformative Wirtschaftswissenschaft" geäußert hat) und Singer-Brodowski zählen, die in ihrem hochschulpolitischen Manifest "Transformative Wissenschaft" (Schneidewind/Singer-Brodowski (2014)), auf das der Wissenschaftsrat mehrfach verweist, ganz ähnliche Forderungen stellen. Sie rufen darin dazu auf, das Verhältnis von "Wissenschaft und Gesellschaft" grundsätzlich neu zu gestalten. Dazu schlagen sie eine Abkehr vom Leitbild der Humboldtschen Universität vor, hin zu einer "transformativen Universität", die dann ein "transformatives Lernen" ermöglichen soll. "Normative Entscheidungen spielen dabei eine wichtige Rolle: Wem und was wird wieviel Bedeutung zugesprochen? Welche Beziehungen und Lebensentwürfe sind wertvoll? Wie wurde dieser Wert innerhalb der individuellen Biographie entwickelt?" Die Leichtigkeit mit der die Autoren solche Sätze formulieren ist erstaunlich. Sie verkennen in gleicher Weise die pluralistische Verfasstheit unseres Gesellschaftssystems wie die im Zusammenhang mit der Leitkultur-Debatte erhobenen Forderungen konservativer Politiker.

Auch die wenig reflektierte Weise, mit der Begriffe wie "nachhaltiger Konsum" oder "nachhaltige Entwicklung" verwendet werden, erstaunt. Seit den 70er Jahren hat sich in der wissenschaftlichen Debatte eine umfangreiche Literatur zu diesem Thema ausgebreitet, die vor allem eines zeigt: Der Begriff "Nachhaltigkeit" ist ein noch komplexerer normativer Begriff als "Gerechtigkeit" (eine Literaturübersicht findet sich in Maurer (2016)). Die verschiedenen Konzeptionen von nachhaltiger Entwicklung, die diskutiert werden, unterscheiden sich nämlich nicht nur durch unterschiedliche normative Werturteile (etwa bezüglich der Gewichtung der Wohlfahrt verschiedener Generationen oder bezüglich der Frage, inwieweit nur die Interessen der menschlichen Spezies oder auch anderer Spezies berücksichtigt werden sollen) sondern auch in empirischer Hinsicht (etwa bezüglich der unterstellten Substituierbarkeit erschöpfbarer Ressourcen). Wer z.B. das empirische Werturteil vertritt, dass der bereits beobachtbare technologische Fortschritt schon in den nächsten Jahrzehnten die Produktionskosten erneuerbarer Energien unter die fossiler Energieträger senken wird, wird für gewöhnlich eine andere Konzeption von nachhaltiger Entwicklung verfolgen wollen, als jemand, der eine solche Entwicklung für ausgeschlossen hält. Welche Einschätzung letztendlich die richtige ist, kann derzeit niemand wissen. Man kann zwar darauf verweisen, dass die historische Erfahrung – etwa seit Thomas Malthus bekanntem "Essay on the Principle of Population" (Malthus (1826)) – zeigt, dass technologischer Fortschritt in der Regel unterschätzt wird. Man kann aber sicherlich auch argumentieren, dass angesichts der potentiell katastrophalen Folgewirkungen des Klimawandels aus Gründen der Risikovermeidung die Potentiale des technologischen Fortschritts bei der Entwicklung eines Nachhaltigkeitskonzeptes derzeit untergewichtet werden müssen. Hier mischen sich letztendlich empirische Werturteile mit normativen Werturteilen der persönlichen Risikoabneigung.

Es fällt nicht jedem leicht sich, angesichts möglicher Katastrophenszenarien, damit abzufinden, dass die Entscheidungen über die Konzeption von nachhaltiger Entwicklung in freiheitlich verfassten Demokratien letztendlich auf der Basis von Kompromissen in den Parlamenten gefasst werden. Einige Vertreter des sogenannten "Ökologismus" (Kenny (2003)), wie die australischen Klimaaktivisten David Shearman und Joseph Smith in ihrem Buch "The Climate Change Challenge and the Failure of Democracy" (Shearman/Smith (2007)), möchten sich deshalb von der Demokratie verabschieden und sie durch einen "autoritär geführten Expertenstaat" ersetzen, der sich am platonischen Ideal der Philosophenherrschaft orientiert. Diese Konzeption von nachhaltiger Entwicklung ist sicherlich keine Option, die mit einer freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar wäre.

"Leitbildprozesse" an staatlichen Hochschulen

Schon seit einiger seit lassen sich an deutschen Hochschulen sogenannte "Leitbildprozesse" beobachten. Mit angestoßen wurde diese Entwicklung durch den 1999 gestarteten Bologna-Prozesses, der in Deutschland von einer am sogenannten "Neuem Steuerungsmodell" der öffentlichen Verwaltung ausgerichteten Reform der Kompetenzverteilung zwischen Hochschulen und Ministerien begleitet wurde. Leitbilder sollen der Profilierung von Hochschulen dienen, hinsichtlich ihrer Lehr- und Forschungsspezialisierung, sowie der Organisationsprinzipien und Wertvorstellungen, die sie ihrer Arbeit zugrunde legen. Vorgesehen sind Leitbilder allerdings weder im deutschen Hochschulrahmengesetz noch in den Landeshochschulgesetzen. Man kann sie als Versuch, ein Stück amerikanische Hochschulkultur ("mission statements") nachzuahmen, interpretieren.

Einer Untersuchung des Stifterverbandes zufolge hatten 2010 rund 60 Prozent der Hochschulen ein Leitbild formuliert (Stifterverband (2010)). Wie eine Untersuchung von Müller (2015) zeigt, orientieren sich Leitbilder häufig am gesetzlichen Auftrag der Hochschulen. Die enthaltenen Wertvorstellungen beschreiben dabei meist den Leistungsanspruch, die angestrebte Organisationskultur und das Außenverhältnis der Hochschule. Sie sind in der Regel allgemein gehalten und vermeiden eine weltanschauliche Positionierung, politische Parteinahme oder die Festlegung auf bestimmte Lehrmeinungen. Es gibt aber auch Ausnahmen von dieser Zurückhaltung: So haben sich derzeit rund 8% der 428 deutschen Hochschulen durch die Übernahme der sogenannten "Principles of Responsible Mangement Education" (PRME 2015) verpflichtet, das wirtschaftspolitische Leitbild des "United Nations Global Compact" in ihre Curricula einzubauen. Der "United Nations Global Compact" ist eigentlich ein Unternehmenskodex, der die unterzeichnenden Unternehmen unter anderem dazu verpflichtet, über gesetzliche Bestimmungen hinaus, umwelt- und sozialpolitische Ziele auch zulasten ihres ökonomischen Gewinns zu verfolgen, also echte Corporate Social Responsibility (CSR) zu praktizieren.

Eine derartige Verhaltensregel impliziert natürlich sehr weit gehende Werturteile normativer aber auch empirischer Art. So entsprechen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes "Unternehmensgewinne und netto von Unternehmen geleistete Vermögenseinkommen" in Deutschland durchschnittlich 21,5 Prozent der von den Unternehmen insgesamt erzeugten Bruttowertschöpfung (Statistisches Bundesamt (2015)). Im Bereich klassischer Industrieunternehmen, dem produzierenden Gewerbe, war diese Quote mit 13,1 Prozent der Bruttowertschöpfung erkennbar niedriger. Natürlich kann man angesichts dieser Zahlen das normative Werturteil vertreten, dass der Anteil der Unternehmen an der Bruttowertschöpfung zu hoch ist und zugunsten der abhängig Beschäftigen oder des Staates gesenkt werden sollte. Man kann aber auch argumentieren, dass die von den Unternehmen organisierte Wertschöpfung und die davon generierten Einkommen bereits einen ausreichenden Beitrag zur Finanzierung von Sozial- und Umweltpolitik leisten. Es ist bei normativen Werturteilen nicht möglich die "Richtigkeit" oder "Falschheit" wissenschaftlich zu beweisen (Albert (1968)). Letztendlich muss sich jeder Staatsbürger zu solchen Fragen sein eigenes, subjektives Werturteil bilden.

Ein wirtschaftspolitisches Leitbild besteht jedoch nicht nur aus normativen Zielvorstellungen. es muss auch eine Strategie enthalten, wie diese Zielvorstellungen erreicht werden können. Die Idee, dass Unternehmen auf freiwilliger Basis zulasten ihres ökonomischen Gewinns umwelt- und sozialpolitische Ziele verfolgen sollen, setzt voraus, dass dies unter realistischen Bedingungen auch möglich ist. Geht man von den derzeit in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur diskutierten Theorien aus, kann man gegen diese Hypothese wohlbegründete Zweifel vorbringen (Maurer (2016)):

  1. Legt man die auf rationalem Eigennutzverhalten beruhenden Annahmen der neoklassischen Theorie zugrunde, kann natürlich nicht erwartet werden, dass Unternehmen freiwillig auf Gewinn zu verzichten.
  2. Aber auch die Ergebnisse neuerer verhaltenstheoretischer Laborexperimente, wie das "Public Goods Spiel", deuten derzeit nicht darauf hin, dass es auf freiwilliger Basis zu einer ausreichenden Versorgung mit öffentlichen Gütern kommt (z.B. McGinty et al. (2013)).
  3. Ein weiteres Problem bei der freiwilligen Einsparung erschöpfbarer Ressourcen durch Unternehmen liegt darin, dass die externen Kosten der Übernutzung einer Ressource keine allgemein bekannte Information sind. In der Regel müssen die Schäden, die durch die Übernutzung entstehen, geschätzt werden. In demokratisch verfassten Rechtsstaaten fällt diese Aufgabe den Parlamenten zu.
  4. Doch selbst wenn man unterstellt, dass das Management eines Unternehmens über alle notwendigen Informationen verfügen würde und bereit wäre, zugunsten eines "Nachhaltigkeitsengagements" auf Gewinn zu verzichten, kann bezweifelt werden, ob diese Unternehmenspolitik unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch dauerhaft praktikabel wäre. Finanziert sich ein Unternehmen beispielsweise über den Aktienmarkt, würde bei einer solchen Politik der tatsächliche Marktpreis des Unternehmens aufgrund des Gewinnrückgangs unter den maximalen Marktpreis fallen. Auf Dauer würde es dann zu einer feindlichen Übernahme des Unternehmens kommen.
  5. Eine weiteres Problem tritt unabhängig von der Finanzierungsform des Unternehmens auf: Wenn das Management eines Unternehmens nicht mehr primär den Interessen der Eigentümer verpflichtet ist, sondern auch alternative Ziele verfolgen darf ("Multi-Stakeholder Ansatz") verschärft sich die Principal-Agent Problematik zwischen Management und Eigentümer. Es existiert keine wohldefinierte kontrollierbare Zielfunktion für das Management und es entstehen Spielräume für Korruption (Jensen (2001)).

Es gibt also eine Reihe guter Gründe, die dafür sprechen, dass Unternehmen, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen operieren, die von der Gesellschaft für notwendig erachteten sozial- und umweltpolitischen Zielvorstellungen nur dann einhalten, wenn sie ihnen in Form verbindlicher Gesetze vorgeschrieben werden. Alle genannten Bedenken gegenüber den Möglichkeiten eines freiwilligen umwelt- und sozialpolitischen Engagements von Unternehmen beruhen aber letztlich auf empirischen Werturteilen über den Bewährungsgrad von Theorien. In den Erfahrungswissenschaften ist der Bewährungsgrad von Theorien stets Gegenstand kontroverser Diskussionen. Der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt beruht ganz wesentlich auf dieser Art von Diskursen. Natürlich kann eine staatliche Hochschule gerade auch die Erforschung solcher kontrovers diskutierter Theorien zu einem Schwerpunkt machen. Das macht freilich nur dann Sinn, wenn es in ergebnisoffener Form erfolgt. Wenn eine Hochschule sich als Institution zu einem ganz bestimmten wirtschaftspolitischen Leitbild und damit auch zu den empirischen Theorien bekennt, auf denen dieses Leitbild beruht, ist diese Ergebnisoffenheit nicht mehr gewährleistet. Das gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund neuer Besoldungssysteme, die der Hochschulleitung ganz wesentlichen Einfluss auf die Gehaltsentwicklung von Forschenden und Lehrenden einräumen.

Schlussfolgerungen

Das deutsche Grundgesetz garantiert die Freiheit von Lehre und Forschung in hervorragender Weise: Andere Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit (GG Artikel 5 (1)) "finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre" (GG Artikel 5 (2)). Die erst danach in Abschnitt (3) des Artikels 5 gewährleistete Freiheit von "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre" steht damit ausdrücklich nicht unter diesem Gesetzesvorbehalt. Eine Einschränkung erfolgt lediglich mit Blick auf die Lehre, die "nicht von der Treue zur Verfassung" entbindet.

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hat dem Rechnung getragen und immer betont, dass es sich um ein individuelles Grundrecht handelt, das "weder Vertretungsorganen noch Leitungsorganen zur Entscheidung zugewiesen werden" darf (BVerfG (2010)). Es ist demnach also nicht statthaft, dass Hochschulorgane Entscheidungen über normative oder empirische Werturteile im Namen der Hochschule treffen, und damit die Grundrechtsträger einer "strukturellen Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit" aussetzen.

Die kollektiven Kompetenzen von "Vertretungsorganen" oder "Leitungsorganen" beschränken sich auf organisatorische Entscheidungen die den Forschungs- und Lehrbetrieb betreffen. Sie beziehen sich aber nicht auf Forschungs- oder Lehrinhalte. Beschlüsse solcher Organe, die sich auf eine Instrumentalisierung staatlicher Hochschulen im Dienste von "Bewusstseinsbildung" und "Wertewandel" zur Steuerung "gesellschaftlicher Veränderungsprozesse" wie dies offensichtlich Teilen des Deutschen Wissenschaftsrates vorschwebt, sind damit ebenso ausgeschlossen, wie kollektive Beschlüsse zur Aufnahme ganz bestimmter Unternehmensziele in wirtschaftswissenschaftliche Curricula, wie dies von den "Principles of Responsible Mangement Education" gefordert wird.

Dem einzelnen Wissenschaftler ist es dagegen unbenommen bei seiner Tätigkeit derartige Inhalte zu vertreten. Freilich spricht einiges dafür, gerade im Bereich der Lehre, bei empirischen, insbesondere aber auch normativen Werturteilen, Alternativen zu diskutieren und Studierende als mündige Staatsbürger zu einer eigenen Meinungsbildung aufzurufen. Erleichtert wird eine solche Meinungsbildung sicherlich auch, wenn an einer Hochschule zu solchen Fragen Meinungsvielfalt unter den Lehrenden herrscht. Die Förderung von Vielfalt war deshalb auch ein wichtiges Anliegen des Bildungsideals Wilhelm von Humbolds (Humbold (1792)).

Das bedeutet nicht, dass einer Hochschule damit die Möglichkeit zur Profilierung gegenüber anderen Hochschulen genommen wäre. Diese Profilierung kann durch das von den Hochschulorganen kollektiv wahrgenommene Budgetrecht erfolgen, über das Forschungs- und Fächerschwerpunkte – auch in Bereichen, die von den Hochschulorganen als "gesellschaftliche Anliegen" bewertet werden – gesetzt werden können. Auf diese Weise kann jede Hochschule ihr eigenes Profil entwickeln. Diese Schwerpunktsetzung muss freilich in ergebnisoffener Form erfolgen. Die "Bewertung des Forschungsergebnisses" (HRG (2015), § 4 (2)) und die "Äußerung von wissenschaftlichen und künstlerischen Lehrmeinungen" (HRG (2015), § 4 (3)) erfolgt durch den einzelnen Wissenschaftler und darf nicht dem Versuch einer Beeinflussung durch Hochschulorgane ausgesetzt werden.

Albert (1968), Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft, (1968) Tübingen.

BVerfG (2010), 1 BvR 748/06 <97>, Verfassungsbeschwerde gegen §§ 90, 91 des Hamburgischen Hochschulgesetzes[ a ].

HRG (2015), Hochschulrahmengesetz [ b ](Abrufdatum: 24.12.2015).

Humbold (1792), Wilhelm von Humbold, Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, 1991, Philipp Reclam Jun., Stuttgart

Jensen (2001), Michael C. Jensen, Value Maximization, Stakeholder Theory, and the Corporate Objective Function[ c ] (Abrufdatum: 12.12.2015).

Kenny (2003) M. Kenny, Ecologism, in: Robert Eccleshall et al.: Political Ideologies: An Introduction. Routledge, Dritte Ausgabe, S. 151-180.

Malthus (1826), Thomas Malthus, An Essay on the Principle of Population, John Murray, London.

Maurer (2016), Rainer Maurer, Unternehmerische Verantwortung für nachhaltige Entwicklung – eine sinnvolle Forderung?, Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik, 4 (1), pp. 1–27, Münster. (Eine Zusammenfassung findet sich hier).

Maurer (2017), Ist angesichts sogenannter "Großer gesellschaftlicher Herausforderungen" ein Umbau des Wissenschaftssystems erforderlich?, Aufklärung und Kritik, 24 (1), pp. 1-20, Nürnberg.

McGinty et al. (2013), McGinty, Matthew; Milam, Garrett, Public Goods Contribution by Asymmetric Agents: Experimental Evidence; Social Choice and Welfare, April 2013, Volume 40, Issue 4, S. 1159–1177.

Müller (2015), R. Müller , Wertepräferenzen an deutschen Universitäten, Beiträge zur Hochschulforschung, Heft 4, 2015.

PRME [ d ](2015), (Abrufdatum 12.02.2015).

Schneidewind/Singer-Brodowski (2014), Uwe Schneidewind, Mandy Singer-Brodowski, Transformative Wissenschaft Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem, 2. Auflage, Metropolis-Verlag, Marburg.

Shearman/Smith (2007), D. Shearman und J. Smith, The Climate Change Challenge and the Failure of Democracy, Praeger Publications.

Statistisches Bundesamt (2015), Sektorkonten - Jahresergebnisse ab 1991 bis 2014. Von der gesammten Bruttowertschöpfung fließen 50,9 Prozent den Arbeitnehmern zu (Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit). 17,7 Prozent entsprechen dem Verschleiß an Produktionsanlagen. 9,9 Prozent fließen dem Staat zu. Von den genannten 21,5 Prozent "Unternehmensgewinne und netto von Unternehmen geleistete Vermögenseinkommen" fließen dem Staat allerdings auch noch Kapitalertragssteuern zu. Die genannten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2013.

Stifterverband (2010), Meyer-Guckel, Volker; Mägdefessel, Daniela (2010): Vielfalt an Akteuren, Einfalt an Profilen. Hochschulleitbilder im Vergleich, Stifterverband, Essen.

Tibi (1998), Bassam Tibi, Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft, München.

Tibi (2005), Bassam Tibi, Leitkultur als Wertekonsens - Bilanz einer missglückten deutschen Debatte, Aus Politik und Zeitgeschichte (B 1-2/2001), Bundeszentrale für politische Bildung.

Wissenschaftsrat (2015), Zum wissenschaftspolitischen Diskurs über Große gesellschaftliche Herausforderungen[ e ], Positionspapier, WR Drucksache 459415 (Abrufdatum 03.01.2014).

©KOF ETH Zürich, 7. Nov. 2016

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Rainer Maurer
Rainer Maurer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Diplom 1990) und arbeitete dann am Institut für Weltwirtschaft. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich monetäre Makroökonomik und Finanzmärkte.

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