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Der “neue Methodenstreit” – eine Lucas-Kritik

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Zu den Auswirkungen der Finanzmarktkrise gehört fraglos auch die Debatte über die Notwendigkeit einer fundamentalen Neuorientierung der Volkswirtschaftslehre und innerhalb dieser vor allem eine Reform der Makroökonomie. Die Ökonomenstimme hat in diesem Zusammenhang mehrere Beiträge veröffentlicht, von denen einige unter der Rubrik der "neue Methodenstreit" firmieren. Dieser Beitrag analysiert die dominierende Methodik mit Hilfe der Lucas-Kritik. In seiner berühmten Kritik der ökonometrischen Politikevaluation seiner Zeit läutete Robert Lucas im Jahr 1976 das Ende des damals vorherrschenden Keynesianismus ein. Mit seiner scharfsinnigen und bis heute gültigen Analyse der damaligen Methode inspiriert und beeinflusst er bis heute die Theoriebildung in der Makroökonomie. Die wichtigste Einsicht Lucas' besteht darin, dass jedwedes theoretische Modell einer Volkswirtschaft auch für sich selber Gültigkeit besitzen muss. Für die keynesianischen Makromodelle seiner Zeit traf dies oft nicht zu, da etwa Inflationserwartungen nicht innerhalb von Modellen für die Inflation modelliert wurden. Lucas verlangt dagegen, dass die Annahmen des Modells über das Verhalten eines Menschen im Rahmen des Modells so gewählt werden müssen, dass sie nicht im Widerspruch zu den Modellergebnissen stehen.

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Zu den Auswirkungen der Finanzmarktkrise gehört fraglos auch die Debatte über die Notwendigkeit einer fundamentalen Neuorientierung der Volkswirtschaftslehre und innerhalb dieser vor allem eine Reform der Makroökonomie. Die Ökonomenstimme hat in diesem Zusammenhang mehrere Beiträge veröffentlicht, von denen einige unter der Rubrik der "neue Methodenstreit" firmieren. Dieser Beitrag analysiert die dominierende Methodik mit Hilfe der Lucas-Kritik.

In seiner berühmten Kritik der ökonometrischen Politikevaluation seiner Zeit läutete Robert Lucas im Jahr 1976 das Ende des damals vorherrschenden Keynesianismus ein. Mit seiner scharfsinnigen und bis heute gültigen Analyse der damaligen Methode inspiriert und beeinflusst er bis heute die Theoriebildung in der Makroökonomie.

Die wichtigste Einsicht Lucas' besteht darin, dass jedwedes theoretische Modell einer Volkswirtschaft auch für sich selber Gültigkeit besitzen muss. Für die keynesianischen Makromodelle seiner Zeit traf dies oft nicht zu, da etwa Inflationserwartungen nicht innerhalb von Modellen für die Inflation modelliert wurden. Lucas verlangt dagegen, dass die Annahmen des Modells über das Verhalten eines Menschen im Rahmen des Modells so gewählt werden müssen, dass sie nicht im Widerspruch zu den Modellergebnissen stehen. Für die Politikberatung folgt daraus, dass die Effekte der Politikempfehlungen (etwa Empfehlung: Ausgabenerhöhungen, Effekt: Preisanstieg) in die Erwartungen der Marktteilnehmer einbezogen werden müssen.

Diese so genannten modellkonsistenten, rationalen Erwartungen bilden somit den Grundstein für die Mikrofundierung der Makromodelle von denen die "real business cycle-", die "new classical-" und die "New-Keynesian-"Modelle mehrheitlich dem volkswirtschaftlichen "Mainstream" zuzurechnen sind. Der Goldstandard dieser Modelle sind die so genannten dynamic stochastic general equilibrium (DSGE) Modelle.

Mikrofundierte Makromodelle mit modellkonsistenten Erwartungen können ebenfalls einer Lucas-Kritik unterzogen werden. Lucas postulierte, dass ein rational handelnder Mensch die Wirkungsmechanismen und die Implikationen eines Modells versteht und sich im Rahmen dieses Modells optimal verhält. Makromodelle müssen, anders gesagt, intern valide sein. Allerdings impliziert Lucas‘ Postulat auch, dass ein rational handelnder Mensch sich nur dann modellkonform verhalten kann, wenn das Modell die für ihn relevante Wirklichkeit in den wesentlichen Dimensionen abbildet. Das Modell muss folglich auch gegen aussen wahr, d.h. extern valide sein. Vereinfacht gesagt ist es nicht rational, sich auf ein Modell zu verlassen, dass wesentliche Variablen wie Inflation und Output nicht gut erklären und nicht gut vorhersagen kann. Daraus folgen zwei interessante Beobachtungen.

"Fukuyama-Modelle"

Erstens muss ein rationales Subjekt etwas sehr erstaunliches leisten: Es muss in der Lage sein, unter allen in der Literatur existierenden Modellen und allen in der Zukunft formulierten Modellen das wahre herausfinden zu können. Ohne Kenntnis dieser Wahrheit ist ein modellkonformes Verhalten logisch unmöglich. Ein mikrofundiertes Modell müsste diese Modellvielfalt berücksichtigen. Darum kommen für extern und intern valide Modelle nur so genannte "Fukuyama-Modelle" in Frage.

"Fukuyama-Modelle" gehen davon aus, dass alle bis zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung existierenden Modelle die einzigen möglichen wahren Modelle sind. Diese Modelle sind folglich "Das Ende der Geschichte". Unter dieser Annahme kann ein rationales Subjekt zumindest theoretisch das wahre Modell finden, zum Beispiel durch Bayesianisches Lernen.

In der Realität gibt es allerdings keine echten "Fukuyama-Modelle". Andernfalls könnten die einschlägigen wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften ihr Erscheinen sofort einstellen. Allein die Tatsache, dass weiterhin neue Modelle bzw. Änderungen an mikrofundierten, erwartungskonsistenen Makromodellen vorgeschlagen werden, ist folglich Nachweis genug, dass sie extern nicht valide sein können und somit der Lucas-Kritik nicht genügen.

Die zweite Beobachtung stützt letzteren Befund auf eine geradezu profane Weise. Mikrofundierte, erwartungskonsistente Modelle müssten die besten verfügbaren Vorhersagen ihrer endogenen Variablen, vorwiegend Output und Inflation, liefern. Diese Vorhersagen müssten zudem effizient sein, um den Kriterien der Rationalität sowie der internen und externen Validität zu genügen. Spätestens seit dem Vorhersagevergleich von Edge und Gurkaynak (2011) ist aber offensichtlich, dass diese Überlegenheit (Smets & Wouters, 2007) bei der Vorhersage keineswegs existiert. Das betrifft sowohl die Vorhersagegüte als auch die Effizienz. Letzteres zeigt sich daran, dass es mit den im Modell enthaltenen Informationen gelingt, die Prognosefehler statistisch signifikant zu erklären. Dies widerspricht direkt der Annahme der Rationalität, die das Rückgrat der Lucas-Kritik bildet.

Zusammenfassend ergibt sich also der Befund, dass der Goldstandard der Makroökonomie, die mikrofundierten Makromodelle mit modellkonsistenten Erwartungen bei Anwendung der Lucas-Kritik zwar extern valide sein sollten, es aber empirisch gesehen nicht sind und auch theoretisch de facto nicht sein können.

Robustheitsstrategien

Um diese Modelle dennoch robust gegen die Lucas-Kritik zu machen, bieten sich mindestens zwei Strategien an. Einerseits könnte das Element der Rationalität in den Modellen angepasst werden oder die Modelle beziehen Unsicherheit mit ein.

Die erste Option erscheint nicht sehr attraktiv, denn zum einen ist es nicht plausibel, Individuen zu unterstellen, sie würden systematisch gegen ihre eigenen Interessen handeln und zum anderen laufen Konzepte der begrenzten Rationalität in logische Schwierigkeiten, die daraus entstehen, dass man Forschern zugesteht, vollständige von eingeschränkter Rationalität zu unterscheiden, anderen Individuen aber nicht. Insofern Rationalität endogen begrenzt wird, indem etwa auf die Erhebung von Informationen verzichtet, dürfte diese Beschränkung für das in Rede stehende Problem irrelevant sein.

Das Konzept der (fundamentalen) Unsicherheit ist hingegen potentiell in der Lage, Rationalität, modellkonsistente Erwartungen und Lucas-Kritik zu vereinen. Fundamentale Unsicherheit – in der Definition von Keynes (1936) – stellt darauf ab, dass es Ereignisse gibt, die nicht vorhersehbar sind. Nicht vorhersehbare Ereignisse können somit auch keiner Wahrscheinlichkeitsverteilung folgen, weshalb das Konzept des Erwartungsnutzens oder Bayesianischer Optimierung nicht zur Anwendung kommen kann.

Welche Entscheidungsmaximen angesichts echter Unsicherheit stattdessen in den Modellen angewandt werden sollten, ist bislang allerdings noch nicht erforscht. Die Lucas-Kritik harrt folglich noch einer methodisch adäquaten Antwort für die sich ein ordentlicher Streit wohl lohnen dürfte.

Edge, Rochelle M. & Refet S. Gurkaynak (2011). How useful are estimated DSGE model forecasts?, Finance and Economics Discussion Series 2011-11, Board of Governors of the Federal Reserve System (U.S.).

Fukuyama, Francis (1989). The End of History, The National Interest, Summer 1989.

Fukuyama, Francis (1992). The end of history and the last man. New York Toronto New York: Free Press Maxwell Macmillan Canada Maxwell Macmillan International.

Keynes, John Maynard (1936). The General Theory of Employment. In: Quarterly Journal of Economics. Vol. 51, Nr. 2, Februar 1937, S. 209–223.

Lucas, Robert E. (1976), Econometric policy evaluation: A critique, Carnegie-Rochester Conference Series on Public Policy, Volume 1, 1976, S. 19-46.

Müller, Christian (2015), Radical uncertainty: Sources, manifestations and implications, Kiel Institute for the World Economy, Economics Discussion Papers 2015-41[ a ], 2015.

Smets, Frank & Rafael Wouters (2007). Shocks and Frictions in US Business Cycles: A Bayesian DSGE Approach, American Economic Review, American Economic Association, vol. 97(3), pages 586-606, June.

©KOF ETH Zürich, 29. Sep. 2016

Dieser Artikel hat einen Kommentar.

Christian Müller
Christian Müller berät das Eidgenössische Finanzministerium und ist Privatdozent an der Jacobs University Bremen. Er hat in Deutschland, Grossbritannien und Schweden Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie studiert, an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert und habilitierte sich an der Jacobs University Bremen.

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