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Heterodoxe erforschen Heterodoxe – Anmerkungen zu einer empirischen Studie

Summary:
Sterben heterodoxe Ökonomen aus? Diesen Schluss ließe sich aus einer Studie zur Bestandsaufnahme von heterodoxen Ökonomen an deutschen Universitäten ziehen. Dieser Beitrag kritisiert das Studiendesign, das u.a. auf einer elitären Definition von "akademischer Reproduktion" beruhe. Sebastian Thieme und Arne Heise haben Ergebnisse eines Projektes vorgelegt, das die Bewegung heterodoxer Ökonomen an deutschen Universitäten seit den 70er Jahren aus soziologischer Perspektive erforscht. Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Weitere Berichte sind für die nächsten fünf bis zehn Jahre angekündigt. (14) Fokus oder Bias? Die Studie konzentriert sich auf den sozialen Aspekt der Disziplin Ökonomik, genauer gesagt auf Personen und deren Arbeitsbedingungen. In die Studie einbezogen werden Menschen mit oder ohne Lehrstuhl, Hauptsache, sie dürfen sich Professor nennen, sind noch im Amt, und zwar an einer ökonomischen Einrichtung. Des Weiteren beschränkt sie sich auf deutsche öffentliche Universitäten. Fachschulen und Berufsakademien werden ausgeschlossen, und zwar aus dem Grund, dass sie keine Habilitationen durchführen dürfen (1). In diesem Fall steckt die Karriere eines Professors quasi in einer Sackgasse. Ich schließe daraus, dass die Autoren die akademische Reproduktion als den wichtigsten Kanal der Verbreitung heterodoxen Denkens ansehen.

Topics:
Georg Quaas considers the following as important:

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Sterben heterodoxe Ökonomen aus? Diesen Schluss ließe sich aus einer Studie zur Bestandsaufnahme von heterodoxen Ökonomen an deutschen Universitäten ziehen. Dieser Beitrag kritisiert das Studiendesign, das u.a. auf einer elitären Definition von "akademischer Reproduktion" beruhe.

Sebastian Thieme und Arne Heise haben Ergebnisse eines Projektes vorgelegt, das die Bewegung heterodoxer Ökonomen an deutschen Universitäten seit den 70er Jahren aus soziologischer Perspektive erforscht. Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Weitere Berichte sind für die nächsten fünf bis zehn Jahre angekündigt. (14)

Fokus oder Bias?

Die Studie konzentriert sich auf den sozialen Aspekt der Disziplin Ökonomik, genauer gesagt auf Personen und deren Arbeitsbedingungen. In die Studie einbezogen werden Menschen mit oder ohne Lehrstuhl, Hauptsache, sie dürfen sich Professor nennen, sind noch im Amt, und zwar an einer ökonomischen Einrichtung. Des Weiteren beschränkt sie sich auf deutsche öffentliche Universitäten. Fachschulen und Berufsakademien werden ausgeschlossen, und zwar aus dem Grund, dass sie keine Habilitationen durchführen dürfen (1). In diesem Fall steckt die Karriere eines Professors quasi in einer Sackgasse. Ich schließe daraus, dass die Autoren die akademische Reproduktion als den wichtigsten Kanal der Verbreitung heterodoxen Denkens ansehen.

Ob zwischen Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre differenziert wird, ist nicht ersichtlich. Vermutlich sind nur Volkswirte in Betracht gezogen worden in der Annahme, dass die Differenzierung zwischen Heterodoxie und Orthodoxie unter Betriebswirten keine Rolle spielt. Der Ausschluss von Universitäten Österreichs und der Schweiz dient sicher der Arbeitserleichterung, die am Anfang eines Projektes üblich und notwendig ist – es sei denn, der eingeengte Blick lässt Verzerrungen der Ergebnisse befürchten.

Schon in einem relativ frühen Stadium des Forschungsprojekts wurde einer der Autoren darauf aufmerksam gemacht, dass die Beschränkung auf die Gruppe der Professoren das Ergebnis verzerren könnte – u.a., weil die "complete academic reproduction", um die es den Autoren geht, auch in anderen Disziplinen selten zu einem Lehrstuhl führt, sich die Reproduktion also eher unterhalb dieses Niveaus abspielt. Im Protokoll des Forschungsseminars "Politik und Wirtschaft" heißt es dazu: "Wenn das Ziel in dem Nachweis bestehen soll, dass die Vertreter der Heterodoxie aufgrund der herrschenden Berufungspraxis kaum eine Chance haben, sich zu etablieren, so ist der institutionelle Ansatz unbedingt zu ergänzen durch den Nachweis, dass unterhalb der Professoren-Ebene eine umfassende Schicht von Forschern besteht, die sich der Heterodoxie zurechnen lassen." (Protokoll vom 24. April 2014[ a ], Debatten) Die Autoren ignorierten diesen Hinweis.

2016 erneut darauf angesprochen, rechtfertigte Arne Heise das empirische Forschungsdesign wie folgt: "Die Beschwerde von Herrn Quaas, mit der Untersuchung heterodoxer Professoren wären doch wohl die falschen Akteure in den Mittelpunkt gestellt, scheint mir nicht ganz durchdacht zu sein - denn einerseits ist die wissenschaftliche Ausbildung Sache der Professoren (wie also sollte heterodoxer wissenschaftlicher Nachwuchs mittels Promotion und Habilitation entstehen, wenn es keine Betreuer mehr gibt, die entsprechende Arbeiten fördern würden?), andererseits sind die Anreizstrukturen so, dass ich gerade als Nachwuchswissenschaftler keine heterodoxen Pfade beschreiten sollte, wenn ich eine Chance auf eine Professur haben will (ist die dann erst einmal erreicht, kann man/frau sich durchaus heterodox wenden – allerdings auch nur bei Strafe der wissenschaftlichen Marginalisierung)."

Dieses Argument wirft ein Henne-Ei-Problem auf (ohne Professoren kein Nachwuchs, ohne Nachwuchs keine Professoren), ist aber für die Frage, ob das Design eines empirisch-soziologischen Forschungsprojektes seinem Gegenstand adäquat ist, völlig belanglos. Inzwischen liegen erste Forschungsergebnisse vor, an denen festgestellt werden kann, ob und wie sich der Fokus des Forschungsdesigns niederschlägt.

Inkonsequente Umsetzung

In der Studie wird der Fokus noch einmal dargestellt. Demzufolge darf man erwarten, dass sich die Aussagen auf einen ziemlich abgegrenzten Personenkreis beziehen, eben auf die im Text angegebenen 57 angeblich heterodoxen Professoren, über die empirisch Daten erhoben worden sind, und deren Zahl in der entsprechenden Tabelle plötzlich auf 53 schrumpft. Dann aber liest man folgendes:

"…even in those places where reproduction was successful as far as the Habilitation was concerned (at old and comparatively well-resourced universities such as the University of Frankfurt or the FU Berlin), those who had gained their Habilitation seldom achieved the breakthrough to a regular professorship. Such scholars have often chosen alternative strategies: emigrating, moving into professorships at universities of applied sciences, or even shifting to other departments (sociology, political science) – in the worst case, they quit academia altogether. It is therefore certainly not wrong to speak of a disciplinary ‘brain drain’ in heterodox economics, which obviously weakens the position of heterodoxy within economics as a whole. This weakening is all the more dramatic because it seems doubtful whether those who migrate to other countries or other – neighbouring – disciplines will return to the field of economics in Germany." (12)

Nun stellt sich die Frage: Woher wissen die Autoren das, wenn sich die Untersuchung auf die Gruppe der Professoren beschränkt hat? Vom Hören-Sagen? Plaudert da ein ungenannter Zeitzeuge aus dem Nähkästchen? Oder handelt es sich um eine bloße Vermutung? Von einer empirischen Studie würde ich erwarten, dass sie Belege für ihre Behauptungen anführt. Oder gehört man mit dieser Erwartung schon zum Lager der Orthodoxen?

Widersprüche

Die Autoren versichern, dass sie versucht haben, Inkonsistenzen im laufenden Forschungsprozess zu beseitigen (2). Aber leider nicht im vorgelegten Text. Normalerweise geht man beim Lesen empirischer Studien davon aus, dass sie frei von Widersprüchen sind – jedenfalls von solchen, die sogleich ins Auge stechen. Es ist sicherlich ein ziemliches Problem, die Gruppe der heterodoxen Ökonomen zu identifizieren, aber wenn man sie aufgrund von Kriterien klassifiziert hat, dann sollte man die eigene Klassifikation auch durchhalten. Eine Schwierigkeit bestand darin, die Evolutorische Ökonomik korrekt einzuordnen, zumindest deuten die Autoren das an (4). In der Tabelle 1 ringen sie sich dazu durch, die Evolutorik der Heterodoxie zuzuordnen, zumindest "teilweise" (5). Doch schon auf der nächsten Seite erfährt man im Widerspruch zu "Table 1", dass heterodoxe Ökonomen wie Nelson und Winter zum "camp of dissenters" gehören. Hier hat offenbar der eine Autor den Text geschrieben, und der andere die Tabelle zusammengestellt. Nun, das mag eine Kleinigkeit sein, zeigt aber ganz klar, dass elementare Regeln der Klassifizierung (in diesem Fall die eindeutige Zuordnung von Elementen zu einer Klasse) nicht eingehalten werden.

Noch krasser ist der folgende Widerspruch. Im Text wird behauptet, "heterodox economists were completely overlooked [im Sinne von ignored] when the economics faculties of East German universities were re-founded in the early 1990s (Table 3)." (10) Schaut man nun in diese Tabelle, stellt man erstaunt fest, dass die Autoren im ostdeutschen Raum immerhin vier Professoren identifiziert haben, die sie zur "heterodox economics" rechnen.

Verdeckte Probleme

Neben diesen offensichtlichen Widersprüchen gibt es auch versteckte, die Zweifel an den Auswahlkriterien säen. Leider sind die empirischen Daten der Autoren nicht veröffentlicht worden, so dass ich nur die Angaben über die Universität Leipzig überprüfen kann. Und diese sind definitiv falsch. Es gibt unter den Volkswirten mindestens (!) zwei (!) Professoren, die als heterodox klassifiziert werden müssten, einer davon bekennt sich gelegentlich ausdrücklich zur Österreichischen Schule der Nationalökonomie, die von vielen fälschlicherweise für tot gehalten wird, zur Zeit aber ein Revival erlebt. Jener Professor[ b ] zählt momentan zehn Mitarbeiter zu seinem Team, beschäftigt sieben studentische Hilfskräfte und eine Sekretärin. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung war die Situation nicht viel anders – nur die Namen der Mitarbeiter wechselten.

Falsch ist auch die auf das Ökonomenranking der FAZ gestützte Behauptung der Autoren, dass "the ranking did not include any heterodox economist". (13) Der Professor, auf den soeben verwiesen wurde, steht 2016 auf der Liste, ebenso ist der Professor Thorsten Polleit, der den krudesten Apriorismus à la Mises vertritt, auf den Listen 2014ff. zu finden. Sind das etwa Mainstreamer?

Triviale Ergebnisse

Nicht sonderlich überraschend ist die Feststellung, dass heterodoxe Ökonomen in der Regel einen Mangel an "ökonomischem Kapital" beklagen – soll heißen, sie fühlen sich oder sind tatsächlich im Vergleich zu anderen unterfinanziert. Erstaunt hat mich dann aber schon, dass dieselbe Aussage auch für das "symbolische Kapital" gelten soll. Auch damit seien heterodoxe Ökonomen nicht besonders reich ausgestattet. Allerdings wird "unter symbolischem Kapital" lediglich das Ansehen in der Zunft und in der Öffentlichkeit verstanden (12). Hier zeigt sich, dass der Ansatz von Bourdieu, den die Autoren gewählt haben, für eine wissenschaftstheoretische Analyse vielleicht doch etwas zu kurz greift. Gehören Theorien, die relevante Phänomene erklären können, etwa nicht zum "symbolischen Kapital" eines Ökonomen? Hat Marx etwa durch das ihm im Rahmen eines DFG-Projekts mit dem Titel "Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie" reichlich zur Verfügung gestellte Geld Anhänger gewonnen und weltweit Schulen bildend gewirkt? Oder war es der in hohem Maße unterfinanzierte Symbolkomplex, der von ihm geschaffen wurde? Wo sind die herausragenden Leistungen zeitgenössischer heterodoxer Ökonomen, die anderen als vorbildlich gelten, intensiv diskutiert und angewandt werden? Thieme und Heise halten es ja nicht einmal für nötig, sich mit den Vorarbeiten anderer Heterodoxer auseinander zu setzen, wie ihre selbst gewählten Kriterien belegen.

Veralteter Background

In wissenschaftstheoretischer Hinsicht stützen sich Thieme und Heise auf ältere, für die Ökonomik unspezifische Arbeiten von Lakatos und Feyerabend . Warum nicht auf durchaus vorhandenen Vorarbeiten beispielsweise von Jetzer , Albert, Dobusch und Kapeller und anderen? Wie passen die angeblich an der wissenschaftstheoretischen Konzeption des Forschungsprogramms orientierten Auswahlkriterien (3) zu dem soziologischen Aspekt, den man erforschen will? Wie legitimiert man die Meinung, dass die Wissenschaftlichkeit einer Leistung an der Methode erkannt werden kann (3: Kriterium 1) mit Feyerabends "anything goes"? Wieso war es notwendig, sich von den in der Literatur beispielsweise bei Backhouse , Colander und anderen entwickelten Kriterien abzusetzen, ohne sich damit auseinanderzusetzen? Warum wird letztlich kein Unterschied gemacht zwischen der Neoklassik, der neoklassischen Synthese und den zahlreichen Ansätzen, die die Ökonomik des 21. Jahrhunderts dominieren? Wie will man die Leitidee, dass der gesamte Mainstream von einem einzigen Paradigma – den DSGE-Modellen – beherrscht wird, plausibel machen? Wo sind denn der stochastische Prozess und das allgemeine Gleichgewicht in der zum Mainstream gehörenden Input-Output-Analyse? Ist das Nelson-Winter-Modell streng genommen nicht auch ein Dynamic-Stochastic-General-Equilibrium-Modell, dessen herausragendes Feature übrigens gerade in der mikro-ökonomischen Fundierung besteht? Wo gehören die traditionellen ökonometrischen Modelle vom Keynes-Klein-Typ hin, die für umfassende und exakte Prognosen immer noch herangezogen werden? Warum fällt man in die wissenschaftstheoretisch überholte und historisch falsche, darüber hinaus diffamierende Terminologie zurück, dass die Akzeptanz formal mathematischer-deduktiver Methoden ein "positivistischer Reduktionismus" sei? (3)

Schluss

Heterodoxe Ökonomen haben eine empirische Studie über heterodoxe Ökonomen in Deutschland vorgelegt. Die Studie leidet an einem Bias. Wenn man bedenkt, dass zu einem Professor in 30 Jahren aktiver Tätigkeit eine ganze Reihe von Studierenden in die Schule geht, ist es plausibel zu behaupten: Die Gruppe der Heterodoxen wird erheblich unterschätzt. Inhaltlich basiert die Studie nicht nur auf den erhobenen Daten, sondern auch auf nicht ausgewiesene Quellen. Punktuell nachweisbare widersprüchliche und ungenaue Behauptungen stellen die Qualität der gesamten Studie in Frage. Das Ergebnis, dass heterodoxe Ökonomen selten einen Lehrstuhl erhalten, wird niemanden überraschen. Die einen werden diesen Fakt bedauern, die anderen werden sagen: Das ist auch gut so. Die vorgelegte Studie ist jedenfalls kaum geeignet, Letztere in ihrer vorgefassten Meinung zu erschüttern.

©KOF ETH Zürich, 28. Sep. 2016

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