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Arbeitsmarkttheorie reicht nicht aus

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Sabine Klinger und Enzo Weber haben in ihrem Beitrag Entsteht strukturelle Arbeitslosigkeit durch Hysterese? untersucht, welche Faktoren die Arbeitslosigkeit in Deutschland und in den USA erklären können. Dieser Beitrag kritisiert, dass die beiden Autoren zu stark auf den Arbeitsmarkt fokussieren und den Rest der Wirtschaft außer Acht lassen. Es gehört zum guten Ton der herrschenden Ökonomik, dass man glaubt, man könne den Arbeitsmarkt losgelöst von der übrigen Wirtschaft betrachten. Man betrachtet also einen Markt, den Arbeitsmarkt, an dem es einen zentralen Preis gibt, den Lohn, der zusammen mit einigen institutionellen Gegebenheiten, das Niveau der Beschäftigung und die Höhe der Arbeitslosigkeit bestimmt. Folglich gibt es Arbeitsmarkttheoretiker, die nichts anderes tun, als den Arbeitsmarkt und seine Funktionsweise als solche zu untersuchen. Was dabei herauskommt, kann man im Ökonomenstimme-Beitrag Sabine Klinger und Enzo Weber bestaunen, die darüber berichten, dass sie herausgefunden haben, was den deutschen vom amerikanischen Arbeitsmarkt grundlegend unterscheidet. Das Ergebnis ist trotz ihres a priori fragwürdigen Ansatzes interessant. Die beiden Forscher finden zunächst heraus, dass es 2005 einen Strukturbruch in den Reihen für Deutschland gibt.

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Sabine Klinger und Enzo Weber haben in ihrem Beitrag Entsteht strukturelle Arbeitslosigkeit durch Hysterese? untersucht, welche Faktoren die Arbeitslosigkeit in Deutschland und in den USA erklären können. Dieser Beitrag kritisiert, dass die beiden Autoren zu stark auf den Arbeitsmarkt fokussieren und den Rest der Wirtschaft außer Acht lassen.

Es gehört zum guten Ton der herrschenden Ökonomik, dass man glaubt, man könne den Arbeitsmarkt losgelöst von der übrigen Wirtschaft betrachten. Man betrachtet also einen Markt, den Arbeitsmarkt, an dem es einen zentralen Preis gibt, den Lohn, der zusammen mit einigen institutionellen Gegebenheiten, das Niveau der Beschäftigung und die Höhe der Arbeitslosigkeit bestimmt. Folglich gibt es Arbeitsmarkttheoretiker, die nichts anderes tun, als den Arbeitsmarkt und seine Funktionsweise als solche zu untersuchen.

Was dabei herauskommt, kann man im Ökonomenstimme-Beitrag Sabine Klinger und Enzo Weber bestaunen, die darüber berichten, dass sie herausgefunden haben, was den deutschen vom amerikanischen Arbeitsmarkt grundlegend unterscheidet.

Das Ergebnis ist trotz ihres a priori fragwürdigen Ansatzes interessant. Die beiden Forscher finden zunächst heraus, dass es 2005 einen Strukturbruch in den Reihen für Deutschland gibt. Sie schreiben:

"Um speziell den deutschen Arbeitsmarktaufschwung der letzten zehn Jahre zu untersuchen, erlauben wir (nach endogener Bruchpunktsuche) für einen Strukturbruch im Jahr 2005. Wie erwartet, wird der Driftparameter im stochastischen Trend der Arbeitslosigkeit hier negativ. Strukturelle Arbeitslosigkeit reduzierte sich also direkt, beispielsweise durch institutionelle Reformen (vgl. Klinger/Weber 2016). Ebenso gehen die zuvor gemessenen Hysterese-Effekte deutlich zurück; auch hier sind also strukturelle Wirkungen feststellbar. Entsprechend überstand Deutschland die große Rezession 2008 / 2009 sehr gut, da zyklische Effekte durch einen verbesserten strukturellen Arbeitsmarkttrend ausgeglichen wurden (vgl. Weber 2015) und sich Arbeitslosigkeit zudem nicht verfestigte.“

Das stimmt. Um das Jahr 2005 herum hatte Deutschland durch sein Lohndumping ein solches Maß an Wettbewerbsfähigkeit kumuliert, dass sich die Effekte in der Leistungsbilanz und am Arbeitsmarkt deutlich zeigten. Die "strukturellen"Wirkungen, die von den Arbeitsmarktforschern zu Recht "institutionellen Reformen"zugerechnet werden, beruhen auf dem Export von Arbeitslosigkeit, der vor allem durch die reale Abwertung innerhalb der europäischen Währungsunion und durch die noch stärkere reale Abwertung gegenüber dem Rest der Welt möglich wurde.

Strukturelle Reformen erfolgreich?

So weit, so gut. Daraus folgt jedoch, dass bei einer ähnlichen Untersuchung für Frankreich und Italien "strukturelle"Wirkungen gefunden würden, die genau das Gegenteil wie in Deutschland vermuten lassen, nämlich zu geringe "institutionelle Reformen“. Diese Schlussfolgerung wäre dann aber völlig falsch, weil es die positiven "strukturellen Wirkungen"(sprich reale Abwertung) in Deutschland ja nur deswegen geben kann, weil es woanders negative "strukturelle Wirkungen"(sprich reale Aufwertung) gibt. Wenn das so ist, ist aber der Begriff "strukturelle Wirkungen"gefährlich bzw. sinnlos, weil er suggeriert, man müsse nur überall "strukturelle Reformen"in Angriff nehmen und schon sei alles gut. Das wäre eindeutig falsch.

Man sieht, wer sich keine Gedanken über das macht, was hinter den "strukturellen Reformen"steckt, läuft leicht in eine logische Falle. Das gilt auch für das andere Thema des gleichen Aufsatzes. Die Arbeitsmarktforscher konstatieren, dass es in Deutschland vor 2005 signifikante sogenannte Hysterese-Effekte am Arbeitsmarkt gegeben habe, in den USA aber nicht. Hysterese ist ein nicht leicht verständliches Wort für einen einfachen Sachverhalt: Wenn Arbeitslosigkeit länger andauert, also nicht rasch bekämpft wird, kann sie sich verfestigen (also verzögert auf neue Impulse reagieren), weil die Arbeitskräfte mit der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit an Qualifikation oder auch an Motivation verlieren.

Die Arbeitsmarktforscher stellen zu Recht fest: "Allerdings ließ sich für die USA kein Hysterese-Muster feststellen. Die entsprechenden Koeffizienten im Modell sind hier völlig insignifikant."Daraus wird jedoch der Schluss gezogen: "Dies ist in dem Sinne plausibel, dass der US-Arbeitsmarkt im Hinblick auf Regulierungen, Dynamik, Mobilität und Arbeitslosigkeitsdauern als flexibler angesehen werden kann. Abbildung 3 zeigt, dass der Großteil der Arbeitslosigkeitsschwankungen über die Zeit in den USA als zyklisch anzusehen ist.“

Antizyklische Politik in den USA

Die Schlussfolgerung ist allerdings wieder eine durch nichts zu rechtfertigende Interpretation der Fakten. Das, was die Abwesenheit von Hysterese in den USA in erster Linie zeigt, ist die einfache und lang bekannte Tatsache, dass die USA im Gegensatz zu Deutschland und Europa nach jeder Rezession eine weitaus aggressivere und wirkungsvollere Konjunkturpolitik (antizyklische Politik) betreiben als alle anderen Länder. Mit der "Flexibilität"des Arbeitsmarktes hat das absolut nichts zu tun. Derzeit ist es sogar so, dass die USA noch mehr und noch aggressiver Konjunkturpolitik treiben müssen als früher, weil der Arbeitsmarkt flexibler in dem Sinne geworden ist, dass die Löhne stärker als früher (mit geringeren Zuwachsraten der Löhne oder sogar absoluten Rückgängen) auf die gestiegene Arbeitslosigkeit reagiert haben (hier[ a ] ein kleiner Beitrag dazu).

Die wirtschaftspolitischen Folgerungen, die von den Arbeitsmarktforschern dann am Schluss ihres Artikels gezogen werden, gehen durchaus in die richtige Richtung, doch auch hier fehlt die letzte Konsequenz. "Insgesamt hat die Identifikation der Natur der Arbeitslosigkeitsentwicklung wichtige Implikationen für die Politik. Wird Hysterese als wesentliche treibende Kraft festgestellt, gewinnt antizyklische Stabilisierung an Bedeutung. Zugleich sollte die Arbeitsmarktpolitik auf Punkte wie Aktivierung und den Erhalt von Fähigkeiten ausgerichtet sein.“

Genau, Deutschland müsste viel mehr, nämlich mindestens so viel wie die USA tun, um mit Hilfe von antizyklischer Politik (also mit staatlicher Anregung bei privatwirtschaftlicher Schwäche) Hysterese-Effekte zu vermeiden. Auf diese Erkenntnis musste man allerdings nicht dreißig Jahre lang warten, nämlich so lange, bis die Hysterese eindeutig nachweisbar war. Schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war klar, dass Deutschland aus ideologischen Gründen auf die "Flexibilität"des Arbeitsmarktes setzt anstatt auf verstärkte anti-zyklische Politik. Dass diese Politik dann von Anfang der 2000er Jahre an "erfolgreich"war, ist der historisch einmaligen Situation in der Europäischen Währungsunion und dem Versagen der europäischen Institutionen zuzuschreiben, nicht aber den "strukturellen Reformen"als solchen.

Für die Arbeitsmarkttheoretiker bleibt die schlichte Erkenntnis: Der Arbeitsmarkt ist nicht ohne den Rest der Wirtschaft zu verstehen. Wer nur Arbeitsmarkttheorie betreibt, macht von vorneherein einen Fehler. Wer zudem ausschließlich mit der neoklassischen Brille Arbeitsmarkttheorie betreibt, muss sich nicht wundern, dass die eigenen Schlussfolgerungen extrem angreifbar werden.

©KOF ETH Zürich, 3. Aug. 2016

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