In den USA fällt das Wirtschaftswachstum im 1. Quartal des Jahres jeweils notorisch schwach aus. Dieses als "First Quarter Effect" beschriebene Phänomen bleibt auch mit einer Saisonbereinigung bestehen. Erst eine nochmals "saisonbereinigte" Saisonbereinigung scheint bessere Resultate zu liefern. Es zeigt sich einmal mehr, dass bei der Interpretation von wirtschaftlichen Grössen Sorgfalt geboten ist. Die US-Wirtschaft hat im 1. Quartal 2016 deutlich negativ überrascht. Mit nur 0.1% BIP-Wachstum[ 1 ] legte die grösste Ökonomie eine Vollbremsung hin – die Börsen rund um den Globus gaben nach und vereinzelt wurden gar Rezessionsängste geäussert. Paradoxerweise wurde diese negative "Überraschung" jedoch von verschiedenen Ökonomen erwartet, denn schon in den Jahren 2015 und 2014 war das Wirtschaftswachstum in den USA zu Jahresbeginn aussergewöhnlich schwach. Davor fiel das Wachstum im 1. Quartal der Jahre 2012, 2011 und 2010 ebenfalls deutlich tiefer aus als jeweils im 4. Quartal. Geht man noch weiter in der Zeit zurück, setzt sich dieses spezielle Muster mehr oder weniger fort. Restsaisonalität im US-BIP? In den USA ist seit einiger Zeit eine Diskussion über diesen sogenannten "First Quarter Effect" entbrannt. Das notorisch schwache BIP-Wachstum im 1. Quartal könnte nämlich auf einen statistischen Effekt und weniger auf realwirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen sein.
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In den USA fällt das Wirtschaftswachstum im 1. Quartal des Jahres jeweils notorisch schwach aus. Dieses als “First Quarter Effect” beschriebene Phänomen bleibt auch mit einer Saisonbereinigung bestehen. Erst eine nochmals “saisonbereinigte” Saisonbereinigung scheint bessere Resultate zu liefern. Es zeigt sich einmal mehr, dass bei der Interpretation von wirtschaftlichen Grössen Sorgfalt geboten ist.
Die US-Wirtschaft hat im 1. Quartal 2016 deutlich negativ überrascht. Mit nur 0.1% BIP-Wachstum[ 1 ] legte die grösste Ökonomie eine Vollbremsung hin – die Börsen rund um den Globus gaben nach und vereinzelt wurden gar Rezessionsängste geäussert. Paradoxerweise wurde diese negative “Überraschung” jedoch von verschiedenen Ökonomen erwartet, denn schon in den Jahren 2015 und 2014 war das Wirtschaftswachstum in den USA zu Jahresbeginn aussergewöhnlich schwach. Davor fiel das Wachstum im 1. Quartal der Jahre 2012, 2011 und 2010 ebenfalls deutlich tiefer aus als jeweils im 4. Quartal. Geht man noch weiter in der Zeit zurück, setzt sich dieses spezielle Muster mehr oder weniger fort.
Restsaisonalität im US-BIP?
In den USA ist seit einiger Zeit eine Diskussion über diesen sogenannten “First Quarter Effect” entbrannt. Das notorisch schwache BIP-Wachstum im 1. Quartal könnte nämlich auf einen statistischen Effekt und weniger auf realwirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen sein. Periodische Saisoneffekte bewirken, dass das BIP im 4. Quartal jeweils höher ist als im 1. Quartal – ähnlich wie z.B. im Detailhandel: hohe Umsätze gegen Ende Jahr aufgrund des Weihnachtsgeschäfts und tiefe Umsätze zu Jahresbeginn. Da diese Schwankungen wenig mit der eigentlichen Konjunkturlage zu tun haben, werden die Daten mittels statistischer Verfahren geglättet – im Fachjargon spricht man von Saisonbereinigung. Einige Ökonomen (z.B. Rudebusch, Wilson & Mahedy, 2015) vermuten, dass das Verfahren des Bureau of Economic Analysis, welches für die BIP-Schätzung zuständig ist, diese Saisonschwankungen ungenügend glättet. In diesem Fall ist zu erwarten, dass das BIP jeweils im 1. Quartal relativ schwach ausfällt, da der Saisoneffekt im 1. Quartal negativ und am stärksten ist (Miron, 1996). Im 2. Quartal tritt dafür ein Gegeneffekt ein, da dann die saisonale Schwankung deutlich positiv ist.
Tatsächlich war das (saisonbereinigte) BIP-Wachstum seit 1990 jeweils im 1. Quartal mit durchschnittlich 0.4% nur halb so gross wie im 2. Quartal (Abbildung 1). Der Unterschied wird noch deutlich stärker, wenn man die Daten ab 2000 betrachtet: 0.2% im 1. Quartal und 0.7% im 2. Quartal. Der Effekt bleibt auch vorhanden, wenn man die Zeit der grossen Rezession, also 2008-2009, ausklammert. Gemäss Stark (2015) ist dieses Phänomen statistisch signifikant und existiert auch für andere Komponenten des US-BIP.
Interessant ist ausserdem, dass der “First Quarter Effect” deutlich geringer scheint, wenn man für alle Quartalswachstumsraten jeweils deren erste Veröffentlichung betrachtet anstelle der späteren, revidierten Daten.[ 2 ] Dies bedeutet dass die Wachstumsraten für das 1. Quartal im Nachhinein durchschnittlich nach unten und jene für das 2. Quartal durchschnittlich nach oben revidiert wurden, sodass das Muster erst nach einiger Zeit so deutlich wie in Abbildung 1 sichtbar wird. Sollte sich dies auch in diesem Jahr fortsetzen, würde die tiefe Wachstumsrate für das 1. Quartal 2016 in nächster Zeit noch nach unten revidiert werden. Für das 2. Quartal 2016 wäre hingegen zu erwarten, dass eine deutlich höhere Wachstumsrate veröffentlicht wird, die in der Zeit danach noch zusätzlich nach oben revidiert werden wird.
Im Falle einer problematischen Saisonbereinigung würden diese Revisionen aber nicht bedeuten, dass das Wachstum im 1. Quartal tatsächlich so tief – oder noch tiefer – war. Vielmehr bleibt das genaue BIP-Wachstum unklar, allerdings lassen sich Annäherungsversuche unternehmen.
Abbildung 1: BIP-Wachstum der USA (Vorquartalswachstum ab 1990), Durchschnitte pro Quartal
Doppelte Saisonbereinigung
Saisonbereinigt man das saisonbereinigte BIP der USA ein zweites Mal, erscheinen die ersten Quartale ausnahmslos in einem besseren Licht, die zweiten Quartale ausnahmslos in einem etwas schwächeren. So fällt das Wachstum im jeweils 1. Quartal der letzten Jahre durchschnittlich um über 0.2% höher aus – der “First Quarter Effect” verschwindet.[ 3 ] Am aktuellen Rand ist mit 0.3% zwar noch immer eine Verlangsamung der US-Wachstumsraten deutlich, aber keine Vollbremsung (Abbildung 2).
Mit den ermutigenden Beschäftigungs- und Arbeitslosenzahlen seit Anfang Jahr wäre dies etwas besser in Einklang zu bringen. Zwar waren auch die Beschäftigtenzahlen im Januar und April dieses Jahres enttäuschend, allerdings hatte dies mit aussergewöhnlichem Wetter zu tun.[ 4 ] Auch das sogenannte “GDPplus”, das von der Federal Reserve Bank in Philadelphia regelmässig berechnet wird und gemäss den Autoren eine Alternative gegenüber den offiziellen Zahlen darstellt (Aruoba et. al., 2016), zeigt eine etwas schnellere Wirtschaftsentwicklung von ca. 0.3%.
Der Weg der doppelten Saisonbereinigung wird seit 2015 von Ökonomen der Federal Reserve Bank of San Fransisco beschritten, die sowohl bei Preisdaten (Rudebusch, Wilson & Pyle, 2015) als auch im BIP (Rudebusch, Wilson & Mahedy, 2015) Restsaisonalität orten. Letzterem stellt sich allerdings das Bureau of Economic Analysis, das 2015 eine umfassende Analyse der Saisonbereinigung unternommen hat, klar entgegen. Gemäss dessen Resultaten konnten nur geringfügige Probleme bei der Datenerstellung ausgemacht werden, die mittlerweile behoben wurden. An den offiziell saisonbereinigten BIP-Daten wird also festgehalten. Damit bleibt unklar, ob das 1. Quartal 2016 tatsächlich aus saisonalen Gründen zu tief geschätzt wurde, oder ob hier doch der Zufall wirkt, z.B. eine Häufung von aussergewöhnlich ungünstigem Wetter in den letzten Jahren.
Abbildung 2: BIP-Wachstum der USA 2010q1-2016q1 (Vorquartalswachstum)
Schlussfolgerung
Ob die Ökonomen des Bureau of Economic Analysis oder des Federal Reserve Recht behalten, sei dahin gestellt. Sollte das 2. Quartal wieder deutlich positiver ausfallen, dürfte die Diskussion um den “First Quarter Effect” wohl neuen Schub erhalten. Bereits jetzt lässt sich aber konstatieren, dass sich die Nutzer/innen von makroökonomischen Daten – wie beispielsweise dem BIP, der Beschäftigung oder den Preisen – um die Tücken der Datenerstellung bewusst sein sollten. Insbesondere das BIP ist eine hochabstrakte Grösse, die sich nicht exakt messen, sondern nur schätzen lässt. Jede Schätzung von Daten ist aber naturgemäss ungenau und kann Messfehler enthalten. Gerade die Saisonbereinigung ist hierbei eher eine Kunst als eine Wissenschaft und kann sich massiv auf die endgültigen Daten auswirken. Angesichts der Wichtigkeit von solchen und ähnlichen makroökonomischen Grössen für die Geld- und Wirtschaftspolitik, ist zu wünschen, dass sich auch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung dem Thema der Datenerhebung und -schätzung wieder bzw. noch stärker zuwendet.
Literatur
Aruoba, S Bora?an, Francis X Diebold, Jeremy Nalewaik, Frank Schorfheide, and Dongho Song. 2016. “Improving GDP Measurement: A Measurement-Error Perspective.” Journal of Econometrics 191 (2).
Boldin, Michael, and Jonathan H. Wright. 2015. “Weather Adjusting Economic Data.” Brookings Papers on Economic Activity, no. 2.
Miron, Jeffrey A. 1996. The Economics of Seasonal Cycles. Cambridge, Massachusetts: The MIT Press.
Rudebusch, Glenn D., Daniel Wilson, and Tim Mahedy. 2015. “The Puzzle of Weak First-Quarter GDP Growth.” Federal Reserve Bank of San Fransisco Economic Letter, no. 16.
Rudebusch, Glenn D., Daniel Wilson, and Benjamin Pyle. 2015. “Residual Seasonality and Monetary Policy.” Federal Reserve Bank of San Fransisco Economic Letter, no. 27.
Stark, Tom. 2015. “First Quarters in the National Income and Product Accounts.” Research Rap Special Report, Federal Reserve Bank of Philadelphia.
- 1 Im ganzen Artikel werden saisonbereinigte Wachstumsraten zum Vorquartal (nicht annualisiert) betrachtet.
- 2 Die BIP-Zahlen werden in den Monaten und Quartalen nach ihrer erstmaligen Publikation oft noch stark revidiert. In allen Statistikdatenbanken findet man i.d.R. nur diese revidierten (aktuellsten) Daten. Die Erstveröffentlichungen des US-BIP findet man beispielsweise hier.
- 3 Statistische Tests bestätigen nach dieser zweiten Runde, dass keine Saisonalität mehr in der Reihe verbleibt, währenddessen dieselben Tests beim offiziellen BIP der USA auf in der Reihe verbliebene Saisoneffekte hindeuten. Für die Berechnungen in diesem Artikel wurde die neuste Software zur Saisonbereinigung (X-13Arima-Seats) des US Census Bureaus verwendet mit automatischer Modellwahl.
- 4 Das offizielle Verfahren zur Saisonbereinigung des Bureau of Labor Analysis glättet nur ‘gewöhnliche’ Wetterschwankungen. Werden die aussergewöhnlichen Wettereffekte herausgerechnet (Boldin & Wright, 2015), sind die Beschäftigungszahlen der USA seit Jahresbeginn durchwegs positiv zu deuten, siehe auch Brookings-Webseite.