Risiken lassen sich berechnen, bepreisen und versichern, Unsicherheit aber nicht. Diese Lücke füllen Unternehmer. Haben sie Erfolg und erwirtschaften Gewinn, rechtfertigen sie den Kapitalismus, wie dieser Beitrag argumentiert. Das Risiko ist die Triebfeder grosser Entdeckungen. Wer weiss schon, wie viele Abenteurer einst in Richtung von Amerika (oder Indien, wie sie meinten) aufbrachen, irgendwo Schiffbruch erlitten und dann nie mehr zurückkehrten? In die Geschichte eingegangen sind nur die Erfolgsfälle, in erster Linie derjenige des Genuesen Christoph Kolumbus, der im Jahr 1492 Amerika entdeckte und von dort nach Europa zurückkehrte. Ohne Kolumbus’ Bereitschaft, Risiko auf sich zu nehmen, wäre Amerika vielleicht gar nie oder doch erst viel später entdeckt worden. Das veranlasste den Ökonomen und früheren Präsidenten des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, Risiko als dritten Produktionsfaktor neben Arbeit und Kapital zu betrachten. Sinns Vorschlag wird noch viel deutlicher, wenn bedacht wird, dass grosse Erfindungen wie Penicillin durch Zufall oder gar Nachlässigkeiten in den Laboratorien der Forscher entstanden sind. Risiko bringt einen Zusatznutzen, der als Produktionsfaktor zu verstehen und zu befördern ist. Sinn begründet den Produktionsfaktor des Risikos mit den Erfolgen der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts.
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Risiken lassen sich berechnen, bepreisen und versichern, Unsicherheit aber nicht. Diese Lücke füllen Unternehmer. Haben sie Erfolg und erwirtschaften Gewinn, rechtfertigen sie den Kapitalismus, wie dieser Beitrag argumentiert.
Das Risiko ist die Triebfeder grosser Entdeckungen. Wer weiss schon, wie viele Abenteurer einst in Richtung von Amerika (oder Indien, wie sie meinten) aufbrachen, irgendwo Schiffbruch erlitten und dann nie mehr zurückkehrten? In die Geschichte eingegangen sind nur die Erfolgsfälle, in erster Linie derjenige des Genuesen Christoph Kolumbus, der im Jahr 1492 Amerika entdeckte und von dort nach Europa zurückkehrte. Ohne Kolumbus’ Bereitschaft, Risiko auf sich zu nehmen, wäre Amerika vielleicht gar nie oder doch erst viel später entdeckt worden.
Das veranlasste den Ökonomen und früheren Präsidenten des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, Risiko als dritten Produktionsfaktor neben Arbeit und Kapital zu betrachten. Sinns Vorschlag wird noch viel deutlicher, wenn bedacht wird, dass grosse Erfindungen wie Penicillin durch Zufall oder gar Nachlässigkeiten in den Laboratorien der Forscher entstanden sind. Risiko bringt einen Zusatznutzen, der als Produktionsfaktor zu verstehen und zu befördern ist.
Sinn begründet den Produktionsfaktor des Risikos mit den Erfolgen der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts. Aktiengesellschaften und Versicherungen kamen damals auf und sorgten dafür, dass grosse Risiken gestückelt und so auch für weniger vermögende Anleger zugänglich wurden. Beispiele sind die Eisenbahn durch den Engländer George Stephenson ab 1825, die zentrale Wasserversorgung durch William Lindley ab 1848, der elektrische Generator durch Werner von Siemens 1866, das Automobil durch Carl Benz 1886, der Dieselmotor von 1893 durch Rudolf Diesel, die Dampfturbine von 1883 durch Carl Gustav de Laval, um nur die wichtigsten zu nennen. Sie alle waren zu gross für einen einzelnen Investor, aber tragbar für viele Investoren.
Risiko als Kostenfaktor
Doch Risiko ist einem Januskopf vergleichbar. Auf seinem Vordergesicht zeigt Janus lachend den Erfolg einer Erfindung und deren Beitrag zum Sozialprodukt, den Hans-Werner Sinn hervorhebt. Auf seinem Rückgesicht zeigt Janus bedenkend die Kosten des Risikos, die erforderlich sind, um am Erfolg überhaupt teilnehmen zu können. Er zeigt das Kostenrisiko.
Das Kostenrisiko tritt schon in den einfachsten Fällen auf. Wenn zehn gleich talentierte Malermeister ihre Gebote abgeben, um den Auftrag zu erhalten, eine Fassade zu streichen, so lässt sich voraussagen, dass derjenige Malermeister gewinnen wird, der sich mit seinem Angebot am meisten nach unten verrechnet hat. Gerade weil er sich verrechnet hat, gibt er das günstigste Gebot ab und erhält den Zuschlag. Er macht einen Verlust und wird das Projekt verwünschen. Sein Los ist der "Fluch des Gewinners". Das Risiko ist klar ein Kostenfaktor.
Ein Kostenrisiko besteht auch bei Grossprojekten des Eisenbahnbaus. Der Ingenieur Louis Favre aus Genf gewann 1872 die Ausschreibung zum Bau des Gotthardeisenbahntunnels. Er lag mit seinem Angebot von 56 Mio. Franken um 12,5 Mio. Franken günstiger als sein nächster Wettbewerber. Als Nebenabrede wurde vereinbart: Sollte die Bauzeit kürzer sein, so sollte Favre eine Prämie von 5000 Franken pro Tag erhalten; sollte sich die Bauzeit verzögern, müsste Favre eine Strafe von ebenfalls 5000 Franken pro Tag bezahlen. Hinter diesen plus/minus 5000 Franken verbirgt sich ein Versicherungsvertrag. Louis Favre konnte um diesen Betrag günstiger bieten als seine Festpreiskonkurrenten. Er gewann daher die Ausschreibung. Durch den Preisteilungsvertrag verminderte Favre sein Kostenrisiko. Er verschob einen Teil seines Risikos auf den Investor, die Schweizerische Kreditanstalt und deren Generaldirektor, den Zürcher Politiker und Unternehmer Alfred Escher.
Ein Kostenrisiko stand auch hinter dem deutschen Eisenbahnbau. Der als Eisenbahnkönig bekannte Bethel Henry Strousberg erwarb verschiedene Konzessionen zum Bau und Betrieb von Eisenbahnen in Mittel- und Osteuropa. Er verschob das Kostenrisiko geschickt auf seine Lieferanten, indem er diese nach Fertigstellung der Anlagen nicht in Geld, sondern in Aktien seiner Bahnen nach einem von ihm bestimmten, spekulativen Zukunftskurs bezahlte. Strousberg behauptete, dass seine Aktien stärker an Wert zunehmen als die Kurse der Aktien im Börsendurchschnitt. Doch seine Gläubiger rechneten scharf. Sie merkten bald, dass Strousberg nicht Aktien als Kaufpreis anbieten konnte, die über dem Kapitalwert seiner Bahnen lagen. Der Schwindel flog auf. Strousberg erlitt Konkurs und landete im Gefängnis. Er scheiterte, gleichermassen wie später der Finanzjongleur Charles Ponzi, der seinen Anlegern Habenzinsen versprach, die über den Sollzinsen lagen. Beide gingen als Lügenbarone in die Geschichte ein.
Doch auch das Vordergesicht des Janusgottes sollte nicht täuschen. Der Ertrag mag glänzen und verlocken, aber er ist nie ganz sicher. Er unterliegt einem Ertragsrisiko. Die Eisenbahninvestoren wissen nie genau, wie viele Passagiere ihre Bahnen nutzen werden. Kommen viele Nutzer, so machen die Investoren Gewinne, kommen wenige, so erleiden sie Verluste. In dieser Lage helfen die von Hans-Werner Sinn angeführten Versicherungsunternehmen. Gegen Bezahlung einer Versicherungsprämie glätten sie die Gewinne und Verluste.
Doch faktisch lassen sich nicht alle Eventualerträge ausrechnen und bepreisen. Deswegen unterscheiden Ökonomen zwischen Risiko und Unsicherheit. Risiken lassen sich berechnen, bepreisen und versichern. Unsicherheit ist dagegen unbestimmt und daher nicht versicherbar. Was soll also mit der Unsicherheit geschehen? An diesem Punkt zeigt der Kapitalismus seine Stärke. Die Lücke der Unsicherheit wird durch Unternehmer gefüllt, die bereit sind, auf eigene Rechnung die nicht versicherbare Unsicherheit auf sich zu nehmen.
Der amerikanische Ökonom Frank Knight sagt: Ohne Unsicherheit bräuchte es den Kapitalismus nicht. Denn alle Eventualitäten könnten ausgerechnet, durch Prämien versichert und ausgeglichen werden. Erst die Unsicherheit erfordert Unternehmer, bringt Unternehmergewinn und rechtfertigt damit den Kapitalismus.
Der Papst im Banne von Perón
In der katholischen Soziallehre wird der Gewinn als Residuum angesehen, das übrig bleibt, nachdem die Arbeiter ihren Lohn erhalten haben. Daher fragt sich: Warum könnten die Arbeiter nicht etwas mehr und die Kapitalisten etwas weniger erhalten? Die Teilung zwischen Profit und Lohn wird zur Politischen Ökonomie von Karl Marx. Politiker, die Wählerstimmen ergattern wollen, spielen sich als Einkommenspolitiker auf. Doch im Grunde sind sie Opportunisten, die tun, was ihnen am meisten Stimmen bringt. Andernfalls würden sie nicht gewählt und verlören jeden Einfluss. Darum sagt Papst Franziskus: "Diese Wirtschaft tötet." In der Welt von Franziskus gibt es nur die Aufteilung des Produktionsergebnisses auf Arbeit und Kapital, aber keine Unsicherheit. Doch Unsicherheit muss geschultert werden, bevor überhaupt ein Produkt entsteht.
Argentiniens Präsident Juan Domingo Perón (im Amt 1946-55 und 1973-74) errichtete in der einst florierenden Unternehmerwirtschaft des Landes den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital. Er enteignete die Unternehmer und stürzte das zuvor wirtschaftlich blühende Argentinien in jahrzehntelange Armut und Arbeitslosigkeit. Der aus Argentinien stammende Papst Franziskus kannte Zeit seines Lebens nichts anderes als die Ideologie von Juan Perón. Er erkannte nicht, dass ein Schwellenland Unternehmer braucht, die Unsicherheit auf sich nehmen, um überhaupt Arbeitsplätze zu schaffen.
Darum schrieb der erwähnte Frank Knight, einer der Gründer der Chicago School und ein Atheist, 1920: Es geht nicht nur um Risiko und Profit, sondern um "Risiko, Unsicherheit und Profit".
©KOF ETH Zürich, 30. Mai. 2016