Politik und Gesellschaft sind auf Vorhersagen der wirtschaftlichen Entwicklung einer Volkswirtschaft, von der die Steuereinnahmen und das Wohlbefinden breiter Schichten der Bevölkerung abhängen, angewiesen. Jedoch machen nicht nur globale Krisen, Völkerwanderungen und volatile Finanzmärkte Prognosen immer unsicherer, sondern auch reduzierte Leistungen der Institutionen, die Daten erfassen, aufbereiten und publizieren. Das erläutert dieser Beitrag am Beispiel des internationalen Handels. Nationale Prognosen, ob sie nun konsensual durch eine Gruppe von Experten oder mehr oder weniger automatisiert von ökonometrischen Modellen erstellt werden, hängen stets vom globalen Umfeld ab, und dies umso mehr, je offener Volkswirtschaften sind. Diese Abhängigkeit lässt sich anhand des Offenheitsgrades darstellen, der den Anteil von Exporten und Importen am Bruttoinlandsprodukt (zu Marktpreisen) angibt: Schweiz (2013) 1,3; Österreich (2014) 1,03; Deutschland (2014) 0,85 (berechnet nach Angaben von EUROSTAT). Je höher der Offenheitsgrad, umso größer ist der Einfluss des Wechselkurses, des Welthandelsvolumens (WHV) und anderer globaler Variablen, die das Umfeld handeltreibender Länder charakterisieren. Im Falle der deutschen Volkswirtschaft, genauer gesagt: bei ihrer Vermessung mit Hilfe ökonometrischer Methoden, hat sich gezeigt, dass das WHV den stärksten Einfluss hat.
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Politik und Gesellschaft sind auf Vorhersagen der wirtschaftlichen Entwicklung einer Volkswirtschaft, von der die Steuereinnahmen und das Wohlbefinden breiter Schichten der Bevölkerung abhängen, angewiesen. Jedoch machen nicht nur globale Krisen, Völkerwanderungen und volatile Finanzmärkte Prognosen immer unsicherer, sondern auch reduzierte Leistungen der Institutionen, die Daten erfassen, aufbereiten und publizieren. Das erläutert dieser Beitrag am Beispiel des internationalen Handels.
Nationale Prognosen, ob sie nun konsensual durch eine Gruppe von Experten oder mehr oder weniger automatisiert von ökonometrischen Modellen erstellt werden, hängen stets vom globalen Umfeld ab, und dies umso mehr, je offener Volkswirtschaften sind. Diese Abhängigkeit lässt sich anhand des Offenheitsgrades darstellen, der den Anteil von Exporten und Importen am Bruttoinlandsprodukt (zu Marktpreisen) angibt: Schweiz (2013) 1,3; Österreich (2014) 1,03; Deutschland (2014) 0,85 (berechnet nach Angaben von EUROSTAT). Je höher der Offenheitsgrad, umso größer ist der Einfluss des Wechselkurses, des Welthandelsvolumens (WHV) und anderer globaler Variablen, die das Umfeld handeltreibender Länder charakterisieren. Im Falle der deutschen Volkswirtschaft, genauer gesagt: bei ihrer Vermessung mit Hilfe ökonometrischer Methoden, hat sich gezeigt, dass das WHV den stärksten Einfluss hat. Beispielsweise lässt sich die Krise 2008Q3 bis 2009Q2 nahezu komplett durch den Rückgang des WHVs erklären.[ 1 ]
Die für eine Prognose benötigten vierteljährlichen Daten über das WHV (in Mrd. US-Dollar zu Preisen von 2005) konnten bislang von der Statistik-Plattform der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) in Form von langen Reihen abgerufen werden. Dabei trat eine Zeitverzögerung von zwei bis drei Quartalen auf, die benötigt wurden, um die von den Staaten gelieferten Daten einzupflegen. Für die Prognostik bedeutete das eine gewisse Einbuße an Aktualität, die man aber hinnehmen konnte. Seit 2015 sind diese Daten nicht mehr verfügbar, genauer gesagt enden sie mit dem zweiten Quartal 2014. Das Direktorium teilt mit: “Unfortunately this data is no longer published quarterly. However, you can find the annual data in this dataset.”
Gründe waren auch in den einschlägigen Dokumenten nicht zu finden. Vierteljährliche Daten über das Welt-Handelsvolumen sind zwar nach wie vor verfügbar, aber nicht preisbereinigt. Nach dem Ölpreisschock, der 2015 einsetzte und von dem man nicht weiß, ob er sich noch fortsetzen wird, ist ein Einbruch des nominalen (!) Welthandelsvolumen zu beobachten, der beträchtlich ist, obwohl er weder in Geschwindigkeit noch Ausmaß den Einbruch von 2008-2009 erreicht (Abbildung 1).
Abbildungen 1-4
Legenden zu den Abbildungen:
Abb. 1: Welthandelsvolumen 2006 bis 2017. WTRADE ist der Mittelwert aus den Exporten und Importen der OECD-Ländern plus der berichteten Nicht-OECD-Länder.
Abb. 2: Reales Welthandelsvolumen 2006 bis 2017. WTRADE-IMF = aus den Veränderungsraten konstruierte Verkettete Volumina mit dem Niveau von 2010 = 18.662 Mrd. US-Dollar; WTRADE-OECD = intrapolierte OECD-Daten + Prognose; WTRADE = reales Welthandelsvolumen in Mrd. 2005 US-$, berichtet von der OECD, ab 2014Q3 extrapoliert durch die Veränderungsraten aufgrund der IMF-Prognosen, zuletzt vom Januar 2016, und statistisch geglättet. Prognose-Bereich ist grau unterlegt.
Abb. 3: Daten wie in Abb.2.
Abb. 4: Importpreisindex sowie reales und nominales Importvolumen der deutschen Volkswirtschaft von 2006 bis 2015 aufgrund der Quartalsdaten des Statistischen Bundesamtes vom Februar 2016.
Da die Reduktion des nominalen Welthandelsvolumens durch einen Preisverfall verursacht worden ist, steigt es real weiterhin an (Abbildung 2).
Für das reale Welthandelsvolumen liefert die Statistik-Abteilung der OECD nur noch jährliche Daten, und zwar in ähnlich großen Abständen wie bisher. Außerdem gehen die beobachteten Daten nahtlos in die prognostizierten über. Insofern sind diese Daten ohne größere Umstände in ein nationales ökonometrisches Modell, das den Welthandel als eine wichtige exogene Größe implementiert hat, integrierbar. Schwierigkeiten macht die Anpassung der jährlichen Daten an die vierteljährliche Frequenz, die für Kurzfristprognosen von 1 bis maximal 3 Jahren verwendet wird. Vom Handel ausgehende Schocks können zeitlich nicht mehr quartalsgenau berücksichtigt werden, wenn nur jährliche Daten zur Verfügung stehen. Im Fall einer sehr offenen Volkswirtschaft leiden darunter nicht nur Genauigkeit und Aktualität der Prognose, sondern die Prognostik selber ist substanziell infrage gestellt, da gravierende Umschwünge, die durch exogene Schocks verursacht werden, erst registriert werden können, wenn es bereits einen Umschwung des Umschwunges gab: Der letzte Einbruch dauerte ziemlich genau ein Jahr.
Beobachtete und prognostizierte Daten über das Welthandelsvolumen werden in halbjährlichem Rhythmus auch von der Statistik-Abteilung des International Monetary Fund (IMF) zur Verfügung gestellt. Die Daten sind Bestandteil des World Economic Outlook. Hier findet man die aktuellste Publikation vom Januar 2016. Geliefert werden jährliche Veränderungsraten des realen Welthandelsvolumens. Aus diesen Daten lässt sich ein Mengenindex konstruieren, der bei Fixierung eines Referenzjahres (2005, 2010, 2015 etc.) das WHV in Form von Verketteten Volumina darstellt. Ersatzweise muss für den Nominalwert des WHV 2010 das Exportvolumen benutzt werden, da Importdaten nicht zur Verfügung stehen. Diese Konstruktion ermöglicht einen Vergleich mit der Prognose der OECD. In der Abbildung 2 sieht man außer den OECD- und den IMF-Daten auch den Verlauf der “alten” OECD-Daten, die sich bis 2014Q2 erstrecken und die mit Hilfe der Veränderungsraten des IMF (die in etwa mit denen der OECD übereinstimmen) extrapoliert wurden.
Aus der Sicht des Prognostikers sind weniger die leichten Niveauunterschiede von Bedeutung, die sich beim Vergleich zwischen “alten” und “neuen” Daten durch unterschiedliche Referenzjahre ergeben, sondern die zeitliche Verzögerung, die beim Vergleich der aktuellen Daten mit den früher gelieferten (alten) vierteljährlichen Daten (WTRADE) auftritt. Die zeitliche Verschiebung um 4 Quartale, die nunmehr die Aktualität einer Prognose beeinträchtigt, sieht man deutlich anhand der Veränderungsraten (Abbildung 3). Ein nationales Modell, das sich auf diese Daten stützt (stützen muss), kann einen solchen Einbruch, wie er 2008Q3-2009Q2 aufgetreten ist, aufgrund dieser Daten niemals vorhersagen. Denn es ist nicht anzunehmen, dass andere Daten des globalen Umfeldes (z.B. Ölpreis, Wechselkurs etc.) in einem ökonometrischen Modell ein derartiges Gewicht einnehmen, dass sie den Einfluss des WHV auf die Exporte dominieren könnten. Auch die Nominaldaten des WHV, die in vierteljährlicher Genauigkeit vorliegen, können die entstandene Lücke nicht überbrücken, da sie kaum Einfluss auf die Realwirtschaft haben. Deshalb wäre es auch völlig falsch, vom Verlauf des nominalen WHV auf den Außenhandel einer Volkswirtschaft schließen zu wollen. Während international das nominale Volumen sinkt, wachsen beispielsweise die deutschen Importe trotz fallender Preise weiter an (Abbildung 4).
Dagegen ist ein Schluss vom realen WHV auf die Exporte eines Landes – zumindest im Fall der deutschen Volkswirtschaft – nicht nur möglich, sondern hat sich seit Jahrzehnten bewährt. Die folgende Tabelle 1 zeigt die wesentlichen Determinanten der (realen) Exporte, die bekanntlich unmittelbar in das Bruttoinlandsprodukt eingehen und darüber hinaus eine stimulierende Wirkung auf andere Teilaggregate haben.
Tabelle 1
Vermittelt über den Export beeinflusst das globale Umfeld, gemessen an jenen Determinanten, die Prognostik für die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft zuverlässig, wenn auch mit sich langsam verändernden Parameterwerten.[ 2 ] Die Grundlage war und ist der jeweils aktuelle Datensatz für die letzten 40 Quartale. Neben den bekannten Problemen eines nicht-prognostizierbaren Bevölkerungswachstums, eines volatilen Finanzmarktes und von mehr oder weniger tiefgreifenden Datenrevisionen,[ 3 ] die aber letztlich die Genauigkeit verbessern (sollen), kommen also seit 2015 noch die Unklarheiten über die aktuelle Lage offener Volkswirtschaften in ihrem weltwirtschaftlichen Umfeld hinzu.
Datenquellen
Europäische Union, 1995-2016, Eurostat Datenbank.
IMF: World Economic Outlook, incl. WEO Database: Volume of Exports of Goods and Services, Percent Change.
OECD: Statistik. International Trade (MEI). Exporte der OECD-Staaten und BRIICS-Staaten.
Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Fachserie 18, Reihe 1.2, Inlandsproduktberechnung Vierteljahresergebnisse.
Statistisches Bundesamt: Unverkettete Volumenangaben in Vorjahrespreisen, Zusatztabellen.
Statistisches Bundesamt: Verkettete Volumenangaben und Wachstumsbeiträge, Zusatztabellen.
Werner Antweiler, Associate Professor at Sauder School of Business, The University of British Columbia, Database Retrieval System v2.15: Exchange Rate US$/EUR
- 1 Vgl. Georg Quaas; Mathias Klein: Struktureller Wandel und Krisenbewältigung der deutschen Volkswirtschaft. In: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), Heft 3, S.186-193. Kurzfassung: Mathias Klein, Georg Quaas: Eine ökonometrische Analyse der Krisenbewältigung der deutschen Volkswirtschaft. Ökonomenstimme, 5. April 2011.
- 2 Vgl. dazu die entsprechenden Angaben für das RWI-Konjunkturmodell bei Ullrich Heilemann: Das RWI-Konjunkturmodell. In: Werner Gaab; Ullrich Heilemann; Jürgen Wolters: Arbeiten mit ökonometrischen Modellen. Heidelberg 2004, S.167. Die dort neben dem WHV angegebenen Terms of Trade sind durch den Exportpreisindex und den Wechselkurs ersetzt worden. Die Kapazitätsauslastung und die anderen Hauptkomponenten des BIP erweisen sich inzwischen als nicht signifikant; nur die Ausrüstungsinvestitionen spielen in diesem einfachen Modell zur Bestimmung der Determinanten des Exports noch eine Rolle. Damit ist die von Heilemann erwähnte Export-push-Hypothese zumindest zeitweilig obsolet geworden.
- 3 Über verzerrende Wirkungen von Datenrevisionen beklagen sich Roland Döhrn, Ferdinand Fichtner, Oliver Holtemüller, Timo Wollmershäuser: Deutsche Wirtschaft stagniert – Jetzt Wachstumskräfte stärken. In: Wirtschaftsdienst 2014, Heft 10, S.686-687.