Monday , April 29 2024
Home / Ökonomenstimme / Die Neugründung der EU

Die Neugründung der EU

Summary:
Wer nach dem Brexit auf dem Beibehalten der bisherigen Strukturen der EU beharrt, unterstützt aktiv das politische Weiterwursteln. Ein Plädoyer für eine Neugründung der Union als Vereinigte Staaten von Europa. Krisen haben – nach dem Churchill zugeschriebenen Motto "Never let a good crisis go to waste" - auch immer etwas Gutes. Sie ermöglichen einen Neuanfang. Das ist das Positive am "Brexit". Nicht nur das politisch gespaltene und bald vom Groß- zu Kleinbritannien geschrumpfte Land muss sich jetzt neu orientieren, auch die zahlenmäßig, ökonomisch und militärisch geschwächte EU kann nicht mehr so weitermachen wie bisher. EU nicht krisenfest Allenthalben wird jetzt nach Reformen gerufen. Aber die EU, wie sie derzeit konstituiert ist mit ihren vielen Ausnahmen (Europe à la carte) ist weder krisenfest noch überlebensfähig und daher auch schwer reformierbar. Die nun wieder angedachte weitere Flexibilisierung, d.h. die Ausweitung des Konzepts des "Europe à la carte" (Europa der zwei oder mehreren Geschwindigkeiten oder Europa mit konzentrischen Kreisen etc.) mit weiteren Ausnahmen für EU-Mitglieder um sie bei der Stange zu halten ist – wie sich gerade im Fall Großbritannien, das ja die meisten Ausnahmen hatte (kein Euro, kein Schengen, Ausnahmen in der Charta der Grundrechte) – nicht zielführend.

Topics:
Fritz Breuss considers the following as important:

This could be interesting, too:

Cash - "Aktuell" | News writes Kapitalbezug oder Rente? Diese Punkte müssen beachtet werden

Cash - "Aktuell" | News writes Börsenvorschau: Quartalsabschlüsse und Inflationszahlen im Fokus der Anleger

Cash - "Aktuell" | News writes Elon Musk trifft Chinas Premier Li Qiang zu Gesprächen

Cash - "Aktuell" | News writes Drohne des US-Militärs stürzt im Jemen ab

Wer nach dem Brexit auf dem Beibehalten der bisherigen Strukturen der EU beharrt, unterstützt aktiv das politische Weiterwursteln. Ein Plädoyer für eine Neugründung der Union als Vereinigte Staaten von Europa.

Krisen haben – nach dem Churchill zugeschriebenen Motto "Never let a good crisis go to waste" - auch immer etwas Gutes. Sie ermöglichen einen Neuanfang. Das ist das Positive am "Brexit". Nicht nur das politisch gespaltene und bald vom Groß- zu Kleinbritannien geschrumpfte Land muss sich jetzt neu orientieren, auch die zahlenmäßig, ökonomisch und militärisch geschwächte EU kann nicht mehr so weitermachen wie bisher.

EU nicht krisenfest

Allenthalben wird jetzt nach Reformen gerufen. Aber die EU, wie sie derzeit konstituiert ist mit ihren vielen Ausnahmen (Europe à la carte) ist weder krisenfest noch überlebensfähig und daher auch schwer reformierbar. Die nun wieder angedachte weitere Flexibilisierung, d.h. die Ausweitung des Konzepts des "Europe à la carte" (Europa der zwei oder mehreren Geschwindigkeiten oder Europa mit konzentrischen Kreisen etc.) mit weiteren Ausnahmen für EU-Mitglieder um sie bei der Stange zu halten ist – wie sich gerade im Fall Großbritannien, das ja die meisten Ausnahmen hatte (kein Euro, kein Schengen, Ausnahmen in der Charta der Grundrechte) – nicht zielführend. Das Kernstück der EU, der Binnenmarkt wird gerade durch die Flexibilisierung immer wieder dadurch geschwächt, weil Staaten, die nicht in der Eurozone sind, im Falle von Krisen jederzeit gegen die Euro-Länder abwerten und sich so unfaire Wettbewerbsvorteile herausholen können. Die EU war ein wunderbares Projekt (nicht zu Unrecht 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet) in der Nachkriegszeit. Allerdings war es für Schönwetterperioden konzipiert. Zwei große Krisen (die Eurokrise im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 ab 2010) und die Flüchtlingskrise (seit 2015) trafen sie aber völlig unvorbereitet. Die Eurokrise schwelt weiter – vor allem in der Peripherie – und dämpft das Wachstumspotential der EU. Die Flüchtlingskrise hat drastisch offenbart, wie schwach die im EU-Vertrag verankerte und vielbeschworene Solidargemeinschaft im Krisenfall ist.

Vereinigte Staaten von Europa

Da im Zuge des in den nächsten zwei Jahren zu verhandelnden Austrittsvertrags (vulgo "Scheidungsvertrags") mit Großbritannien ohnehin eine Reform der EU-Verträge ansteht (zumindest müssen alle Großbritannien betreffenden Passagen gestrichen bzw. die britischen finanziellen Beiträge umverteilt werden), könnte man sich gleich an eine Neugründung der EU heranwagen. Diese müsste von der Bevölkerung getragen sein und sollte gleich in die Vereinigten Staaten von Europa (VSE) münden. Im Folgenden wird eine solche Neugründung skizziert:

  1. Parallel zu den Austrittsverhandlungen mit Großbritannien wird ein Konvent eingerichtet (ähnlich dem Verfassungskonvent 2002/03), der eine Verfassung für einen föderalen Staat, die VSE entwickelt. Als Vorbild könnte das Zweikammersystem der USA mit einem Präsidenten herangezogen werden. Die Mitgliedstaaten wären Bundesstaaten mit Gouverneuren an der Spitze. Zur Weiterentwicklung von Recht könnte das Schweizer Modell der direkten Demokratie angewandt werden, um den Rückhalt der Bevölkerung zu haben. Die VSE würden dann – ohne Ausnahmen – wie ein Staat funktionieren mit einheitlichem Binnenmarkt und gemeinsamer Währung (den Euro haben wir schon) und Geldpolitik (EZB), zentraler Fiskalpolitik, gesteuert durch das VSE-Finanzministerium; Verteidigung; Schutz der Außengrenzen). Der einzige Unterschied zu den USA wären dann noch das Fehlen einer gemeinsamen Sprache.
  2. Der VSE-Verfassungsvertrag müsste dann in allen 27 Rest-EU-Staaten obligatorisch einem Referendum unterzogen werden. Dann würde vielleicht nur die Hälfte mitmachen wollen. Aber diese nun verkleinerte EU wäre vom Volk legitimiert und würde die VSE bilden. Jeder europäische Staat – auch bisherige Nicht- EU-Mitglieder – sollte später dazu stoßen dürfen.
  3. Mit Gründung der VSE würde die EU-27 aufgelöst werden.  Die nicht am Projekt VSE teilnehmenden Länder (das gilt nun auch für Großbritannien) würden mit den VSE umfassende Freihandels- und Investitionsabkommen (Comprehensive Investment and Trade Agreements – CITAs; nach dem Vorbild etwas von CETA mit Kanada) schließen können. Damit wäre Freihandel für Waren und Dienstleistungen und den Kapitalverkehr (Direktinvestitionen) in Europa gewährleistet. Den Personenverkehr – und damit auch die Immigration- und Asylfragen – müssten die Nicht-VSE-Staaten selbst regeln.
  4. Alle bisherigen Beziehungen der EU mit Nicht-EU-Mitgliedern (Freihandelsabkommen mit der EFTA; Zollunion mit der Türkei; EWR-Abkommen; die beiden Bilateralen mit der Schweiz, etc.) würden von den VSE gekündigt werden und durch einheitliche CITAs ersetzt werden.

Neugründung der EU oder weiterwursteln wie bisher

Wenn der große Wurf zur Bildung der VSE nicht gelingen sollte, wird die EU-27 – mit kleinen Retuschen da und dort – so weiterwursteln wie bisher und von einer zur anderen Krise taumeln. Der Rückhalt in der Bevölkerung, der schon jetzt zusehends kleiner wird, würde noch weiter abnehmen und könnte zum von allen EU-Granden derzeit vehement bestrittenen Dominoeffekt des "Brexit" führen. Zwischenzeitlich wird mangels des Korrektivs Großbritanniens und der ökonomischen Schwäche Frankreichs (die bisher wichtige deutsch-französische Achse hat ausgedient) und Italiens diese EU dann von Deutschland politisch und ökonomisch dominiert. Ob das den mehrheitlich kleinen EU-Mitgliedern passen wird, ist mehr als fraglich.

©KOF ETH Zürich, 5. Jul. 2016

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *