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Für einen Pluralismus-Kodex

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Brauchen wir einen Pluralismus-Kodex in der Ökonomik an deutschen Hochschulen? Rüdiger Bachmann meinte in seinem Beitrag: Nein. Dieser Beitrag meint: Ja. Die Canadian Association of University Teachers (CAUT) hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, um zu prüfen, ob am Department of Economics der University of Manitoba die Freiheit der Wissenschaft gefährdet ist. Es geht hierbei nicht um staatliche Eingriffe in den akademischen Betrieb, sondern um Vorgänge am Department of Economics, die den dort bislang herrschenden Wissenschaftspluralismus einzuschränken drohen und die Stellung der verbliebenen heterodoxen Ökonomen durch eine einseitige Bevorzugung der Mainstream- Ökonomen unterminieren. Bemerkenswert ist daran nicht nur der affirmative Befund einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch die aus Nicht-Volkswirten bestehende Kommission, sondern die Ausdehnung des Begriffs über die reine Schutzfunktion des individuellen Abwehrrechts hinaus. Wissenschaftsfreiheit umfasst nämlich auch die Norm, dass der Staat – bzw. dessen autonome Vertreter – Wissenschaft so zu organisieren hat, dass die Teilnahme daran für alle Wissenschaftler diskriminierungsfrei ermöglicht werden muss.

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Brauchen wir einen Pluralismus-Kodex in der Ökonomik an deutschen Hochschulen? Rüdiger Bachmann meinte in seinem Beitrag: Nein. Dieser Beitrag meint: Ja.

Die Canadian Association of University Teachers (CAUT) hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, um zu prüfen, ob am Department of Economics der University of Manitoba die Freiheit der Wissenschaft gefährdet ist. Es geht hierbei nicht um staatliche Eingriffe in den akademischen Betrieb, sondern um Vorgänge am Department of Economics, die den dort bislang herrschenden Wissenschaftspluralismus einzuschränken drohen und die Stellung der verbliebenen heterodoxen Ökonomen durch eine einseitige Bevorzugung der Mainstream- Ökonomen unterminieren.

Bemerkenswert ist daran nicht nur der affirmative Befund einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch die aus Nicht-Volkswirten bestehende Kommission, sondern die Ausdehnung des Begriffs über die reine Schutzfunktion des individuellen Abwehrrechts hinaus. Wissenschaftsfreiheit umfasst nämlich auch die Norm, dass der Staat – bzw. dessen autonome Vertreter – Wissenschaft so zu organisieren hat, dass die Teilnahme daran für alle Wissenschaftler diskriminierungsfrei ermöglicht werden muss.

Die Kommission der CAUT überträgt in ihrem Report diese Verantwortung – die eigentlich selbstverständlich sein sollte – der disziplingebundenen ‚Scientific Community‘ und konstatiert, dass eine Teilmenge dieser ‚Scientific Community‘ – der so genannte Mainstream – wissenschaftliche Standards festlegt, die eine andere Teilmenge dieser Wissenschaftlergemeinschaft – die so genannten heterodoxen Ökonomen – zunehmend vom Wissenschaftsbetrieb ausschließt: Heterodoxe Ökonomen finden bei der Rekrutierung zunehmend weniger Berücksichtigung, das verwandelt ein einst plural besetztes Department immer mehr in ein homogen am Mainstream ausgerichtetes Department. Bei der Organisation des Lehr- und Forschungsbetriebs, z.B. die Teilnahme an der Graduiertenschule und mithin die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, werden sie ausgeschlossen, bekommen leitende Funktionen nicht mehr übertragen oder werden vom Angebot bestimmter Kurse abgehalten.

Eine ähnliche Entwicklung erleben wir in Deutschland: In einem früheren Beitrag für diese Zeitschrift (‚Aus dem Gleichgewicht‘ in F&L 5/2015) berichtete ich von der zunehmenden Entpluralisierung der Wirtschaftswissenschaften an deutschen Universitäten und der Marginalisierung der heterodoxen Ökonomik. Dieser Prozess – der nach der jüngsten Weltfinanzkrise und der blamablen Rolle, die die Mainstream-Ökonomik bei deren Vorhersage, Erklärung und Überwindung gespielt hat, zu einer kritischen Reflexion über den Zustand der Wirtschaftswissenschaften geführt hat – wäre dann insgesamt unproblematisch, wenn er das Ergebnis wissenschaftstheoretischer Reflexionen und eines streng wettbewerblichen Auswahlverfahrens gewesen wäre.

Wenn sich also wissenschaftstheoretisch zeigen ließe, dass die Wirtschaftswissenschaft als jene Sozialwissenschaft auf der Suche nach der einzig richtigen Gegenstandserklärung (‚Wahrheit‘) nur monistisch (‚monoparadigmatisch‘) zu betreiben ist und der gegenwärtige Mainstream sich aufgrund der besseren Realitätserklärung als ‚Normalwissenschaft‘ gegen alternative Paradigmen durchgesetzt hätte, wäre der Entpluralisierungsprozess nur das zwangsläufige und wünschenswerte Ergebnis einer reifenden Wissenschaft und die Vorgänge am Department of Economics der University of Manitoba (und an vielen Universitäten in Deutschland und anderswo) wären deren zwangsläufige administrative Umsetzung.

Tatsächlich aber ist der Wissenschaftspluralismus – insbesondere verstanden als Paradigmen-, Methoden- und Theorienpluralismus und damit dem herrschenden Paradigmenmonismus und Methodenabsolutismus entgegengesetzt – die einzig akzeptable Konzeption für eine Sozialwissenschaft, die mit zahlreichen ontologischen Beschränkungen konfrontiert ist. Pluralismus ist also keine Fairnessnorm, der man zustimmen kann oder auch nicht, sondern ein wissenschaftstheoretischer Imperativ. Und die Einschränkung des Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften ist genau dann als Verstoß gegen die (in Deutschland grundgesetzlich geschützte) Wissenschaftsfreiheit zu werten, wenn sie nicht ausschließlich das Ergebnis eines angewandten positivistischen Fallibilismus ist, d.h. wenn das ‚Vermutungs-Wissen‘ der heterodoxen Ökonomik nicht durch empirische Falsifikation oder den Nachweis mangelnder deduktiver Rigorosität (z.B. durch die Mainstream-Ökonomen) verworfen werden konnte.

Eine derartig wissenschaftsimmanente Selektion aber gibt es schon deshalb nicht, weil sich der Mainstream mit der Heterodoxie gar nicht erst auseinander setzt, sondern seine ablehnende Haltung – was dann nicht als wissenschaftliche Selektion, sondern nur als wertende Diskriminierung begriffen werden kann – ausschließlich an Sekundärkriterien (wie z.B. der mangelnden Attraktionsfähigkeit von Drittmitteln bei reputationsübertragenden Institutionen wie der DFG oder der geringen Publikationsfähigkeit in Benchmark-Journalen wie dem American Economic Review oder dem Journal of Political Economy) festmacht. Diese Sekundärkriterien können die heterodoxen Ökonomen gar nicht erfüllen, weil z.B. die Fachgremien der DFG fast ausschließlich mit Mainstream- Ökonomen besetzt und die ‚Benchmark-Journals‘ nachweislich nicht für heterodoxe Beiträge offen sind (‚die sollen doch in ihren eigenen Journals publizieren‘): Lässt man fünf Füchse und einen Hasen darüber entscheiden, was es zum Mittagessen gibt, ist klar, wer auf der Strecke bleibt.

Unter diesen Bedingungen müssen die Entpluralisierungs- und Marginalisierungsprozesse, wie sie allgemein in der deutschen Universitätslandschaft, ganz konkret aber auch an der University of Manitoba zu beobachten sind, als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit begriffen werden, wie es die CAUT-Untersuchungskommission auch konsequenterweise bewertet hat. Darunter leiden die betroffenen Wissenschaftler und deren wissenschaftlicher Nachwuchs, aber auch die Wissenschaft und die sie finanzierende Gesellschaft.

Es wäre wünschenswert, wenn sich auch in Deutschland Wissenschaftsorganisationen wie z.B. der Deutsche Hochschulverband und die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder auch der Verein für Socialpolitik mit dieser Thematik beschäftigen und in genauso unvoreingenommener Weise wie die CAUT-Kommission darüber nachdenken würden, mit welchen Regulierungen dem Versagen des ‚Marktes für wirtschaftswissenschaftliche Ideen‘ beizukommen ist.

Zu denken wäre beispielsweise an einen Pluralismus-Kodex (ähnlich den Kodizes zur Einhaltung guter wissenschaftlicher Praxis) oder die Einführung von ‚Pluralismus-Beauftragten‘ (ähnlich den Gleichstellungsbeauftragten), womit ein gewisser Anteil an heterodox besetzten Lehrstühlen an allen wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichen gesichert werden könnte – das Department of Economics an der University of Massachusetts at Amherst beispielweise hat mit einer vergleichbaren Praxis gute Erfahrungen gemacht. Oder es könnten finanzielle Anreize gesetzt werden, indem z.B. die DFG einen Fonds für heterodoxe Forschungsprojekte bereitstellt, über deren Vergabe Fachausschüsse entscheiden, in denen mehrheitlich heterodoxe Ökonomen sitzen.

Es ginge also um die Schaffung eines ordnungspolitischen Rahmens, der die Chancengleichheit wiederherstellt, die Wissenschaftsfreiheit schützt und den Ideenwettbewerb belebt, ohne Qualitätsstandards aufgeben zu müssen. Eine Fortschreibung des gegenwärtigen Zustands jedenfalls ist keine Option.

©KOF ETH Zürich, 8. Jul. 2016

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