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Gegen einen Pluralismus-Kodex

Summary:
Brauchen wir einen Pluralismus-Kodex in der Ökonomik an deutschen Hochschulen? Dieser Beitrag meint: Nein. Die Pluralisierungsforderungen an die akademische Ökonomik, die in den letzten Jahren von Journalisten und engagierten Studenten immer lauter vorgebracht wurden, basieren meist auf Fehldarstellungen der modernen akademischen Ökonomik sowie auf einer Reihe von Fehlschlüssen und Non-sequiturs. Das Standardnarrativ geht so: die moderne Mainstreamökonomik sei ein Hochamt auf den freien Markt mit dem Staat als Satan, gehalten von einer mächtigen Priesterkaste, die mit empirisch unhaltbaren Annahmen – Egoismus, unbeschränkt rationalen Erwartungen, kompetitivem und stabilem Marktgleichgewicht – nur libertäre Ideologien verbreitet, aber empirisch versagt hat – die Finanzkrise wurde nicht vorhergesagt! –, und im schlimmsten Fall sogar gesellschaftszersetzend wirkt. Diese Priesterkaste bestrafe Abweichungen von der reinen Lehre unnachgiebig, so dass nicht nur viele gute ökonomische Ideen nicht aufgegriffen, vor allem aber den Studenten vorenthalten würden, sondern auch viele gute, unterwerfungsunwillige Ökonomen zu einem akademischen Schattendasein verdammt seien. Dieses Narrativ ist, jedenfalls für die international orientierte, akademische Ökonomik, einfach durch einen Besuch von Konferenzen und die Lektüre von Fachzeitschriften zu widerlegen.

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Rüdiger Bachmann considers the following as important:

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Brauchen wir einen Pluralismus-Kodex in der Ökonomik an deutschen Hochschulen? Dieser Beitrag meint: Nein.

Die Pluralisierungsforderungen an die akademische Ökonomik, die in den letzten Jahren von Journalisten und engagierten Studenten immer lauter vorgebracht wurden, basieren meist auf Fehldarstellungen der modernen akademischen Ökonomik sowie auf einer Reihe von Fehlschlüssen und Non-sequiturs.

Das Standardnarrativ geht so: die moderne Mainstreamökonomik sei ein Hochamt auf den freien Markt mit dem Staat als Satan, gehalten von einer mächtigen Priesterkaste, die mit empirisch unhaltbaren Annahmen – Egoismus, unbeschränkt rationalen Erwartungen, kompetitivem und stabilem Marktgleichgewicht – nur libertäre Ideologien verbreitet, aber empirisch versagt hat – die Finanzkrise wurde nicht vorhergesagt! –, und im schlimmsten Fall sogar gesellschaftszersetzend wirkt. Diese Priesterkaste bestrafe Abweichungen von der reinen Lehre unnachgiebig, so dass nicht nur viele gute ökonomische Ideen nicht aufgegriffen, vor allem aber den Studenten vorenthalten würden, sondern auch viele gute, unterwerfungsunwillige Ökonomen zu einem akademischen Schattendasein verdammt seien.

Dieses Narrativ ist, jedenfalls für die international orientierte, akademische Ökonomik, einfach durch einen Besuch von Konferenzen und die Lektüre von Fachzeitschriften zu widerlegen. Dass mancher politikberatender TV-Ökonom gerne ein solcher Priester wäre, steht auf einem anderen Blatt. Akademische Karrieren werden aber nicht dadurch gemacht, dass man das oben etwas verkürzt skizzierte Modell mit Hyperrationalität und perfektem Markt immer weiter analysiert. Warum auch? Das ist schon gut verstanden. Dass Studenten in den Einführungen weiter mit diesem Modell konfrontiert werden, gehört zur Pädagogik der Ökonomik, über die man gerne diskutieren kann. Akademische Karriere macht man jedenfalls damit, immer feinere und realitätsnähere Alternativen zum simplen Modell theoretisch und empirisch zu erforschen. Die empirischen Verfahren umfassen dabei neben den klassischen statistisch-ökonometrischen Methoden auch von der Psychologie inspirierte Experimente sowie von der Soziologie und den Politikwissenschaften angeeignete Umfragetechniken.

Die reflektierteren Pluralismusforderungen erkennen diese Vielfalt in der Ökonomik inzwischen zwar an, wollen aber noch andere Paradigmen akademisch repräsentiert sehen. Gleichgültig, wie man die semantische Frage, was ein Paradigma ist und ob die Mainstreamökonomik überhaupt ein paradigmatischer Monolith ist, beantwortet, kann man jedenfalls festhalten, dass Ideen aus diversen Orthodoxien bereits fruchtbar in den Mainstream integriert wurden: die Verfassungs- und Institutionenökonomik des Ordoliberalismus werden als mechanism design-Probleme reformuliert, die den Marxismus und Postkeynesianismus interessierenden Machtfragen werden in der neueren politischen Ökonomik diskutiert, Themen der feministischen Ökonomik werden in der Arbeitsmarkt-, Bevölkerungs- und Makroökonomik erforscht. Was von den Heterodoxien dann noch rein übrigbleibt, sieht oft gerade nicht nach blühenden Paradigmen aus, sondern nach sonderlingshaftem akademischem Sektierertum. Und das Internet, das offensichtlich die Kosten für dieses Sektieren gesenkt und seine Reichweite erhöht hat, es also präsenter als früher erscheinen lässt, macht es nicht besser.

Es wird auch nie sauber begründet, warum paradigmatische Vielfalt in der Ökonomik notwendig oder zumindest wünschenswert ist. Goethes Farbenlehre spielt in der Optik ja auch keine Rolle mehr. Die Ökonomik sei keine Naturwissenschaft, heißt es dann oft. Warum daraus aber notwendig paradigmatische Vielfalt folgt, wird bestenfalls mit Schlagworten wie „Reflexivität“ beantwortet. Zum einen gibt es aber bereits reflexive Elemente in der Mainstreamökonomik – die sogenannte Lucas-Kritik an Helmut Schmidts Irrtum, niedrigere Arbeitslosenzahlen mit höherer Inflation kaufen zu können, oder das Theorem der Unvorhersagbarkeit von Finanzkrisen, – zum anderen kann man es mit Reflexivität auch übertreiben: sinkende Handelsbarrieren werden wahrscheinlich den Welthandel ankurbeln. Manchmal ist es auch im Sozialen ganz einfach und unreflexiv; das spannende ist hier doch eher das Ausmaß der Handelsexpansion, also eine quantitative Frage.

Ein weiteres Non-sequitur: Vielfalt gleich anything goes oder genauer: Vielfalt gleich „meine Hobbyheterodoxie muss auch dabei sein“. In der Vergangenheit war vieles mal Ökonomik: brauchen die Physiokratie, die scholastische Schule von Salamanca oder die völkische Nationalökonomik der Nazis heute auch eine akademische Repräsentanz? Die meisten heutigen Heterodoxien erscheinen doch eher als unfruchtbar gewordene wissenschaftliche Sackgassen. Die Beweislast, dass dem nicht so ist, läge ohnehin bei den Vertretern dieser Heterodoxien, und zwar grundgesetzgemäß gegenüber den Vertretern der akademischen Ökonomik, nicht gegenüber Ministerialbürokratien, was sich mancher Pluralisierer wohl gerne wünschen würde. Dieser Beweis ist selbst in den letzten zehn Jahren, also in der Zeit der größten Wahrnehmungskrise der Mainstreamökonomik, nicht geglückt.

Ein letztes Non-sequitur, oft als Reaktion auf den Unfruchtbarkeitsvorwurf vorgebracht: der Mainstream diskriminiert gegen uns in Journalen und Berufungsverfahren, und ohne Lehrstühle und andere Ressourcen kann man nicht fruchtbar sein. Es ist aber ein Trugschluss, vom faktischen Fehlen von Ressourcen auf Diskriminierung zu schließen. Das ist genau so falsch, wie die Lohnlücke von Frauen gegenüber Männern ausschließlich mit Geschlechterdiskriminierung erklären zu wollen.

Zum Schluss noch ein kurzer Blick in die Geschichte der deutschen Ökonomik, die ja Negativbeispiele von politisch initiierter Zwangspluralisierung kennt und jeden hyperaktiven Wissenschaftspolitiker nachdenken lassen sollte: die Wirtschaftswissenschaften an der Reformuniversität Bremen sowie die Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Beider wissenschaftlicher Einfluss war und ist begrenzt, das Bremer Experiment wurde beendet. Umgekehrt wurde an meiner eigenen Fakultät in Notre Dame vor zehn Jahren ein heillos zerstrittenes, keine anschlussfähige akademische Forschung produzierendes und Studenten verlierendes heterodoxes Department in ein blühendes Mainstreamdepartment umgewandelt, das Teil der internationalen wissenschaftlichen Gemeinde geworden ist und wieder Studenten anzieht.

Was allerdings wichtig ist: studentische Nachfrage. Wenn es mehr studentische Nachfrage etwa nach Wirtschafts-oder Dogmengeschichte in der ökonomischen Ausbildung geben sollte, dann muss man darauf reagieren. Dabei macht es wenig Sinn, an jeder zweiten Fakultät einen wirtschafts- oder dogmenhistorischen Lehrstuhl einzurichten. Ressourcenbündelung ist im deutschen System von Kleinstfachbereichen besser, und wenn das gegenwärtige Experiment an der Siegener wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät mit einer stärkeren Orientierung hin zu Nichtmainstreamthemen in der Lehre erfolgreich ist, dann wäre das zu begrüßen. Auf diese Art von Pluralisierung durch Spezialisierung und Abstimmung der Studenten mit den Füßen lasse ich mich ein.

©KOF ETH Zürich, 4. Jul. 2016

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