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Si tacuissent…

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Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn haben in ihrem Beitrag Die Risiken der Notkredite Martin Hellwigs Argumentation widersprochen, dass die ELA-Kredite keine versteckte Staatsfinanzierung seien. Hier folgt nun eine Duplik Hellwigs. Clemens Fuest, Hans-Werner Sinn, die griechischen Notkredite und das Recht Die Replik von Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn auf meinen Artikel "Notstand oder Erpressung?" im Handelsblatt vom 3. Juli ist kraftvoll, eloquent und fehlerhaft. Sie äußern sich entrüstet über meinen Vorwurf, sie hätten den Vertrag nicht richtig gelesen, und bestätigen diesen Vorwurf durch das, was sie schreiben. Der von ihnen angeführte "Beschluss der Europäischen Zentralbank über die Verteilung der monetären Einkünfte der nationalen Zentralbanken …" (EZB/2010/23) hat mit den Notkrediten nichts zu tun, sondern betrifft Target-Salden und Bargeldausgabe. Für ELA-Kredite maßgeblich ist Art. 14 Abs.4 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der EZB, die als Protokoll Nr. 4 Teil des Vertrags ist. Danach sind die Notkredite von der Vergemeinschaftung der Gewinne ausgenommen. Es gilt das, was ich am 3. Juli geschrieben hatte: Die Notkredite als solche begründen keine Verbindlichkeit der griechischen Zentralbank gegenüber der EZB; eine solche entsteht nur durch Barabhebungen und durch Überweisungen ins Ausland.

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Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn haben in ihrem Beitrag Die Risiken der Notkredite Martin Hellwigs Argumentation widersprochen, dass die ELA-Kredite keine versteckte Staatsfinanzierung seien. Hier folgt nun eine Duplik Hellwigs.

Clemens Fuest, Hans-Werner Sinn, die griechischen Notkredite und das Recht

Die Replik von Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn auf meinen Artikel "Notstand oder Erpressung?" im Handelsblatt vom 3. Juli ist kraftvoll, eloquent und fehlerhaft. Sie äußern sich entrüstet über meinen Vorwurf, sie hätten den Vertrag nicht richtig gelesen, und bestätigen diesen Vorwurf durch das, was sie schreiben. Der von ihnen angeführte "Beschluss der Europäischen Zentralbank über die Verteilung der monetären Einkünfte der nationalen Zentralbanken …" (EZB/2010/23) hat mit den Notkrediten nichts zu tun, sondern betrifft Target-Salden und Bargeldausgabe. Für ELA-Kredite maßgeblich ist Art. 14 Abs.4 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der EZB, die als Protokoll Nr. 4 Teil des Vertrags ist. Danach sind die Notkredite von der Vergemeinschaftung der Gewinne ausgenommen. Es gilt das, was ich am 3. Juli geschrieben hatte: Die Notkredite als solche begründen keine Verbindlichkeit der griechischen Zentralbank gegenüber der EZB; eine solche entsteht nur durch Barabhebungen und durch Überweisungen ins Ausland. Fuest und Sinn gehen auf den Vertrag selbst gar nicht ein, sondern schreiben, dort müsse das stehen, was sie meinen, sonst müsse man den Vertrag ändern.

Auf das eigentliche  Thema meines Artikels gehen Fuest und Sinn auch nicht ein. Dass das Einfrieren der Notkredite durch die EZB in mehrfacher Hinsicht als Vertragsverletzung beurteilt werden kann, ist ihnen egal, auch dass die Zentralbank nicht ohne weiteres das Recht hat, in die Anlageentscheidungen der Banken einzugreifen.

Ihnen geht es nur um die Risiken. Jedoch reden sie nicht über die Zahlen. Im Mai 2015 hatten die griechischen Banken Vermögenswerte von über 390 Mrd. Euro, bei eigenen Mitteln und Rückstellungen  von 70 Mrd. Euro. Die Schulden gegenüber der griechischen Zentralbank betrugen 116 Mrd. Euro, hoch besichert und mit Vorrang vor allen anderen Verbindlichkeiten. Um bei diesen Zahlen auf ein ernsthaftes Verlustrisiko für die Zentralbank zu schließen, muss man einen völligen Kollaps der Wirtschaft für wahrscheinlich halten. Heute ist ein solcher Kollaps vielleicht realistisch, aber das ist bereits eine Folge des Einfrierens der Notkredite und der Bankenschließung.

Im Dezember 2014 lagen die Schulden gegenüber der griechischen Zentralbank noch bei 56 Mrd. Euro; die Anlagen in Staatsschulden sind seither von 23,5 Mrd. auf 23 Mrd. zurückgegangen. Die Ausweitung der Notkredite hat nicht zu einer Ausweitung der Kredite an den griechischen Staat geführt, der übrigens bis jetzt alle privaten Schulden reibungslos bedient hat und im ersten Halbjahr 2015 auch 7 Mrd. Euro an öffentlichen Schulden zurückgezahlt hat.

Der aktuelle Stand

Den vorstehenden Text schickte ich am 16. Juli, sechs Tage nach Erscheinen des Artikels von Fuest und Sinn, an das Handelsblatt. Dort antwortete man mir, normalerweise veröffentliche man keine Repliken auf Repliken, doch werde man meinen Text im Rahmen der nächsten Griechenland-Debatte veröffentlichen, vielleicht schon in der nachfolgenden Woche. Jedoch gab es dann keine weitere Griechenland-Debatte im Handelsblatt. Das Einstellen des Artikels von Fuest und Sinn bei Ökonomenstimme gibt mir die Gelegenheit, auch meine Antwort darauf zu veröffentlichen und hinsichtlich neuerer Entwicklungen zu ergänzen.

In der Zwischenzeit hat die europäische Bankenaufsicht die vier großen griechischen Banken einer erneuten Bilanzprüfung und einem erneuten Stresstest unterzogen. Die Bilanzprüfung ergab einen zusätzlichen Wertberichtigungsbedarf von 9,2 Milliarden Euro, teilweise aufgrund einer Verschärfung der Maßstäbe gegenüber 2014, teilweise aufgrund der weiteren Verschlechterung der Kredite in der Wirtschaftskrise. Dabei werden auch nach den Wertberichtigungen alle vier Banken von der Aufsicht als solvent angesehen. Allerdings  liegt bei drei der vier Banken das Eigenkapital unter dem von der Aufsicht geforderten Satz von 9,5 % der risikogewichteten Vermögenswerte.

Beim Stresstest gab es, wie schon 2014, eine Basisversion und eine verschärfte Version. In der verschärften Version, mit angenommenen Wachstumsraten der Wirtschaft von -3,3 % in 2015 und -3,9 % in 2016, kommen zwei der vier Banken mit ihrem Eigenkapital in die roten Zahlen, National Bank of Greece mit 0,1 Milliarden Euro und Piraeus Bank mit 1,1 Milliarden Euro. In der Basisversion bleiben alle vier Banken nach Ansicht der Aufsicht solvent. Um dafür zu sorgen, dass bei allen vier Banken das Eigenkapital über 9,5 % der risikogewichteten Vermögenswerte liegt und auch in der verschärften Version des Stresstests nicht unter 8 % der risikogewichteten Vermögenswerte fällt, wird eine Eigenkapitalerhöhung um insgesamt 14,4 Milliarden Euro gefordert.

Die Ergebnisse der neuen Bilanzprüfungen und Stresstests bestätigen meine Einschätzung vom Juli, dass die Warnungen vor den Risiken der Notkredite für die griechische Zentralbank wenig mit der Realität zu tun haben. Fuest und Sinn mögen einwenden, die Zahlen der Aufsicht seien nicht verlässlich. Aber dann müssen sie verlangen, dass die Aufsicht andere Verfahren verwendet. Die Forderung, die Zentralbank sollte die Einschätzungen der zuständigen Behörde beiseite schieben und stattdessen auf die Wissenschaftler hören, die die Banken für insolvent erklären, ist mit rechtsstaatlichen Regeln nicht vereinbar.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass ein griechisches Unternehmen, Alcimos, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Einfrieren der Notkredite durch die EZB geklagt hat. Das Unternehmen war von den Beschränkungen des Zahlungsverkehrs betroffen, die dem Einfrieren der Notkredite folgten. Maßgebliches Argument der Klageschrift: Art. 14 Abs. 4 der Satzung des ESZB und der EZB gebe dem EZB-Rat nur dann das Recht, Notkredite einer nationalen Zentralbank an Geschäftsbanken zu untersagen, wenn diese im Konflikt stehen mit den Zielen der Geldpolitik des ESZB und der EZB. Ein solcher Konflikt liege aber nicht vor, wenn die Notkredite nur den Abzug der Einlagen bei den Geschäftsbanken kompensierten und die EZB selbst geldpolitisch expansiv vorgehe. Insofern die Vergabe von Notkrediten an die Solvenz der Geschäftsbanken gebunden sei, sollte der EZB-Rat an die Erkenntnisse der europäischen Bankenaufsicht gebunden sein.

Die Klage des griechischen Unternehmens macht deutlich, dass es in dieser Auseinandersetzung nicht nur um das Verhältnis der europäischen Institutionen zum griechischen Staat und zur griechischen Regierung geht, sondern auch darum, dass Personen und Unternehmen von den Entscheidungen der EZB betroffen sind. Nach dem Vertrag ist die EZB mitverantwortlich für das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme in der Eurozone. Aus Sicht des griechischen Unternehmens ist sie dieser Verantwortung nicht gerecht geworden, sondern hat ihre Macht über die Banken und das Geldsystem gebraucht, um die griechische Regierung unter Druck zu setzen. Das stehe im Widerspruch zu dem hier maßgeblichen Art. 14 Abs. 4 der Satzung des ESZB und der EZB.

Der Europäische Gerichtshof legt das Kriterium der Betroffenheit durch Entscheidungen europäischer Institutionen traditionell sehr restriktiv aus und wird daher möglicherweise die Klage des griechischen Unternehmens nicht zulassen. Allerdings hatte er bisher auch noch nicht mit Exekutiventscheidungen zu tun, deren unmittelbar identifizierbare Wirkungen auf indirekt betroffene Personen und Institutionen so einschneidend waren wie dies bei der Beschränkung des Zahlungsverkehrs der Fall ist. Auf Dauer wird sich die Frage nach dem Rechtsschutz bei solchen Entscheidungen nicht umgehen lassen. Und dieser kann nicht davon abhängen, ob die Betroffenen in München oder in Athen zu Hause sind.

©KOF ETH Zürich, 8. Dez. 2015

Martin Hellwig
Martin Hellwig, Jahrgang 1949, studierte Volkswirtschaftslehre und Geschichte an den Universitäten Marburg und Heidelberg (Diplom 1970) und dem Massachusetts Institute of Technology (Promotion 1973). Seine Forschungsinteressen gelten der Informationsökonomik, der Theorie der Finanzmärkte, Finanzinstitutionen und Corporate Governance sowie den Grundlagen der Geldtheorie und der Finanzwissenschaft (öffentliche Güter, Gebühren und Steuern).

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