Die freiheitliche Tradition der Schweiz im Umgang mit Waffen weicht derzeit mehr und mehr einer Regulierungs- und Verbotskultur. Argumentiert wird bei Verschärfungen des Waffenrechts jeweils mit einer angeblich höheren Sicherheit, die damit verbunden sei. Doch reduziert das Verbot des Besitzes oder des Tragens einer Waffe tatsächlich die Anzahl der Gewaltverbrechen? Bietet die Empfehlung «fliehen, verstecken, alarmieren» des Bundesamts für Polizei bei Attentaten hinreichenden Schutz für die Betroffenen? Und welche Rolle spielt ein liberales Waffenrecht bei der Aufrechterhaltung eines gesunden Machtgleichgewichts? Im Rahmen des LI-Gesprächs vom 11. Mai 2021 wurden diese Fragestellungen vertieft diskutiert. Einführend stellte LI-Direktor Olivier Kessler fest, dass es bei der Frage, ob
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Die freiheitliche Tradition der Schweiz im Umgang mit Waffen weicht derzeit mehr und mehr einer Regulierungs- und Verbotskultur. Argumentiert wird bei Verschärfungen des Waffenrechts jeweils mit einer angeblich höheren Sicherheit, die damit verbunden sei. Doch reduziert das Verbot des Besitzes oder des Tragens einer Waffe tatsächlich die Anzahl der Gewaltverbrechen? Bietet die Empfehlung «fliehen, verstecken, alarmieren» des Bundesamts für Polizei bei Attentaten hinreichenden Schutz für die Betroffenen? Und welche Rolle spielt ein liberales Waffenrecht bei der Aufrechterhaltung eines gesunden Machtgleichgewichts? Im Rahmen des LI-Gesprächs vom 11. Mai 2021 wurden diese Fragestellungen vertieft diskutiert.
Einführend stellte LI-Direktor Olivier Kessler fest, dass es bei der Frage, ob Bürger Waffen besitzen dürften, oftmals um mehr als nur Sicherheitsüberlegungen ginge. Eine grosse Rolle spiele auch das Machtverhältnis zwischen Staat und Bürgern. Diese Diskussion gehe weit zurück — bis ins Antike Griechenland: Platon habe mit einem aristokratischen Staatsmodell sympathisiert, an dessen Spitze Philosophenkönige herrschen sollten, also eine gebildete, qualifizierte Elite. Sein Idealstaat bestehe aus drei gesellschaftlichen Ständen: zuoberst die Philosophenkönige, in der Mitte die Krieger und Wächter, die alle auf Linie halten sollten, und zuunterst die Bauern und Handwerker, welche die Grundbedürfnisse der Gesellschaft wie Nahrung befriedigen sollten. Die Unterschicht habe nach Platon kein Recht, Waffen privat zu besitzen. Die Waffen sollten seiner Meinung nach vielmehr zentral in staatlichen Kasernen gelagert werden. Aristoteles auf der anderen Seite habe den Ständestaat Platons kritisiert: Die unbewaffnete Unterschicht, zu welcher die meisten Bürger gehörten, könne gar nicht anders, als zu Sklaven der Bewaffneten zu verkommen.
Bis und mit heute sei die Diskussion über das Recht auf Selbstschutz und Waffenbesitz den grundsätzlichen Linien gefolgt, die von Platon und Aristoteles vorgezeichnet wurden. Auf der einen Seite befänden sich jene, die eine zentralistische Regierung favorisierten, die all die Waffen und Macht besitzen soll, während das Volk aus wehrlosen Untertanen bestehe. Auf der anderen Seite befänden sich diejenigen, die eine begrenzte Regierung favorisierten, bei der die ganze Macht vom Volke ausgehe und die freien Bürger das Recht hätten, Waffen zu besitzen und zu tragen, um sich selbst und andere vor unrechtmässigen Angriffen zu schützen.
Sehen Sie sich hier die Einführung von Olivier Kessler als Video an:
In seinem Referat ging Lukas Joos, Philosoph und Osteuropahistoriker, auf die Bedeutung eines liberalen Waffenrechts für ein sicheres, pluralistisches und diskriminierungsfreies Zusammenleben ein. Es sei wichtig zu verstehen, dass eine Waffe lediglich ein Instrument sei: Es könne sowohl für das Böse, aber auch für das Gute eingesetzt werden. Waffen in den Händen von Verbrechern, psychisch Kranken oder Terroristen seien selbstverständlich sehr gefährlich. Gleichzeitig könne der private legale Waffenbesitz in den Händen von vernünftigen und gesetzestreuen Menschen sehr positive Effekte auf die Sicherheit und den Schutz der Grundrechte haben. Ein liberales Waffengesetz regle wie jedes andere Waffengesetz auch, wer Feuerwaffen erwerben, besitzen oder tragen dürfe. Ein wichtiges Ziel eines liberalen Waffenrechts sei nicht nur, dass es offensive Gewalt zur Verletzung von Grundrechten möglichst verhindern müsse, sondern auch dass es so wenig wie möglich die defensive Gewalt zum Schutz der Grundrechte verunmöglichen dürfe.
Lukas Joos vergleicht in seinem Referat die Sichtweisen der US-amerikanischen Bürgerlichen mit den meisten europäischen Bürgerlichen. In den USA messen die Bürgerlichen dem Recht, Waffen zu besitzen und zu tragen, eine wichtige Bedeutung zu. Das zentrale Argument dahinter sei, dass das Individuum auch in einem Rechtsstaat in der Lage sein müsse, sich unmittelbar gegen Grundrechtsverletzungen zu wehren, die einerseits durch Verbrecher und andererseits auch durch ein Abdriften des Staates in eine Tyrannei geschehen könnte. Europäische Bürgerliche hingegen messen dem Privatwaffengebrauch explizit keine Schutzfunktion zu. Der Staat habe in dieser Vorstellung das Gewaltmonopol und verwende dieses lediglich dazu, um die rechtschaffenen Bürger zu schützen. Dass sich ein Staat in einen Tyrannen verwandeln könne, halten sie für unwahrscheinlich oder ausgeschlossen. Eine solche Sichtweise sei historisch betrachtet jedoch reichlich naiv.
Sehen Sie sich hier das Referat von Lukas Joos als Video an:
Die darauffolgende Diskussion setzte sich unter anderem mit den Einwänden der Gegner eines liberalen Waffenrechts auseinander. Schwerpunktmässig beschäftigten sich Lukas Joos und Olivier Kessler mit der Frage, ob ein Recht auf ein verdecktes Tragen von Schusswaffen zu mehr oder weniger Sicherheit führen würde und welche Rolle ein liberales Waffenrecht bei der Aufrechterhaltung eines gesunden Machtgleichgewichts spielen könnte.
Sehen Sie sich hier die Diskussion als Video an:
11. Mai 2021