Europa wird heute geprägt durch die Zentralisierung und Konzentration politischer Macht auf Ebene der EU. Doch die Nationalstaaten Europas geraten auch von unten unter Druck: In Grossbritannien, Spanien oder Italien bemühen sich kleinere Gemeinschaften um einen Austritt aus den einheitlichen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts. Nicht zuletzt die andauernde Euro-Krise stellt die EU vor eine Bewährungsprobe. Auch die Schweiz beschäftigt sich intensiv mit nationaler Identität und Geschichte — sei es vor dem Hintergrund historischer Jubiläen oder angesichts der politisch umstrittenen Einwanderungsfrage. Das Verhältnis Schweiz-EU ist ohnehin ein Dauerbrenner der öffentlichen Debatte. Vor diesem Hintergrund lud das Liberale Institut zu einer Konferenz ein, welche die Rolle der Nationalstaaten
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Europa wird heute geprägt durch die Zentralisierung und Konzentration politischer Macht auf Ebene der EU. Doch die Nationalstaaten Europas geraten auch von unten unter Druck: In Grossbritannien, Spanien oder Italien bemühen sich kleinere Gemeinschaften um einen Austritt aus den einheitlichen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts. Nicht zuletzt die andauernde Euro-Krise stellt die EU vor eine Bewährungsprobe. Auch die Schweiz beschäftigt sich intensiv mit nationaler Identität und Geschichte — sei es vor dem Hintergrund historischer Jubiläen oder angesichts der politisch umstrittenen Einwanderungsfrage. Das Verhältnis Schweiz-EU ist ohnehin ein Dauerbrenner der öffentlichen Debatte. Vor diesem Hintergrund lud das Liberale Institut zu einer Konferenz ein, welche die Rolle der Nationalstaaten im 21. Jahrhundert kritisch beleuchtete.
In einem ersten Vortrag ging Erich Weede, Universität Bonn, auf die Zuwanderung als aktuelle Herausforderung des Nationalstaats ein, insbesondere vor dem Hintergrund des Zuzugs nicht-westlicher Migranten in westliche Gesellschaften. Die demokratisch-freiheitliche Ordnung, insbesondere die Wirtschaftsfreiheit, als Quelle von Wohlstand, Produktivität und Wirtschaftswachstum, bedinge demnach gewisse gemeinsame Werte, die ihre Legitimität und Akzeptanz untermauern. Nach Hayek seien eingespielte Traditionen und Verhaltenserwartungen sowie Normen eine bedeutende Grundlage freiheitlich organisierter Gesellschaften. Ein Nationalbewusstsein im Sinne geteilter Normen und Erwartungen könne daher zur Verteidigung einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung beitragen.
Entstünden jedoch nennenswerte Bevölkerungsanteile, die freiheitliche Werte in Frage stellten und an andere als freiheitliche gesellschaftliche und politische Institutionen gewohnt seien, könne es zur Krise einer liberalen Ordnung kommen. Das zunehmende Wachstum des Steuer- und Sozialstaats stelle vor diesem Hintergrund eine doppelte Bedrohung dar, da dieser die liberale Ordnung von innen untergrabe und zugleich Einwanderungsanreize setze und dabei von einer Integration in freiheitliche Institutionen und Normen abhalte. Die Politik verhalte sich in dieser Situation meist kontraproduktiv, da sie stets den eigenen Machtbereich ausweite — sei es durch einen stetigen Ausbau des empfangenden Sozialstaats oder durch eine umfassende Regulierung und Steuerung der Einwanderung.
Vortrag von Prof. Dr. Erich Weede:
«Die Zukunft der Nation und des Nationalstaates oder Migration als neue nationale Frage» (10 Seiten PDF)
In einem zweiten Vortrag ging Beat Kappeler auf den Nationalstaat als Zwangskörper und das Recht auf Sezession ein. Er bezeichnete die Entstehung zentral organisierter Nationalstaaten in Spanien, Frankreich und England im 15. Jahrhundert als historischen Irrweg, dem im Verlaufe der Geschichte zahlreiche europäische Nationen folgten, im 19. Jahrhundert auch Deutschland und die Schweiz. Der zentralisierte Nationalstaat festige seine Macht durch die Vereinheitlichung der Verwaltung, Armee, Sprache, Währung und Religion. Auch die ethnische Einheit gehöre zu dieser Idee. Die nationale Einheit bleibe jedoch eine Illusion, die zu überzogenem, mystifiziertem Nationalismus einerseits aber auch zu ständiger Abgrenzung und Sezessionsbestrebungen andererseits führe.
Kappeler stelle dem einheitlichen Nationalstaat die liberale Ordnung entgegen, in dem Bürger über gleiche Rechte verfügen und der Staat sich republikanisch organisiere, weltanschaulich aber neutral bleibe — und damit unabhängig von ethnischen, religiösen oder kulturellen Identitäten. Die Zivilgesellschaft bleibe vielfältig und privat. Vor diesem Hintergrund sei der Zentralismus der Europäischen Union als die Kontinuität eines Irrwegs zu betrachten. Ein zukunftstaugliches Konzept sei hingegen die Vielfalt und der Wettbewerb politischer Einheiten, möglicherweise sogar ein territorial überlappender Wettbewerb öffentlicher Dienstleistungen. Die Schweiz biete Spielraum, mit solchen Lösungen zu experimentieren.
Vortrag von Dr. h.c. Beat Kappeler:
«Die Nation als Zwangskörper, das Sezessionsrecht und eine europäische Föderation» (4 Seiten PDF)
Der Anlass war zugleich die Vernissage des jüngsten Bands der Edition Liberales Institut, «Europa — Die Wiederentdeckung eines grossen Erbes» (bestellbar ab Juni). LI-Direktor Pierre Bessard erklärte, dass dieser Band aufzeige, dass der Wert Europas nicht in der Bürokratisierung, der Zentralisierung, der Politisierung, der Sozialdemokratisierung oder der Verstaatlichung liege, sondern in der Verteidigung der individuellen Freiheit. Die weitgehend emotionale Idee der Nation und des Nationalstaats oder der verstaatlichten Nation werde mit Nüchternheit analysiert, was eine wichtige Leistung sei in einer Zeit, in der versucht werde, eine europäische Nation durch Regulierungen zu schaffen, und in der zugleich verschiedene mehr oder weniger natürliche nationale Gemeinschaften mit Sezession oder mindestens mehr Eigenständigkeit liebäugelten. Als traditionell nonzentral organisierter Staat jenseits der EU und als historisches und auch aktuelles Einwanderungsland habe die Schweiz in dieser Zeit wertvolle Impulse beizutragen.
17. April 2015