Summary:
Buchbesprechung:Robert J. Shiller: Narrative Economics – How Stories Go Viral and Drive Major Economic Events, Princeton University Press, 2019, Princeton, New Jersey.Robert J. Shiller beschreibt in seinem neuen Buch das Studium populärer Geschichten, die sich auf das individuelle und kollektive wirtschaftliche Verhalten auswirken, als „narrative economics“ („narrative Ökonomie“). Und dies hat seiner Ansicht nach das Potential, ...
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Buchbesprechung:
Robert J. Shiller: Narrative Economics – How Stories Go Viral and Drive Major Economic Events, Princeton University Press, 2019, Princeton, New Jersey.
Robert J. Shiller beschreibt in seinem neuen Buch das Studium populärer Geschichten, die sich auf das individuelle und kollektive wirtschaftliche Verhalten auswirken, als „narrative economics“ („narrative Ökonomie“).
Und dies hat seiner Ansicht nach das Potential, unsere Fähigkeit zu verbessern, die Schäden durch Finanzkrisen, Rezessionen, Depression und andere wirtschaftliche Grossereignisse vorherzusagen und besser anzupacken.
Was der an der Yale University lehrende Wirtschaftsprofessor dem Leser nahelegt, ist, die Ansteckung von Narrativen in die Wirtschaftstheorie einzubeziehen, damit wir die Veränderungen in der Wirtschaft und im ökonomischen Verhalten besser verstehen.
Der Terminus „narrative economics“ enthält zwei Elemente: (1) die mündliche Ansteckung von Ideen in Form von Geschichten und (2) die Bemühungen von Menschen, neue ansteckende Geschichten zu generieren oder Geschichten ansteckender zu machen.
Der Autor verwendet das Wort „narrative“ als Synonym für das Wort „story“.
Die ersten 100 Seiten des Buches, die als Einführung in das Thema dienen, wo die historischen Zusammenhänge des wirtschaftlichen Geschehens mit zahlreichen Fussnoten erläutert werden, mit der Betonung, dass narrative Epidemien Krankheitsepidemien nachahmen, sind komplex und schwer zu lesen. Der Rahmen ist aber nicht ganz unbekannt, da bereits Keynes in seinen Schriften via „animal spirit“ ausdrücklich darauf hingewiesen hatte.
Wichtig ist zudem, wahrzunehmen, dass die Ansteckungsrate einer Geschichte von der zugrunde liegenden Wahrheit nicht beeinflusst wird. Forscher haben beispielsweise herausgefunden, dass falsche Geschichten auf Twitter die sechsfache re-Tweeting-Rate haben als wahre Geschichten.
Shiller nimmt öfters auf seine früheren Bücher Bezug, sodass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, als ob das Subjekt das Steckenpferd des Autors wäre. Shiller hat allem Anschein nach während seiner ganzen akademischen Kariere am Thema „narrative economics“ gearbeitet.
Der spannendste Teil des Buches (Part III) beinhaltet die „neun immer währenden Wirtschaftserzählungen“ (economic narratives):
Panik gegen Vertrauen.
Sparsamkeit versus auffälligen Konsum.
Goldstandard versus Bimetallismus.
Arbeitssparende Maschinen ersetzen viele Jobs.
Automatisierung und künstliche Intelligenz ersetzen fast alle Jobs. Immobilien booms und busts.
Börsenblasen.
Boykotte, Profiteure und böse Geschäfte.
Die Lohnpreis-Spirale und die bösen Gewerkschaften.
Wenn man z.B. die Zeitungen des 20. Jahrhunderts nach zeitgenössischen Erklärungen für beginnende Rezessionen durchsucht, stellt man fest, dass sich die meisten Gespräche eher auf Frühindikatoren als auf ultimative Ursachen beziehen.
Zum Beispiel neigen Ökonomen dazu, die Zentralbank-Politik oder Vertrauensindizes oder den Stand nicht verkaufter Lagerbestände zur Sprache zu bringen. Auf die Frage, was die Veränderungen in diesen Frühindikatoren verursacht hat, schweigen sie jedoch normalerweise.
Wir müssen also „formale Ansteckungsmodelle (models of contagion) in Wirtschaftsmodelle integrieren, argumentiert Shiller.
Ein Problem bei der Verwendung von Erzählungen (narratives) zur Vorhersage wirtschaftlicher Variablen besteht darin, dass das menschliche Urteilsvermögen und der Diskurs über Erzählungen tendenziell politisiert und emotionsgeladen sind.
Mit der modernen IT können Ökonomen nun selbst Daten zu wirtschaftlichen Narrativen und ihren wesentlichen Bedeutungselementen sammeln, ohne sich zu sehr auf die Worte zu konzentrieren, und sie können die Übermittlung von Narrativen modellieren, so Shiller.
Wenn wir die quantitative Genauigkeit beibehalten, können wir narrative Epidemien zu einem Teil der Wirtschaftswissenschaft machen, hält Shiller fest.
Die Hilfe von Psychoanalytikern und Philosophen kann sogar erforderlich sein, um das Verhalten und das Denken von Menschen besser zu verstehen.
Ein tiefgreifendes Buch, ohne Zweifel ein Standardwerk.
Robert J. Shiller: „Narrative Economics”, Princeton University Press, Oct 2019.