Angesichts des fortschreitenden demographischen Wandels und der zunehmenden interregionalen und auch internationalen Standortkonkurrenz müssen sich Städte immer wieder neu erfinden. In diesem Zusammenhang entschied sich Weimar relativ früh, den Weg einer sogenannten "Consumer City" zu gehen. Dabei vernachlässigt sie jedoch die Förderung von Hightech-Industrien und modernen Unternehmensdienstleistungen. Bislang war Weimar damit zwar erfolgreich, inwieweit dies jedoch auch in Zukunft der Fall sein wird, zeigt dieser Beitrag.
Topics:
Florian Bartholomae considers the following as important:
This could be interesting, too:
Swiss National Bank writes New on the website 1970-01-01 01:00:00
Dirk Niepelt writes “Report by the Parliamentary Investigation Committee on the Conduct of the Authorities in the Context of the Emergency Takeover of Credit Suisse”
Investec writes Federal parliament approves abolition of imputed rent
investrends.ch writes Novo Nordisk Studie bringt Absturz
Angesichts des fortschreitenden demographischen Wandels und der zunehmenden interregionalen und auch internationalen Standortkonkurrenz müssen sich Städte immer wieder neu erfinden. In diesem Zusammenhang entschied sich Weimar relativ früh, den Weg einer sogenannten “Consumer City” zu gehen. Dabei vernachlässigt sie jedoch die Förderung von Hightech-Industrien und modernen Unternehmensdienstleistungen. Bislang war Weimar damit zwar erfolgreich, inwieweit dies jedoch auch in Zukunft der Fall sein wird, zeigt dieser Beitrag.
Viele deutsche Städte sind von Bevölkerungsrückgang und wirtschaftlichem Niedergang betroffen (Bartholomae et al. 2016). Insbesondere trifft dies auf zahlreiche ostdeutsche Städte zu (Halle, Suhl, Cottbus, Schwerin). Bartholomae et al. (2017a) führen dies insbesondere darauf zurück, dass nach der Wiedervereinigung keine rechtzeitige und reibungslose Umstellung von der traditionellen Fertigung hin zu innovationsgetriebenen Hightech-Industrien und modernen unternehmensorientierten Dienstleistungen stattgefunden hat. Oder mit anderen Worten, ein Teil der ostdeutschen Städte befindet sich nach wie vor in einem schmerzlichen wirtschaftlichen Transformationsprozess, während ein anderer Teil bereits unter den Symptomen der strukturellen Krise leidet – hohe Arbeitslosigkeit und stetige Abwanderung von Bevölkerung. Die daraus resultierenden finanziellen Engpässen im Fiskalhaushalt gefährden die Aufrechterhaltung der lokalen Infrastruktur und der Lebensqualität in den schrumpfenden Städten Ostdeutschlands, wie die Beispiele Suhl, Halle und Schwerin schon zeigen.
Aber nicht für alle ostdeutschen Städte ist die Situation bedrohlich. Großstädte wie Dresden und Leipzig konnten den Strukturwandel erfolgreich bewältigen und auch mittelgroße Städte wie Jena und Rostock bieten attraktive Arbeitsplätze in modernen Industrien und verfügen über hochwertige Bildungs- und Forschungseinrichtungen, die zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung dieser Städte beigetragen haben. Zwar haben auch Cottbus, Halle und Schwerin versucht, ihren postindustriellen Transformationsprozess zu festigen und sich als moderne Industriestädte zu etablieren, sind allerdings bisher mit ihren Bemühungen, ihre frühere Industriestärke und ihr Knowhow besser zu nutzen, gescheitert.
Weimars Wandel zur “Consumer City”
Weimars Strategie zur Stadterneuerung stellt sich hier vollkommen anders dar. Vor allem aufgrund ihrer bedeutenden Geschichte, die sie auf ein reiches kulturelles Erbe und eine lange künstlerische Tradition blicken lässt, hat sich Weimar entschlossen, den Weg einer “Consumer City” einzuschlagen, die sich vor allem durch ihre besonderen Vorzüge (Wirkungsstätte von Goethe, Schiller, Liszt und der Bauhaus-Bewegung) hinsichtlich der Ausrichtung auf Ambiente, Kultur, Wohn- und Lebensqualität bestimmt (Glaeser/Gottlieb, 2006). Tabelle 1 verdeutlicht, wie Weimar alle Stadtentwicklungsprogramme auf dieses Ziel konsequent und nachhaltig ausrichtet. Weimar lässt sich heute mit vielen einprägsamen Etiketten beschreiben wie etwa “Residenzstadt”, “Kultur- und Museumsstadt”, “Touristenattraktion” und “Universitätsstadt”.
Tabelle 1: Ausgewählte Stadtentwicklungsprogramme in Weimar
Quelle: Bartholomae et al. (2017b)
Diese strategische Ausrichtung von Weimar war bislang auch sehr erfolgreich, wie die aufgezeigte Entwicklung in Abbildung 1 verdeutlicht: Während bis etwa 2007 Weimar als reiner “Bevölkerungsmagnet” zu sehen war (Bevölkerungszuwachs trotz wirtschaftlichem Schrumpfen, Bartholomae et al., 2017a), hat sich der Trend nun auch beim Wirtschaftswachstum umgedreht, sodass Weimar sich nun als wachsende Stadt darstellt. Weimar konnte somit die komparativen Vorteile ihres kulturellen Erbes (insbesondere der Weimarer Klassizismus und die Bauhaus-Bewegung) nutzen und mithilfe eines spezifischen, zielgerichteten kulturellen Entwicklungsplans, in Kombination mit den bundesdeutschen Stadterneuerungs- und Modernisierungsprogrammen seit Anfang der 1990er Jahre (siehe auch Bartholomae et al., 2016, Tabelle 2), das Wiederaufleben der Stadt als “Consumer City” bewerkstelligen.
Abbildung 1: Entwicklung des realen BIP (in Preisen von 2010) und der Bevölkerung von Weimar
Quelle: Bartholomae et al. (2017b)
Zukunftsfähigkeit von Weimar als “Consumer City”
Das positive Bild trübt sich allerdings, wenn man einzelne bereits vorherrschende Entwicklungen in die Zukunft fortschreibt. So zeigen zwar aktuelle Migrationsbewegungen, dass es zu einer positiven Nettozuwanderung der Alterskohorte zwischen 18 und 25 Jahren kommt, die aber hauptsächlich durch den Zuzug der Studierenden der beiden ansässigen Universitäten – Bauhaus Universität und Hochschule für Musik Franz Liszt – zu erklären ist. Sobald das Studium abgeschlossen ist verlässt die produktive Alterskohorte (25 bis 50 Jahre) Weimar jedoch wieder. Lediglich bei den über 50-Jährigen ist wieder eine positive Zuwanderung zu beobachten. Dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen, sodass die offizielle Bevölkerungsprognose bis 2035 von einer schrumpfenden und alternden Stadtgesellschaft ausgeht.
Ein Vergleich mit dem benachbarten Jena, das eine andere Stadterneuerungsstrategie verfolgt, relativiert den Erfolg von Weimar weiter. Die angesprochene Bevölkerungsprognose verspricht Jena einen leichten Bevölkerungszuwachs und eine im Schnitt jüngere Bevölkerung als Weimar. Auch die wirtschaftliche Entwicklung stellt sich deutlich eindrucksvoller dar. Während das reale BIP von Weimar zwischen 1991 und 2014 um 39% wuchs, erzielte Jena eine Steigerung um 95%. Abbildung 2 zeigt auf, wodurch sich diese unterschiedliche Entwicklung der beiden thüringischen Städten erklären lässt. Der Vergleich zeigt, dass Weimar ihrer Rolle als “Consumer City”, insbesondere durch ihren höheren Beschäftigungsanteil im Unterhaltungs- und Erholungssektor (R-U) sowie im Gastgewerbebereich, gerecht wird. Demgegenüber arbeiten nur 2,1% in der Informations- und Kommunikationsbranche (J) und damit deutlich weniger als in Jena (3,7%). Zusätzlich weist Jena eine höhere Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe (C) sowie bei modernen Unternehmensdienstleistungen (K-N) auf. Ein interessantes Bild zeigt sich auch im öffentlichen Bereich: Die Erhöhung der Mitarbeiterzahl in der Bauhaus-Universität seit 2009 um mehr als 50% führt dazu, dass mittlerweile beide Hochschulen fast ein Drittel der Gesamtbeschäftigung im O-Q-Sektor stellen – Weimars Etikett als “Universitätsstadt” ist damit nicht übertrieben.
Abbildung 2: Vergleich der Beschäftigungsstruktur in Weimar und Jena (2016)
Quelle: Bartholomae et al. (2017b)
Diversifikation der Wirtschaftsstruktur für zukünftigen Erfolg
Damit Weimar dauerhaft und nachhaltig ihren wirtschaftlichen Erfolg beibehalten kann, ist neben der reinen Ausrichtung auf die Belange einer “Consumer City”, und somit der Verfolgung einer konsumorientierten Strategie, die Erweiterung um eine produktionsorientierte Strategie erforderlich. Wie ein Vergleich mit anderen schnell wachsenden Städte in Deutschland zeigt (Bartholomae et al. 2016), kann die Verbesserung von Innovation, Kreativität und Produktivität – die drei traditionellen Treiber von städtischem Wirtschaftswachstum – am einfachsten durch Konzentration und Vernetzung einer großen Anzahl an Hightech-Industrien und modernen Produktionsdienstleistungen (einschließlich Ingenieurs-, Beratungs- und IT-Dienstleistungen) im Stadtgebiet erreicht werden.
Es gibt mehrere Gründe, warum eine solche optimale Mischung von produktions- und konsumorientierten Stadtentwicklungsstrategien zu empfehlen ist. Insbesondere der Vergleich der Entwicklung des realen BIP von Weimar mit Jena zeigt die zunehmenden wirtschaftlichen Disparitäten, die darauf hindeuten, dass sich eine stärkere Konzentration auf moderne Industriebereiche und Produktionsdienstleistungen positiv auf die Stadterneuerung und das langfristige Wachstum auswirken. Zwar versucht Weimar seit langem, ihr Wirtschaftswachstum durch Anziehung von Hightech-Industrien und die Unterstützung bei Unternehmensneugründungen zu fördern, allerdings sind diese Bemühungen bislang wenig erfolgreich, da der Anteil der Beschäftigung bei Produktions- und Geschäftsdienstleistungen relativ niedrig ist (Abbildung 2). In diesem Zusammenhang gewinnt das Kooperationsprojekt zur Schaffung des regionalen Technologiedreiecks Erfurt-Jena-Weimar (Tabelle 1) zunehmend an Bedeutung für die Entwicklung und Koordination der regionsspezifischen F&E- und Innovationsaktivitäten, von denen sich Weimar auch weitere Agglomerationsvorteile erhofft. Durch Agglomeration steigen schließlich die Einnahmen (und damit auch die Konsumausgaben) von F&E-, Innovations- und Kreativberufen wie Künstlern, Ingenieuren, Finanzmanagern und IT-Experten, während die städtischen und kulturellen Vorzüge zugleich mehr junge, dynamische und kreative Menschen mit starkem Unternehmertum anziehen.
Bislang fehlt es in Weimar an dieser gewünschten “kreativen und produktiven” Bevölkerungsstruktur. Im Gegenteil, die anhaltende Abwanderungstendenz von dynamischen und gut qualifizierten Arbeitskräften zwischen 25 und 30 Jahren ist weitgehend auf Schwierigkeiten bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz in der Stadt zurückzuführen. Diese negative demographische Entwicklung kann den Haushalt von Weimar schwer belasten, da etwa die höheren öffentlichen Ausgaben für die lokale Gesundheitsinfrastruktur (für die zuziehenden über 50-Jährigen) mit gleichzeitig geringeren Steuereinnahmen bewältigt werden müssen. Letztlich sind produktions- und konsumorientierte Stadtentwicklungsstrategien eng miteinander verbunden, sodass nur eine ausgeglichene und diversifizierte städtische Wirtschaft zukünftigen Herausforderungen nachhaltig gewachsen sein wird.
Literatur
Bartholomae, Florian W./Nam, Chang Woon/Schoenberg, Alina M. (2016): Schrumpfende Städte in Deutschland: Ursachen und Strategien zur Bewältigung der Probleme, Ökonomenstimme vom 30.12.2016
Bartholomae, Florian W./Nam, Chang Woon/Schoenberg, Alina M. (2017a): Urban Shrinkage and Resurgence in Germany, Urban Studies 54, 2701-2718.
Bartholomae, Florian W./Nam, Chang Woon/Schoenberg, Alina M. (2017b): Urban Resurgence as a Consumer City: A Case Study for Weimar in Eastern Germany, CESifo Working Paper No. 6610, München.
Glaeser, Edward L./Gottlieb, Joshua D. (2006): Urban Resurgence and the Consumer City, Urban Studies 43, 1275-1299.
©KOF ETH Zürich, 9. Nov. 2017