Der hervorragende amerikanische Wirtschaftshistoriker Robert Higgs warnte eingehend vor dem Ratchet-Effekt des Staatsinterventionismus. Auf Deutsch könnte man ihn auch den „Sperrklinkeneffekt“ nennen. Ein Zahnrad mit Sperrklinke lässt sich leicht in eine Richtung drehen, aber nach dem Einrasten der Klinke gibt es kein Zurück. So ähnlich ist es mit Staatseingriffen auch. Higgs entwickelte die Theorie in seinem Buch Crisis and Leviathan, das bereits 1987 veröffentlicht wurde.[1] In diesem Buch stellt er die wichtige Frage, wie der amerikanische Staat, der konzipiert war als streng limitierter Minimalstaat mit wenigen und klar abgegrenzten Kompetenzen, im 20. Jahrhundert zum größten und mächtigsten Zentralstaat der Erde werden konnte. Seine Analyse basiert auf
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Der hervorragende amerikanische Wirtschaftshistoriker Robert Higgs warnte eingehend vor dem Ratchet-Effekt des Staatsinterventionismus. Auf Deutsch könnte man ihn auch den „Sperrklinkeneffekt“ nennen. Ein Zahnrad mit Sperrklinke lässt sich leicht in eine Richtung drehen, aber nach dem Einrasten der Klinke gibt es kein Zurück. So ähnlich ist es mit Staatseingriffen auch.
Higgs entwickelte die Theorie in seinem Buch Crisis and Leviathan, das bereits 1987 veröffentlicht wurde.[1] In diesem Buch stellt er die wichtige Frage, wie der amerikanische Staat, der konzipiert war als streng limitierter Minimalstaat mit wenigen und klar abgegrenzten Kompetenzen, im 20. Jahrhundert zum größten und mächtigsten Zentralstaat der Erde werden konnte. Seine Analyse basiert auf alten, aber häufig vergessenen Einsichten.
Am 14. März 1794 schrieb James Madison an Thomas Jefferson: „Aber Sie verstehen das Spiel hinter dem Vorhang zu gut, um den alten Trick nicht zu erkennen, jede Eventualität in eine Ressource für die Anhäufung von Macht in der Regierung zu verwandeln.“[2] Higgs vertiefte diese Einsicht und zeigt, dass, aller Weitsicht und Warnungen der Gründerväter zum Trotz, der amerikanische Zentralstaat zum monströsen Leviathan wurde. Aber was genau hat das möglich gemacht?
Higgs bietet keine monokausale Erklärung an. Es ist nicht ein einzelner Faktor, der die schier unaufhörliche Machtanhäufung des Staates hervorbringt. Es ist vielmehr eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Dabei ist das Warum genauso interessant wie das Wie. Staatsmacht wächst nämlich nicht gleichförmig, sondern in Schüben. Sie wächst in Not- und Krisensituationen, in echten sowie eingebildeten, und insbesondere dann, wenn der ideologische Nährboden für mehr Etatismus bereits vorher bestellt wurde.
Dass der herrschenden Ideologie bzw. der öffentlichen Meinung eine tragende Rolle zukommt, ist nicht verwunderlich. Auch Ludwig von Mises hat das betont: Selbst der übergriffigste Staat muss zumindest von einer kritischen Mehrheit der Bevölkerung toleriert werden. Daher kommt der gezielten Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und der Propaganda eine besondere Bedeutung zu. Aber auch die beste Propaganda ist Nebensache, solange sich die Menschen in ihrem Dasein wohlfühlen. Es braucht eine Krise, eine Notsituation, eine gefühlte Bedrohung. Dann erst ist die Bevölkerung empfänglich für Veränderungen. Dann erst rastet die Sperrklinke ein.
Andererseits führen auch Krisen allein nicht zwingend zu mehr Staatsmacht. Sie sind vielleicht eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung. Wenn die ideologische Vorarbeit nicht weit genug vorangeschritten ist, dann verstreicht eine Krise auch mal ungenutzt. Das wird sehr schön am Beispiel der amerikanischen Wirtschaftskrise von 1893 bis 1896 illustriert. Der damalige Präsident Grover Cleveland, ein klassisch Liberaler, wurde von verschiedenen Interessengruppen unter Druck gesetzt, eine Einkommenssteuer und Arbeitslosenhilfe einzuführen, sowie den Goldstandard abzuschaffen und eine Zentralbank zu installieren. Cleveland und seine Mitstreiter wehrten sich erfolgreich gegen diese Maßnahmen. Dies war nur deshalb möglich, weil das ideologische Klima in den USA für derartige Maßnahmen noch nicht reif war.
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Aber natürlich wurden beizeiten alle diese Maßnahmen umgesetzt. Die ersten allgemeinen Einkommenssteuern[3] wurden 1913 erhoben. Sie beliefen sich auf 1% für jährliche Einkommen über 3,000$[4] und es gab einen Steueraufschlag von 6% für Einkommen über 500,000$. Im gleichen Jahr kam es zur Gründung des amerikanischen Zentralbankensystems. Eine Reihe von aus heutiger Sicht kleinen Finanzkrisen war dazu notwendig. Die ersten öffentlichen Arbeitslosenhilfen wurden während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren eingeführt. Zur endgültigen Auflösung des Goldstandards[5] brauchte es zwei Weltkriege, eine Weltwirtschaftskrise, zahlreiche kleinere Krisen, sowie die gravierenden Engpässe bei der Goldreservehaltung der FED Anfang der 1970er Jahre, die u.a. durch die eigene inflationäre Finanzierung des Krieges gegen die vermeintliche Bedrohung des Kommunismus in Vietnam herbeigeführt wurden.
Während all dieser Krisen stieg die Steuerlast der amerikanischen Bevölkerung an. Zur Finanzierung des Eintritts in den Ersten Weltkrieg stieg der Spitzensteuersatz auf Einkommen bis auf 77%. Danach fiel er graduell zurück auf 24%. Während der Weltwirtschaftskrise machte er einen erneuten Sprung auf 68%. Am Ende des Zweiten Weltkriegs lag er gar bei 94%. Die Gesamtsteuerlast fiel nach Ende einer jeden Krise wieder, aber üblicherweise nicht ganz zurück auf das Ursprungsniveau. Genau das ist der Sperrklinkeneffekt. Eine Kompetenz oder Macht, die sich der Staat aneignet, gibt er nur widerwillig zurück, und üblicherweise niemals ganz. Die amerikanische Staatsquote stieg so insgesamt nach verschiedenen gängigen Maßen zwischen 1900 und 1980 um einen Faktor von 3 bis 6. Dieser Trend hat seither angehalten.
Dabei sind aber die quantifizierbaren Elemente der Machtaneignung des Staates nur ein Teil dessen, was wirklich von Bedeutung ist. Einschränkungen der bürgerlichen und wirtschaftlichen Freiheit durch Verbote und Regulierungen können für den Einzelnen ebenso schwer wiegen wie eine Steuer, auch wenn wir ihr Gewicht nicht objektiv messen können. Und auch in diesen Bereichen entfaltet der Sperrklinkeneffekt seine volle Wirkung.
Reguliert der Staat erst einmal in einen Bereich des bürgerlichen Lebens hinein, so schafft er wirtschaftliche Abhängigkeiten, die es erschweren, die Regulierungen zurückzuschrauben. Diese Abhängigkeiten sind vielschichtig. Bei steuer- oder inflationsfinanzierten Subventionen und Umverteilung entstehen sie natürlich auf der Empfängerseite. Man stellt sich auf den warmen Geldregen ein.
Abhängigkeiten entstehen aber auch bei jeder Art von Intervention und Regulierung im Staatsapparat selbst. Die Bürokratie, die aufgebaut wird, um die Staatsmaßnahmen durchzuführen und zu koordinieren, schafft Arbeitsplätze und somit Abhängigkeit vom Erhalt und Ausbau der Staatsmacht.
Vor diesem Hintergrund können die gegenwärtigen Freiheitsbeschränkungen zur Bekämpfung einer vermeintlich gefährlichen Viruserkrankung den kritischen Beobachter nur trübe stimmen.[6] Auch hier wird der Sperrklinkeneffekt seine hässliche Fratze zeigen. Umso mehr, als dass der Staat einer ideologisch eingelullten und infantilen Gesellschaft gegenübersteht. Viele sehen sich wie Kinder außerstande, einer Gefahr selbstbestimmt entgegenzutreten bzw. aus dem Weg zu gehen. Sie sind unfähig oder unwillig, eine eigenverantwortliche Risikoabwägung zu treffen. Der ideologische Nährboden war selten fruchtbarer für wachsenden Staatspaternalismus.
Mit einem Blick auf die Geschichte des Staatsinterventionismus, wie sie Higgs für den Fall der USA vorgelegt hat, kann man sich getrost darauf verlassen, dass einige der „temporären“ Maßnahmen gegen die Ausbreitung eines Virus auf nicht absehbare Zeit unsere bürgerlichen Freiheiten einschränken werden. Auch hier gilt Milton Friedmans Lebensweisheit: „Nichts ist so permanent wie ein temporärer Staatseingriff.“
Und dennoch ist Fatalismus ein schlechter Ratgeber. Sich vor diesen Entwicklungen zu ergeben, beschleunigt sie nur. Die Einschränkungen der Freiheit sind möglich, weil sie hingenommen werden. Wer sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass hier etwas falsch läuft, sollte sie ablehnen, seinen Widerspruch äußern und ihnen im Rahmen der eigenen Möglichkeiten entgegentreten. Nur so bleibt der Freiheit eine Gasse.
[1] Higgs (1987): Crisis and Leviathan: Critical Episodes in the Growth of American Government. Oxford University Press. Für eine ausgezeichnete Zusammenfassung in Englischer Sprache siehe : https://www.independent.org/publications/books/summary.asp?id=101
[2] Im Original lesen wir: „ […] but you understand the game behind the Curtain too well not to perceive the old trick of turning every contingency into a resource for accumulating force in the Government.“
[3] Es gibt eine Ausnahme. Während des amerikanischen Sezessionskrieges wurde bereits einmal eine Art Einkommenssteuer erhoben.
[4] Randnotiz: Nach offizieller Inflationsmessung entspräche dieser Betrag heute einem Jahreseinkommen von 79,800$. Darunter fiel keine Einkommenssteuer an.
[5] Das System von Bretton Woods nach dem Zweiten Weltkrieg ist mitnichten ein echter Goldstandard gewesen. Dennoch waren 35 US Dollar formal als wertgleich zu einer Unze Gold definiert. Es konnten allerdings nur andere Regierungen und Zentralbanken Dollarreserven in Gold bei der FED eintauschen. Der einfache Bürger konnte es nicht.
[6] Für eine ausführliche politökonomische Analyse, sei an dieser Stelle auf die aktuelle Studie von Philipp Bagus, Antonio Sánchez-Bayón und José Antonio Peña-Ramo beim Liberalen Institut verwiesen: Covid-19 und die politische Ökonomie der Massenhysterie.
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