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Wenn das Hufeisen zum Kreis wird

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Photo: Jeev7882 from Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0) Wer hat’s gesagt? Es war einmal so einfach. Als normal politisch interessierter Mensch, der mit einem Auge die wichtigsten Debatten verfolgte, konnte man schon anhand einiger Schlüsselwörter die Parteizugehörigkeit von Politikern identifizieren. Oder zumindest deren ideologische Ecke erraten. „Soziale Gerechtigkeit“ hieß SPD, „Werte und Familie“ CDU, und „die Wirtschaft“ besetzte die FDP. Nun haben wir schon lange kein Dreiparteiensystem mehr. Und auch die ideologischen Frontlinien werden diffuser. Spielen wir also eine Runde „Wer hat‘s gesagt“ mit zwei Zitaten von aktuellen deutschen Politikern. Beide Zitate produzieren abstrakte Feindbilder und setzen auf das Instrument Angst. Angst vor der globalen wirtschaftlichen Elite das eine:

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Photo: Jeev7882 from Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Wer hat’s gesagt?

Es war einmal so einfach. Als normal politisch interessierter Mensch, der mit einem Auge die wichtigsten Debatten verfolgte, konnte man schon anhand einiger Schlüsselwörter die Parteizugehörigkeit von Politikern identifizieren. Oder zumindest deren ideologische Ecke erraten. „Soziale Gerechtigkeit“ hieß SPD, „Werte und Familie“ CDU, und „die Wirtschaft“ besetzte die FDP. Nun haben wir schon lange kein Dreiparteiensystem mehr. Und auch die ideologischen Frontlinien werden diffuser.

Spielen wir also eine Runde „Wer hat‘s gesagt“ mit zwei Zitaten von aktuellen deutschen Politikern. Beide Zitate produzieren abstrakte Feindbilder und setzen auf das Instrument Angst. Angst vor der globalen wirtschaftlichen Elite das eine: „Die neoliberale Ideologie, die (…) Staaten zu Wurmfortsätzen global agierender Konzerne gemacht hat, entzieht den Volkswirtschaften dringend benötigtes Investitionskapital und senkt in den westlichen Industrienationen die Löhne zugunsten der Kapitalrendite“. Angst vor „Überfremdung“ das andere: „Ich finde, es sollte keine Stadtviertel geben, wo die Einheimischen in der Minderheit sind und es sollte keine Schulklassen geben, in denen mehr als die Hälfte der Kinder kaum Deutsch spricht. Ganz davon abgesehen, dass wir dringend Regeln brauchen, die verhindern, dass Zuwanderer in unserem Arbeitsmarkt als Lohndrücker missbraucht werden können.“

Wer hat’s gesagt?

Linke und Rechte spielen Bäumchen wechsel dich

Folgt man traditionellen Argumentationsmustern, dann wären beide Zitate klar auf einer der beiden Seiten des politischen Hufeisens anzusiedeln. Das erste Zitat der linken Seite, denn es schürt die Angst vor einer ungehemmten globalen Wirtschaftselite, die auf Kosten von Otto Normalbürger exorbitante Profite mache. Das zweite Zitat würde man hingegen dem rechten Lager zuordnen. Hier bezieht sich das Gruppendenken nicht auf die Zugehörigkeit zur „Arbeiterklasse“ sondern auf das völkische „Deutschsein“ und dessen Bewahrung vor äußeren Einflüssen.

Tatsächlich stammen beide Zitate von Vertretern von Parteien, die den äußeren Rand des politischen Spektrums besetzen. Eines vom Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke und das andere von der ehemaligen Linken-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Sarah Wagenknecht. Allerdings spielen Wagenknecht und Höcke „Bäumchen wechsel dich“. Nicht etwa Höcke schürt in diesem Fall die Angst vor „Überfremdung“ und der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, sondern Wagenknecht. Dafür gibt Höcke, und nicht Wagenknecht, den Arbeiterführer und Kämpfer gegen den globalen Neoliberalismus.

Das Hufeisen schließt sich dort, wo die offene Gesellschaft verachtet wird

Das sollte nur auf den ersten Blick überraschen. Denn Wagenknecht und Höcke teilen ein Feindbild: die offene Gesellschaft. Leider ist der Begriff „offene Gesellschaft“ mittlerweile zur Plattitüde verkommen, die ebenso wie „soziale Marktwirtschaft“ oder „Mitte“ beliebige Wahlprogramme und Parteitagsreden ziert. Dabei war derjenige, der das Konzept der offenen Gesellschaft beschrieben und geprägt hat, keinesfalls uneindeutig. Karl Popper sah in der offenen Gesellschaft nichts Geringeres als die Manifestation menschlicher Zivilisation: „Wir können wieder zu Bestien werden. Aber wenn wir Menschen bleiben wollen, dann gibt es nur einen Weg, den Weg in die offene Gesellschaft.“

Was genau damit gemeint ist, lässt sich am besten mit Blick auf Poppers Verständnis der „geschlossenen Gesellschaft“ versehen. Diese ähnelt für Popper „immer einer Herde oder einem Stamm; sie ist eine halborganische Einheit, deren Mitglieder durch halbbiologische Bande, durch Verwandtschaft, Zusammenleben, durch die Teilnahme an gemeinsamen Anstrengungen, gemeinsamen Gefahren, gemeinsamen Freuden und gemeinsamem Unglück zusammengehalten werden“.

Die offene Gesellschaft ist ausgerichtet auf das selbstverantwortliche und kritische Individuum. Von ihm verlangt Popper vernünftiges Rebellentum in dem Sinne, dass es Obrigkeitsinstitutionen und Gruppendenken stets kritisch hinterfrage. Die geschlossene Gesellschaft hingegen bedeutet die „Rückkehr zur Kindheit“, in der wir „uns auf andere verlassen und auf diese Weise glücklich“ sind.

Würden sie in einem Parlament auch möglichst weit voneinander entfernt sitzen, im Stammesdenken können sich Wagenknecht und Höcke wunderbar treffen. Da macht es nur einen geringfügigen Unterschied, ob der Stamm völkisch oder durch die vermeintliche Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse definiert ist. Hauptsache es gibt ein möglichst einfaches Freund-Feind-Schema. Vor diesem Hintergrund ist es gar keine Überraschung, dass das vom Meinungsforschungsinstitut INSA simulierte Antreten einer „Liste Wagenknecht“ zur nächsten thüringischen Landtagswahl vor allem die AfD schwächen würde. Die Feinde der offenen Gesellschaft brauchen nur einen möglichst abstrakten Gegner, in dessen Angesicht man sich in den warmen Schoß der eigenen Kultführer flüchten kann. Da spielt es keine große Rolle mehr, ob es gegen Konzerne oder Syrer geht, und ob der Anführer Wagenknecht oder Höcke heißt.

Liberale sollten sich als vernünftige Punks begreifen

Aus diesen Betrachtungen könnten Liberale zwei wichtige Lehren ziehen. Das Hauptproblem, das dem deutschen Liberalismus attestiert wird, ist mangelnder Sexappeal. Und das ist nicht mal falsch, wenn man die Hufeisentheorie nutzt, um sich in der politischen Landschaft zu verordnen. Da verkommt der Liberalismus zwischen den mehr oder minder extremen Ausprägungen von Links und Rechts zur bedeutungslosen und langweiligen „Mitte“. Dabei sollte das liberale Selbstverständnis vielmehr das eines vernünftigen Punks sein. Eines friedlichen Rebells, der sich gegen die Feinde der offenen Gesellschaft wendet. Der seine Wurzeln im Widerstand und nicht im Establishment hat. Für den es weder links noch rechts „natürliche Verbündete“ gibt und der sich auch nicht auf dem Links-Rechts-Spektrum bis zur Unkenntlichkeit zermalmen lässt, sondern sich über die Opposition zum Kollektivismus definiert.

Und es verdeutlicht, wie wichtig es ist, den Verlockungen einer Politik der geschlossenen Gesellschaft zu widerstehen. Wenn liberale Politiker versuchen, mit Stammesparolen und Herdenideologie neue Wählergruppen zu erschließen, dann ist das weder verzeihbarer Ausrutscher noch taktische Klugheit. Es ist der Verrat am Prinzip der offenen Gesellschaft.

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