Photo: Patrick Nouhailler from Flickr (CC BY-SA 2.0) Wenn man dem Phänomen selbstklebender Aktivisten gerecht werden möchte, kommt man weder mit Applaus noch mit Empörung wirklich weiter. Hinter den drastischen Aktionen steckt eine Sehnsucht nach Lebenssinn. Darauf brauchen wir als Liberale Antworten. Die Öko-Hooligans sind kein neues Phänomen Die Dramatik ist überwältigend, wenn Kunstwerken von Weltrang auf den Leib gerückt wird und wenn der eigene Körper in Gefahr gebracht wird. Doch so richtig neu ist das nicht. Dass gerade junge Menschen so viel Empörung und Wut verspüren, dass sie bürgerliche Norm, Recht und Gesetz und bisweilen sogar Leib und Leben geringachten, ist so alt wie das Politische. Es ist ein immer wiederkehrendes Phänomen: Die Sons of Liberty mit der Boston Tea Party, die
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Wenn man dem Phänomen selbstklebender Aktivisten gerecht werden möchte, kommt man weder mit Applaus noch mit Empörung wirklich weiter. Hinter den drastischen Aktionen steckt eine Sehnsucht nach Lebenssinn. Darauf brauchen wir als Liberale Antworten.
Die Öko-Hooligans sind kein neues Phänomen
Die Dramatik ist überwältigend, wenn Kunstwerken von Weltrang auf den Leib gerückt wird und wenn der eigene Körper in Gefahr gebracht wird. Doch so richtig neu ist das nicht. Dass gerade junge Menschen so viel Empörung und Wut verspüren, dass sie bürgerliche Norm, Recht und Gesetz und bisweilen sogar Leib und Leben geringachten, ist so alt wie das Politische. Es ist ein immer wiederkehrendes Phänomen: Die Sons of Liberty mit der Boston Tea Party, die Burschenschaften im 19. Jahrhundert, die 68er-Bewegung und die jüngsten Protestbewegungen von Thailand über Iran bis Chile. Insofern sind die Öko-Hooligans wirklich keine außergewöhnliche Erscheinung. Auch die apokalyptische Dimension, die sie ihrem Anliegen geben, ist wahrlich keine intellektuelle Innovation. Die Stimmung etwa, die in der westlichen Kulturszene vor dem Ersten Weltkrieg herrschte, war in weiten Teilen von Perspektivverlust und Untergang bestimmt. Ähnliche Schwingungen waren in der Dark Wave und Gothic-Szene in den 1980er Jahren zu spüren.
Es gibt viele Gründe, warum sich junge Menschen in so eine Sache hineinsteigern: Hunger und Not, Reformstau sklerotischer Regime, gesellschaftliche Veränderungen … Häufig hat die Wut mit unmittelbar erfahrbarem Erleben zu tun, ob es um das Leiden unter repressiven Moralvorstellungen geht oder um die Verweigerung von Mitbestimmung. Nun ist das Thema des menschengemachten Klimawandels natürlich durchaus sehr konkret. Das merkt man nicht mehr nur an Statistiken: Das kann man sehen beim Blick auf die Alpengletscher oder in dir Reportage aus Pakistan. Jetzt gerade ist allerdings vermutlich keine einzige der Aktivistinnen von den Veränderungen betroffen. Die Dramatik spielt sich vor allem in ihrem Kopf ab, in der (gut begründeten) Phantasie. Man sieht die Apokalypse kommen, auch wenn man noch nicht selber drinsteckt. Das macht vielleicht ihre Nähe zu den Menschen an der Schwelle zum Ersten Weltkrieg aus: man riecht gewissermaßen das Giftgas noch ehe es in der Produktion ist.
Radikalität ist das Ergebnis von Sinnsuche
Es ist für viele Menschen verwunderlich, wenn Vorahnung und Phantasie ausreichen, um Menschen so stark zu radikalisieren. Und entsprechend sind auch viele der Reaktionen auf die pittoresken bis kriminellen Protestformen. Im Angesicht der Aggression gegenüber Kunst ist der weitverbreitete Zorn gegenüber den Protestlern voll nachvollziehbar – erst recht bei der Störung von Rettungsfahrzeugen und anderen lebenswichtigen Transporten. Aber dieser Zorn wird dem Phänomen nicht beikommen. Stattdessen muss man sich Mühe geben, zu verstehen, warum gut ausgebildete, saturierte Bewohner der reichsten Länder der Welt die ganze ultima-ratio-Klaviatur hoch und runter spielen.
Es gehört zu den einzigartigen psychischen Dispositionen des Menschen, dass wir in unseren Gedanken etwas sehr Abstraktes formulieren können, das wir mit dem Begriff des Sinns beschreiben. Dieses Konstrukt ist wohl der stärkste Motor des Menschen jenseits der Überlebens- und Fortpflanzungstriebe. Schon kleine Kinder weigern sich, Tätigkeiten auszuführen, deren Sinn sich ihnen nicht erschließt. Dieser Sinn kann freilich in den unterschiedlichsten Formen auftreten und sich im Laufe eines einzelnen Menschenlebens auch erheblich ändern. Weil Sinnsuche oder gar Sinnverlust enorm frustrierende Erfahrungen sind, haben sich im Lauf der Evolutionsgeschichte standardisierte Sinnangebote herausgebildet, auf die man unkompliziert zurückfallen kann. Diese Angebote sind aber auch fragil. Da sie nicht individuell erarbeitet wurden, sind sie viel schneller kritisierbar. Ob Religion, Politik, Wissenschaft – wenn man sich mal ein Herz gefasst hat, ist das gar nicht so schwer, die sinnstiftende Funktion der Systeme zu hinterfragen. Die Neuzeit ist voll von solchen Dekonstruktionsversuchen: von dem Theologen Abaelard im 12. Jahrhundert über Voltaire bis zu Gender Studies.
Der menschengemachte Freiheitswandel ist real
Damit kommt man aber dann auch mitunter ganz schön ins Schwimmen. Wo findet man noch eine Befriedigung des Sinnhungers, wenn man – oft mit einer gehörigen Portion Snobismus und im Gestus der Überlegenheit – überkommene Sinnangebote kritisiert, lächerlich gemacht und dekonstruiert hat? Der Ökonom und Politikwissenschaftler James M. Buchanan beschrieb in seinem Essay „Die Furcht vor der Freiheit“, welche Auswege der menschliche Geist sich dann so sucht. Im nachaufklärerischen 19. Jahrhundert zum Beispiel: „der Nationalismus, das Gespür für das Nation-Sein, wurde zu einem mehr oder weniger natürlichen Auffangbecken für die Gefühle jener Menschen, denen Gott abhandengekommen war.“ Was dem Pennäler des Jahres 1872 sein markiges Gedicht gegen den Franzosen ist der Umweltaktivistin heute ihre Sekundenklebertube: die Möglichkeit, dem eigenen Leben einen übergeordneten Sinn zu geben.
Buchanan hat in besagtem Beitrag aus dem Jahr 2005 aber auch den Finger in unsere eigene offene Flanke gelegt, wenn er feststellt, dass „der klassische Liberalismus auf einzigartige Weise darin versagt hat, den Menschen eine wie auch immer geartete psychologische Sicherheit zu geben, die den Verlust des religiösen Glaubens kompensieren könnte.“ Eine identitäre Bewegung auf der Rechten, die Ungleichheitskämpfer auf der Linken und die Klimakleber im radikalen Ökomilieu bieten Sinnstiftung. Und wir? Wir bieten oft nicht mehr als nüchterne Erklärungen über Marktmechanismen, empathiebefreite Besitzansprüche und Redefreiheitforderungen. Wir geben uns nicht nur keine Mühe, die Sinnhaftigkeit unserer Werte und Überzeugungen zu begründen. Oft sehen wir noch nicht einmal die Notwendigkeit dazu. Wenn der Liberalismus standhalten will; wenn er Menschen wieder begeistern will, dann muss er schnellstens damit anfangen. Der menschengemachte Freiheitswandel ist nämlich auch eine sehr reale Gefahr. Das beste Mittel dagegen wäre, wenn es uns gelänge, suchenden Menschen ein Sinnangebot zu machen, das sie nicht ablehnen wollen.