Photo: Wonderlane from Flickr (CC BY 2.0) In gebotener Feierlichkeit eröffnete das 736 Personen starke Parlament diese Woche den 20. Bundestag. Dass die Abgeordneten ihr Gewicht und ihre zentrale Bedeutung für unsere Demokratie über den Festtag hinaus ausspielen werden, ist unwahrscheinlich. Denn wir leben mit einem Systemfehler. Die verdeckten Kosten zusätzlicher Abgeordneter Gerade ist das Thema einmal wieder in aller Munde: Der Bundestag ist aufgebläht. Das kann man durchaus so sehen. In den Vereinigten Staaten vertritt eine Abgeordnete fast sieben Mal so viele Bürger wie in Deutschland, in Brasilien vier und in Japan zwei Mal so viele. Pro Kopf sind die Parlamente Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und der Niederlande freilich ähnlich ausgelegt wie das deutsche. Und gerade kleinere
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In gebotener Feierlichkeit eröffnete das 736 Personen starke Parlament diese Woche den 20. Bundestag. Dass die Abgeordneten ihr Gewicht und ihre zentrale Bedeutung für unsere Demokratie über den Festtag hinaus ausspielen werden, ist unwahrscheinlich. Denn wir leben mit einem Systemfehler.
Die verdeckten Kosten zusätzlicher Abgeordneter
Gerade ist das Thema einmal wieder in aller Munde: Der Bundestag ist aufgebläht. Das kann man durchaus so sehen. In den Vereinigten Staaten vertritt eine Abgeordnete fast sieben Mal so viele Bürger wie in Deutschland, in Brasilien vier und in Japan zwei Mal so viele. Pro Kopf sind die Parlamente Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und der Niederlande freilich ähnlich ausgelegt wie das deutsche. Und gerade kleinere Länder wie Österreich und Schweiz haben noch stärker „aufgeblähte“ Volksvertretungen mit mehr als zwei Mal so vielen Abgeordneten pro Bürgerin. Die Debatte um die Kosten eines größeren Parlaments ist freilich Augenwischerei: die paar Millionen mehr sind wahrlich Peanuts. Viel stärker fallen da schon die zusätzlichen Kosten ins Gewicht , die indirekt auf die Steuerzahler zukommen, wenn ein Parlament wächst:
Denn nicht jeder Abgeordnete kann im Haushalts- oder Verkehrsausschuss unterkommen oder Sprecherin für Europapolitik werden. Irgendwie muss man die vielen Parlamentarier beschäftigt halten. Und so entstehen neue Posten, neue Zuständigkeiten, neue Ideen, neue Forderungen, neue Gesetzesvorhaben, neue Projekte. Die regulatorischen und finanziellen Kosten, die diejenigen Abgeordneten verursachen, die sich nicht den Kernaufgaben des Gesetzgebers widmen, sind erheblich. Anders als die unmittelbaren Kosten, die eine Abgeordnete verursacht, verschwinden diese irgendwo im Bundeshaushalt. Man wird sehen, wie sich diesbezüglich die Tatsache auswirkt, dass mehr als jeder dritte (38 %) der Abgeordneten neu im Hohen Haus ist. Man kann nur hoffen, dass sie nicht zu schnell kreativ werden …
Parlamente: Der Sieg des Arguments über die Gewalt
Doch nun endlich zum Systemfehler. Das ist schließlich ein starker Begriff und mithin ein heftiger Vorwurf. Als die ersten Parlamente der Neuzeit entstanden – zunächst in Polen-Litauen, dann in Großbritannien, den USA und irgendwann auch hierzulande – hatten sie vor allem eine zentrale Aufgabe: die Mächtigen überwachen und im Schach halten. In ihnen manifestierte sich der Sieg des Arguments gegenüber der Gewalt. Selbst knallharte Autokratien und Diktaturen wie Iran, Russland, Kuba und die Volksrepublik China geben vor, der jeweiligen Exekutive ein Gegengewicht zu gewährleisten. Diese Beispiele machen schmerzhaft deutlich: Die pure Existenz eines solchen politischen Körpers bedeutet noch nicht, dass er auch tut, wozu er gedacht ist.
Auch in den stabilen freiheitlich-demokratischen Staaten dieser Zeit ist wahrlich nicht ausgemacht, dass die Abgeordneten mit Argusaugen über die Freiheiten, Rechte und Penunzen der Bürger wachen. Durch die Nähe von Exekutive und Legislative verschwimmen diese beiden Sphären – sehr zugunsten der Ersteren. Es sind die uralten Verlockungen der Macht: Einfluss, Ämter, Ansehen; und nicht zu unterschätzen: die Möglichkeit, endlich durchgreifen und das Richtige tun zu können. Am Ende sind die Abgeordneten dazu da, die Regierung zu stützen wie eine Mischung aus Bodyguards und Cheerleadern. Oder – wenn sie zum anderen Team gehören: um einen Dauerbeschuss der Kritik in Gang zu bringen, völlig unabhängig davon, ob sie die Maßnahmen und Ideen wirklich für so falsch halten.
Parlamentarier brauchen das Rebellen-Gen
Dieses Denken in Team-Kategorien stärkt die Hierarchien und Befehlsketten der Parteien. Die meisten Politiker wollen im Laufe ihrer Karriere irgendwann auf der Regierungsbank landen und nicht als die ewig nörgelnden Kritikaster im Fegefeuer der Opposition ausharren müssen. Darum hält man zusammen und die Klappe. Von Klein auf lernt man als heranwachsende Politikerin, dass der eigene Standpunkt eines der größten Hindernisse auf dem Weg zum eigenen Erfolg sein kann. Ohne das zu beabsichtigen, tragen zahllose Abgeordnete durch ihr Verhalten dazu bei, dass die Macht gegenüber dem Argument wieder an Boden gewinnt. Wer den Dissens im eigenen Lager vermeidet, wer die Zustimmung zum guten Vorschlag des Gegners unter den Tisch fallen lässt, wer den Gegner mit anderem Maße misst als das eigene Team, trägt dazu bei, das Grundprinzip des Parlaments zu erodieren.
„Opposition ist Mist“ – das kann die Person sagen, die gerne ins Kanzleramt einziehen oder auf einem Ministersessel Platz nehmen möchte. In einer Demokratie sollte die Mehrheit der Parlamentarier aber eine natürliche Neigung zur Opposition haben. Das ist übrigens nicht das gleiche wie Postengeschacher und innere Kannibalisierung, wie es uns in den letzten Monaten vor Augen geführt wurde. Opposition funktioniert sehr gut mit Respekt und Anstand. Gerade weil es ja nicht darum gehen sollte, um jeden Preis für ein Team und gegen ein anderes zu kämpfen. Das bessere Argument sollte zählen. Dazu braucht es einen Kulturwandel, zu dem auch wir Wähler beitragen können. Nehmen Sie sich doch in dieser neuen Legislaturperiode ab und zu Zeit, um unseren Abgeordneten Feedback zukommen zu lassen – unabhängig von deren Parteizugehörigkeit. Ermutigen Sie diejenigen, die eigene Positionen vertreten. Stärken Sie denen den Rücken, die ihrer ursprünglichsten Aufgabe nachkommen: Dem Argument Raum zu schaffen gegenüber der Gewalt. Ja, selbst dann, wenn Sie das konkrete Argument nicht teilen.