Photo: Wikimedia Commons (CC 0) Wenige Denker haben einen so prägenden Einfluss auf die Debatten der letzten zwei Jahrhunderte ausgeübt wie der gestern vor 250 Jahren geborene Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Die Gesamtbilanz ist katastrophal. Und das hat sehr viel zu tun mit Sprache … Stichwortgeber für totalitäre Ideologien Die unreflektierte Begeisterung vieler Deutscher für den Staat und seine ordnenden Funktionen ist ein langanhaltendes Phänomen. Vom Ur-Deutschen Luther („so ergibt sich der rechte Christ aufs allerwilligste unter des Schwertes Regiment, zahlt Steuern, ehrt die Obrigkeit“) über Otto von Bismarck („Nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden sondern durch Eisen und Blut.“) bis zu Rolf Mützenich („der Staat muss hier
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Wenige Denker haben einen so prägenden Einfluss auf die Debatten der letzten zwei Jahrhunderte ausgeübt wie der gestern vor 250 Jahren geborene Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Die Gesamtbilanz ist katastrophal. Und das hat sehr viel zu tun mit Sprache …
Stichwortgeber für totalitäre Ideologien
Die unreflektierte Begeisterung vieler Deutscher für den Staat und seine ordnenden Funktionen ist ein langanhaltendes Phänomen. Vom Ur-Deutschen Luther („so ergibt sich der rechte Christ aufs allerwilligste unter des Schwertes Regiment, zahlt Steuern, ehrt die Obrigkeit“) über Otto von Bismarck („Nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden sondern durch Eisen und Blut.“) bis zu Rolf Mützenich („der Staat muss hier viel stärker auch letztlich wieder ein Gewicht entwickeln“). Es findet sich aber wohl niemand, der so pointiert formulierte wie Hegel, der den Staat für „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ hielt, und der überzeugt war: „es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der Staat ist“.
Der pietistische Beamtensohn aus Stuttgart war eine Quelle der Inspiration für die unterschiedlichsten politischen Theoretiker. Mitunter sogar für ausgemachte Liberale wie Max Stirner und Benedetto Croce. Vor allem aber bezogen sich auf ihn Vordenker der verheerenden totalitären Ideologien, die seit dem späten 19. Jahrhundert die Menschheit heimsuchen und unvorstellbares Elend über die Welt gebracht haben. Marx, Engels und Lenin natürlich. Aber auch jemand wie Giovanni Gentile, der Chef-Ideologe des italienischen Faschismus. Der österreichische Philosoph Karl Popper – nach Arthur Schopenhauer Hegels unbarmherzigster Gegner – geht davon aus, dass „fast alle wichtigeren Ideen der modernen, totalitären Richtungen direkt von Hegel übernommen“ wurden. Er zählt darunter den Nationalismus; Krieg als erstrebenswerter Naturzustand; Kollektivismus; das Ideal des Führers; und eine Idealisierung des Heldentums.
Der Staatsphilosoph und die Sternzeichen
Dass sich so verfeindete Bewegungen wie der Faschismus und der Kommunismus gleichermaßen auf den „preußischen Staatsphilosophen“ berufen konnten, hat viel damit zu tun, dass er eine – vorsichtig formuliert – herausfordernde Sprache pflegt. Karl Popper bezeichnete Hegels komplizierte Art zu formulieren als „eine unerschöpfliche Quelle von Verwirrung“, die „jene giftgeschwängerte intellektuelle Zeitkrankheit erzeugte, die ich orakelnde Philosophie nenne.“ Mit anderen Worten: Hegels Werke sind wie die Horoskope aus der Brigitte: Sie sind so schwammig formuliert, dass jeder etwas darin finden kann, worin er sich bestätigt fühlen kann. Einen Sprachkünstler erster Güte wie Schopenhauer und einen präzisen und stocknüchternen Wissenschaftler wie Popper treibt das natürlich auf die Bäume. Denker mit tiefgründigen und weltumstürzenden Ideen finden in „jener eigentümlichen Kunst des Wortemachens“ (Popper) freilich eine nie versiegende Quelle der Inspiration.
Der Intellektuelle, und ganz besonders der Philosoph, hat eine enorme Verantwortung. Wie Friedrich August von Hayek in seinem Werk „Mißbrauch und Verfall der Vernunft“ von 1952 schrieb: „ich zweifle, ob es möglich ist, den Einfluß zu überschätzen, den Ideen auf lange Sicht haben.“ Das vielfarbige Feuerwerk, das Hegel in seinen Schriften gezündet hat, und in dem Menschen unterschiedlichster Prägung genau das wiederfinden können, was sie selber denken, hat einen solchen langfristigen Einfluss gehabt. Auch wenn der brave Gelehrte selber wohl kaum beabsichtigt hatte, den verschiedenen Totalitarismen Vorschub zu leisten: die Büchse der Pandora hat er mit großem Vergnügen und einer gehörigen Portion Selbstgefälligkeit weit geöffnet.
Das Jetzt als Maß aller Dinge
Aus dieser Büchse krochen nicht nur große Geißeln der Menschheit, sondern in ihrem Schatten entfleuchten auch mancherlei kleinere Übel, die heute noch die offene Gesellschaft untergraben. Zum Beispiel die Vorstellung, „auf der Höhe der Zeit zu sein“. Nun ist das Vertrauen auf die segensreichen Wirkungen des Fortschritts auch für freiheitlich gesinnte Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres Sets an Überzeugungen. Doch Denker wie Adam Ferguson, Lord Acton oder Isaiah Berlin haben Zivilisation stets als einen Prozess des Lernens begriffen, so dass sich zu viel Selbstsicherheit nicht nur verbietet, sondern dem Fortschritt selbst im Wege steht. In Hegels Logik hingegen wird der Status Quo zum Gipfelpunkt und Maßstab für alles. Kommt uns nicht gerade aus den Debatten unserer Tage bekannt vor, was Popper schildert? „Alles, was denen sicher zu sein scheint, deren Vernunft sich auf dem laufenden befindet, ist damit auch wahr. Wer auf dem laufenden ist, der braucht nur an eine Doktrin zu glauben; diese ist dann per Definition wahr.“
Die zum Teil hochemotionalen Diskurse, die wir heute führen, finden oft in völlig abgeschlossenen Sprachräumen statt: ob es um Klima oder Corona, Migration oder Polizeigewalt geht. Einer der Faktoren, die zu dieser Unfähigkeit geführt haben, miteinander überhaupt zu sprechen, ist die „orakelnde Philosophie“. Wenn ohnehin keine eindeutigen Aussagen mehr getroffen werden müssen, um auf hohem Niveau „Wissenschaft“ zu betreiben, dann wird damit eine Entwicklung in Gang gesetzt, die zersplitterte Sprachghettos befördert. Man spricht nur noch zu den eigenen Leuten in verklausulierter Sprache, die innerhalb der kleinen Gruppen sofortige Zustimmung erhält. Wer diesen Sprachcode nicht akzeptiert, der wird dann oft nicht nur als Außenseiter wahrgenommen und als irrelevant eingestuft, sondern nicht selten auch als falsch oder böse dargestellt.
Raus aus den Sprach-Festungen!
Die Sprachlosigkeit, mit der sich unsere westlichen Gesellschaften immer häufiger konfrontiert sehen; die Unfähigkeit, einander zuzuhören, hängt auch damit zusammen, dass sich keiner mehr darum bemüht, für andere verständlich zu sein. In seinem Essay „Wider die großen Worte“ von 1971 schreibt Popper: „Jeder Intellektuelle hat eine ganz spezielle Verantwortung. Er hat das Privileg und die Gelegenheit, zu studieren. Dafür schuldet er es seinen Mitmenschen (oder ‚der Gesellschaft‘), die Ergebnisse seines Studiums in der einfachsten und klarsten und bescheidensten Form darzustellen.“
In Hegels Werken und vor allem seinem Nachwirken hat sich der von ihm wie von Goethes Zauberlehrling herbeibeschworene Weltgeist in unzählige Auseinandersetzungen hineingespukt und ein echtes Fortkommen durch seine Verneblungen verunmöglicht. Wir kämpfen in unserer Zeit nicht mehr mit den blutigen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Aber es bleibt immer noch eine große Herausforderung, uns aus der dialektischen Spirale zu befreien, die Menschen unter den Kategorien „gut“ und „böse“, „falsch“ und „richtig“ gegeneinander in Stellung bringt. Es wird wirklich bedrohlich, wenn sich diese Dialektik mit einer Aufspaltung in Sprachräume verbindet, die nicht mehr nur den Diskurs verweigern, sondern irgendwann auch die Fähigkeit dazu verlieren. Trotzen wir dieser Entwicklung im Kleinen und bemühen wir uns, einander wieder zuzuhören und miteinander zu sprechen – einfach, klar und bescheiden.