Photo: New York National Guard from Flickr (CC BY-ND 2.0) Der moderne Liberalismus gilt vielen als der Inbegriff für Gefühlskälte und Überrationalisierung. Dabei fußt er wie keine andere Ideenwelt auf Mitgefühl und Empathie. Dass das anders wahrgenommen wird, liegt jedoch nicht nur an der Ignoranz seiner Gegner. Nun sag, wie hast Du`s mit dem Mitgefühl? Ist das der wunde Punkt für den Liberalen wie es die Religion für den orientierungslosen Dr. Faustus ist? Die weitverbreitete Meinung ist wohl, dass sich der Liberalismus ebenso an den Teufel verkauft hat wie einst Goethes Dramaprotagonist; an einen Teufel, der Profitgier propagiert und Kaltherzigkeit zur Maxime erklärt. Man spricht dann von „Manchester-Liberalismus“ und projiziert verschmutzte Industriestädte in die Köpfe. Mit Fabriken,
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Photo: New York National Guard from Flickr (CC BY-ND 2.0)
Der moderne Liberalismus gilt vielen als der Inbegriff für Gefühlskälte und Überrationalisierung. Dabei fußt er wie keine andere Ideenwelt auf Mitgefühl und Empathie. Dass das anders wahrgenommen wird, liegt jedoch nicht nur an der Ignoranz seiner Gegner.
Nun sag, wie hast Du`s mit dem Mitgefühl?
Ist das der wunde Punkt für den Liberalen wie es die Religion für den orientierungslosen Dr. Faustus ist? Die weitverbreitete Meinung ist wohl, dass sich der Liberalismus ebenso an den Teufel verkauft hat wie einst Goethes Dramaprotagonist; an einen Teufel, der Profitgier propagiert und Kaltherzigkeit zur Maxime erklärt. Man spricht dann von „Manchester-Liberalismus“ und projiziert verschmutzte Industriestädte in die Köpfe. Mit Fabriken, in denen vormals glückliche Selbstversorger bis zum Umfallen von ihren kapitalistischen Herren geknechtet werden. Oder man bemüht das Feindbild des Neoliberalismus mit seinen drei heiligen Tugenden: Privatisierung, Sozialstaatsabbau, Steuersenkungen. Echtes Teufelszeug! Hier wäre jetzt die Stelle, an der Liberale in ihre übliche Lamentation verfallen: Unverstanden in einer Welt voller Gefühlsdusel, die die einfachsten ökonomischen Zusammenhänge nicht begreifen. Oder aber wir nehmen die besinnliche Weihnachtszeit zum Anlass, einmal zu hinterfragen, was wir selbst zum katastrophalen Bild des Liberalismus beitragen.
Die Bürde des Dagegenseins
Auf dem sinnbildlichen politischen Marktplatz nimmt der Liberalismus eine merkwürdige Rolle ein. Der Liberale ist vor allem dagegen. Alle anderen warten mit prächtigen und bunt geschmückten Marktständen auf, die sich mit kreativen Politikvorschlägen gegenseitig übertreffen. Hinzu kommt, dass man den Liberalismus auch nicht wirklich einordnen kann. Üblicherweise lässt er sich nicht auf dem klassischen Links-Rechts-Schema verorten. Übereinstimmungen mit Konservativen, Grünen und Sozialdemokraten sind dem Zufall geschuldet und nicht grundsätzlicher Ideenüberschneidung. Sozialdemokraten und (grüne) Konservative gleichermaßen glauben fest daran, dass eine gute Gesellschaftsordnung „das Ergebnis der ständigen Aufmerksamkeit der Staatsmacht“ sei, wie es Hayek in „Why I am not a Conservative“ formuliert. Der Liberalismus fußt dagegen auf der grundlegenden Erkenntnis, dass der Mensch imperfekt ist (Mark Pennington), dass er niemals über genügend Informationen verfügt (Friedrich August von Hayek) und sich im Zweifel opportunistisch verhält (Elinor Ostrom). In der Folge verfolgt der Liberalismus eine durch und durch anti-autoritäre Agenda. Die sich daraus ergebenen Institutionen sind solche, die dem Individuum möglichst wenig Macht über andere geben.
Dem Liberalen ist der Werkzeugkasten der anderen ein Graus: Besteuern, Enteignen, Überwachen, Regulieren, Beaufsichtigen, Beurteilen, Erziehen, Anstupsen, Verbieten und Begünstigen. Der Liberale bevorzugt einen Staat, der nur das Allernötigste tut und vieles am besten gar nicht. Mit seiner Maxime der Eigenverantwortung wird der Liberale in die Position des distanzierten Non-Konformisten gedrängt. Das stellt den Liberalismus von ein gewaltiges Kommunikationsproblem. Egal ob Staatshilfen für liebgewonnene Traditionsunternehmen, Entwicklungshilfe oder Verbote schädlicher Konsumgüter. Es ist schwer zu vermitteln, wie man es ablehnen kann, dass der Staat den Menschen „hilft“. Und hier muss man vielen freiheitlich denkenden Menschen eine gewisse Hilflosigkeit attestieren. Denn anstatt auf Empathie zu setzen, ist oft zu beobachten, wie markwirtschaftliche und freiheitliche Argumente in der Fremdscham-Ecke enden. Dann schlägt begründeter Non-Konformismus in eine generelle und überhebliche Ablehnungskultur um, die hauptsächlich darauf aus ist, das Gegenüber zu schocken: à la „seht her, was für prinzipientreuer Typ ich doch bin!“.
Der Liberalismus hat ein Tugendproblem
„Wenn jeder an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht“: es ist solcher neunmalkluge Infantilismus, der dem Liberalismus den größten Schaden zufügt. Denn wer so denkt, verwechselt die Unparteilichkeit des Staates mit persönlicher Unbeteiligtheit. Wer das Individuum zum Primat der Politik erklärt, der muss sich auch im Privaten daran messen lassen. Aus der anti-autoritären Politik-Agenda des Liberalismus müssen im Umkehrschluss Mitgefühl und Empathie im Privaten folgen. Zumindest, wenn man wie die meisten Vordenker von Adam Smith über Max Weber bis Robert Nozick der Überzeugung ist, dass wir Menschen sind, für die solche Werte zentrale Bedeutung haben. Damit ist jedoch nicht „mitfühlender Liberalismus“ das Ziel, sondern „mitfühlende Liberale“. Denn ein „mitfühlender Liberalismus“ verwechselt das Mitgefühl zwischen zwei Individuen mit gegenstandslosem kollektivem. Sollen die Ideen von Freiheit und Marktwirtschaft wieder jene Anziehungskraft entfalten wie im 19. und 20. Jahrhundert, müssen Liberale ihre persönlichen Tugenden mehr in den Vordergrund rücken und sie auch leben. Kurzum: Der Liberalismus braucht mehr Lametta.
Genügend historische und aktuelle Vorbilder gibt es allemal. Der große Adam Smith, der regelmäßig auf die „unsichtbare Hand“ reduziert wird, gründete seine gesamte Ethik auf der von ihm beobachteten Fähigkeit, ja Neigung, sich in andere hinein zu versetzen. Was er „Sympathie“ nennt, bezeichnen wir heute als Empathie. Und Empathie ist unschätzbar wertvoll und unverzichtbar für eine Gesellschaft, die auf individuelle statt auf kollektive Solidarität setzt. In eine ähnliche Kerbe schlägt die US-amerikanische Ökonomin Deidre McCloskey, die das Fortschritts- und Wohlstandswunder der letzten 200 Jahre (die berühmte „Hockey Stick Curve“) nicht nur auf gute Institutionen, sondern vor allem auch auf die „bürgerlichen“ Tugenden zurückführt. Aber es geht nicht nur um persönliche Handlungen, sondern auch um durchdachte Begründungen. Liberale der Gegenwart wie McCloskey, John Tomasi, Peter Boettke oder Johan Norberg beschäftigen sich intensiv mit der moralischen Begründung liberaler Politik. Kern ihrer Argumente ist es, die Nutzenmaximierung nichts zur Tugend zur erheben, sondern als Mittel zum Zweck zu begreifen.
Liberalismus als Politik für die Schwachen und Unterdrückten
Es ist an der Zeit, dass sich Liberale das wieder aneignen: Der Liberalismus vertritt vor allem die Sache der Schwachen und Unterdrückten. Dem Liberalen ist der Korporatismus, das Geklüngel von Staat und Unternehmen, ebenso ein Dorn im Auge wie vielen Linken. Und dem Liberalen ist der Umverteilungs- und Planungsdrang der Linken ebenso ein Dorn im Auge wie manchem Konservativen. Wer bereits mächtig und vermögend ist, der kann den Staat für seine Zwecke nutzen. Liberale Ordnungen nützen dagegen vor allem denjenigen auf der Welt (und auch im eigenen Land), die noch nicht unseren sagenhaften Wohlstand erlangt haben, die nach wirtschaftlicher Freiheit ächzen. Und es sind die Milliarden von Menschen, die nicht frei ihre Meinung äußern oder sich politisch betätigen können ohne um ihre Existenz oder gar ihr Leben fürchten zu müssen, die sich nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sehnen.
Mit den Worten von Deidre McCloskey:
„With an open mind and a generous heart, dears, I believe you will tilt towards a humane true liberalism. Welcome, then, to a society held together by sweet talk rather than by violence.”
Weiterführende Links und Buchempfehlungen für die Weihnachtszeit:
… über die grundlegenden Überzeugungen des klassischen Liberalismus:
„Robust Political Economy“ von Mark Pennington
… über die Tugenden des Liberalismus:
„Free Market Fairness“ von John Tomasi
“The Bourgeois Virtues: Ethics for an Age of Commerce” von Deidre McCloskey
… zur Begründung eines “humanitären” Liberalismus:
Pete Boettke auf der Website unseres Think-Tank Partners Foundation for Economic Education