Photo: Lars Plougmann from Flickr (CC BY-SA 2.0) Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus. Deutschland 2005, Belgien 2010-2011, USA 2013, Spanien 2016: Auch in etablierten Demokratien kommt es vor, dass Regierungen zeitweise einen erheblichen Teil ihrer Kompetenzen verlieren oder sich ganz auf repräsentative Tätigkeiten beschränken müssen. Dafür kann es verschiedene Gründe geben: In Spanien verhindert politischer Streit seit Dezember 2015 die Regierungsbildung. Periodisch droht vor den Haushaltsverhandlungen in den USA der
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Photo: Lars Plougmann from Flickr (CC BY-SA 2.0)
Von Dr. Alexander Fink, Universität Leipzig, Senior Fellow des IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues und Kalle Kappner, Promotionsstudent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Research Fellow bei IREF, Fackelträger von Prometheus.
Deutschland 2005, Belgien 2010-2011, USA 2013, Spanien 2016: Auch in etablierten Demokratien kommt es vor, dass Regierungen zeitweise einen erheblichen Teil ihrer Kompetenzen verlieren oder sich ganz auf repräsentative Tätigkeiten beschränken müssen. Dafür kann es verschiedene Gründe geben: In Spanien verhindert politischer Streit seit Dezember 2015 die Regierungsbildung. Periodisch droht vor den Haushaltsverhandlungen in den USA der „government shutdown“, die Stilllegung aller nicht-essentiellen Regierungsbehörden – 2013 mussten tatsächlich einige Behörden ihre Arbeit einstellen. Nach den belgischen Wahlen 2010 musste die Vorgängerregierung 589 Tage lang kommissarisch im Amt bleiben, da im fragmentierten Parlament keine Mehrheit gefunden werden konnte. Auch in Deutschland stellte nach dem Misstrauensvotum im Juli 2005 die rot-grüne Koalition unter Schröder die Regierungsgeschäfte praktisch ein, bis ein halbes Jahr später die Regierung Merkel gebildet wurde.
Kommentatoren warnen in solchen Situationen regelmäßig davor, dass „politische Instabilität“ enorme wirtschaftliche Kosten nach sich ziehen wird, etwa in Form eines geringeren BIP-Wachstums, schwächeren Investitionen oder höherer Arbeitslosigkeit. Im Nachhinein stellen sich viele Sorgen jedoch als übertrieben heraus. Weder über kurze Zeitabstände – wie in Deutschland nach Schröders Vertrauensfrage 2005 – noch über lange Zeiträume – wie in Belgien ab 2010 – litt die Wirtschaft unter der Regierungsstarre. In manchen Fällen geschieht gar das Gegenteil: Spanien wächst seit Mitte 2015 so stark wie schon lange nicht mehr.
Diese Erfahrungen provozieren die Frage: Wächst die Wirtschaft trotz oder wegen der Regierungslosigkeit? Empirische Studien, die den kausalen Effekt von Regierungslosigkeit auf die wirtschaftliche Entwicklung identifizieren könnten, sind uns nicht bekannt. Entgegen der Befürchtungen vieler Kommentatoren bestehen allerdings gute Gründe dafür, dass zeitlich begrenzte Regierungslosigkeit den Bürgern wirtschaftlich nicht schadet und ihnen sogar nützlich sein kann.
Belgien: Ohne Regierung durch die Krise
Nach den allgemeinen Wahlen im Juni 2010 gelang es den politischen Parteien Belgiens 589 Tage lang nicht, eine neue Regierung zu bilden. Die Vorgängerregierung blieb über diesen Zeitraum kommissarisch im Amt, sah sich jedoch weitgehend auf repräsentative Tätigkeiten reduziert. Ihre Hauptaufgabe war es, das Land nach außen zu repräsentieren. Innenpolitisch wurde Belgien praktisch nicht regiert. An Warnungen vor dem großen Wirtschaftseinbruch mangelte es nicht und das Top-Rating belgischer Schuldpapiere geriet in Gefahr.
Eingetreten ist das Gegenteil: Trotz Eurokrise hat sich Belgien gut entwickelt. Das BIP wuchs 2010 um 2,7 und 2011 um 1,8 Prozent, schneller als durchschnittlich in der Euro-Zone. Vereinzelt wurde dies darauf zurückgeführt, dass Belgien ohne handlungsfähige Regierung weniger Austeritätsmaßnahmen umsetzen konnte. Weder umfangreiche Steuererhöhungen noch substantielle Kürzungen der Staatsaufgaben, die sich in der kurzen Frist beide negativ auf das BIP ausgewirkt hätten, konnten auf nationaler Ebene vorgenommen werden. Insbesondere nicht erfolgte Steuererhöhungen mögen in der kurzen und mittleren Frist von Vorteil für die belgische Bevölkerung gewesen sein.
Regierungslosigkeit bedeutet nicht politische Instabilität
Es gibt Hinweise darauf, dass der Ausfall der Funktionsfähigkeit des Staates – ausgelöst durch Putsche, Revolutionen oder Verfassungskrisen – für das Wirtschaftswachstum langfristig schädlich ist. Der drohende oder tatsächliche Kollaps von Staat, Verwaltung und Gewaltmonopol führt dazu, dass Unternehmen und Konsumenten sich nicht mehr darauf verlassen können, dass die Kernaufgaben des Staates als Inhaber der Gewaltmonopols erfüllt werden – die Landesverteidigung, der Schutz von Personen und Eigentum und die Durchsetzung von Verträgen. Dass solche Leistungen verlässlich erbracht werden, ist für komplexe, arbeitsteilige Wirtschaften essentiell.
Auch wenn Situationen, in denen keine Regierung gebildet werden kann, als Zeiten politischer Instabilität charakterisiert werden, impliziert Regierungslosigkeit nicht den Ausfall der Funktionsfähigkeit des Staates. Das bloße Fehlen einer Regierung bedeutet eben nicht, dass die Kernaufgaben des Staates unerfüllt bleiben. Tatsächlich kann der Staat auch ohne Regierung über lange Zeiträume erstaunlich gut funktionieren.
Die Planungssicherheit der belgischen Bürger hat unter der anderthalbjährigen Regierungsstarre offensichtlich nicht gelitten. Sie haben weiter gewirtschaftet wie zuvor und konnten sich auf einen funktionierenden Staatsapparat verlassen.
Weniger Regulierung ohne Regierung
Während die Nichterfüllung essentieller Staatsaufgaben zu höherer Unsicherheit und geringerer wirtschaftlicher Aktivität beiträgt, gilt dies für den Wegfall anderer staatlicher Aktivitäten nicht zwingend. Über die Bereitstellung öffentlicher Güter hinaus, betätigen sich Regierungen heute intensiv in der Schaffung neuer Regulierungen. Viele dieser Maßnahmen bremsen das Wirtschaftswachstum und können die Kompetenzen des Staates auf Bereiche ausweiten, in denen er gegenüber privaten Akteuren keinen komparativen Vorteil hat. Zwar werden auch ohne Regierung bereits bestehende Regulierungen weiter angewandt, doch kommen neue nicht oder nur in geringerem Umfang hinzu.
Nicht nur bereits umgesetzte Regulierungsmaßnahmen, sondern auch die Unsicherheit über zukünftige Maßnahmen können sich schädlich auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Unternehmer und Konsumenten, die angesichts einer aktionistischen Regierung das Timing und das Ausmaß zukünftiger Regulierung nicht abschätzen können, reduzieren ihre wirtschaftliche Aktivität. In Zeiten der Regierungslosigkeit oder lediglich kommissarisch tätiger Regierungen wird das Planungsumfeld der Bürger dagegen sicherer.
Immuner durch Dezentralisierung und Privatisierung
In manchen Situationen kann Regierungslosigkeit auf nationaler Ebene dennoch ein Problem darstellen, insbesondere, wenn sie länger andauert. Das ist dann der Fall, wenn Krisen und veränderte Rahmenbedingungen eine schnelle Reaktion der Politik erforderlich machen oder die Folgekosten der Entscheidungen von Vorgängerregierungen untragbar werden.
Gegen gravierende negative Auswirkungen durch die Handlungsunfähigkeit der nationalen Regierung können sich Gesellschaften jedoch wappnen. Werden Entscheidungskompetenzen dezentralisiert, so ist die Regierungsstarre auf einzelnen Ebenen weniger folgenreich. In eher föderalen Ländern ist das Fehlen einer zentralen Regierung besonders unproblematisch.
Auch die Schaffung weiterer privater Alternativen zu staatlichen Angeboten kann helfen, die negativen Folgen der Regierungslosigkeit abzufedern. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn staatliche Angebote nur deshalb wegfallen, weil sie zuvor gesetzlich monopolisiert wurden – und nicht etwa, weil entsprechende privatwirtschaftlich organisierte Angebote in Abwesenheit staatlicher Leistungen nicht bereitgestellt würden.
Selbst Ländern wie Spanien und Belgien, in denen die regionale Autorität der Provinzen weniger stark ausgeprägt ist als die der Bundesländer in Deutschland, scheint sich eine temporäre Regierungslosigkeit auf nationaler Ebene nicht zu Staatskrisen auszuweiten. Weder schränken Unternehmen und Konsumenten ihre wirtschaftlichen Aktivitäten ein, noch fallen essentielle staatliche Angebote weg. Eine weitreichendere Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen könnte dazu beitragen, dass die Regierungslosigkeit auf nationaler Ebene nicht nur in ruhigen Zeiten ihren Schrecken verliert, sondern auch in Krisenzeiten.