Das Reformationsjubiläum stellt in diesem Jahr den 200. Jahrestag des Wartburgfestes in den Schatten, das einen spannenden Einblick gewährt in die Licht- und Schattenseiten des Liberalismus in Deutschland. Gerade in einer sich radikalisierenden Zeit wie der unseren ist der Blick auf diese Geschichte wichtig. Zensur bekämpfen und Bücher verbrennen? Hunderte von Studenten und auch etliche Professoren zogen am 18. Oktober 1817 auf die Wartburg, um ein deutliches politisches Signal auszusenden in einer Zeit, als viele politische Kräfte in Europa die alte Ordnung wiederherstellen wollten. Viele der „35 Grundsätze und 12 Beschlüsse“, die im Nachgang festgehalten wurden, gehören zum Kernbestand freiheitlichen Denkens auf der ganzen Welt. Nach dem 1792 erschienenen Meisterwerk „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen“ des ersten deutschen Liberalen Wilhelm von Humboldt sind diese Grundsätze und Beschlüsse das zweite umfassende Dokument des deutschen Liberalismus. Zu den Forderungen gehörten individuelle Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte, Freihandel, Meinungsfreiheit und die Abschaffung von Geheimpolizei und Zensur. Freilich hatte das Fest auch sehr bittere Schattenseiten.
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Das Reformationsjubiläum stellt in diesem Jahr den 200. Jahrestag des Wartburgfestes in den Schatten, das einen spannenden Einblick gewährt in die Licht- und Schattenseiten des Liberalismus in Deutschland. Gerade in einer sich radikalisierenden Zeit wie der unseren ist der Blick auf diese Geschichte wichtig.
Zensur bekämpfen und Bücher verbrennen?
Hunderte von Studenten und auch etliche Professoren zogen am 18. Oktober 1817 auf die Wartburg, um ein deutliches politisches Signal auszusenden in einer Zeit, als viele politische Kräfte in Europa die alte Ordnung wiederherstellen wollten. Viele der „35 Grundsätze und 12 Beschlüsse“, die im Nachgang festgehalten wurden, gehören zum Kernbestand freiheitlichen Denkens auf der ganzen Welt. Nach dem 1792 erschienenen Meisterwerk „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen“ des ersten deutschen Liberalen Wilhelm von Humboldt sind diese Grundsätze und Beschlüsse das zweite umfassende Dokument des deutschen Liberalismus. Zu den Forderungen gehörten individuelle Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte, Freihandel, Meinungsfreiheit und die Abschaffung von Geheimpolizei und Zensur.
Freilich hatte das Fest auch sehr bittere Schattenseiten. Im Anschluss an den offiziellen Teil griffen einige der Teilnehmer zu einer besonders drastischen Variante der ihnen doch eigentlich verhassten Zensur: sie verbrannten Bücher. Im Feuer landeten Werke ihrer erklärten Feinde – der „Reaktionäre“ und „Kleinstaater“. Doch nicht nur die politischen Gegner standen im Fokus. Einem der Bücher, die den Flammen übergeben wurden, wurde hinterhergerufen: „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum und Deutschthum spotten und schmähen!“ Kein Wunder, dass der Dichter Heinrich Heine in gewohnt bissiger Weise über das Wartburgfest urteilte:
Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anders war als Haß des Fremden, und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte, als Bücher zu verbrennen!
Die Falle des deutschen Einheitsstrebens
Seit den frühesten Tagen hatten liberale Bewegungen in Deutschland immer damit zu kämpfen, dass sich in ihrem Umfeld Leute befanden, die zumindest einige ihrer Grundüberzeugungen nicht teilten. Dazu trugen mancherlei unglückliche Umstände bei: Etwa, dass das Prinzip des Föderalismus und der Subsidiarität, das über unsere Geschichte einer der wichtigsten Beiträge zu einer liberalen Institutionen-Kultur wurde, im Donner der National-Begeisterung des 19. Jahrhunderts als „Kleinstaaterei“ zum Feind Nummer Eins wurde. Die autokratische Herrschaft vieler Fürsten trieb freiheitliche Geister in die Arme eines völlig illiberalen Ideals des allumfassenden Gesamtstaates. Was sie bekamen, war am Ende der preußisch dominierte Militär- und Wohlfahrtsstaat.
Wie ein roter Faden zog sich diese Ambivalenz des deutschen Liberalismus bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches durch. Während in der ersten Hälfte des Jahrhunderts und insbesondere während der Revolution von 1848 ein eher romantisch-sentimentaler Patriotismus viele Liberale zu Freunden des deutschen Gesamtstaates werden ließ, änderte sich dies in der zweiten Hälfte: Einem weltweiten Trend folgend wandelten sich immer mehr Liberale zu veritablen Nationalisten. Die meisten verzichteten lieber auf Staatsskepsis als auf ihr Nationalgefühl.
Aufgerieben zwischen links und rechts
In einem Graubereich fand sich über die ganze Zeit ihrer Existenz (1866-1918) die Nationalliberale Partei, deren Vertreter sich für Rechtsstaat, Verfassung und Parlamentarismus einsetzten. Zugleich war sie aber auch eine starke Klientelpartei, die sich die Interessen des Großbürgertums und der Industrie zu eigen machte – eine unglückliche Allianz, die erst Ludwig Erhard zerbrochen hat. Sie bildete die wichtigste Machtbasis des ganz und gar nicht liberalen Bismarck und unterstützte leidenschaftlich seinen Kampf gegen Sozialisten und Katholiken, der jeglicher freiheitlichen Überzeugung Hohn sprach. Zunehmend fanden in ihr begeisterte Verfechter von Kolonialismus, Militarismus und sogar Antisemitismus eine Heimat. Ab Mitte der 1880er Jahre war sie, wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler schrieb, eine „bismarcktreue, stramm nationale, etatistische und imperialismusfreundliche“ Partei.
Auf der anderen Seite wandte sich etwa der Historiker Theodor Mommsen, in vielem ein aufrechter Liberaler und einer der wichtigsten Kämpfer gegen den Antisemitismus, im Alter zunehmend der Sozialdemokratie zu. Auch andere Liberale wie Johann Jacoby oder der mit 69 Jahren im KZ Buchenwald ermordete Rudolf Breitscheid fanden letztlich bei den Sozialdemokraten eine Heimat. Es waren in der Zeit des Kaiserreichs nur wenige Liberale um Eugen Richter und Franz August von Stauffenberg, die weder nach links noch nach rechts ausschwenkten.
„Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“
Was liegt der Versuchung zugrunde, die sich seit jenem Treffen auf der Wartburg durch den deutschen Liberalismus zieht, rechte oder linke Positionen zu übernehmen oder sich ihnen gar ganz anzuschließen? Es war ein Zusammenspiel aus drei Faktoren: An erster Stelle stehen mangelnde Selbstgewissheit und Durchhaltevermögen. Damit hängt die zweite Ursache zusammen, dass sich Liberale zu oft dem Zeitgeist angeschlossen haben – gleich, ob er nun links oder rechts wehte. Und schließlich kommt noch die banale Sehnsucht hinzu, mitspielen zu wollen, und der Wunsch, an die Töpfe und Räderwerke der Macht gelassen zu werden.
Das 300jährige Reformationsjubiläum führte damals die Studenten auf die Wartburg, wo Luther einst Unterschlupf gefunden hatte. Die Person Luthers kann aus freiheitlicher Sicht höchst kritisch gesehen werden, ist er doch einer der Begründer des modernen Etatismus. Doch eines kann auch nach 500 Jahren noch ein Vorbild sein: Sein Mut und seine Standfestigkeit als er 1521 beim Reichstag zu Worms vor dem Kaiser und den versammelten Herrschern des Reiches seine Positionen und Überzeugungen verteidigte. Man hat ihm später die Worte in den Mund gelegt „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Diese Geisteshaltung hätte vielen Liberalen in der Vergangenheit gutgetan und steht ihnen auch heute noch gut zu Gesichte. Mögen Mut, Überzeugungstreue und Konsistenz auch kurzfristig unangenehm und gefährlich sein – langfristig sind sie die Grundlage dafür, die Welt zu verändern.
Eine ausführlichere Darstellung der Geschichte des Liberalismus in Deutschland finden Sie im Nachwort des Buches “Wie wir wurden, was wir sind” von Eamonn Butler, das im März in der “Edition Prometheus” erscheint.