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Wie der neue Paternalismus mit unserer Autonomie spielt

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Photo: angela n. from Flickr (CC BY 2.0) Von Prof. Dr. Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, Verfasser der Studie „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ über Prometheus. Seit einigen Jahren wird sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Debatte über das Konzept einer verhaltensökonomisch motivierten Politik diskutiert, die mal als „weicher” und mal als „libertärer” Paternalismus bezeichnet wird. Dieser Begriff geht ursprünglich auf den Verhaltensökonomen Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein zurück, aber inzwischen finden sich in der Literatur so zahlreiche Varianten und so unterschiedliche Anwendungsfälle, dass man wohl besser den Sammelbegriff eines neuen Paternalismus verwendet. Es geht dabei um einen Paternalismus, der, anknüpfend an die empirische Forschung in der Psychologie und der Verhaltensökonomie, im typischen Entscheidungsverhalten von Menschen Ansatzpunkte findet, um deren Entscheidungen in die eine oder die andere Richtung beeinflussen zu können. Aus dem Können folgt für die Vertreter dieses Konzeptes unmittelbar das Sollen.

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Photo: angela n. from Flickr (CC BY 2.0)

Von Prof. Dr. Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, Verfasser der Studie „Respektiert eine Politik des ‚weichen‘ Paternalismus die Autonomie individueller Konsumenten?“ über Prometheus.

Seit einigen Jahren wird sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Debatte über das Konzept einer verhaltensökonomisch motivierten Politik diskutiert, die mal als „weicher” und mal als „libertärer” Paternalismus bezeichnet wird. Dieser Begriff geht ursprünglich auf den Verhaltensökonomen Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein zurück, aber inzwischen finden sich in der Literatur so zahlreiche Varianten und so unterschiedliche Anwendungsfälle, dass man wohl besser den Sammelbegriff eines neuen Paternalismus verwendet.

Es geht dabei um einen Paternalismus, der, anknüpfend an die empirische Forschung in der Psychologie und der Verhaltensökonomie, im typischen Entscheidungsverhalten von Menschen Ansatzpunkte findet, um deren Entscheidungen in die eine oder die andere Richtung beeinflussen zu können. Aus dem Können folgt für die Vertreter dieses Konzeptes unmittelbar das Sollen. Denn das Handeln von Menschen, die für sich selbst entscheiden, erscheint ihnen oft fehlerhaft, unbeherrscht, disziplinlos und dumm, oder kurz: verbesserungsbedürftig.

Wieso sollte man also nicht sogenannte Entscheidungsarchitekturen bewusst gestalten, welche die Schwächen und Inkonsistenzen im Entscheidungsverhalten der Menschen gezielt ausnutzen, um sie zu einem besseren Verhalten zu bewegen? Wollen nicht eigentlich alle Bürger mehr Sport treiben, sich gesünder ernähren, weniger Heizenergie verbrauchen, Carsharing betreiben, mehr fürs Alter zurücklegen und ihr Auto besonders benzinsparend fahren? Und wenn sie es nicht wollen, sollten sie es nicht wollen?

So lesen sich dann manche Vorschläge für Anwendungsfälle des neuen Paternalismus tatsächlich wie verhaltensökonomisch unterlegte Bußpredigten. Der neue Paternalismus ist keineswegs ein zielneutrales Instrument, das es den Bürgern selbst überlässt, unbehelligt ihren eigenen Lebensstil zu genießen und ihre eigenen Präferenzen zu verfolgen. Die normative Vorstellung dessen, was das für alle verbindliche gute Leben ist, das wir alle eigentlich leben sollten, wären wir in unseren Entscheidungen nur nicht so fehleranfällig, wird vielmehr stets gleich mitgeliefert.

Kritischen Einwänden gegen den neuen Paternalismus wird oft mit der Behauptung begegnet, dass dieser schon deshalb unproblematisch sei, weil er keinen unmittelbaren Zwang ausübe. Und tatsächlich geht es im Gegensatz zum klassischen Paternalismus nicht darum, den Konsum einiger Güter zu verbieten.  Wer sich anders verhalten will als vom paternalistischen Planer gewünscht, soll das prinzipiell dürfen. Die gezielt gestaltete Entscheidungsarchitektur soll es nur wahrscheinlicher – möglichst sehr viel wahrscheinlicher – machen, dass die Konsumenten stets die Wahl treffen, die der paternalistische Planer für vernünftig hält.

Doch wie zuverlässig kann der betroffene Bürger eine autonome, hiervon abweichende Wahl treffen, wenn die paternalistische Einflussnahme für ihn nicht im Moment seiner Entscheidung vollständig transparent ist? Wenn sich in den Daten entsprechender Studien zeigt, dass paternalistisch beeinflusste Konsumenten sich so verhalten wie vom Studiendesigner beabsichtigt, dann ist dies lediglich ein Ausdruck der Möglichkeiten, Entscheidungen erfolgreich zu steuern. Es drückt aber kein Einverständnis der betroffenen Konsumenten aus, gezielt in ihren Entscheidungen beeinflusst zu werden.

Im Hinblick auf die diskutierten Transparenzkriterien sind die Befürworter des neuen Paternalismus meist sehr genügsam. So wird etwa ein Publizitätskritierium vorgeschlagen, nach dem es ausreicht, paternalistische Interventionen mit nachvollziehbaren Argumenten verteidigen zu können, falls sie (ungewollt?) einmal in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Oder es wird postuliert, dass es genüge, ein Ziel (etwa die Energiewende) demokratisch zu legitimieren, womit der Einsatz von paternalistischen Methoden als Mittel dann ebenfalls gleich abgesegnet sei. Den Bürger im Moment des Einsatzes einer Entscheidungsarchitektur stets transparent darüber aufzuklären, dass er gerade in eine bestimmte Richtung gedrängt werden soll, ist aus dieser Perspektive dagegen weder nötig noch wünschenswert.

Wir haben es beim neuen Paternalismus also mit einem Konzept zu tun, das weder auf der Ziel- noch auf der Handlungsebene die Souveränität und Autonomie der Menschen respektiert. Das gilt unmittelbar in ihrer Rolle als Konsumenten. Hier erhält der neue Paternalismus neuerdings Flankenschutz aus der verbraucherpolitischen Diskussion, in der verhaltensökonomische Literatur oft grotesk einseitig interpretiert wird. Dies führt dort zu der Behauptung, nach der empirischen Kritik am alten, theoretischen Konzept vollständiger Rationalität sei nun auch die Vorstellung obsolet, dass es so etwas wie souveräne oder autonome Konsumenten überhaupt geben könne. Wenn man aber diesen leichtfertigen und unbegründeten Schluss einmal gezogen hat, dann ist es natürlich nur folgerichtig, über die Probleme und Folgen individueller Autonomieverluste gar nicht erst nachzudenken.

Steht man dem neuen Paternalismus dagegen kritisch gegenüber, so ergibt sich angesichts der Geringschätzung für individuelle Entscheidungskompetenz noch eine etwas spekulative Frage: Wieso soll man Bürgern, denen man in ihrer Rolle als Konsumenten nicht zutraut, brauchbare Entscheidungen zu treffen, eigentlich eine kompetente Entscheidung als Wähler zutrauen?

Als Ökonom versteht man das Verhältnis zwischen Bürger und Politik gemeinhin vor allem als Prinzipal-Agenten-Verhältnis. Der politische Wettbewerb und zusätzliche checks and balances sollten idealerweise dazu führen, dass die Politik im Sinne der Bürger kontrolliert und diszipliniert wird. Die Souveränität der Bürger steht also im Mittelpunkt. Wird aber, wer schon die Existenz autonomer und souveräner Konsumenten bestreitet, nicht konsequenterweise auch die Bürgersouveränität für ein unmögliches, irreales und irrelevantes Konzept halten müssen? Und welcher neueste Paternalismus könnte daraus dann folgen?

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