Von Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH und Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth. Weltweit sind die Zinsen auf historisch niedrige Niveaus gefallen. Beispielsweise beträgt die 10-jährige Rendite der US-Staatsanleihen derzeit 1,47 Prozent. Die für deutsche Staatsanleihen liegt sogar bei minus 0,09 Prozent, die für japanische Staatsanleihen bei minus 0,30 Prozent. Der Zinsverfall erfüllt Sparer mit Sorge. Mit derart niedrigen Zinsen öffnen sich in ihrer Altersvorsorge große Lücken. Auch Unternehmen belasten die niedrigen Zinsen. Beispielsweise schwellen die Barwerte der Pensionsrückstellungen an und schmälern das Eigenkapital. Zentralbanken und „Hauptstrom“-Ökonomen erklären den Zinsniedergang wie folgt: Es gäbe weltweit eine Ersparnisbildung, die die Investitionsnachfrage übersteige. Der „Sparüberschuss“ (englisch: „Savings glut“) drücke die Zinsen herab. Mittlerweile habe das Anschwellen der Ersparnisse sogar für einen „natürlichen Zins“ gesorgt, der negativ sei. Gemeint ist damit der Zins, bei dem die Volkswirtschaft vollbeschäftigt ist, und gleichzeitig die Inflation im Zaume gehalten wird.
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Von Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH und Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth.
Weltweit sind die Zinsen auf historisch niedrige Niveaus gefallen. Beispielsweise beträgt die 10-jährige Rendite der US-Staatsanleihen derzeit 1,47 Prozent. Die für deutsche Staatsanleihen liegt sogar bei minus 0,09 Prozent, die für japanische Staatsanleihen bei minus 0,30 Prozent. Der Zinsverfall erfüllt Sparer mit Sorge. Mit derart niedrigen Zinsen öffnen sich in ihrer Altersvorsorge große Lücken. Auch Unternehmen belasten die niedrigen Zinsen. Beispielsweise schwellen die Barwerte der Pensionsrückstellungen an und schmälern das Eigenkapital.
Zentralbanken und „Hauptstrom“-Ökonomen erklären den Zinsniedergang wie folgt: Es gäbe weltweit eine Ersparnisbildung, die die Investitionsnachfrage übersteige. Der „Sparüberschuss“ (englisch: „Savings glut“) drücke die Zinsen herab. Mittlerweile habe das Anschwellen der Ersparnisse sogar für einen „natürlichen Zins“ gesorgt, der negativ sei. Gemeint ist damit der Zins, bei dem die Volkswirtschaft vollbeschäftigt ist, und gleichzeitig die Inflation im Zaume gehalten wird. Stellt sich der „neue natürliche Negativzins“ nicht im freien Markt von selbst ein, müssen die Zentralbanken eben nachhelfen, so lautet die Empfehlung der Hauptstrom-Ökonomen. Was ist von dieser Argumentation zu halten?
Um die Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, zunächst zwischen dem Marktzins und dem natürlichen Zins zu unterscheiden. Der Marktzinssatz ergibt sich aus dem Angebot von und der Nachfrage nach Ersparnissen. Er setzt sich aus verschiedene Elementen zusammen: einer Inflationsprämie, einer Kreditausfallprämie und dem natürlichen Zins. Der natürliche Zins ist Ausdruck des menschlichen Handelns und Wertens. Jeder handelnde Mensch trägt ihn quasi in sich, und er besagt, dass gegenwärtig verfügbare Güter höher gewertet werden als künftig verfügbare Güter. Der natürliche Zins bezeichnet damit einen Wertabschlag, den künftige Güter gegenüber gegenwärtigen Gütern erleiden. Der Marktzins kann zwar auf null Prozent oder auch darunter fallen, nicht aber der natürliche Zins. Er ist immer und überall positiv.
Wäre der natürliche Zins null, so hieße das, dass der Handelnde nicht mehr konsumiert, sondern nur noch spart. Nicht nur heute, auch morgen und übermorgen und für alle Zeit. Eine irrige Vorstellung. Ganz zu schweigen von der Idee, der natürliche Zins könnte negativ werden. Was das ökonomisch bedeuten soll, lässt sich vom menschlichen Geist nicht erfassen. Die Idee eines natürlichen Zinses von null oder darunter ist im wahrsten Sinne des Wortes „unnatürlich“. Was würde es – rein theoretisch gesprochen – bedeuten, wenn es den Zentralbanken gelänge, alle Marktzinsen auf oder unter die Nulllinie zu drücken? Weil der natürliche Zins für jeden Mensch positiv ist, würde niemand mehr sparen und investieren. Ohne die Möglichkeit, eine positive Rendite verdienen zu können, käme das kapitalistische Sparen, das arbeitsteilige, produktive Wirtschaftsgeschehen zum Erliegen. Die Volkswirtschaft fiele in eine primitive Subsistenzwirtschaft zurück.
Dass derzeit die Marktzinsen niedrig sind, mag man zunächst auf geringe Wachstums- und Inflationserwartungen zurückführen. Doch entscheidend ist etwas anderes: und das sind die Zinsmarktmanipulationen der Zentralbanken. Man nehme nur einmal die Europäische Zentralbank (EZB). Sie kauft Staatsanleihen. Dadurch fällt die Nachfrage nach Anleihen logischerweise höher aus im Vergleich mit einer Situation, in der sie keine Anleihen aufkauft. Steigende Anleihekurse bedeuten, dass die Renditen fallen. Die Zentralbank kann die Rendite der Anleihen quasi auf die Nachkommastelle festlegen. Wenn sie beispielsweise als Käufer einer Anleihe auftritt und einen Kaufpreis von 100 Euro bietet, wird der Marktkurs der Anleihe sich bei 100 Euro einstellen. Niemand wird bereit sein, eine Anleihe für weniger als 100 Euro zu verkaufen – denn wenn er an die EZB verkauft, erhält er 100 Euro. Die Anleihekäufe der EZB laufen folglich auf eine Mindestpreispolitik, auf eine Politik der Zinsobergrenze für Schuldpapiere hinaus. Hinzu kommt, dass die EZB den Einlagenzins (das ist der Zins für Überschussguthaben, die die Geschäftsbanken bei der EZB halten) auf minus 0,4 Prozent gesenkt hat.
Banken versuchen, dem Strafzins zu entkommen. Dazu fragen sie Anleihen nach, treiben deren Kurse nach oben, und die Renditen fallen. Die Nachfrage nach Anleihen steigt theoretisch so weit an, bis die Renditen der Papiere (mit bester Bonität) auf dem Einlagenzins angekommen sind. Die nachstehende Graphik zeigt die Entwicklung der (vor allem seit Mitte 2008) fallenden Marktzinsen und der EZB-Anleihekäufe, die sich in einem Anschwellen der Bilanzsumme der Euro-Zentralbanken niederschlagen.
Das Geheimnis der niedrigen Zinsen dürfte damit gelüftet sein. Es ist die EZB, im Verbund mit allen übrigen Zentralbanken, die für einen beispiellosen Zinsverfall sorgt – und die damit natürlich auch weitreichende Umverteilungswirkungen in Gang setzt. Beispielsweise gewinnen die Schuldner, deren Zinsen künstlich herabgesenkt werden. Sparer, die auf „normale“ Zinseinkommen setzen, haben das Nachsehen. Besonders zinssensitive Industrien wie zum Beispiel die Bauwirtschaft werden quasi subventioniert.
Die Zentralbanken können zwar die Zinsen im Kreditmarkt auf null Prozent oder darunter drücken. Aber es ist ihnen nicht möglich, alle Zinsen quasi abzuschaffen. Einen positiven realen Zins gibt es stets, und zwar für erfolgreiche Unternehmenstätigkeit. Ein erfolgreiches Unternehmen macht Gewinne, weil es etwas anbietet, was Nachfrager zu kaufen wünschen. Deshalb steigt im Zeitablauf auch sein (intrinsischer) Wert an – und der Börsenkurs wird dieser Vorgabe früher oder später folgen. Die erfolgreichsten Investoren der Welt machen sich diese Erkenntnis zunutze: Sie setzen – mit langem Atem – auf die produktive Kraft der arbeitsteiligen Wirtschaft, investieren in Produktivkapital wie zum Beispiel in Form von Aktien. Gute Unternehmen werden operativ nicht nur mit den Folgen der Niedrig- beziehungsweise Negativzinspolitik fertig. Sie können auch Geldentwertung – die ja in einem ungedeckten Papiergeldsystem unausweichlich ist – überstehen.
Erstmals erschienen auf dem Blog des Ludwig von Mises Institut Deutschland.