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Inflation durch demografischen Wandel?

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Wird die Inflationsrate steigen, weil aus demografischen Gründen Arbeitskräfte knapp und teuer werden? Diese von Goodhart aufgestellte These lässt sich in einem makroökonomischen Modell mit überlappenden Generationen nicht bestätigen. Für die Preisentwicklung kommt es nämlich nicht auf die Reallöhne, sondern auf die monetäre Entwicklung an.  Neuerdings wird die Inflation wieder stärker mit realwirtschaftlichen Faktoren zu erklären versucht. Ein vieldiskutierter Beitrag von Charles Goodhart und Manoj Pradhan[ 1 ] stellt dabei insbesondere auf die demografische Entwicklung ab. Diese habe in der Vergangenheit die Inflation dadurch gebremst, dass die geburtenstarken Jahrgänge in die Arbeitsmärkte geströmt sind. Entsprechend gering sei die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften für

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Wird die Inflationsrate steigen, weil aus demografischen Gründen Arbeitskräfte knapp und teuer werden? Diese von Goodhart aufgestellte These lässt sich in einem makroökonomischen Modell mit überlappenden Generationen nicht bestätigen. Für die Preisentwicklung kommt es nämlich nicht auf die Reallöhne, sondern auf die monetäre Entwicklung an. 

Neuerdings wird die Inflation wieder stärker mit realwirtschaftlichen Faktoren zu erklären versucht. Ein vieldiskutierter Beitrag von Charles Goodhart und Manoj Pradhan[ 1 ] stellt dabei insbesondere auf die demografische Entwicklung ab. Diese habe in der Vergangenheit die Inflation dadurch gebremst, dass die geburtenstarken Jahrgänge in die Arbeitsmärkte geströmt sind. Entsprechend gering sei die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften für höhere Löhne gewesen. Das wiederum habe auch den Preisanstieg in Grenzen gehalten, da die Löhne nun einmal der größte Kostenfaktor sind. In Zukunft aber werde sich dieser Trend umkehren. Denn mittlerweile kommen die geburtenstarken Jahrgänge zunehmend ins Rentenalter, während nur relativ wenige Junge nachwachsen. Infolgedessen würden Arbeitskräfte in Zukunft wieder teurer werden, und mit ihnen die Güter. Es kommt noch hinzu, dass Menschen in der ersten Erwerbsphase typischerweise viel sparen, um für ihr Alter vorzusorgen, während ältere Menschen eher ihre Ersparnisse zu Konsumzwecken auflösen. Daraus wird ebenfalls eine inflationäre Tendenz abgeleitet, denn den knapper werdenden Arbeitskräften stehen dann offenbar auch noch weniger Investitionsmittel bei zunehmender Konsumnachfrage gegenüber.

Bevölkerungsalterung im „Wikinger-Modell“

Um diese – erst einmal plausibel klingenden – Thesen zu prüfen, habe ich in meinem makroökonomischen „Wikinger-Modell“ eine sinkende und zugleich alternde Bevölkerung angenommen.[ 2 ] Dieses Modell betrachtet die Ökonomie als ein Wikingerdorf, in dem ausschließlich Korn produziert wird. Dieses kann entweder konsumiert oder – als Saatgut – investiert werden. Als Geld fungieren in der einfachsten Version ausschließlich Münzen.  

Diese Vereinfachungen machen es möglich, entscheidende ökonomische Zusammenhänge ohne viel Mathematik auch intuitiv zu verstehen. So zeigen sich in dem Wikingerdorf viele Ergebnisse der Geld- und Wachstumstheorie, welche man auch in komplexeren ökonomischen Modellen erhält.[ 3 ] Gerade auch demografische Entwicklungen und ihre Effekte lassen sich mit dem Modell gut analysieren. Es gibt darin nämlich zwei sich überlappende Generationen, die jungen und die alten Wikinger. Erstere arbeiten und sparen, während letztere ihre Ersparnisse aus der ersten Lebensphase verkonsumieren. Sinkt nun die Geburtenrate, so wird automatisch der Anteil der nicht mehr Erwerbstätigen im Dorf größer, während der Anteil der Erwerbstätigen abnimmt. Sämtliche Verhaltensweisen sind vollständig mikrofundiert, und die Konsistenzbedingungen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sind in dem Modell jederzeit erfüllt.

Richtig ist zunächst, dass ein Mangel an jungen Arbeitskräften tendenziell die Löhne erhöht. Allerdings, und hier liegt schon der erste Fallstrick, betrifft das erst einmal nur die Reallöhne (also die Entlohnung in Korneinheiten im Modell). Um etwas über die Nominallöhne auszusagen, müssen wir zusätzliche Annahmen treffen, nämlich über das Geld. Je nachdem, ob die Zahl der Münzen in dem Wikingerdorf konstant bleibt, können die Nominallöhne steigen, sinken oder im Grenzfall auch völlig unverändert bleiben. Ähnliches gilt für die Güterpreise, die sich allerdings nicht völlig parallel zu den Nominallöhnen verändern müssen. Je nach Annahme über die Zahl der Goldmünzen kann dies im Modell deshalb zwar durchaus zu inflationärer Preisentwicklung, aber ebenso gut zu Deflation oder im Grenzfall zu gerade unveränderten Kornpreisen führen. Das erste Zwischenfazit lautet mithin: Anders als Goodhart impliziert, muss ein aus demografischen Gründen sinkendes Arbeitsangebot mitnichten zwangsläufig steigende Preise zur Folge haben.

Bevölkerungsalterung führt nicht zwingend zu weniger Sparvermögen

Bedeutet eine alternde Bevölkerung tatsächlich, dass gesamtwirtschaftlich weniger gespart wird? Abgeleitet wird das daraus, dass es dann ja nicht mehr so viele junge und erwerbstätige Haushalte gibt, die ja hauptsächlich diejenigen sind, die sparen. Aber das ist schon der nächste Denkfehler. Denn zugleich steigen ja die Reallöhne, wie Goodhart selbst prognostiziert. Es kann darum genauso viel gespart werden wie zuvor, oder sogar mehr. Im Wikinger-Modell bleibt die gesamtwirtschaftliche Sparquote gerade unverändert. Das liegt an der unterstellten Cobb-Douglas-Produktionsfunktion, denn der Anteil der Arbeitseinkommen am BIP ist bei dieser Produktionsfunktion bekanntlich immer gleich hoch. Das gilt damit auch für die Sparquote im Wikingermodell, weil ja nur die erwerbstätigen Wikinger sparen. Unser zweites Zwischenfazit lautet deshalb: Auch bei alternder Bevölkerung braucht die gesamtwirtschaftliche Sparquote keineswegs zu sinken, selbst wenn die älteren Leute überhaupt nichts sparen oder sogar ihr gesamtes Vermögen auflösen.

Gibt es bei alternder Bevölkerung noch genug Investitionsnachfrage, um die Ersparnisse am Kapitalmarkt aufzunehmen? Dies wird gelegentlich bezweifelt, woraus eine „Sparschwemmentheorie“ abgeleitet wurde.[ 4 ] Auch hier sagt uns das Wikingermodell etwas ganz Anderes. Denn eine konstante Sparquote bei rückläufiger Bevölkerung heißt keineswegs, dass die Ersparnisse auch absolut gesehen auf gleicher Höhe bleiben. Vielmehr gehen sie mit der gleichen Rate zurück, mit der auch die gesamte Wirtschaft schrumpft, ebenso wie die Investitionen. Denn wenn im nächsten Jahr weniger Menschen im Dorf leben, braucht man auch keine so hohe Ernte mehr wie bisher. Nur die jeweiligen Anteile von Ersparnis, Konsum und Investitionen am BIP bleiben bei konstanter Schrumpfungsrate immer gleich. Es existiert also ein steady-state-Gleichgewicht mit Vollbeschäftigung auch bei negativer Wachstumsrate. Natürlich wird dieses in der Realität, anders als im idealtypischen Modell, niemals perfekt erreicht. Aber es kommt eben umgekehrt bei demografischen Brüchen keineswegs zwangsläufig zu einem Unter- oder Übersparen, anders als vielfach behauptet wird.

Man kann noch mehr interessante Effekte in diesem Zusammenhang aus dem Wikingermodell ableiten. Zum Beispiel nimmt bei schrumpfender Bevölkerungszahl das Pro-Kopf-Einkommen sogar ohne technischen Fortschritt tendenziell zu! Das liegt daran, dass die konstanten Ressourcen wie Land und Bodenschätze mit der Zeit weniger knapp und damit auch weniger teuer (im Vergleich zum Korn) werden. Wie sich die nominellen Boden- und Rohstoffpreise entwickeln, hängt dagegen wieder entscheidend von der Geldmenge ab.  

Das Wikingermodell unterstützt damit eine monetäre Inflationserklärung. Das bedeutet allerdings nicht, dass ihm ein primitiver Monetarismus zugrunde läge, etwa die Quantitätsgleichung mit konstanter Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Ganz im Gegenteil, das Preisniveau wird darin sehr allgemein und mikroökonomisch fundiert aus Geldangebot und Geldnachfrage abgeleitet. Mit diesem Ansatz kann man sogar das eingangs angesprochene Rätsel lösen, warum trotz massiver Geldmengenausweitung die Preise kaum gestiegen sind. Es hat nämlich zugleich auch die Liquiditätsnachfrage zugenommen, und zwar wegen der extrem niedrigen Zinsen. Diesen Zusammenhang hatte schon Keynes gesehen und damit seine „Liquiditätsfalle“ begründet:  Wer ohnehin kaum Zinsertrag für längerfristige Geldanlagen bekommt, hält sein Pulver eben trocken und lagert Geldvermögen im Zweifel auf dem Girokonto oder sogar in bar. Dann kann die Zentralbank so viel Geld in die Wirtschaft pumpen, wie sie will, es kommt einfach nicht im Kreislauf an. Genau dies passiert bei entsprechenden Annahmen auch im Wikingermodell, und zwar nicht nur vorübergehend im Ungleichgewicht wie bei Keynes, sondern auch im langfristigen steady state.

Droht eine „Inflationslawine“?

In diesem Fall heizt selbst eine extrem expansive Geldpolitik die Inflation nicht mehr zwangsläufig an. Allerdings, wie u.a. H.W. Sinn kürzlich zu Recht gemahnt hat,[ 5 ] liegt der riesige Geldüberhang quasi wie ein Schneebrett drohend über uns und kann jederzeit eine regelrechte Inflationslawine auslösen. Wenn nämlich die Preise erst einmal ins Laufen kommen, gibt es schnell kein Halten mehr: Die Geldhorte werden aus Angst vor dem Wertverlust rasch aufgelöst werden, was die Inflation aber nur noch weiter antreibt. Und wenn die Zentralbank dann verzweifelt versucht, mit höheren Zinsen gegenzusteuern, ist dies längst zu spät bzw. möglicherweise sogar kontraproduktiv. Denn je höher die Zinsen sind, desto geringer wird die Geldnachfrage, so dass die Inflation erst einmal noch einen zusätzlichen Schub bekommt.

Das Gesamtfazit lautet deshalb: Die realwirtschaftlichen Inflationserklärungen mögen kurzfristig ihre Berechtigung haben, für längerfristige Entwicklungen sind sie dagegen irrelevant. Sie sind sogar ausgesprochen gefährlich, denn sie lenken von den wirklichen Faktoren der Preisniveauentwicklung ab. Diese sind monetärer Art, wobei die Geldmenge das Geldangebot bestimmt und das Zinsniveau (sowie die Preisentwicklung selbst) die Geldnachfrage. Sieht man sich deren Entwicklungen und Prognose für die nächsten Jahre an, so ist wohl in der Tat mit einem starken Geldwertverlust in der näheren Zukunft zu rechnen. Leider erlaubt das Wikingermodell keine quantitativen oder zeitlichen Prognosen, so dass eine genaue Vorhersage auf dieser Grundlage nicht möglich ist. Das gilt allerdings auch für Goodharts Thesen, die zudem aber eben auch theoretisch sehr fragwürdig sind.


©KOF ETH Zürich, 14. Jan. 2021

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