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Ordoliberalismus, Ideologie und die Eurokrise

Summary:
Ordoliberale haben es verpasst, ihre Ideologie so weiterzuentwickeln, dass sie akademisch und politisch lebendig und identifizierbar bleibt. Dieser Beitrag diskutiert die streitbare Rolle des Ordoliberalismus während der Eurokrise und tritt für einen modernen Ordoliberalismus und eine menschenwürdige Ordnungspolitik ein. Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des … Ordoliberalismus? Die deutsche Ordnungsökonomik galt lange Zeit als Auslaufmodell: zu wenig Theorie, zu wenig Empirie, keine internationale Anschlussfähigkeit. Vor allem aber schien sich niemand für ordoliberale Vorschläge zu einer regelbasierten Reform der Eurozone zu interessieren. Vor diesem Hintergrund wirkt es verwunderlich, dass seit einigen Jahren außerhalb der Wirtschaftswissenschaften und überwiegend

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Ordoliberale haben es verpasst, ihre Ideologie so weiterzuentwickeln, dass sie akademisch und politisch lebendig und identifizierbar bleibt. Dieser Beitrag diskutiert die streitbare Rolle des Ordoliberalismus während der Eurokrise und tritt für einen modernen Ordoliberalismus und eine menschenwürdige Ordnungspolitik ein.

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des … Ordoliberalismus? Die deutsche Ordnungsökonomik galt lange Zeit als Auslaufmodell: zu wenig Theorie, zu wenig Empirie, keine internationale Anschlussfähigkeit. Vor allem aber schien sich niemand für ordoliberale Vorschläge zu einer regelbasierten Reform der Eurozone zu interessieren. Vor diesem Hintergrund wirkt es verwunderlich, dass seit einigen Jahren außerhalb der Wirtschaftswissenschaften und überwiegend außerhalb Deutschlands eine stattliche Fachliteratur entstanden ist, die im Ordoliberalismus den zentralen Schuldigen für die verschleppte Lösung der Eurozonenkrise ausgemacht haben will. Statt Solidarität hätten die Ordoliberalen Austerität gepredigt und die deutsche Politik sei ihnen gefolgt, indem sie in Europa u.a. Eurobonds verhindert und Sparmaßnahmen durchgesetzt habe.

Diese unterschiedlichen Sichtweisen auf die Rolle des Ordoliberalismus in Europa und speziell in der Eurozonenkrise haben zuletzt verstärkte wissenschaftliche Beachtung gefunden. In unserem aktuellen Beitrag „The ideological use and abuse of Freiburg’s ordoliberalism“[ a ] tragen wir zu dieser Forschungsdebatte bei, indem wir die Frage stellen, wie die „Freiburger Schule“ – die bekannteste Vertreterin ordoliberalen Denkens – zu einem Objekt eines ideologisch motivierten Diskurses werden konnte. Wir argumentieren, dass bestimmte Entwicklungen innerhalb dieser Theorieschule ursächlich für diesen verzerrten Diskurs waren. Zugleich stellen wir die These zur Debatte, dass der Ordoliberalismus, wenn er sich auf seinen normativen Kern zurückbesinnt und so – in einem positiven Sinne – eine erkennbare ideologische Position einnimmt, auf dem Markt der Ideen für die Gestaltung Europas ein attraktives Angebot an die Bürgerinnen und Bürger machen kann.

Ordoliberalismus: „overused and undertheorized“

Ökonomen und Ökonominnen haben zum Thema Ideologie zumeist wenig zu sagen: Die meisten glauben an den Szientismus ihres Fachs und die Möglichkeit einer positiven Ökonomik. Ihre Kritikerinnen und Kritiker gehen derweil davon aus, dass die Ökonomik eine ideologische Anwendung von Marktliberalismus oder gar -radikalismus ist. Vor diesem Hintergrund können unversöhnliche Debatten, die wissenschaftlich kaum weiterhelfen, nicht überraschen. Dabei sollten Ideologien viel pragmatischer als selektive Repräsentationen einer komplexen Welt dargestellt werden. Ökonominnen und Ökonomen sehen gute wissenschaftliche Arbeit dann erreicht, wenn plausible Verallgemeinerungen in der Theorie durch robuste Daten empirisch unterlegt werden können. Doch selbst in diesem Falle bleibt Spielraum für Interpretationen, die von den Vorstellungen der einzelnen wissenschaftlichen Denkschulen mit jeweils „ihren“ Texten, Theorien und Argumenten getragen werden und damit Identität schaffen. Diese ideologische Betrachtung ist nichts per se Schlechtes, allerdings hat sie Konsequenzen: Um politische Wirkung zu erzielen, treten die Ideologien miteinander in Konkurrenz, um Außenstehende für ihre Position zu gewinnen. An diesem Punkt kippt allzu oft die Debatte über Argumente in einen „Kampf um Ideen“.

Der Ordoliberalismus befindet sich heutzutage in einem derartigen Kampf um Ideen, da er sich im Laufe der Zeit von einem aktiven Forschungsprogramm in eine „Haltung“ verwandelt hat. Dabei werden häufig Versatzstücke aus den Schriften der ordoliberalen Vordenker mit zweckdienlichen persönlichen Interpretationen kombiniert. So kann man sich von links über traditionell liberal bis konservativ den Ordoliberalismus leicht zu eigen machen, aber auch nahezu jede beliebige Kritik daran konstruieren. An dieser Entwicklung sind die Ordoliberalen nicht schuldlos, denn sie haben es verpasst, ihr Feld so weiterzuentwickeln, dass es akademisch und politisch lebendig und identifizierbar bleibt. Heute ist der Ordoliberalismus „overused and undertheorized[ b ]“.

Deutschlands Politik, Wirtschaft und auch Wissenschaft haben während der Eurozonenkrise viele unglückliche Bilder bemüht, um ihre Positionen zu verdeutlichen, und sie dabei allzu gerne auch mit dem Label „Ordnungspolitik“ versehen: Der sparsamen Schwäbischen Hausfrau wurden die faulen Südeuropäerinnen und Südeuropäer gegenübergestellt, die es sich im Club Med auf Kosten Deutschlands gutgehen lassen wollen. Auch die Kritikerinnen und Kritiker waren nicht zimperlich, wenn sie von Ordoarithmetik[ c ], ordoliberalen Eisenkäfigen und schrulligen deutschen Ökonominnen und Ökonomen im Paralleluniversum sprachen oder sogar unterstellten, dass die deutsche Ordnungsökonomik für den jihadistischen Terrorismus in Frankreich verantwortlich sei[ d ].

Eurokrise: Nationale Eigeninteressen entscheidender als ideologische Überzeugungen

Weil auf allen Seiten die eigene Weltanschauung im Vordergrund stand, war das Ergebnis ein gegenseitiges Sich-Hochschaukeln, ohne in echte Debatten einzutreten. Dies verwundert auch deshalb, weil es zahlreiche nachvollziehbare Erklärungen für die Eurozonenkrise und deren schleppende Lösung gibt. Im Zentrum dieser Erklärungsansätze steht zumeist ein recht banaler nationaler Pragmatismus, der ein Markenzeichen demokratischer Staaten ist. Stets geht es darum, Mehrheiten für politische Maßnahmen heute sowie für den Fortbestand der eigenen Regierung morgen zu gewinnen. Während im Süden Europas, dem Zentrum der Krise, aus naheliegenden Gründen keine Mehrheiten für einschneidende Strukturreformen vorhanden waren, wollte man weiter nördlich keine allzu großzügigen Versprechungen für eine Unterstützung des Südens machen, weil dies unpopulär bei der eigenen Klientel gewesen wäre.

Eine solche Situation lädt dazu ein, politisch abzuwarten, ob die andere Seite den ersten Schritt unternimmt. So wartete man im Norden auf Reformschritte des Südens und dort wiederum forderte man zunächst „Solidarität“ vom Norden. Das Warten hatte zwei Folgen. Zum einen wuchsen die ökonomischen Kosten bei allen Beteiligten, zum anderen jedoch verschob sich hierdurch auch die Verhandlungsstärke zuungunsten des Südens, der die größeren wirtschaftlichen Probleme hatte und sich das Warten immer weniger leisten konnte. Wer nicht zumindest als systemischen Risiko galt, wie etwa die große italienische Volkswirtschaft, dem blieb am Ende wenig übrig, als schmerzhafte Maßnahmen durchzuführen. Es ist kein Wunder, dass vor allem Griechenland davon betroffen war.

Man mag die geringe Solidarität innerhalb Europas, ja, die Hartherzigkeit einiger potenzieller Geberländern wie Deutschland beklagen, allerdings spricht wenig dafür, dass dies speziell auf den Ordoliberalismus zurückzuführen ist. Betrachtet man die deutsche Position genauer, dann erkennt man, dass – ganz im Gegensatz zu den Forderungen vieler Ordoliberaler – die deutsche Politik sehr schnell die Politisierung der Geldpolitik der EZB für sich akzeptiert hat. Ein Grund dafür war sicherlich, dass man eine Transferunion, deren Dysfunktionalität und politisches Konfliktpotenzial man vom Länderfinanzausgleich kannte, unbedingt vermeiden wollte. Dem deutschen Wahlvolk wäre ein Finanzausgleich auf europäischer Ebene kaum zu vermitteln gewesen.

Letztlich zeigt sich hier die Banalität des politisch Alltäglichen. Wäre es anders, müsste man vermuten, dass beispielsweise Frankreich, wenn es in der gleichen politischen und wirtschaftlichen Lage wie Deutschland gewesen wäre, eine gänzlich andere Politik mit einer deutlicheren Vergemeinschaftung von Schulden hätte verfolgen müssen. Dies ist natürlich nicht ausgeschlossen, erscheint aber dennoch vor dem Hintergrund der Erklärungskraft nationaler Eigeninteressen nicht sehr wahrscheinlich. Das Narrativ, dass eine von protestantischer Ethik geprägte deutsche Ordnungsökonomik auf ganz Europa übertragen worden sei, wirkt vor diesem Hintergrund konstruiert. Dennoch werden weiterhin Fachartikel mit Titeln wie “The German Rescue of the Eurozone: How Germany is Getting the Europe it Always Wanted”[ e ] publiziert.

Für eine menschenwürdige Ordnungspolitik

Damit stellt sich umso dringlicher die Frage, wie die Ordnungsökonomik mit dieser – ohne Zweifel teilweise selbst eingebrockten – Situation umgehen will. Richtigstellungen der verzerrten Interpretationen sind sicherlich ein erster Schritt, ebenso wie die kritische Analyse der eigenen Unzulänglichkeiten, etwa im Hinblick auf die gelegentlich schwache theoretische Fundierung bei makroökonomischen Themen und das Ausblenden von Verteilungsfragen. In unserem Beitrag gehen wir aber weiter und plädieren für eine Wiederbelebung der ordoliberalen „Ideologie“. Dabei wollen wir den Ideologie-Begriff ausdrücklich so verstanden wissen, dass die Ordnungsökonomik sich wieder ihrer normativen Wurzeln bewusstwird und diese auch als Angebot auf dem Markt der (wirtschafts-)politischen Ideen vertritt.

Die Ordnungsökonomik baut seit jeher auf einem normativen Bekenntnis zu liberalen Werten sowie einer moralischen und nicht nur ökonomischen Rechtfertigung von freien, offenen und wettbewerblichen Märkten auf. Wir betrachten die Normativität des Ordoliberalismus als einen argumentativen Vorteil in aktuellen Debatten in und um Europa: Jede Politikmaßnahme, die eingeführt werden soll, bedarf der demokratischen Unterstützung durch die Bürgerinnen und Bürger Europas. Diese Unterstützung wird nicht nur auf der Grundlage reinen ökonomischen Effizienzdenkens gewährt, sondern hängt auch fundamental von moralischen Argumenten dafür ab, wie wir als Gemeinschaft der Europäerinnen und Europäer zusammenleben wollen.

Unser Papier (Dold und Krieger, im Druck) zeigt hierzu auf, in welchen Dimensionen Ordnungsökonominnen und -ökonomen denken müssen, wenn sie einen „modernen Ordoliberalismus“ anstreben, der eine breitere Zustimmung der Menschen gewinnen kann. Er muss dazu das Ideal der Bürgersouveränität verstärkt neben das der Konsumentensouveränität stellen, er muss die politische Teilhabe aller – arm wie reich – aktiv einfordern und institutionell verankern und er muss sich der sozioökonomischen Spaltung der Gesellschaft annehmen. Hierzu muss er die Konzentration politischer und ökonomischer Macht verhindern, um Wettbewerb und Teilhabe zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger herzustellen. Es geht – im Sinne Walter Euckens – also darum, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Ordoliberalismus nicht nur eine „funktionierende“, sondern auch eine „menschenwürdige Ordnung“ von Wirtschaft und Gesellschaft anstrebt.

Dold, Malte; Krieger, Tim (Hrsg.) (2019). Ordoliberalism and European Economic Policy: Between Realpolitik and Economic Utopia[ f ]. Routledge.

Dold, Malte; Krieger, Tim (im Druck). The Ideological Use and Abuse of Freiburg's Ordoliberalism[ a ]. Public Choice (open access).

©KOF ETH Zürich, 12. Mär. 2021

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