Wie haben sich Religion und religiöse Ansichten zu Gott und dem Jenseits auf die Wirtschaftsgeschichte ausgewirkt? Und wie haben historische sozioökonomische Umstände religiöse Überzeugungen und Aktivitäten beeinflusst? Dieser Beitrag leitet aus der rasch wachsenden Literatur zur Rolle von Religion in der Wirtschaftsgeschichte einige allgemeine Erkenntnisse ab. Religion spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte der westlichen Gesellschaften, indem sie individuelle Glaubenssätze, kulturelle Normen, soziale Organisationen und politische Macht beeinflusst oder sogar definiert hat. Die Analyse dieser Rolle von Religion ist in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil der wirtschaftshistorischen Forschung geworden. Natürlich hat die ökonomische Forschung zur
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Sascha O. Becker, Jared Rubin, Ludger Wößmann considers the following as important:
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Wie haben sich Religion und religiöse Ansichten zu Gott und dem Jenseits auf die Wirtschaftsgeschichte ausgewirkt? Und wie haben historische sozioökonomische Umstände religiöse Überzeugungen und Aktivitäten beeinflusst? Dieser Beitrag leitet aus der rasch wachsenden Literatur zur Rolle von Religion in der Wirtschaftsgeschichte einige allgemeine Erkenntnisse ab.
Religion spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte der westlichen Gesellschaften, indem sie individuelle Glaubenssätze, kulturelle Normen, soziale Organisationen und politische Macht beeinflusst oder sogar definiert hat. Die Analyse dieser Rolle von Religion ist in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil der wirtschaftshistorischen Forschung geworden. Natürlich hat die ökonomische Forschung zur Religion selbst eine lange Geschichte; bekanntermaßen untersucht ein Kapitel aus Adam Smiths (1776) „Wohlstand der Nationen“ den Markt für Religion. Aber in Larry Iannaccones (1998) bekanntem Überblick über die Religionsökonomik waren nur 13% der zitierten Artikel historischer Natur, und viele von ihnen standen in direktem Zusammenhang mit Max Webers (1904/05) These einer protestantischen Ethik. Dies hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten geändert: Der Aufstieg der Religionsökonomik (Iyer 2016; McCleary and Barro 2019) traf auf die Digitalisierungsrevolution in der Wirtschaftsgeschichte (Abramitzky 2015; Mitchener 2015) und die Glaubwürdigkeitsrevolution in der empirischen Wirtschaftsforschung, so dass das neue, rasch wachsende Forschungsfeld „Religion in der Wirtschaftsgeschichte“ entstand.
Einige allgemeine Erkenntnisse aus der neuen Literatur
Die Forschung zur Religion in der Wirtschaftsgeschichte umfasst zwei große Untersuchungsbereiche. Der erste Bereich behandelt die Frage, welche (wirtschaftlichen) Faktoren die Zugehörigkeit zu religiösen Gemeinschaften, Religiosität und religiösen Wandel beeinflussen. Der zweite Bereich behandelt die Frage, welche Auswirkungen Religion auf die wirtschaftliche Entwicklung ausübt, wobei nach den „tiefen Wurzeln“ großer wirtschaftlicher Unterschiede zwischen Regionen und Religionsgemeinschaften gesucht wird. Die überwiegende Mehrheit der neueren Literatur befasst sich mit einer der drei großen monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum oder Islam. In einem Überblicksartikel für das Handbook of Historical Economics (herausgegeben von Alberto Bisin und Giovanni Federico) geben wir einen umfassenden Überblick über diese Literatur und heben drei allgemeine Erkenntnisse hervor (Becker, Rubin und Woessmann 2020).
Erstens erleichterte der monotheistische Charakter der großen abrahamitischen Religionen eine enge historische Verflechtung von Religion mit politischer Macht und Konflikten. Das bestimmende Merkmal der monotheistischen Glaubensrichtungen, dass es „einen wahren Gott“ gibt, war sowohl ein stabilisierender gesellschaftlicher Faktor – weil monopolistische Herrschaft Meinungsverschiedenheiten innerhalb religiöser Gruppen eindämmen konnte – als auch ein destabilisierender Faktor – weil es Konflikte zwischen den Religionen anheizte (Iyigun 2015). Solche Aspekte sind für den Katholizismus gezeigt worden, in dem die institutionalisierte Kirche als starker politischer Akteur auftrat und die religiöse Doktrin die Entwicklung von Gemeinden, Zünften und Kreditmärkten beeinflusste. Ebenso wirkten sich verschiedene Merkmale des islamischen Rechts auf Konflikte, Finanzen und viele Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung in der islamischen Welt aus.
Zweitens spielte Bildung oft eine führende Rolle in der Verbindung von Religion und Wirtschaftsgeschichte. Religiöse Normen förderten oder verhinderten in vielen Gesellschaften Alphabetisierung und Massenbildung. Durch Religion bedingte Bildung spielte eine bestimmende Rolle sowohl in der jüdischen Wirtschaftsgeschichte als auch für Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken in der christlichen Wirtschaftsgeschichte – und auch bei der Frage, wie christliche Missionare die historische Entwicklung in den missionierten Gebieten beeinflusst haben.
Drittens lassen sich wirtschaftliche und weitere Faktoren beschreiben, die die Übernahme und Verbreitung von Religionen und religiösen Überzeugungen erleichtert haben. Die Literatur untersucht vielfältige spezifische Ursachen: von den Praktiken der zuvor dominierenden Religionen über die Auswirkungen von Erdbeben bis hin zu wirtschaftlichem Potenzial, Handelsrouten, Drucktechnik, Wettbewerb, Bildungsexpansion und persönlichen Bindungen. So hat die jüngste Literatur zahlreiche Belege dafür erbracht, dass sozioökonomische Faktoren eine Rolle bei der historischen Entwicklung von Religionen gespielt haben.
Themen der Wirtschaftsgeschichte von Judentum, Christentum und Islam
Unser Überblicksartikel ist nach Religionen organisiert: Judentum, Christentum und Islam. Die Literatur untersucht vor allem zwei Aspekte der jüdischen Geschichte: der jüdische Bildungsvorsprung und die Verfolgungen von Juden. In Bezug auf den Bildungsvorsprung ist ein zentrales Ergebnis, dass der jüdische Fokus auf hochqualifizierte Berufe nicht so sehr aus dem Minderheitenstatus und der Verfolgung in der Diaspora herrührt, sondern vielmehr das Ergebnis religiöser Normen ist, die zum Lesen der Thora angehalten haben (Botticini und Eckstein 2012).
Außerhalb ihres Heimatlandes stellten Juden schon immer eine Minderheit dar, und Diskriminierung und ethnische Gewalt waren ein wiederkehrendes Thema in ihrer Geschichte. Antisemitismus prägt das jüdische Leben seit Jahrhunderten und hat sich sowohl aufgrund kultureller als auch wirtschaftlicher Faktoren als persistent erwiesen (z.B. Voigtländer und Voth 2012). Die Zeit der jüdischen Emanzipation im 19. Jahrhundert brachte in vielen europäischen Ländern eine weithin untersuchte Zweiteilung zwischen Orthodoxie und Reformjudentum mit sich. Diese Periode fand mit der faschistischen Periode und dem Holocaust, der das jüdische Leben in weiten Teilen Europas auslöschte, ein tragisches Ende. Die jüngste Forschung hat die Ursachen und Folgen des Antisemitismus in zahlreichen Ländern untersucht.
Die Forschung zum Christentum lässt sich in drei Blöcke aufteilen: Katholizismus, Protestantismus und Missionare. Die Literatur zum Katholizismus konzentriert sich weitgehend auf die Rolle, die die institutionalisierte Kirche für die historische Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft gespielt hat (z.B. Ekelund, Hébert und Tollison 2002). Dazu gehören Verbote der Verwandtenheirat und des Wuchers, aber auch die Bildung in Klöstern und religiösen Schulen. Auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war die Kirche ein wichtiger politischer Akteur; die neuere Literatur hat einige Aspekte des politischen Engagements der Kirche wie die Beteiligung der Zünfte und die Gegenreformation untersucht.
Ein großer Teil der neueren Literatur zur Religion in der Wirtschaftsgeschichte beschäftigt sich mit dem Protestantismus. Sie macht sich die massive Menge an neu digitalisierten Daten über die Zeit seit der Reformation, die enorme politische und religiöse Heterogenität des Heiligen Römischen Reiches und neueste ökonometrische Methoden zunutze. So zeigt sie, dass verschiedene wirtschaftliche, soziale, politische und technologische Faktoren zur Annahme und Verbreitung der Reformation beigetragen haben (z.B. Rubin 2014). Während einige Studien in bestimmten Kontexten eine begrenzte Unterstützung für Webers These der protestantischen Ethik über den Zusammenhang zwischen Protestantismus und wirtschaftlichem Erfolg erkennen lassen, legen andere Studien nahe, dass Bildung – ebenso wie im Judentum – eine wichtige Rolle gespielt hat: Der Protestantismus betonte, dass jeder Christ Gottes Wort selbst lesen können sollte (Becker und Woessmann 2009). Neben der Bildung hat die Reformation erwiesenermaßen auch die Säkularisierung, den politischen Wandel, die Verbreitung von Technologien und verschiedene soziale Ergebnisse beeinflusst (z.B. Becker, Nagler und Woessmann 2017; Becker und Woessmann 2018; Cantoni, Dittmar und Yuchtman 2018).
Während sich die Arbeiten zu Katholizismus und Protestantismus per se hauptsächlich auf die europäische Geschichte konzentrieren, zeigen zahlreiche neuere Arbeiten über Missionare, dass sich die frühzeitige Präsenz christlicher Missionen in Subsahara-Afrika, Asien und Lateinamerika noch heute auf Bildung, Politik und Wirtschaft auswirkt (z.B. Woodberry 2012; Valencia Caicedo 2019).
Ein großer Teil der wirtschaftshistorischen Forschung zum Islam konzentriert sich auf die Rolle, die der Islam und islamische Institutionen in politökonomischer Hinsicht und bei der sogenannten „langen Divergenz“ zwischen dem Nahen Osten und Westeuropa gespielt haben (z.B. Kuran 2011, 2018; Kuran und Rubin 2018; Rubin 2017). Verschiedene Arbeiten haben gezeigt, wie sich die Präsenz des Islam in Recht und Politik auf wirtschaftliche Ergebnisse wie die Entwicklung von Unternehmen, Beschränkung des Wuchers, Konflikte, Finanzmärkte und Bildung ausgewirkt hat.
Eine letzte Gruppe von Studien macht sich die zwischen Ländern bestehende größere Variation in Religionen und Religiosität zunutze und untersucht sowohl Variation zwischen verschiedenen Weltreligionen als auch Variation in der Religiosität von Menschen verschiedener Religionen.
Viel Raum für weitere Forschung
Obwohl die Literatur zur Rolle von Religion in der Wirtschaftsgeschichte im letzten Jahrzehnt stark gewachsen ist, gibt es noch viele offene Fragen und natürliche Anknüpfungspunkte, die zukünftige Forschung aufgreifen sollte. Die vielleicht größte Herausforderung für die Forschung besteht darin, tiefer in den Zusammenhang von Wirtschaft mit Religiosität (anstatt bloßer Religionszugehörigkeit) einzudringen: Was denken und fühlen die Menschen, welchen spezifischen Überzeugungen hängen sie an und welchen nicht? Schon im aktuellen Umfeld ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, Religiosität und Überzeugungen zu messen – noch weit schwieriger ist sie im historischen Kontext, wo nicht mehr die Option besteht, die Menschen in einer Umfrage zu befragen.
Darüber hinaus sind viele der behandelten Themen – beispielsweise Antisemitismus oder die Ursachen religiöser Gefühle – unweigerlich viel komplexer, als es die Religionsökonomik alleine abdecken könnte. Die Wirtschaftswissenschaft bietet eine komplementäre Perspektive zu den reichhaltigeren Beiträgen von HistorikerInnen, TheologInnen, EthnographInnen und weiteren Disziplinen. Zwar hat die jüngste Forschung deutlich gezeigt, dass Religion eine wichtige Rolle in der Wirtschaftsgeschichte gespielt hat. Doch es bleibt noch viel Raum – nicht zuletzt für multidisziplinäre Ansätze – um unser Verständnis zu vertiefen, wie religiöse Überzeugungen und Aktivitäten das Leben der Menschen im Laufe der Geschichte verändert haben.
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Becker, Sascha O., Jared Rubin, and Ludger Woessmann. 2020. “Religion in Economic History: A Survey.” CEPR Discussion Paper 14894, im Erscheinen in: Alberto Bisin und Giovanni Federico (Hrsg.), Handbook of Historical Economics. https://www.elsevier.com/books/the-handbook-of-historical-economics/bisin/978-0-12-815874-6
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Woodberry, Robert D. 2012. “The Missionary Roots of Liberal Democracy.” American Political Science Review 106(2): 244–274.
©KOF ETH Zürich, 14. Jul. 2020