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Wirtschaftspolitik während der Pandemie: Eine europäische Perspektive

Summary:
Dieser Artikel diskutiert die Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik in Europa in der Corona-Krise. Dabei wird insbesondere auf Grundprinzipien für die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, die Erfordernis einer klaren politischen Kommunikation, die Notwendigkeit einer länderübergreifenden Zusammenarbeit und den Bedarf an klaren und einheitlichen Strategien im Umgang mit der Staatsverschuldung eingegangen. Innenpolitik Die Coronavirus-Pandemie und die zu ihrer Bekämpfung eingeleiteten Maßnahmen hatten wirtschaftliche Folgen von historischem Ausmaß in Europa und der ganzen Welt. Die wirtschaftlichen Folgen kamen einerseits durch staatliche Empfehlungen bzw. Anordnungen aber auch durch freiwillige individuelle Verhaltensänderungen im Angesicht der Pandemie zustande. Sowohl

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Christian Bayer, Moritz Kuhn considers the following as important:

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Dieser Artikel diskutiert die Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik in Europa in der Corona-Krise. Dabei wird insbesondere auf Grundprinzipien für die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, die Erfordernis einer klaren politischen Kommunikation, die Notwendigkeit einer länderübergreifenden Zusammenarbeit und den Bedarf an klaren und einheitlichen Strategien im Umgang mit der Staatsverschuldung eingegangen.

Innenpolitik

Die Coronavirus-Pandemie und die zu ihrer Bekämpfung eingeleiteten Maßnahmen hatten wirtschaftliche Folgen von historischem Ausmaß in Europa und der ganzen Welt. Die wirtschaftlichen Folgen kamen einerseits durch staatliche Empfehlungen bzw. Anordnungen aber auch durch freiwillige individuelle Verhaltensänderungen im Angesicht der Pandemie zustande. Sowohl staatliches als auch individuelles Handeln zielte darauf ab Ansteckungen zu vermeiden, indem durch räumliches Abstandhalten (Social Distancing) die Ausbreitung des Virus unterbunden oder zumindest verlangsamt wurde und so insbesondere Risikogruppen geschützt werden können.  

Als Nebenwirkung ist in vielen Ländern der EU die Produktion abrupt zurückgegangen und die Arbeitslosigkeit insbesondere in einigen Branchen stark angestiegen. Die Auswirkungen waren und sind tiefgreifend, aber nicht jede und jeder ist gleichermaßen von der Krise betroffen, sowohl was Ausmaß als auch die konkrete Auswirkung angeht.

All dies stellt die wirtschaftspolitischen EntscheidungsträgerInnen in ihren jeweiligen Ländern vor enorme Herausforderungen und es geht uns, den UnterzeichnerInnen, hier nicht darum, spezifische Bemühungen zu bewerten. Der Grund liegt vor allem darin, dass die einzelnen Länder sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden: Was in einem Land eine angemessene Maßnahme ist, könnte in einem anderen Land völlig unangemessen sein. Unser Ziel ist es vielmehr, einige Grundlinien zu skizzieren, die unserer Meinung nach in den verschiedenen Phasen der Krise von allgemeinem Nutzen sind.

Die Art des Schocks

Zunächst ist es außerordentlich wichtig die wirtschaftliche Natur der Krise zu verstehen. Auf makroökonomischer Ebene ist die Pandemie als einzelnes, überraschendes massives Ereignis zu verstehen, ein Schock im wahrsten Sinne des Wortes. Im Vergleich zu praktisch allen anderen Rezessionen, mit denen wir in der Neuzeit konfrontiert waren, ist dies höchst ungewöhnlich. In einer typischen Rezession ist lange bis tief in die Rezession hinein wissenschaftlich nicht klar, was der eigentliche Auslöser ist, warum also z.B. eine Rezession jetzt und nicht früher oder später eingetreten ist. Rezessionen entstehen oft durch „Nachfragemangel“ und die Gründe dafür sind vielschichtig. Zukunftsängste und mangelnde Zuversicht sind ein Beispiel, die dann zu einem gewissen Grad zu sich selbst erfüllende Prophezeiungen werden. Das Standardrezept zur Bekämpfung solcher Rezessionen ist die keynesianische Nachfragesteuerung: Das heißt staatliche wirtschafts- oder steuerpolitische Maßnahmen, um die Nachfrage wieder zu beleben. Die gegenwärtige Pandemie steht jedoch in scharfem Gegensatz dazu: Wir haben es mit einem höchst schmerzlichen, jedoch unvermeidlichen Schock zu tun, in dessen Folge auf Grund persönlicher Entscheidungen der Bürger und Maßnahmen der Regierung die wirtschaftliche Aktivität zurückgegangen ist.

Das Schlüsselprinzip der Politik: Überbrückung

Was kann die Wirtschaftspolitik also tun? Während der Pandemie kann die Politik dazu beitragen, die Ausfälle im wirtschaftlichen Bereich vor und nach Corona zu überbrücken. Ziel sollte es daher sein, eine rasche Rückkehr zum Trend zu ermöglichen, sobald die aufgrund des Gesundheitsnotstands ergriffenen Maßnahmen aufgehoben wurden. Der Schwerpunkt der makroökonomischen Politik sollte daher in ganz Europa darauf liegen, Wege zu finden, um ein permanentes Aufbrechen der grundsätzlich gesunden Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Beschäftigten, Unternehmen und ihren KundInnen sowie Unternehmen und ihren Zuliefererunternehmen zu verhindern und damit Lieferketten intakt zu halten. Wenn diese Verbindungen weiter bestehen, wird es möglich sein, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, sobald die Bedrohung durch das Virus zurückgegangen ist. Der Wiederaufbau einmal gekappter Beziehungen braucht hingegen Zeit, was die wirtschaftliche Erholung langwierig und schmerzhaft machen könnte. Eine Vielzahl von Maßnahmen können daher sinnvoll sein, dazu zählen unter anderem finanzielle Unterstützung, Gesetzesänderungen im Bereich des Arbeitsrechts sowie des Insolvenzrechts. Konkret wird dies von dem jeweiligen Rechtsrahmen jedes einzelnen Landes abhängen, daher macht es an dieser Stelle wenig Sinn konkret einzelne Maßnahmen vorzuschlagen, so dass wir lediglich auf die dringende Notwendigkeit solcher Maßnahmen hinweisen, deren jeweilige Ausgestaltung sich zwangsläufig nach dem jeweiligen länderspezifischen und institutionellen Kontext unterscheiden wird.

Dabei gibt es sicherlich auch einige Firmen/Beziehungen, die eigentlich aufgebrochen werden sollten: Schließlich haben Rezessionen bis zu einem gewissen Grad auch eine reinigende Funktion. Es ist jedoch schwierig, diese Firmen/Beziehungen für die Politik zu identifizieren und um daher unproduktive Lobbying-Bemühungen zu vermeiden, befürworten wir eine Politik, die breit angelegt ist und wenig Ermessensspielraum zulässt.

Eine wichtige Einschränkung des Prinzips, das wir gerade vorgestellt haben, gilt für das Ausmaß, in dem sich die Wirtschaft aufgrund dieser Ereignisse dauerhaft verändern wird. Wahrscheinlich wird einiges anders werden: Meetings werden möglicherweise häufiger virtuell stattfinden und die Zeitaufteilung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz wird sich dadurch verändern, außerdem könnten die Anforderungen an die öffentliche Hygiene strenger werden. Diese und ähnliche Veränderungen müssen mitberücksichtigt werden, aber sie sind unseres Erachtens nicht wesentlich genug, um eine ganz andere Art von Politik zu fordern. Wichtig ist, dass sie weder auf innerstaatlicher noch auf EU-Ebene eine neue oder neu ausgerichtete Industriepolitik erfordern.

Auch für die am stärksten direkt von der Krise betroffenen Bevölkerungsgruppen sind die Auswirkungen möglicherweise erheblich und lang anhaltend: Allen voran gilt das, um nur einige zu nennen, für die Kinder, die Schulunterricht und damit Bildungschancen versäumt haben, Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben und unter Umständen lange Zeit arbeitslos bleiben, Menschen (meist Frauen), die zu Hause Kinder und ältere Menschen betreuen und somit einer erheblichen Belastung ausgesetzt sind und womöglich auf berufliche Weiterbildung und Karriere verzichten müssen. Hier ist zu befürchten, dass selbst wenn die akute Pandemie überwunden ist, langfristig schädliche Nachwirkungen bleiben und es ist angezeigt, dass die Politik diese Problemfelder adressiert.

Transferpolitik

Aber auch kurzfristig beeinträchtigt die Corona-Krise bestimmte Haushalte wirtschaftlich stark und manche deutlich stärker als andere. Im Angesicht des überraschenden und wirtschaftlich insofern „unverschuldeten“ Charakters dieser Krisenschäden erscheint uns angezeigt, den besonders negativ Betroffenen großzügig durch Transfers zu helfen. In einem gewissen Sinne stellen solche Transferleistungen „Corona-Versicherungszahlungen" dar, denn niemand konnte sich gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen, gegen pandemiebedingte Verluste, versichern. Das Ereignis war unvorhersehbar und die Aufgabe des Staates ist nun, einen Ausgleich dafür zu schaffen.

Das Ziel der Transferleistungen besteht aber nicht etwa, wie in den meisten anderen Rezessionen, darin, die Nachfrage anzukurbeln – denn die Produktion ist niedrig, weil wir wollen, dass sie niedrig ist, bis die gesundheitliche Gefährdung überwunden ist. Stattdessen ist es das Ziel einzelnen Haushalten zu helfen, die harte Zeit durchzustehen um als Gesellschaft möglichst effektiv die Pandemie im Griff zu halten. Die Transferzahlungen erlauben es uns als Gesellschaft weniger Rücksicht darauf nehmen zu müssen, dass Einzelne durch die Eindämmungsmaßnahmen  stark negativ betroffen sind.

Eine günstige Gelegenheit für Strukturwandel?

Dies bedeutet, wie wir in den letzten Monaten gesehen haben, dass Regierungen große Summen in die Hand nehmen. Sollte daher die Corona-Krise als Gelegenheit genutzt werden, um einen Strukturwandel zur Unterstützung anderer langfristiger, lobenswerter Ziele herbeizuführen, wie z.B. der Bemühungen, den Klimawandel zu verlangsamen? Ist dies also ein günstiger Zeitpunkt, um Fluggesellschaften oder andere Branchen und Produkte „sterben zu lassen“? Wir denken nicht! Solche Maßnahmen würden die Rezession über das hinaus verschärfen, was ohnehin schon auf uns zukommen wird: Arbeitslosigkeit und menschliches Leid würden nur noch verschlimmert. Es macht Sinn, langfristige Ziele dann zu verfolgen, wenn sich die Lage wieder stabilisiert hat, wenn unsere Ökonomien stark genug sind, die zusätzlichen Kosten des notwendigen Wandels zu schultern.

Ungewissheit und Zukunftsprognosen

Wir müssen uns unbedingt mit der Unsicherheit, in der wir uns nach wie vor befinden, auseinandersetzen. Obwohl die Coronabeschränkungen jetzt allmählich in Europa zurückgefahren werden, ist noch höchst unklar, wie lange die Pandemie weiterhin unser Verhalten maßgeblich beeinflussen wird. Das hängt von der Entwicklung des Virus ab – es ist durchaus möglich, dass wir einen Rückschlag erleben und zu strengeren Beschränkungen zurückkehren müssen – und vom Erfolg unserer Versuche, einen Impfstoff oder eine wirksame Behandlung für das Virus zu finden. In einem pessimistischen Szenario haben wir noch einen langen Weg vor uns, bis die Gesundheitskrise unter Kontrolle ist; in einem optimistischen Szenario wird ein Impfstoff gefunden und bald in Massenproduktion hergestellt werden. Die Wirtschaftspolitik muss diesen schwer vorhersehbaren medizinischen Faktoren Rechnung tragen. Daher wird die Wirtschaftspolitik, selbst bei angemessener Vorgehensweise, schwer vorhersehbar sein.

Dies führt notwendigerweise zu gewisser Unsicherheit bezüglich der weiteren Politik. Dennoch können und sollten politische EntscheidungsträgerInnen diese Unsicherheit reduzieren. Denn politische Unsicherheit selbst kann zur Ursache einer länger andauernden klassischen Rezession werden. Unternehmen können Investitionen zurückhalten, Einstellungen bis auf weiteres einfrieren und Forschung und Entwicklung aus Angst vor einer schlechten Konjunkturerholung auf Eis legen, wodurch die Corona-Krise wesentlich langwieriger und schmerzhafter wird als nötig.

Eine Schlüsselstrategie für politische EntscheidungsträgerInnen besteht hier darin, zukünftige politische Absichten klar zu kommunizieren. Also möglichst klar zu formulieren und rechtzeitig festzulegen unter welchen Bedingungen welche Politik, welche Regeln, gelten. Dieser Ansatz, auch als „Forward Guidance“ bezeichnet, ist aus der Geldpolitik bekannt. Er erfordert eine sorgfältige Planung, aber die dahinter stehende Idee ist, dass die Kommunikation künftiger politischer Absichten den Unternehmen wichtige Signale gibt, die ihnen dabei helfen, ihre Maßnahmen zum Wiederbeginn ihrer Geschäftstätigkeit zu planen, und dass sie es den Haushalten ermöglicht, besser zu beurteilen, inwieweit tatsächlich vorsorglich gespart werden muss. Das Knüpfen an Bedingungen erfordert in diesem Fall eine enge Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden, um die Szenarien und die davon abhängigen Pläne klar zu definieren.

Zu einer angemessenen Forward Guidance gehört insbesondere, sich darüber im Klaren zu sein, welche Entwicklungen mit großer Sicherheit erwartbar sind und welche nicht. Im Bereich der Gesundheitspolitik ist unsere Einschätzung bisher, dass die meisten Regierungen es versäumt haben, eine angemessene Orientierung für die Zukunft bereitzustellen: Sie sind sich über die langfristige Strategie nicht im Klaren und  konzentrieren sich lediglich auf die aktuellen Maßnahmen. Wir brauchen dringend Signale an die Wirtschaft: Sowohl die Wirtschaftspolitik als auch die Gesundheitspolitik müssen uns viel besser auf die Zukunft hin orientieren.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Solidarität

Zu Beginn der Gesundheitskrise ergriffen viele Länder rasch einseitige Maßnahmen, um ihre Grenzen für ausländische Bürgerinnen und Bürger und den Handel zu schließen. Nun könnte man argumentieren, dass die Covid-19-Krise die Gefahren offener Grenzen aufgezeigt hat und dass sich die Länder jetzt mehr auf die Selbstversorgung verlassen müssen. Unserer Meinung nach ist dies ein gefährlicher Weg, der nicht nur den Wohlstand mindern, sondern auch unsere Fähigkeit zur Bewältigung künftiger Krisen beeinträchtigen und möglicherweise auch zu populistischen Angriffen auf die Demokratie führen kann. Stattdessen müssen auf dem Weg in die nächste Phase der Krise die internationale Zusammenarbeit und Offenheit der Grenzen wiederhergestellt werden. Die Länder müssen an einem Strang ziehen und dem Druck widerstehen, sich nach innen zu orientieren.

Ein besonderes und entscheidendes Merkmal der Covid-19-Krise ist, dass sie einen Großteil der Weltwirtschaft ungefähr zur gleichen Zeit in Mitleidenschaft gezogen hat. Die wirtschaftlichen Auswirkungen waren überall und selbst dort zu spüren, wo die gesundheitlichen Folgen zunächst noch gering waren. Dieses Merkmal des allgemeinen Schocks hat erhebliche Konsequenzen. Die Weltwirtschaft ist durch den internationalen Handel mit Fertigerzeugnissen und Dienstleistungen sowie Zwischenprodukten und durch die Ströme von Ideen, Kapital und Menschen eng miteinander verflochten. Diese Kombination aus engen Handelsverbindungen und einem allgemeinen wirtschaftlichen Schock macht es den einzelnen Ländern schwer, sich von der Krise zu erholen, da es an ausländischer Exportnachfrage mangelt und die globalen Lieferketten unterbrochen sind. Solche Verflechtungen zwischen den Volkswirtschaften sind innerhalb Europas besonders stark, wo nicht nur die Handelsverbindungen sehr eng sind, sondern wo es auch erhebliche grenzüberschreitende Bewegungen sowohl von Arbeitskräften als auch von Kapital gibt. Tatsächlich liegt eine der wichtigsten Stärken Europas in der relativen Abwesenheit von Handelsschranken, wodurch Europa zu einem Gebilde wird, das einem großen Land ähnelt, das in etwa so groß ist wie die Vereinigten Staaten. Die tatsächliche Gesamtgröße Europas ist gerade in schwierigen Zeiten wie diesen ein großer Vorteil.

Für die Produktivität unserer Volkswirtschaften ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Handelsbeziehungen so schnell wiederbelebt werden, wie es die gesundheitliche Situation erlaubt, und dass die multilaterale Zusammenarbeit wieder aufgenommen wird. Bilaterale Abkommen können gesundheitliche Maßnahmen gefährden, wenn Länder über den Zugang zu den Volkswirtschaften der jeweils anderen Länder verhandeln. Es besteht die Gefahr, dass es zu Wartespielchen kommt, in denen sich jedes Land zurückhält, bis andere Länder ihre Maßnahmen lockern und ihre Grenzen öffnen. Die Vermeidung solcher negativen Konsequenzen kann und muss durch eine breitere internationale Zusammenarbeit vermieden werden. Dies erstreckt sich auch auf die Wirksamkeit von Konjunkturmaßnahmen, bei denen externe Effekte durch die Exportnachfrage für einzelne Länder die Versuchung mit sich bringen, sich darauf zu verlassen, dass andere Länder ihre Wirtschaft stimulieren und die Steuerlasten tragen. Sollten alle Länder dies letztendlich tun, ist die Konsequenz eine nicht effiziente Verschleppung der wirtschaftlichen Erholung.

Wahrscheinlich müssen die stärkeren Volkswirtschaften auf dem weiteren Weg einen größeren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten. Diesen Preis zu zahlen, lohnt sich nicht nur aus rein wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aus Solidarität gegenüber den von der Covid-19-Krise besonders hart getroffenen Ländern. Spezifische Abkommen sollten ebenso wie die innerstaatliche Überbrückungsmaßnahmen klare Konditionalitäten enthalten, vor allem aber darauf abzielen, die Interdependenzen unserer Volkswirtschaften und die Vorteile einer möglichst raschen Aufhebung der Handels- und Reisebeschränkungen anzuerkennen. Im Idealfall sind die Termine für die Öffnung von Land zu Land unterschiedlich, da sich die einzelnen Länder in unterschiedlichen Stadien der Bewältigung der Gesundheitskrise befinden. Tatsächlich ist es aber wahrscheinlich die politische Heterogenität, die zu den Unterschieden bei den als „ideal“ anzusehenden Öffnungsterminen für Handel und Reisen in verschiedenen Teilen Europas beigetragen hat. Diese Unterschiede lassen sich jedoch nicht vermeiden, und die internationale Zusammenarbeit muss sie daher respektieren, um ein mögliches Wiederaufflammen der Krankheit in Ländern, die es geschafft haben, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, nicht zu gefährden. Für alle Seiten vorteilhafte Pläne in diesem Bereich beinhalten die Aufhebung internationaler Barrieren, eine Gleichzeitigkeit ist aber nicht unbedingt erforderlich.

Die Zusammenarbeit würde zwar idealerweise auf globaler Ebene erfolgen, aber zumindest Europa befindet sich in einer guten Position, um angesichts seiner bestehenden politischen Institutionen einheitlich zu handeln. Tatsächlich hat Europa bereits viel getan. Die EZB hat angesichts der Coronavirus-Pandemie ein Notkaufprogramm lanciert, das 750 Milliarden Euro für den Kauf von Wertpapieren vorsieht. Die EU hat auch eine Reihe anderer Initiativen gestartet. Dazu gehören die Pandemie-Krisenhilfe des ESM, der paneuropäische Garantiefonds der EIB, der SURE-Plan der Europäischen Kommission (Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency, SURE) und, vielleicht am ehrgeizigsten, was fiskalische Aspekte angeht, das EU-Konjunkturpaket „Next Generation EU“, das hauptsächlich auf mittel- und längerfristige Bedürfnisse ausgerichtet ist. Was jedoch noch fehlt, ist eine Politik, die den am stärksten betroffenen EU-Ländern die Möglichkeit gibt, den dringenden Bedarf an einer Überbrückungspolitik zu decken, ohne Gefahr zu laufen, in eine instabile Schuldendynamik zu geraten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der internationalen Zusammenarbeit ist der Informationsaustausch über die Erfahrungen im Umgang sowohl mit den gesundheitlichen Herausforderungen des Coronavirus als auch mit seinen wirtschaftlichen Auswirkungen. Wir befinden uns in einer so noch nie dagewesenen Situation und eine gute Politik und Wissenschaft muss auf Daten aufbauen, die dazu beitragen, die Politiken im Gesundheitsbereich wie auch in der Wirtschaftspolitik besser zu gestalten. Es wird wichtig sein, diese Daten weiterhin zu erheben und zu analysieren, aber auch, das Wissen effektiv weiterzugeben. Es gibt viele weitere Herausforderungen. Wird es neue Infektionswellen geben? Wie schnell werden sich die einzelnen Volkswirtschaften erholen? Besteht Bedarf an Strukturwandel? Diese Fragen lassen sich am besten gemeinsam angehen. Es wäre auch durchaus denkbar, dass es Bedarf für eine verstärkte europäische Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich gibt, wie zum Beispiel die Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs der Europäischen Gesundheitsagentur. In ähnlicher Weise könnte ein unabhängiger wissenschaftlicher Wirtschaftsausschuss die Politik für die wirtschaftliche Erholung in den verschiedenen Regionen Europas bewerten und koordinieren, spezifische strategische Entwicklungsstrategien entwickeln und den zuständigen nationalen Ministerien Ideen zu Unterstützung der Wirtschaftserholung in den einzelnen Regionen an die Hand geben.

Der Umgang mit Staatsschulden

Die Krise wird sehr wahrscheinlich erhebliche Auswirkungen auf die Staatshaushalte haben. Die Steuereinnahmen sind aufgrund des Rückgangs der Geschäftstätigkeit gesunken. Die Ausgaben für den Gesundheitssektor sind gestiegen. Die staatlichen Transferleistungen haben sich erhöht, da viele Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren haben. Staatliche Eingriffe waren nötig, um ArbeitnehmerInnen und Unternehmen (zumindest teilweise) für ihre Einkommensverluste zu entschädigen. Der Rückgang des BIP hat auch dazu geführt, dass die Schuldenlast, gemessen an der wirtschaftlichen Leistung einer Volkswirtschaft, zugenommen hat. Alle Faktoren deuten auf größere Defizite und mehr Schulden hin.

Für die Zukunft sind substanzielle Konjunkturmaßnahmen erforderlich, um die Volkswirtschaften wieder in Schwung zu bringen: Die von uns vorgeschlagene Überbrückungspolitik muss so lange beibehalten werden, bis sich die Gesundheitssituation deutlich verbessert hat. Einige Länder befinden sich aufgrund der soliden Staatsfinanzen zu Beginn der Krise in einer guten Position, um die Ausgaben noch einige Zeit aufrechtzuerhalten. Andere werden stattdessen viel weniger Finanzspielraum haben, um ihre Wirtschaft zu stimulieren. Die am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder wie Spanien, Italien und Belgien waren bereits zu Anfang der Krise mit einer hohen Staatsverschuldung belastet.

Angesichts der derzeit niedrigen Zinssätze scheint es für alle Seiten vorteilhaft zu sein, dass europäische Regierungen mit finanziell stärkeren Haushalten in Länder mit schwächeren Haushalten „investieren“. Internationale Abhängigkeiten machen solche Interventionen besonders wertvoll, da sie in allen Ländern ein schnelleres Ende der durch die Corona-Krise ausgelösten Rezession ermöglichen. Eine höhere Verschuldung kann jedoch die Ausfallrisiken erhöhen, wodurch die erforderliche Rendite der Staatsschulden in besonders gefährdeten Ländern steigen kann. Solche Überzeugungen können zu sich selbst erfüllenden Zahlungsausfällen führen, auch wenn der Staat in der Lage ist, normale Zinsen für seine Schulden zu zahlen. Ein solches Ergebnis liegt nicht im Interesse der Gläubiger, wer auch immer sie sind. Eine Staatsschuldenkrise könnte die internationale Wirtschaft bei ihren Bemühungen, sich von der Pandemie zu erholen, weiter lähmen.

Es besteht Konsens darüber, wie ein Bollwerk zum Schutz gefährdeter Volkswirtschaften gegen solche Schuldenkrisen errichtet werden kann: Ein Kreditgeber letzter Instanz (lender of last resort) muss garantieren, dass der Kreditbedarf der Länder gedeckt wird. Obwohl der Europäische Stabilitätsmechanismus einen Mechanismus bietet, um dies zu erreichen, sind die verfügbaren Mittel auf 500 Milliarden Euro begrenzt. Dies könnte unzureichend sein. Allein die Staatsverschuldung Italiens ist fünfmal so hoch wie dieser Fonds. Der von Ursula von der Leyen präsentierte EU-Wiederaufbauplan sieht vor, 750 Milliarden Euro durch die Ausgabe von Schuldverschreibungen der Europäischen Union aufzubringen. Diese Einnahmen sollten einem Fonds zugewiesen werden, der als eine Art Schutzschild zur Bewältigung potenzieller Schuldenkrisen dient, anstatt die Mittel für die Initiierung neuer Ausgaben zu verwenden, wie beispielsweise industriepolitische Maßnahmen. Den Ländern muss es erlaubt sein, die neuen Schulden zu nutzen, um zwei Ziele zu erreichen: die notwendige Überbrückungspolitik zu finanzieren und gleichzeitig eine Schuldenkrise zu vermeiden. Neue und kostspielige industriepolitische Maßnahmen dagegen können die Fähigkeit, beide Ziele zu erreichen, beeinträchtigen.

Konkret schlagen wir vor, einen größeren Fonds einzurichten, um Schuldenkrisen abzuwenden und den Empfängerstaaten mehr Mitspracherecht bei der Verwendung der Mittel zu geben, anstatt die Mittel an bestimmte industriepolitische Maßnahmen mit langfristigen Zielen zu binden.

Die Wirtschaftswissenschaft bietet kein Rezept dafür, wer diese Schulden letztendlich begleichen soll. Es ist eine politische Frage, ob sie von allen Ländern gemeinsam geschultert oder letztlich von den betroffenen Ländern allein getragen werden sollen. In jedem Fall sollten die Transferleistungen mit Konditionalitätsbedingungen einhergehen, die auf Reformen abzielen, die zu einer effizienteren Steuererhebung und besser funktionierenden Volkswirtschaften führen. Zum Beispiel kann eine höhere Vermögensbesteuerung ein probater Weg sein, die inländischen Steuereinnahmen zu erhöhen, ohne die Wirtschaft lahmzulegen. Unabhängig von der gewählten Lösung muss das Problem erkannt, diskutiert und angegangen werden, um sehr kostspielige Konsequenzen zu vermeiden. Während der europäischen Schuldenkrise vor zehn Jahren war die politische Unsicherheit (werden Länder aussteigen etc.) ein Hauptproblem. Dieses Mal steht mehr auf dem Spiel, weil die Schuldenlast gestiegen ist und die europäischen Bevölkerungen älter sind. Es muss dabei unbedingt vermieden werden, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Dieser Beitrag ist eine leicht überarbeitete deutsche Übersetzung des Textes „Economic policy under the pandemic: A European perspective[ a ]“, der auf VoxEU erschienen ist. Der englische Originaltext wurde von John Hassler, Per Krusell, Morten Ravn und Kjetill Storesletten verfasst und von einer Gruppe europäischer Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler unterzeichnet:

Philippe Aghion, College de France and LSE

Christian Bayer, Universität Bonn

Florin Bilbiie, University of Lausanne

Timo Boppart, IIES, Stockholm University

Giancarlo Corsetti, University of Cambridge

Michael Devereux, University of British Columbia

Jan Eeckhout, Universitat Pompeu Fabra

Gauti Eggertsson, Brown University

Michael Elsby, University of Edinburgh

Nezih Guner, CEMFI, Madrid

Tomas Havranek IES, Charles University

Christian Hellwig, TSE, Université Toulouse 1

Isabel Horta Correia, Catolica Lisbon

Miklos Koren, Central European University

Moritz Kuhn, Universität Bonn

Birthe Larsen, Copenhagen Business School

Kalina Manova, University College London

Filip Matejka, CERGE-EI, Charles University

Claudio Michelacci, Einaudi Institute for Economics and Finance

Kurt Mitman, IIES, Stockholm University

Tommaso Monacelli, Università Bocconi

Niku Määttänen, Helsinki Graduate School of Economics

Evi Pappa, Universidad Carlos III de Madrid

Franck Portier, University College London

José V. Rodríguez Mora, University of Edinburgh

Claus Thustrup Kreiner, University of Copenhagen

Antonella Trigari, Università Bocconi

Akos Valentinyi, University of Manchester

Johanna Wallenius, Stockholm School of Economics

Mirko Wiederholt, Sciences Po

Marios Zachariadis, University of Cyprus

Josef Zweimüller, Universität Zürich

©KOF ETH Zürich, 20. Jul. 2020

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