Die nachhaltige Erschütterung der globalen Lieferketten spricht gegen eine rasche Erholung von Welthandel und Weltwirtschaft. Es braucht nun gezielte Konjunkturimpulse. Zwar haben Umwelt- und Strukturwandel eine herausragende Bedeutung, zuerst muss aber der Wiederaufbau gelingen. Fast drei Jahrzehnte lang waren die globalen Lieferketten die stillen Motoren der wirtschaftlichen Globalisierung. Von 1990 bis 2008 trieben sie die rapide Ausweitung[ a ] des Handels an; 60-70% des Handelswachstums entfielen auf sie. Mehr als ein Jahrzehnt später jedoch sind sie zum Stillstand gekommen – und könnten in einigen Bereichen nun den Rückwärtsgang einlegen.[ 1 ] Der auf den globalen Lieferketten lastende Druck spiegelt die Hinwendung vieler Regierungen zu einer protektionistischen Politik seit
Topics:
Dalia Marin considers the following as important:
This could be interesting, too:
Cash - "Aktuell" | News writes Diese Schweizer Aktien haben seit dem «Schocktober» 2023 die grössten Gewinne erzielt
Cash - "Aktuell" | News writes Aktien Europa Schluss: Kursrutsch geht weiter
Cash - "Aktuell" | News writes SMI deutlich schwächer – negative Monatsbilanz
Cash - "Aktuell" | News writes Dax-Korrektur hält an – Gute News verpuffen
Die nachhaltige Erschütterung der globalen Lieferketten spricht gegen eine rasche Erholung von Welthandel und Weltwirtschaft. Es braucht nun gezielte Konjunkturimpulse. Zwar haben Umwelt- und Strukturwandel eine herausragende Bedeutung, zuerst muss aber der Wiederaufbau gelingen.
Fast drei Jahrzehnte lang waren die globalen Lieferketten die stillen Motoren der wirtschaftlichen Globalisierung. Von 1990 bis 2008 trieben sie die rapide Ausweitung[ a ] des Handels an; 60-70% des Handelswachstums entfielen auf sie. Mehr als ein Jahrzehnt später jedoch sind sie zum Stillstand gekommen – und könnten in einigen Bereichen nun den Rückwärtsgang einlegen.[ 1 ]
Der auf den globalen Lieferketten lastende Druck spiegelt die Hinwendung vieler Regierungen zu einer protektionistischen Politik seit dem Höhepunkt der Öffnung der Weltwirtschaft 2011 wieder. Und jetzt hat die COVID-19-Pandemie eine durch einen Angebotsschock bedingte Rezession verursacht. Die damit verbundene Unsicherheit könnte die Expansion der globalen Wertschöpfungsketten[ b ] um mindestens 35% verlangsamen. Tatsächlich wächst der Welthandel inzwischen nicht mehr[ c ] schneller als das globale BIP. Wenn sich dies fortsetzt, werden viele Unternehmen ihre Fertigung aus Asien und anderswo zurückholen.[ 2 ]
Nachhaltige Erschütterung der globalen Lieferketten spricht gegen rasche Erholung
Es ist klar, dass die schrumpfende Produktion bei Unternehmen weltweit eine Rezession – und Erholung – hervorrufen wird, wie wir sie noch nie erlebt haben. In ihren Prognosen für nächstes Jahr gehen Internationaler Währungsfonds[ d ], OECD[ e ] und andere internationale Organisationen von einer V-förmigen Erholung aus. Doch wurde dieses Narrativ vermutlich durch die rasche Erholung[ f ] der globalen Wertschöpfungsketten nach der Großen Rezession von 2008-2010 beeinflusst, einem Abschwung, der seinen Ursprung im Finanzsystem und nicht weltweit in der Realwirtschaft hatte. Angesichts der Bedeutung zerbrochener Lieferbeziehungen im derzeitigen Abschwung dürfte diese Rezession einzigartig ausfallen.
Unternehmen sind noch auf andere Weisen anfällig. So können von einem Lockdown betroffene Zulieferunternehmen ihren KundInnen erhebliche Produktionsverluste verursachen, wenn die von ihnen produzierten Vorprodukte kundenspezifischer Art sind und ein hohes Maß an Forschung und Entwicklung und an geistigem Eigentum auf sich vereinen. In derartigen Fällen ist die Umstellung auf ein anderes Zulieferunternehmen kostspielig und langwierig.
Es ist keine Überraschung, dass pandemiebedingte Störungen einzigartig sind. Bei ihrer Untersuchung bedeutender Naturkatastrophen in den USA aus drei Jahrzehnten haben Jean-Noël Barrot und Julien Sauvagnat vom MIT festgestellt[ g ], dass von einer Überflutung, einem Erdbeben oder einem ähnlichen Ereignis betroffene Zulieferunternehmen ihren KundInnen große Produktionsverluste zufügen. Tatsächlich erlitt, wenn ein Zulieferunternehmen von einer derartigen Katastrophe betroffen war, das Umsatzwachstum der Unternehmen einen durchschnittlichen Rückgang von 2-3 Prozentpunkten. Die Auswirkungen griffen auf weitere Zulieferfirmen über und vergrößerten die ursprüngliche Erschütterung.[ 3 ]
Es ist zudem wahrscheinlich, dass diese Rezession ein niedrigeres BIP-Trendwachstum hervorbringen wird. Schließlich waren die globalen Lieferketten in den 1990er Jahren und während des größten Teils des folgenden Jahrzehnts ein wichtiger Antriebsfaktor für das Produktivitätswachstum in vielen Ländern.Die Expansion der Lieferketten nach Osteuropas im Anschluss an den Mauerfall trug nicht nur zur Erholung Deutschlands[ h ] – des bis dahin „kranken Mannes Europas“ – bei, sondern löste auch in der Tschechischen Republik, Ungarn, Polen, der Slowakei und anderen Ländern der Region ein starkes Wachstum aus.[ 4 ] Wenn schon die Verlangsamung des Wachstums der globalen Wertschöpfungsketten seit 2011 zu blutleerem Produktivitätswachstum in den entwickelten Ländern beigetragen hat, lässt eine noch stärkere Verlangsamung oder gar Kontraktion aufgrund pandemiebedingter Störungen nichts Gutes erwarten.
Gezielte staatliche Konjunkturimpulse für nicht-substitutive Sektoren nötig
Unter diesen Umständen besteht die einzige Option für die Politik darin, das Wachstum in bestimmten Sektoren anzukurbeln. Es geht darum die Rezessionskurve abzuflachen, um in dem Jargon der VirologInnen zu bleiben. Was muss bei einem Konjunkturpacket für den Wiederaufbau beachtet werden? In Deutschland haben Volkswagen und andere Unternehmen auf eine Abwrackprämie ähnlich wie 2009 gedrängt. Die Bundesregierung jedoch hat sich gegen eine derartige Maßnahme entschieden.
Diese Entscheidung ist überdenkenswert. Unter normalen Umständen würde man eine Konjunkturpolitik, die bestimmte Sektoren bevorzugt, ablehnen. Neue makroökonomische Modelle[ i ][ 5 ] der Pandemie legen jedoch nahe, dass sektorenspezifische Konjunkturmaßnahmen die größten fiskalischen Impulse pro ausgegebenem Euro erzeugen könnten. Eine Volkswirtschaft, in der 50% der Wirtschaft komplett heruntergefahren wurden, wie das in einer Pandemie passiert, ist nicht dasselbe wie eine, in der die gesamte Wirtschaftsaktivität um 50% einbricht, wie das in einer Depression geschieht. In einer Pandemie bedingt die Beziehung eines Sektors zum Rest der Volkswirtschaft das Ergebnis.
Der beste Weg, um die Auswirkungen fiskalischer Konjunkturimpulse zu maximieren, besteht daher in der Ermittlung nicht-substitutiver Sektoren. In Deutschland wie anderswo haben Autos eine Komplementärbeziehung[ j ] zum Rest der Volkswirtschaft.[ 6 ] Je mehr Autos konsumiert werden, desto größer ist die Nachfrage nach Autovorleistungen. Die Branche importiert lediglich 29% ihrer Vorprodukte, im Vergleich zu 76% bei Textilien. Dies ist der Grund, warum Programme zur Ankurbelung von Autokäufen besser sind als beispielsweise Restaurantgutscheine. Wenn die Menschen im Restaurant essen gehen, verringern sich nämlich die Einkäufe in den Supermärkten und damit die Gesamtnachfrage.
Die Pandemie stellt eine Jahrhundertherausforderung dar. In diesen schwierigen Zeiten soll sich die Regierung auf den Wiederaufbau konzentrieren und Umwelt und technologische Auflagen hintanstellen. Es besteht sonst die Gefahr, dass keines dieser Ziele erreicht wird. Umwelt- und Strukturwandel haben eine herausragende Bedeutung. Aber jetzt muss zuerst der Wiederaufbau gelingen.
Dieser Beitrag ist bereits in der Juli-Ausgabe[ k ] des Wirtschaftsdienstes erschienen.
©KOF ETH Zürich, 24. Jul. 2020