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Europäische Solidarität braucht ein echtes europäisches Parlament

Summary:
Mit der geltenden europäischen Rechtsordnung lassen sich Corona-Bonds nicht begründen. Die EU-Staaten könnten aber die Voraussetzungen dafür schaffen. Die Coronakrise hält die Welt in Atem. Die Johns-Hopkins-Universität vermeldet nun schon seit drei Wochen jeden Tag circa 80.000 Neuerkrankungen. Auch wenn man bei einem Vergleich mit früheren Epidemien über die Schwere der aktuellen streiten mag, ist nicht zu leugnen, dass Covid-19 Angst und Schrecken verbreitet. Hinzu kommt, dass sich die schweren Fälle im Allgemeinen und die Todesfälle im Besonderen nicht gleichmäßig auf die Länder verteilen. In mehreren europäischen Ländern, darunter Italien, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Spanien, gehen die Todesfälle – zum Teil deutlich – über zehn Prozent der Ansteckungsfälle

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Mit der geltenden europäischen Rechtsordnung lassen sich Corona-Bonds nicht begründen. Die EU-Staaten könnten aber die Voraussetzungen dafür schaffen.

Die Coronakrise hält die Welt in Atem. Die Johns-Hopkins-Universität vermeldet nun schon seit drei Wochen jeden Tag circa 80.000 Neuerkrankungen. Auch wenn man bei einem Vergleich mit früheren Epidemien über die Schwere der aktuellen streiten mag, ist nicht zu leugnen, dass Covid-19 Angst und Schrecken verbreitet. Hinzu kommt, dass sich die schweren Fälle im Allgemeinen und die Todesfälle im Besonderen nicht gleichmäßig auf die Länder verteilen. In mehreren europäischen Ländern, darunter Italien, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Spanien, gehen die Todesfälle – zum Teil deutlich – über zehn Prozent der Ansteckungsfälle hinaus.

Dagegen verharrt die Quote in Deutschland bei drei bis vier Prozent. Über die Ursachen dieser Letalitätsunterschiede herrscht derzeit noch wenig Einvernehmen. Es kommen verschiedene Faktoren in Betracht. So könnte es an einer unterschiedlichen Häufigkeit von Tests auf die Covid-19-Erkrankung liegen, an unterschiedlich ausgestatteten und funktionierenden Gesundheitswesen oder auch an einem unterschiedlich wirksamen Zusammenspiel von Bevölkerung und politischer Führung. Was immer die Ursache der Letalitätsunterschiede sein mag, sie tun Europa nicht gut. Sie sorgen für Neid und den immer lauter werdenden Ruf nach europäischer Solidarität.

In einer Videokonferenz befassten sich die europäischen Staatschefs am 23. April 2020 mit der Lage. Auf dem Tisch lag ein ganzes Paket von Hilfsmaßnahmen, auf das sich die FinanzministerInnen schon vor zwei Wochen verständigt hatten. Der Gipfel erteilte seine Zustimmung und der Europäischen Kommission den Auftrag, den Vorschlag für ein zweites Paket zu erarbeiten. Im Raum stand dabei die unverhohlene Drohung Italiens, ein Veto einzulegen, wenn es nicht unter dem Etikett der „Corona-Bonds“ zu der geforderten Einführung eines gemeinschaftlichen Verschuldungsinstruments[ a ] käme. Zwar ist die Forderung als solche nicht neu, aber selten zuvor wurde sie dermaßen vehement vorgetragen.

So beschwörte der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ ein Zeichen der Solidarität der starken Mitgliedstaaten, das „auf der Höhe der Ereignisse“ sei. Er begründete seine Forderung mit den starken wirtschaftlichen Abhängigkeiten und betonte, dass die Bekämpfung der Krise „die ganze Feuerkraft der Europäischen Union“ brauche.

Die VertreterInnen all jener Länder, die wie Deutschland, die Niederlande, Finnland und Österreich eine gemeinschaftliche Verschuldung ablehnen, hatten keinen einfachen Stand. Die Ablehnung eingeforderter Solidarität wirkt auf die Menschen kalt und herzlos. Sie findet nicht nur bei ausländischen KommentatorInnen wenig Verständnis, auch deutsche LeitartiklerInnen kritisierten das Mauern und schrieben im Vorfeld des Gipfels von „Fremdschämen“. Dabei geriet die Frage nach dem Gehalt von Solidarität völlig aus dem Blick.

Es mangelt an der politischen Legitimierung

Wenn PolitikerInnen von Solidarität reden, meinen sie Umverteilung. Nach europäischer Staatstradition ist eine Umverteilung ethisch dann gut begründbar, wenn sie den Starken nimmt, um den Schwachen zu geben. Dabei haben sich Stärke und Schwäche an der wirtschaftlichen Leistungskraft von Individuen zu bemessen. Da die Hilfe für Schwache moralisch entlastet und also alle Starken profitieren, ist es angebracht, die Hilfe staatlich zu organisieren und sich nicht mit privater Einzelinitiative zufriedenzugeben.

Allerdings bedarf eine staatlich organisierte Unterstützung von Schwachen der politischen Legitimierung, und diese wird nach europäischem Demokratieverständnis durch Mehrheitsbeschlüsse in Parlamenten geleistet, die nach der strikten Regel „one (wo)man, one vote“ gewählt sind.

Nun ist offensichtlich, dass sich mit der geltenden europäischen Rechtsordnung Corona-Bonds nicht begründen lassen. Erstens zielen sie auf eine Umverteilung zwischen Ländern und nicht zwischen Individuen. Zweitens lassen sie sich nicht demokratisch legitimieren. Es fehlt das beschließende gemeinsame Parlament, das nach der Regel „one (wo)man, one vote“ gewählt ist.

Die Einführung von Corona-Bonds würde lediglich Tendenzen stärken, genauer zu rechnen, wie viel ein Land aus Europa herausholt und wie viel es hineingibt. Es würde nicht bei einem einmaligen Transfer bleiben. Vielmehr sollen mit Corona-Bonds die Zinsvorteile starker Länder mit den schwachen geteilt werden. Der zwischenstaatliche, auflagenfreie Ressourcentransfer würde also institutionalisiert. Damit würde der Gegensatz von Länderinteressen verschärft statt abgemildert. Wohin eine solche Politik führt, hat das Vereinigte Königreich gezeigt. Maggie Thatcher sprach „I want my money back“ und legte damit den Keim zum Brexit.

Deutschland wäre gut beraten, den Ball zurückzuspielen und die Solidarität einfordernden Staaten einzuladen, ein echtes europäisches Parlament auf der Grundlage einer neuen Verfassungsinitiative zu wählen und diesem Parlament zu vereinbarende Kompetenzen zuzuweisen. Zu vermuten ist indes, dass Europa für einen derart mutigen Schritt nicht reif ist. Aber dann sollten die Staaten auch aufhören, Solidarität von anderen Staaten einzufordern.

Dieser Beitrag ist die aktualisierte Fassung eines am 23. April 2020 im Handelsblatt[ b ] erschienen Artikels.

©KOF ETH Zürich, 27. Apr. 2020

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