Eine neue Studie am Beispiel des Ausbaus der kommunalen Kinderbetreuung in Bayern zeigt: Weibliche Politikerinnen haben substanzielle Effekte auf die Politik. Dies muss bei der aktuellen Diskussion um die Einführung von Quoten berücksichtigt werden. In Deutschland sind Frauen in der Politik auf allen Ebenen unterrepräsentiert. Nur etwa 25% der Stadt- und Gemeinderäte sind weiblich; weniger als 10% der Kommunen haben eine Bürgermeisterin (Lukoschat and Belschner, 2014). Selbst der Bundestag ist mit einem Frauenanteil von 30% noch weit von einer Parität der Geschlechter entfernt. Aber warum ist es eigentlich problematisch, wenn Frauen in der Politik unterrepräsentiert sind? Dies ist eine wichtige Frage, da die Bewertung von staatlichen Maßnahmen (wie z.B. Quoten) zur Erhöhung des
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Thushyanthan Baskaran, Zohal Hessami considers the following as important:
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Eine neue Studie am Beispiel des Ausbaus der kommunalen Kinderbetreuung in Bayern zeigt: Weibliche Politikerinnen haben substanzielle Effekte auf die Politik. Dies muss bei der aktuellen Diskussion um die Einführung von Quoten berücksichtigt werden.
In Deutschland sind Frauen in der Politik auf allen Ebenen unterrepräsentiert. Nur etwa 25% der Stadt- und Gemeinderäte sind weiblich; weniger als 10% der Kommunen haben eine Bürgermeisterin (Lukoschat and Belschner, 2014). Selbst der Bundestag ist mit einem Frauenanteil von 30% noch weit von einer Parität der Geschlechter entfernt.
Aber warum ist es eigentlich problematisch, wenn Frauen in der Politik unterrepräsentiert sind? Dies ist eine wichtige Frage, da die Bewertung von staatlichen Maßnahmen (wie z.B. Quoten) zur Erhöhung des Frauenanteils in der Politik davon abhängt, welche Konsequenzen die Unterrepräsentation hat. Ein Grund, weshalb der niedrige Frauenanteil problematisch sein könnte, ist, dass er negative Effekte auf die Wohlfahrt von Frauen hat. Wenn männliche Politiker die Bedürfnisse und Präferenzen von Frauen nicht ausreichend berücksichtigen, spiegelt die implementierte Politik die Präferenzen und Bedürfnisse der Hälfte der Bevölkerung nicht adäquat wider.
Weibliche Gemeinderatsmitglieder führen zu schnellerem Ausbau der Kinderbetreuung
Es gibt in der volkswirtschaftlichen Literatur allerdings kaum Evidenz zu der Frage, ob weibliche Politiker substanzielle Effekte auf die politischen Entscheidungen einer (quasi-) legislativen Institution wie einem Parlament oder einem Gemeinderat haben (die Institutionen für die in Deutschland eine Quote diskutiert wird). Eine ausführlichere Literaturbesprechung hierzu liefern Hessami and Lopes da Fonseca (2019).
In einer aktuellen Studie (Baskaran and Hessami, 2019) adressieren wir daher diese Frage für das Beispiel der Kinderbetreuung: Wir untersuchen, ob ein höherer Frauenanteil im Gemeinderat den Ausbau an Kinderbetreuungsplätzen beeinflusst. Kinderbetreuungsplätze sind ein öffentliches Gut, bei dessen Planung und Verwaltung die Gemeinden entscheidenden Einfluss haben. Beispielsweise ermitteln sie den Bedarf, stellen Bauflächen bereit und tragen zur Finanzierung der Betreuungseinrichtungen bei.
Umfragen zeigen auch, dass Kinderbetreuung ein öffentliches Gut ist, das stärker von Frauen als von Männern nachgefragt wird (Wippermann, 2016). Gleichzeitig übersteigt noch immer die Nachfrage das Angebot. Wenn eine höhere Repräsentation von Frauen substanzielle politische Konsequenzen hat – und insbesondere dazu führt, dass die Bedürfnisse von Frauen besser berücksichtigt werden – ist zu erwarten, dass Gemeinden, in deren Gemeinderäte mehr Frauen sitzen, den Ausbau der Kinderbetreuung schneller voranbringen.
Allerdings gibt es mehrere mögliche Gründe, weshalb ein höherer Frauenanteil in politischen Ämtern keine solchen substanziellen politischen Konsequenzen haben könnte. Da Frauen das Wahlrecht haben, können auch männliche Politiker einen Anreiz haben, deren Wünsche adäquat zu berücksichtigen. Weitere Frauen in politischen Ämtern könnten daher keinen messbaren Effekt auf die Bereitstellung öffentlicher Güter wie KiTa-Plätze haben. Ein weiterer Grund wäre, dass selbst ein starker Anstieg des Frauenanteils in den meisten Gemeinderäten nichts an der Tatsache ändern würde, dass Frauen in der Minderheit sind. Selbst wenn weibliche Gemeinderäte also eine andere Politik verfolgen wollten als ihre männlichen Kolegen, könnten sie sich wahrscheinlich aus der Minderheit heraus nicht durchsetzen.
Der institutionelle Kontext, in dem wir unsere Forschungsfrage untersuchen, sind die 2,056 bayerischen Gemeinden, welche verschiedene Vorteile für unsere Analyse mitbringen. Bayerische Gemeinderäte sind relativ klein. Der Einzug einer einzelnen Frau hat daher einen starken Effekt auf den Frauenanteil im Rat. Zudem hat die Tatsache, dass Gemeinderäte in Bayern über offene Listen gewählt werden, den methodischen Vorteil, dass wir eine empirische Strategie implementieren können, die es uns erlaubt, den kausalen Effekt weiblicher Politiker auf den Ausbau der Kinderbetreuung zu identifizieren.
Um unsere Studie durchführen zu können, haben wir Individualdaten zu ca. 225,000 Kandidatinnen und Kandidaten, die bei den Gemeinderatswahlen in 2002, 2008 und 2014 angetreten sind, erhoben. Diese Daten umfassen neben dem Geschlecht der Kandidierenden auch Informationen zu deren Parteizugehörigkeit und Listenplatzierung sowie zu Berufen, Alter und weiteren persönlichen Eigenschaften.
Das größte methodische Problem, dem wir gegenüberstehen, ist, dass sich Gemeinden mit vielen Frauen im Gemeinderat systematisch von Gemeinden mit wenigen Frauen unterscheiden, d.h. eine Gemeinde mit vielen Frauen ist größer oder ihre Bevölkerung ist politisch linker als eine Gemeinde mit wenigen Frauen im Gemeinderat. Wir adressieren dieses Endogenitätsproblem, indem wir ausnutzen, dass in Bayern offene Listen verwendet werden. Bei offenen Listen kommt es de facto zu Zweikämpfen zwischen Kandidierenden, die auf der gleichen Liste antreten. Insbesondere findet um den letzten Sitz, der einer Partei zusteht, ein Zweikampf zwischen zwei Kandidierenden mit einer ähnlich hohen Anzahl an Personenstimmen statt. Der Ausgang dieser Zweikämpfe ist ex ante unvorhersehbar, vor allem wenn das Resultat knapp ist. Es handelt sich hier also um ein Quasi-Experiment. Dies eröffnet uns die Möglichkeit, einen “Regression Discontinuity” Ansatz zu implementieren. Wir vergleichen im Prinzip den Ausbau der Kinderbetreuung in Gemeinden, die aufgrund der oben beschriebenen Effekte unterschiedlich hohe Frauenanteile haben, und können so den kausalen Effekt eines höheren Frauenanteils identifizieren.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine zusätzliche Frau im Gemeinderat die Geschwindigkeit des Ausbaus an Kinderbetreuungsplätzen um 0.4 Plätze pro 1000 Einwohner bzw. um 40% erhöht. Weiterhin legen unsere Ergebnisse nahe, dass es vornehmlich Plätze für ältere Kinder sind (ab drei Jahren und vor allem die Nachmittagsbetreuung für Grundschulkinder), die nach einem Einzug einer Frau in den Gemeinderat schneller ausgebaut werden.
Ratsentscheidungen werden durch zusätzliche Frauen indirekt beeinflusst
Unsere Untersuchung zeigt also, dass Frauen in der Tat einen substanziellen Effekt auf Politikentscheidungen haben und den Ausbau der Kinderbetreuung beschleunigen. Aber wie genau geschieht dies?
Um diese Frage zu beantworten, analysieren wir Protokolle von Gemeinderatssitzungen. Wir haben mehr als 7700 Protokolle zu Gemeinderatssitzungen gesammelt und ausgewertet. Insbesondere haben wir erfasst, wie oft sich Frauen und Männer bei den Ratssitzungen zu Wort melden und welche Themen angesprochen werden.
Grundsätzlich sind verschiedene Mechanismen möglich. Beispielsweise erhöht ein höherer Frauenanteil die Anzahl an Stimmen im Rat, die bei Abstimmungen von Frauen abgegeben werden können. Dies könnte einen direkten Einfluss auf die Entscheidungen des Rates haben, sofern diese durch knappe Abstimmungen getroffen werden. Nach Durchsicht der Protokolle können wir diesen Mechanismus allerdings ausschließen. In der überwiegenden Mehrzahl an Gemeinden sind Abstimmungen alles andere als knapp. Die Räte diskutieren zunächst die anfallenden Themen, um einen Konsens zu finden, und stimmen erst danach ab. Oft werden die Entscheidungen dann einstimmig oder mit großer Mehrheit getroffen.
Unsere Analyse der Protokolle legt vielmehr nahe, dass eine zusätzliche Frau indirekt die Ratssitzungen beeinflusst. Wenn eine Frau statt einem Mann in den Rat einzieht, erhöht sich die durchschnittliche Anzahl an Wortmeldungen aller Frauen. Auch wird das Thema Kinderbetreuung häufiger in den Ratssitzungen angesprochen. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine zusätzliche Frau im Rat dazu führt, dass alle Frauen sich stärker bei den Gemeinderatssitzungen einbringen.
Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass durch eine zusätzliche Frau der Minderheitenstatus von Frauen in bayerischen Gemeinderäten reduziert wird. Experimentelle Evidenz zeigt, dass Frauen in Gruppen, in denen sie sich in der Minderheit befinden, weniger selbstsicher sind und weniger bereit sind, Führungspositionen zu übernehmen (Born et al., 2018). Indem eine weitere Frau also den Minderheitenstatus verringert, erhöht sie den Einfluss von Frauen in einer deliberativen Institution wie einem Gemeinderat überproportional.
Weitere Ergebnisse unserer Studie stützen diese Interpretation. Beispielsweise finden wir, dass eine weitere Frau nur einen Effekt hat, wenn höchstens zwei weitere Frauen im Gemeinderat sind. Sind mehr Frauen bereits im Rat, hat eine zusätzlich Frau keinen Effekt. Dies verdeutlicht, dass es besonders wichtig ist, dass Frauen sich überhaupt in die Diskussion einbringen können. Wenn eine Frau im Rat sitzt, kann sie den Verlauf der Diskussion beinflussen, indem Sie z.B. neue Perspektiven einbringt oder andere Themen anspricht. Wenn noch eine oder zwei weitere Frauen hinzukommen, wächst der weibliche Einfluss überproportional, weil sich die Frauen gegenseitig unterstützen können und sich nicht mehr so stark in einer Minderheitsposition wahrnehmen.
Welche Politikempfehlungen folgen aus unseren Ergebnissen?
Unsere Studie legt nahe, dass Frauen adäquat in der Politik repräsentiert sein sollten, damit die Bedürfnisse und Präferenzen des weiblichen Teils der Bevölkerung angemessen berücksichtigt werden. Eine direkte Implikation der Ergebnisse ist, dass Wählerinnen und Wähler beachten sollten, dass sie bei personalisierten Wahlen nicht nur spezifische Politiker wählen, sondern mit ihrer Wahl auch implizit substanzielle Politikentscheidungen treffen. Wahlberechtigte, denen Kinderbetreuung wichtig ist, sollten beispielsweise weibliche statt männliche Politiker wählen. Eine weitergehende Implikation unserer Ergebnisse ist, dass staatliche Interventionen wie Quotenregulungen durchaus sinnvoll sein können.
Baskaran, T. and Z. Hessami (2019). Competitively elected women as policy makers. CESifo Working Paper No. 8005.
Born, A., E. Ranehill, and A. Sandberg (2018). A man’s world? the impact of a male dominated environment on female leadership. Mimeo.
Hessami, Z. and M. Lopes da Fonseca (2019). Female Political Representation and Substantive Effects on Policies: A Literature Review[ a ]. Mimeo.
Lukoschat, H. and J. Belschner. 2014. Untersuchung der EAF Berlin.
Wippermann, C. (2016). Was junge Frauen wollen. Report Friedrich Ebert Stiftung.
©KOF ETH Zürich, 29. Jan. 2020