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Aufblähen und Umverteilen – so “rentieren” Pensionskassen

Summary:
Wie kann ein Pensionskassen-System einerseits Volksvermögen vernichten und andererseits für ihre Versicherten hohe Renditen erwirtschaften? Die Antwort hat etwas mit Asset-Inflation und Umverteilung zu tun. In einem früheren Text  auf der Ökonomenstimme habe ich dargelegt, dass das schweizerische Pensionskassensystem schon hunderte Milliarden Franken Volksvermögen vernichtet hat. Hier noch einmal eine Kurzfassung der Beweisführung: Von 1996 bis 2017 haben die Privathaushalte netto (nach realen Investitionen, namentlich im Wohnungsbau) 1120 Milliarden Fr. gespart, wovon 707 Milliarden durch die Zunahme der Guthaben gegenüber den Vorsorgeeinrichtungen zusammengekommen sind. Im selben Zeitraum hat auch der Unternehmenssektor nach Dividenden und Steuern 70 Milliarden auf die hohe

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Wie kann ein Pensionskassen-System einerseits Volksvermögen vernichten und andererseits für ihre Versicherten hohe Renditen erwirtschaften? Die Antwort hat etwas mit Asset-Inflation und Umverteilung zu tun.

In einem früheren Text  auf der Ökonomenstimme habe ich dargelegt, dass das schweizerische Pensionskassensystem schon hunderte Milliarden Franken Volksvermögen vernichtet hat. Hier noch einmal eine Kurzfassung der Beweisführung: Von 1996 bis 2017 haben die Privathaushalte netto (nach realen Investitionen, namentlich im Wohnungsbau) 1120 Milliarden Fr. gespart, wovon 707 Milliarden durch die Zunahme der Guthaben gegenüber den Vorsorgeeinrichtungen zusammengekommen sind. Im selben Zeitraum hat auch der Unternehmenssektor nach Dividenden und Steuern 70 Milliarden auf die hohe Kante gelegt und somit auch per Saldo alle Investitionen selber finanziert. Dasselbe gilt – bis auf einen kleinen Rest von 6,2 Milliarden für den Staat. Folglich müssen die Pensionskassen – immer per Saldo, also auch über die Verdrängung anderer Ersparnisse – alle Ersparnisse in Ausland angelegt haben.

Auslandsinvestitionen mit negativer Rendite

Die Frage ist nun, wie profitabel diese Investitionen waren. Dazu liegen uns volkwirtschaftliche Daten[ 1 ] für den Zeitraum 2000 bis ins 1. Quartal 2019 vor. In diesen gut 19 Jahren hat die Schweiz einen kumulierten Leistungsbilanzüberschuss (bzw. Kapitalexport) von 1126 Milliarden Franken erzielt, wovon gut die Hälfte, nämlich 585 Mrd. auf Kapitalerträge zurückzuführen waren. Theoretisch hätte das Nettovermögen also um die erwähnten 1126 Milliarden Franken steigen müssen. Tatsachlich ist das Nettovermögen aber bloss um 307 Milliarden auf 810 Mrd. gestiegen. Der Grund für diese Diskrepanz sind 819 Mr. Franken Abwertungsverluste auf den überwiegend in Devisen gehaltenen Bruttoguthaben. Damit stehen den 585 Mrd. Kapitalerträgen 819 Milliarden Verlust entgegen, was eine Gesamtrendite von minus 234 Milliarden Fr. bzw. rund 12 Mrd. Fr. pro Jahr ergibt.  Somit hat uns das Auslandsengagement (und damit die Ersparnisse der 2. Säule) eine negative Rendite von nominal gut 1,5% eingebracht oder vielmehr eingebrockt.

An dieser Stelle müssen wir eine Klammer öffnen: Gemessen an einem durchschnittlichen Bestand von 650 Milliarden fallen die Kapitaleinkommen von insgesamt 585 Mrd. oder pro Jahr rund 30 Mrd. hoch aus. Der Grund dafür liegt in der Hebelwirkung unseres Portfolios. Die Schweiz hält ihre Bruttoguthaben von aktuell 4834 Mrd. zu über 90% in Devisen, die Schulden aber überwiegend in Franken. Per Ende 1. Quartal war unser Nettoguthaben in (relativ verzinslichen) Devisen mit rund 3000 Milliarden fast viermal so hoch wie das netto Auslandsvermögen. Dieser Hebel erhöht zwar die Rendite auf das Nettovermögen, beschleunigt aber auch dessen Entwertung. Pro Prozent Frankenaufwertung schrumpft das Nettovermögen um rund 4%. Seit dem 1. Quartal dürften wir somit weitere gut 30 Milliarden verloren haben. Klammer geschlossen.

In seiner Replik hält Peter Wirth dieser Argumentation dies entgegen: „Nun könnte man empirisch argumentieren. Etwa mit dem Hinweis, dass zahlreiche Vorsorgeeinrichtungen seit 100 und mehr Jahren bestens funktionieren und dies zur nachweislichen Zufriedenheit der Destinatäre. Oder dass die Kapitalerträge im Schnitt rund 40 Prozent zum Altersguthaben beitragen, oder dass für die ersten sieben Monate des laufenden Jahres trotz aller Widrigkeiten ein fabelhaftes Rendement von 8 Prozent erzielt wurde.“ Das stimmt. Man könnte auch noch erwähnen, dass der Pictet-Pensionskassenindex seit 2000 eine durchschnittliche jährliche Rendite von 3,3% ausweist.

Inflation der Asset Preise führt zu Pseudorendite

Somit stehen sich also zwei empirisch erhärtete Wahrheiten gegenüber: Minus 1.5% oder plus 3.3%? Was stimmt nun? In meinem ersten Text habe ich die Lösung des Problems mit dem Hinweis auf die stark gestiegenen Immobilienpreise nur angedeutet. Aber es geht auch etwas präziser:

Die volkswirtschaftliche Argumentation besagt erstens, dass die Ersparnisse der 2. Säule keine zusätzlichen realen Investitionen in der Schweiz ausgelöst haben - weder in Maschinen oder Forschung, noch in staatlichen Infrastrukturbauten. Einzig zur Finanzierung des privaten Wohnbaus haben die Pensionskassen einen kleinen Beitrag geleistet. Wir kommen darauf zurück.

Zweitens besagt sie, dass die Investitionen im Ausland (leicht) negativ rentiert haben. Falls dies zutrifft, kann die von Pictet ausgewiesene Wertsteigerung nur mit einer massiven Inflation der Asset-Preise (Aktien, Obligationen und Immobilien) erklärt werden. Schauen wir uns deren Grössenordnungen also genauer an.

Zunächst zur Aktienbörse. Deren Marktkapitalisierung ist von 1996 bis heute um 1450 Milliarden gestiegen. Wie viel davon ist auf reale externe Kapitalbeschaffung der Unternehmen zurückzuführen?

Per Saldo nichts. Die Pensionskassen und andere Anleger haben nicht wirklich in den Unternehmenssektor investiert, sie haben sich bloss gegenseitig die Aktien abgekauft. Es gab zwar ein paar Kapitalerhöhungen und Neu-Kotierungen, doch per Saldo haben die kotierten Unternehmen 430 Milliarden - vor allem in Form von Dividenden - zurückbezahlt. Der rechnerische „Bläh-Effekt“ von 1880 Milliarden dürfte allerdings zu einem rechten Teil auf die (bei unverändertem Realkapital) gestiegene Ertragskraft zurückzuführen sein. Dies wiederum dürfte in erster Linie auf Umverteilungseffekte zurückzuführen sein – tiefere Lohnkosten (vor allem in Ausland) und Einsparungen dank dem Steuerwettbewerb.

Nun zu den Immobilien: Der Immobilienbesitz der Schweizer Haushalte hat sich laut SNB von 2000 bis 2018 von 984 auf 2023 Mrd. Franken mehr als verdoppelt. Der Marktwert aller Wohnimmobilien belief sich laut WuestPartner letztes Jahr auf 3150 Mrd. Franken. Insgesamt dürfte somit der Marktwert der Wohnimmobilien in diesen gut 19 Jahren um mindestens 1500 Milliarden gestiegen sein. Die realen Investitionen der Haushalte in Wohnbauten beliefen sich jedoch bloss auf 330 Milliarden Franken brutto, bzw. rund 200 Mrd. netto nach Abschreibungen. Dazu haben die Haushalte teilweise auf Geld aus den Pensionskassen zurückgegriffen. Sie hätten diese Investitionen aber auch locker aus den übrigen Ersparnissen finanzieren können.

Das ergibt eine rein inflationär bedingte Buchwertsteigerung von rund 1300 Mrd. Franken. Auch die lässt sich teilweise mit der gestiegenen Ertragskraft erklären. Man kann heute pro investierten Franken mehr aus den Mietern herausholen als damals.

Auch festverzinsliche Anlagen haben dank den seit 2000 von 4 auf minus 1% (für 10-jährige Bundesobligationen) sinkenden Zinsen stark an Wert gewonnen und damit vielen Pensionskassen zu einer besseren Performance verholfen. Das erklärt, warum gemäss Pictet ein Pensionskassenportfolio mit einem Aktienanteil von bloss 25% seit 2000 eine genau so hohe Rendite erzielt hat, wie ein Portfolio mit 60% Aktien. Über dem Daumen gepeilt läppert sich so eine Asset-Inflation von weit über 3000 Milliarden Franken zusammen.

Pensionskassensystem verstärkt Umverteilung von Arbeit zu Kapital

Natürlich kann man im Nachhinein nicht exakt nachverfolgen, wo die Pensionskassen ihr Geld angelegt haben, und womit sich ihre Rendite erklärt. Doch von den Grössenordnungen her ist die These plausibel, wonach die Inflation der Asset-Preise im Inland den Pensionskassen erlaubt hat, eine Negativrendite von 1,5% in einen Zuwachs von 3,3% zu verwandeln. Bei einem PK-Vermögen, das von 2000 bis heute durchschnittlich 800 Mrd. betrug, braucht es dazu eine jährliche Aufblähung von etwa 40 Milliarden bzw. rund 800 Milliarden in 20 Jahren. Das ist zwar eine riesige Summe, aber dennoch nur ein Bruchteil der inflationären Aufwertung, die in dieser Periode in der Schweiz angefallen ist.

Fassen wir zusammen: Das kapitalgedeckte Pensionskassensystem der Schweiz hat zumindest in der Periode ab 2000 nicht nur nichts zu den realen Investitionen in der Schweiz beigetragen, sondern es hat auch die Umverteilung von der Arbeit zum Kapital und von den Mietern zu den Immobilienbesitzern vorangetrieben. Ein weiterer Nachteil einer kapitalgedeckten Vorsorge liegt darin, dass sie das Gewinnpotential und damit den Einfluss einer Finanzmarktlobby verstärkt, die jetzt lauthals weitere fiskalische Anreize für das Pensionskassensparen fordert.

Allerdings zeigt unsere Analyse auch, dass die Pensionskassen diese Probleme nicht allein verursacht haben. Das Hauptproblem liegt darin, dass die Unternehmen erstens so hohe Preise verlangen können und dadurch so hohe Gewinne erzielen, dass sie die Ersparnisse der Haushalte (und die der Pensionskassen) zur Finanzierung ihrer Investitionen nicht mehr gebrauchen. Zweitens verteilen die Unternehmen ihre Wertschöpfung viel zu einseitig: Zum einen geht zu viel an das Kapital und zu wenig an die Arbeit. Zum andern werden auch die Lohneinkommen zunehmend ungleich verteilt. Mit der Folge, dass zu viel gespart wird. Das alles sind Zeichen dafür, dass die Macht der Unternehmen gegenüber den Arbeitnehmenden und dem Staat zu gross geworden ist.


©KOF ETH Zürich, 12. Sep. 2019

Werner Vontobel
Ökonom und Wirtschaftsjournalist

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