Monday , April 29 2024
Home / Ökonomenstimme / Mehr Autos, weniger ÖV! Die Verkehrszukunft aus ökonomischer Sicht

Mehr Autos, weniger ÖV! Die Verkehrszukunft aus ökonomischer Sicht

Summary:
Die Zukunft gehört dem Verkehrsmittel mit dem besten Kosten-Nutzen-Verhältnis. Das wird nicht der öffentliche Verkehr sein, wie viele glauben, sondern das Auto. Die heutigen Schienentrassen könnten dereinst Straßen für selbstfahrende Autos sein. Viele halten den motorisierten Individualverkehr nicht für zukunftsfähig. Umwelt, Klima, Staus, Dieselskandal, usw. machten einen Umstieg auf den öffentlichen Verkehr (ÖV) notwendig. Deshalb gelte es, den ÖV möglichst schnell auszubauen. Welcher Verkehrsart die Zukunft gehört, hängt stark von ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis ab. Dieses dürfte sich aus ökonomischen Gründen anders entwickeln als in der Politik erwartet. Die zunehmende Elektromobilität und autonom fahrende Autos werden das Kosten-Nutzen-Kalkül grundlegend zugunsten des Autos

Topics:
Reiner Eichenberger, David Stadelmann considers the following as important:

This could be interesting, too:

Cash - "Aktuell" | News writes Kapitalbezug oder Rente? Diese Punkte müssen beachtet werden

Cash - "Aktuell" | News writes Börsenvorschau: Quartalsabschlüsse und Inflationszahlen im Fokus der Anleger

Cash - "Aktuell" | News writes Elon Musk trifft Chinas Premier Li Qiang zu Gesprächen

Cash - "Aktuell" | News writes Drohne des US-Militärs stürzt im Jemen ab

Die Zukunft gehört dem Verkehrsmittel mit dem besten Kosten-Nutzen-Verhältnis. Das wird nicht der öffentliche Verkehr sein, wie viele glauben, sondern das Auto. Die heutigen Schienentrassen könnten dereinst Straßen für selbstfahrende Autos sein.

Viele halten den motorisierten Individualverkehr nicht für zukunftsfähig. Umwelt, Klima, Staus, Dieselskandal, usw. machten einen Umstieg auf den öffentlichen Verkehr (ÖV) notwendig. Deshalb gelte es, den ÖV möglichst schnell auszubauen.
Welcher Verkehrsart die Zukunft gehört, hängt stark von ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis ab. Dieses dürfte sich aus ökonomischen Gründen anders entwickeln als in der Politik erwartet. Die zunehmende Elektromobilität und autonom fahrende Autos werden das Kosten-Nutzen-Kalkül grundlegend zugunsten des Autos verändern.
Der Individualverkehr explodiert
Bei anhaltendem Wachstum von Wirtschaft und Einkommen steigt die Nachfrage nach Mobilität und die Zeit wird knapper. Die Bürgerinnen und Bürger wollen schneller von A nach B kommen und die Fahrtzeit möglichst für andere Tätigkeiten nutzen. Diesbezüglich war der ÖV bisher vor allem bei Verbindungen von Stadtzentrum zu Stadtzentrum konkurrenzfähig. Für die große Mehrheit der Verkehrsteilnehmer sind A und B allerdings keine Stadtzentren. Für ihre ersten und letzten Streckenkilometer ist der ÖV oft unattraktiv oder inexistent und kann nur zu hohen Kosten für die Steuerzahler bereitgestellt werden. Für realistische Tür-zu-Tür Verbindungen war das Auto deshalb in den meisten Fällen schon bisher attraktiv. 
Absehbare technische Entwicklungen machen das Auto noch konkurrenzfähiger. Selberfahrende Autos bringen Effizienzgewinne in Form besser nutzbarer Zeit. Bisher konnte die Fahrzeit in der Bahn zum Arbeiten, Entspannen, Essen, usw. genutzt werden. Mit Autos, die auf Teilstrecken wie Autobahnen verlässlich selbständig fahren, wird die Fahrzeit – und erst recht die Stauzeit – für die Autofahrer besser nutzbar. Im Grunde können selbstfahrende Autos mit Chauffeurdiensten vergleichen werden. Viele träumen von einem Chauffeur. Der Computer eines selbstfahrenden Autos stellt eine kostengünstige Chauffeuralternative dar. Mit Computerchauffeur wird der Individualverkehr auch wieder besser und entspannter für ältere Verkehrsteilnehmende nutzbar.
Das Potential von internetbasierten Märkten ist im Individualverkehr riesig, beim ÖV hingegen vergleichsweise klein. Car-Sharing Angebote gibt es schon, werden aber immer vielfältiger. Noch wenig erschlossene Märkte bestehen im Verleih von privaten Autos übers Internet, was – ähnlich der privaten Vermietung von Wohnungen über Airbnb – den Individualverkehr massiv stärken dürfte. Das Angebot von günstigen, privaten Leihautos stellt eine Konkurrenz für den ÖV dar. Taxidienstleistungen auf Abruf breiten sich trotz juristischen Einschränkungen schnell aus und bedrängen den ÖV. Für die Parkplatzfindung gibt es bereits moderne Apps. Weitere Verbesserungen, zum Beispiel durch eine Reservierung von Parkplätzen, werden bald folgen. Insgesamt ist das Effizienzpotential über internetbasierte Märkte noch lange nicht ausgeschöpft. Gerade weil individuelle Autofahrerinnen an Effizienzerhöhungen interessiert sind und eine Zahlungsbereitschaft dafür haben, wird ein technologischer Wandel mit starker Nutzerorientierung beim Automobil schneller vorangehen als beim ÖV.
Das Argument, autonome Fahrzeuge und Car-Sharing machten den Privatbesitz von Autos unattraktiv, ist falsch. Einerseits wollen viele Pendler zur gleichen Zeit am Morgen vom Heim zur Arbeit gebracht werden und am Abend wieder zurück. Darüber hinaus müssten die autonomen und mehrfach genutzten Autos deshalb immer wieder leer zurück zur nächsten Kundin, wodurch sich der fließende Verkehr praktisch verdoppelte. Zudem müssen für diese Art des Sharings die Autos vollautonom unterwegs sein, um selbständig zum nächsten Kunden zu fahren. 100% autonome und sichere Fahrten auf allen Strecken wird es aber noch viele Jahrzehnte nicht geben. Auf die absehbare Zeit wird deshalb das Fahren im eigenen teil-autonomen Fahrzeug attraktiver werden. Diese Fahrzeuge werden oft raffinierte und luxuriöse Arbeits- und Erholungsstätten mit hohem Grad an Individualisierung sein. Für viele könnte deshalb die persönliche Bedeutung des Autos sogar noch wachsen.
Natürlich wird es auch im ÖV zu technologischen Verbesserungen kommen, und die steigende Nachfrage nach Mobilität insgesamt wird die Nachfrage im ÖV wachsen lassen. Erhöhungen der Taktfrequenz bringen aber stark steigende Kosten und kaum zu unterschätzende Systemrisiken. Ein fein getaktetes System ist besonders anfällig auf Wetterkapriolen, Streiks oder gar Terrorismus. Die individuelle Nutzung des Autos erlaubt mehr Ausweichmöglichkeiten.
Emanzipation des Autos dank Elektro
Derzeit gilt der ÖV noch als umweltfreundlich, weil Bahn und Tram zumeist elektrisch angetrieben werden und daher nicht an Ort und Stelle Abgase verursachen. Allerdings wird viel Elektrizität „dreckig“ erzeugt. Zudem hat der ÖV selbst dann Umwelt- und Klimakosten, wenn er selbst „sauberen“ Ökostrom nutzt. Denn wenn der Ökostrom nicht vom ÖV verbraucht würde, könnte er für anderes genutzt werden, so dass dann besonders dreckige Elektrizitätswerke vom Netz genommen werden könnten. Aber so oder so: Aufgrund der zunehmenden Elektromobilität im Individualverkehr wird der Öko-Nimbus des ÖV verfliegen. Ob dann das Auto so beschönigt wird wie heute die Bahn, oder die Bahn so verteufelt wird wie heute das Auto, ist kaum voraussagbar. 
Die Elektromobilität birgt darüber hinaus ein bisher übersehenes, politisches Potential zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit des Automobils. Derzeit zahlen die Fahrerinnen und Fahrer von Verbrennungs¬motoren durch das von der Energiesteuer erfasste Mineralöl indirekt an den Kosten des Straßenerhalts und -baus mit – pro Liter Benzin etwa 65 Cents. Verdrängt die Elektromobilität den Verbrennungsmotor, schwinden diese Einnahmen. Die Infrastrukturkosten bleiben aber natürlich bestehen. Es liegt dann nahe, diese Kosten von jenen zurück zu fordern, die die Straßen nutzen, so wie es derzeit über die Energiesteuer der Fall ist. Nun macht es wenig Sinn, die E-Autos mit einer Fahrzeugabgabe zu belegen, da die Straßenabnutzung von der Fahrtleistung der jeweiligen Nutzerin abhängig ist. Ebenso ist eine allgemeine Stromsteuer wenig dienlich, da Strom für vieles andere verwendet wird. Eine spezielle Steuer auf Strom zur Straßenfinanzierung kann praktisch nicht zwischen E-Mobilität und anderer Nutzung differenzieren. Trotzdem wird eine Finanzierung für die Infrastruktur benötigt werden. Die Lösung ist die Durchsetzung des Verursacherprinzips in Form einer gebrauchsabhängigen Maut. Die Elektromobilität führt deshalb über kurz oder lang zu einer Maut.
Sobald aber die derzeitigen Denkblockaden bezüglich Maut gebrochen sind, eignet sich diese hervorragend zur Abgeltung aller durch den Individualverkehr verursachten Kosten, wozu insbesondere nicht abgegoltene Unfallkosten zählen. Ein Teil der Umwelt- Lärmkosten fällt beim E-Auto als externe Kosten weg, sodass eine Maut, die dem Individualverkehr alle von ihm verursachten Kosten anlastet, keinesfalls prohibitiv hoch ausfallen wird. Zentral ist dabei, dass die Mauterträge, die nicht für die Verkehrsinfrastruktur gebraucht werden, in möglichst sinnvoller Weise an die Bürgerinnen und Bürger zurückfließen, insbesondere durch die Senkung der Mehrwert- und Einkommenssteuern oder auch durch direkte Rückverteilung, wie etwa durch den Schweizer Ökobonus. 
Volle Kostenwahrheit bringt Verkehrsrevolution
Macht nun eine solche Vollkosten-Maut das Automobil weniger attraktiv gegenüber dem ÖV? Das hängt von der Weisheit und dem ökonomischen Sachverstand der politischen Entscheidungsträger ab. Es ist vernünftig, den ÖV zu subventionieren, solange er weniger externe Kosten verursacht als der Individualverkehr. Wenn aber der Individualverkehr einmal alle von ihm verursachten Kosten selbst trägt, gibt es keinen Grund mehr für die Subventionierung des ÖV. Ein nicht subventionierter ÖV in seiner heutigen Form dürfte jedoch gegenüber selbstfahrenden E-Autos wenig konkurrenzfähig sein. Entweder muss der ÖV also massiv effizienter werden, oder er wird stark zurückgedrängt werden. Entscheidend ist wiederum, dass die Mittel aus den eingesparten Subventionen an die Bürgerinnen und Bürger zurückfließen.
Bei alledem stellt sich nun die Frage, wo die vielen Autos – von rein individuell oder im Sharing genutzten Einzelfahrzeuge bis zu den verschiedensten Formen von Kollektivfahrzeugen – fahren sollen und was aus dem derzeitigen ÖV-Netz werden soll. Die Antwort liegt auf der Hand: Die steigende Nachfrage nach Mobilität und die erhöhte Effizienz des Automobils erfordern weitere Straßen. Dazu muss nicht in die bestehende Landschaft eingegriffen werden. Die heutigen Schienentrassen könnten als Straßen für selbstfahrende Autos umgewidmet werden. Sie sind relativ gerade und kreuzungsfrei, sodass selbst eine simple computerbasierte Steuerung einfach und weitgehend unfallfrei möglich sein sollte. Das bringt nicht nur Vorteile für die Landbevölkerung, die sodann an mehr Stellen auf die Straßentrassen auffahren könnte, als sie zurzeit an Bahnhöfen in Züge einsteigen kann. Auch für die Städte ergeben sich daraus Vorteile. Die Landflächen für Gleise in den attraktiven Stadtzentren können als Bauland gegen Wohnungsnot oder nach Renaturierung als Naherholungsgebiet und grüne Lunge dienen. Wie wunderbar wird die Welt dank Kostenwahrheit im Verkehr.
Dieser Beitrag erschien am 21. April 2019 in gekürzter und leicht modifizierter Form in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 

Viele halten den motorisierten Individualverkehr nicht für zukunftsfähig. Umwelt, Klima, Staus, Dieselskandal, usw. machten einen Umstieg auf den öffentlichen Verkehr (ÖV) notwendig. Deshalb gelte es, den ÖV möglichst schnell auszubauen.

Welcher Verkehrsart die Zukunft gehört, hängt stark von ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis ab. Dieses dürfte sich aus ökonomischen Gründen anders entwickeln als in der Politik erwartet. Die zunehmende Elektromobilität und autonom fahrende Autos werden das Kosten-Nutzen-Kalkül grundlegend zugunsten des Autos verändern.

Der Individualverkehr explodiert

Bei anhaltendem Wachstum von Wirtschaft und Einkommen steigt die Nachfrage nach Mobilität und die Zeit wird knapper. Die Bürgerinnen und Bürger wollen schneller von A nach B kommen und die Fahrtzeit möglichst für andere Tätigkeiten nutzen. Diesbezüglich war der ÖV bisher vor allem bei Verbindungen von Stadtzentrum zu Stadtzentrum konkurrenzfähig. Für die große Mehrheit der Verkehrsteilnehmer sind A und B allerdings keine Stadtzentren. Für ihre ersten und letzten Streckenkilometer ist der ÖV oft unattraktiv oder inexistent und kann nur zu hohen Kosten für die Steuerzahler bereitgestellt werden. Für realistische Tür-zu-Tür Verbindungen war das Auto deshalb in den meisten Fällen schon bisher attraktiv. 

Absehbare technische Entwicklungen machen das Auto noch konkurrenzfähiger. Selberfahrende Autos bringen Effizienzgewinne in Form besser nutzbarer Zeit. Bisher konnte die Fahrzeit in der Bahn zum Arbeiten, Entspannen, Essen usw. genutzt werden. Mit Autos, die auf Teilstrecken wie Autobahnen verlässlich selbständig fahren, wird die Fahrzeit – und erst recht die Stauzeit – für die Autofahrer besser nutzbar. Im Grunde können selbstfahrende Autos mit Chauffeurdiensten vergleichen werden. Viele träumen von einem Chauffeur. Der Computer eines selbstfahrenden Autos stellt eine kostengünstige Chauffeuralternative dar. Mit Computerchauffeur wird der Individualverkehr auch wieder besser und entspannter für ältere Verkehrsteilnehmende nutzbar.

Das Potential von internetbasierten Märkten ist im Individualverkehr riesig, beim ÖV hingegen vergleichsweise klein. Car-Sharing-Angebote gibt es schon, werden aber immer vielfältiger. Noch wenig erschlossene Märkte bestehen im Verleih von privaten Autos übers Internet, was – ähnlich der privaten Vermietung von Wohnungen über Airbnb – den Individualverkehr massiv stärken dürfte. Das Angebot von günstigen, privaten Leihautos stellt eine Konkurrenz für den ÖV dar. Taxidienstleistungen auf Abruf breiten sich trotz juristischen Einschränkungen schnell aus und bedrängen den ÖV. Für die Parkplatzfindung gibt es bereits moderne Apps. Weitere Verbesserungen, zum Beispiel durch eine Reservierung von Parkplätzen, werden bald folgen. Insgesamt ist das Effizienzpotential über internetbasierte Märkte noch lange nicht ausgeschöpft. Gerade weil individuelle Autofahrerinnen an Effizienzerhöhungen interessiert sind und eine Zahlungsbereitschaft dafür haben, wird ein technologischer Wandel mit starker Nutzerorientierung beim Automobil schneller vorangehen als beim ÖV.

Das Argument, autonome Fahrzeuge und Car-Sharing machten den Privatbesitz von Autos unattraktiv, ist falsch. Einerseits wollen viele Pendler zur gleichen Zeit am Morgen vom Heim zur Arbeit gebracht werden und am Abend wieder zurück. Darüber hinaus müssten die autonomen und mehrfach genutzten Autos deshalb immer wieder leer zurück zur nächsten Kundin, wodurch sich der fließende Verkehr praktisch verdoppelte. Zudem müssen für diese Art des Sharings die Autos vollautonom unterwegs sein, um selbständig zum nächsten Kunden zu fahren. 100% autonome und sichere Fahrten auf allen Strecken wird es aber noch viele Jahrzehnte nicht geben. Auf die absehbare Zeit wird deshalb das Fahren im eigenen, teil-autonomen Fahrzeug attraktiver werden. Diese Fahrzeuge werden oft raffinierte und luxuriöse Arbeits- und Erholungsstätten mit hohem Grad an Individualisierung sein. Für viele könnte deshalb die persönliche Bedeutung des Autos sogar noch wachsen.

Natürlich wird es auch im ÖV zu technologischen Verbesserungen kommen, und die steigende Nachfrage nach Mobilität insgesamt wird die Nachfrage im ÖV wachsen lassen. Erhöhungen der Taktfrequenz bringen aber stark steigende Kosten und kaum zu unterschätzende Systemrisiken. Ein fein getaktetes System ist besonders anfällig auf Wetterkapriolen, Streiks oder gar Terrorismus. Die individuelle Nutzung des Autos erlaubt mehr Ausweichmöglichkeiten.

Emanzipation des Autos dank Elektro

Derzeit gilt der ÖV noch als umweltfreundlich, weil Bahn und Tram zumeist elektrisch angetrieben werden und daher nicht an Ort und Stelle Abgase verursachen. Allerdings wird viel Elektrizität „dreckig“ erzeugt. Zudem hat der ÖV selbst dann Umwelt- und Klimakosten, wenn er selbst „sauberen“ Ökostrom nutzt. Denn wenn der Ökostrom nicht vom ÖV verbraucht würde, könnte er für anderes genutzt werden, so dass dann besonders dreckige Elektrizitätswerke vom Netz genommen werden könnten. Aber so oder so: Aufgrund der zunehmenden Elektromobilität im Individualverkehr wird der Öko-Nimbus des ÖV verfliegen. Ob dann das Auto so beschönigt wird wie heute die Bahn, oder die Bahn so verteufelt wird wie heute das Auto, ist kaum voraussagbar. 

Die Elektromobilität birgt darüber hinaus ein bisher übersehenes, politisches Potential zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit des Automobils. Derzeit zahlen die Fahrerinnen und Fahrer von Verbrennungs¬motoren durch das von der Energiesteuer erfasste Mineralöl indirekt an den Kosten des Straßenerhalts und -baus mit – pro Liter Benzin etwa 65 Cents. Verdrängt die Elektromobilität den Verbrennungsmotor, schwinden diese Einnahmen. Die Infrastrukturkosten bleiben aber natürlich bestehen. Es liegt dann nahe, diese Kosten von jenen zurück zu fordern, die die Straßen nutzen, so wie es derzeit über die Energiesteuer der Fall ist. Nun macht es wenig Sinn, die E-Autos mit einer Fahrzeugabgabe zu belegen, da die Straßenabnutzung von der Fahrtleistung der jeweiligen Nutzerin abhängig ist. Ebenso ist eine allgemeine Stromsteuer wenig dienlich, da Strom für vieles andere verwendet wird. Eine spezielle Steuer auf Strom zur Straßenfinanzierung kann praktisch nicht zwischen E-Mobilität und anderer Nutzung differenzieren. Trotzdem wird eine Finanzierung für die Infrastruktur benötigt werden. Die Lösung ist die Durchsetzung des Verursacherprinzips in Form einer gebrauchsabhängigen Maut. Die Elektromobilität führt deshalb über kurz oder lang zu einer Maut.

Sobald aber die derzeitigen Denkblockaden bezüglich Maut gebrochen sind, eignet sich diese hervorragend zur Abgeltung aller durch den Individualverkehr verursachten Kosten, wozu insbesondere nicht abgegoltene Unfallkosten zählen. Ein Teil der Umwelt-Lärmkosten fällt beim E-Auto als externe Kosten weg, sodass eine Maut, die dem Individualverkehr alle von ihm verursachten Kosten anlastet, keinesfalls prohibitiv hoch ausfallen wird. Zentral ist dabei, dass die Mauterträge, die nicht für die Verkehrsinfrastruktur gebraucht werden, in möglichst sinnvoller Weise an die Bürgerinnen und Bürger zurückfließen, insbesondere durch die Senkung der Mehrwert- und Einkommenssteuern oder auch durch direkte Rückverteilung, wie etwa durch den Schweizer Ökobonus. 

Volle Kostenwahrheit bringt Verkehrsrevolution

Macht nun eine solche Vollkosten-Maut das Automobil weniger attraktiv gegenüber dem ÖV? Das hängt von der Weisheit und dem ökonomischen Sachverstand der politischen Entscheidungsträger ab. Es ist vernünftig, den ÖV zu subventionieren, solange er weniger externe Kosten verursacht als der Individualverkehr. Wenn aber der Individualverkehr einmal alle von ihm verursachten Kosten selbst trägt, gibt es keinen Grund mehr für die Subventionierung des ÖV. Ein nicht subventionierter ÖV in seiner heutigen Form dürfte jedoch gegenüber selbstfahrenden E-Autos wenig konkurrenzfähig sein. Entweder muss der ÖV also massiv effizienter werden, oder er wird stark zurückgedrängt werden. Entscheidend ist wiederum, dass die Mittel aus den eingesparten Subventionen an die Bürgerinnen und Bürger zurückfließen.

Bei alledem stellt sich nun die Frage, wo die vielen Autos – von rein individuell oder im Sharing genutzten Einzelfahrzeuge bis zu den verschiedensten Formen von Kollektivfahrzeugen – fahren sollen und was aus dem derzeitigen ÖV-Netz werden soll. Die Antwort liegt auf der Hand: Die steigende Nachfrage nach Mobilität und die erhöhte Effizienz des Automobils erfordern weitere Straßen. Dazu muss nicht in die bestehende Landschaft eingegriffen werden. Die heutigen Schienentrassen könnten als Straßen für selbstfahrende Autos umgewidmet werden. Sie sind relativ gerade und kreuzungsfrei, sodass selbst eine simple computerbasierte Steuerung einfach und weitgehend unfallfrei möglich sein sollte. Das bringt nicht nur Vorteile für die Landbevölkerung, die sodann an mehr Stellen auf die Straßentrassen auffahren könnte, als sie zurzeit an Bahnhöfen in Züge einsteigen kann. Auch für die Städte ergeben sich daraus Vorteile. Die Landflächen für Gleise in den attraktiven Stadtzentren können als Bauland gegen Wohnungsnot oder nach Renaturierung als Naherholungsgebiet und grüne Lunge dienen. Wie wunderbar wird die Welt dank Kostenwahrheit im Verkehr.

Dieser Beitrag erschien in gekürzter und leicht modifizierter Form in der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung"[ a ]

©KOF ETH Zürich, 20. Mai. 2019

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *