Für die vergleichsweise restriktive Netzneutralitätspolitik der EU gibt es bislang aus ökonomischer Perspektive keine angemessene Rechtfertigung. Eine grundlegende Überarbeitung und weitgehende Rücknahme aktueller Netzneutralitätsregulierungen erscheinen daher angebracht. Netzneutralitätsentwicklungen in den USA und in der EU Der in der breiten Öffentlichkeit durchaus positiv konnotierte Begriff der „Netzneutralität“ sowie das damit verbundene Narrativ gehen auf Rechtsprofessor Tim Wu und das Jahr 2002 zurück. Basierend auf seiner Argumentation sind Nichtdiskriminierungs-Grundsätze für das Internet notwendig, um die Offenheit des Internets aufrecht zu erhalten, Innovationen und Vielfalt zu fördern sowie Wahlmöglichkeiten für Konsumenten sicherzustellen. Implementierungen
Topics:
Wolfgang Briglauer, Volker Stocker considers the following as important:
This could be interesting, too:
Swiss National Bank writes 2024-11-04 – Data portal – Important monetary policy data, 4 November 2024
Cash - "Aktuell" | News writes Börsen-Ticker: SMI leicht vorne – Dollar gibt vor US-Wahlen nach – Ölpreise legen zu
finews.ch writes Christopher Hodge: «Trump bellt mehr, als er wirklich beisst»
finews.ch writes Langjährige Safra-Sarasin-Top-Bankerin wird CEO in Asien
Für die vergleichsweise restriktive Netzneutralitätspolitik der EU gibt es bislang aus ökonomischer Perspektive keine angemessene Rechtfertigung. Eine grundlegende Überarbeitung und weitgehende Rücknahme aktueller Netzneutralitätsregulierungen erscheinen daher angebracht.
In einer aktuellen Sonderausgabe der Zeitschrift Review of Network Economics wurden fünf Diskussionsbeiträge namhafter Wissenschaftler zusammengestellt,[ 1 ] um insbesondere wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern einen Überblick über die Netzneutralitätsdebatte, den regulatorischen Status Quo in der Europäischen Union (EU) und den USA und deren ökonomischen Implikationen zu geben. In diesem Beitrag werden wir auf die entsprechende ökonomische Literatur Bezug nehmen und daraus Politikempfehlungen ableiten.
Netzneutralitätsentwicklungen in den USA und in der EU
Der in der breiten Öffentlichkeit durchaus positiv konnotierte Begriff der „Netzneutralität“ sowie das damit verbundene Narrativ gehen auf Rechtsprofessor Tim Wu und das Jahr 2002 zurück. Basierend auf seiner Argumentation sind Nichtdiskriminierungs-Grundsätze für das Internet notwendig, um die Offenheit des Internets aufrecht zu erhalten, Innovationen und Vielfalt zu fördern sowie Wahlmöglichkeiten für Konsumenten sicherzustellen. Implementierungen entsprechender Regulierungen greifen üblicherweise ex ante und legen Internetzugangsdienstanbietern neben Transparenzverpflichtungen Verhaltensregeln auf. Auf diese Weise soll jegliche diskriminierende Verwendung von Netzwerkmanagement durch Internetzugangsdienstanbieter (durch Blockieren, Drosseln oder bezahlte Priorisierung von Internet-basierten Datenübertragungen) unterbunden werden. Neben diesen „Netzneutralitätsgrundregeln“ existieren typischerweise Regelungen zu „zero rating“, also das Bereitstellen gewisser Internetdienste (häufig Social Media oder Musik/Video Dienste), ohne dass deren Nutzung auf die vertraglich festgelegten monatlichen Datenvolumina der Internetnutzer angerechnet werden.[ 2 ]
Bemühungen zur Einführung von Netzneutralitätsregulierungen in den USA und der EU wiesen stark unterschiedliche Verläufe auf, bevor 2015 eine bis dato maximale Annäherung der regulatorischen Standpunkte stattfand. In der EU wurde eine Gesetzgebung zur Netzneutralität verabschiedet, die im Rahmen der „Guidelines on the Implementation by National Regulators of European Net Neutrality Rules” des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) konkretisiert wurde. Im selben Jahr erließ die US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) ihre „Open Internet Order“ (OIO). In beiden Jurisdiktionen wurden somit strenge Regulierungsvorschriften mit der Implementierung der obig genannten Grundregeln eingeführt. Neben der Unterbindung diskriminierenden Verhaltens sollten die Regulierungen eine positive Aufwärtsspirale einleiten: Die Förderung von Innovationen – also die Entwicklung neuer Internetdienste – würde die Nachfrage der Verbraucher erhöhen; dies würde wiederum zu Investitionsanreizen in die Breitbandinfrastruktur führen, was wiederum neue Innovationen an den Rändern begünstige. Diese Regulierungen waren anwendbar für Internetverkehr und für Internetzugangsdienstanbieter; andere Marktakteure und „nicht-Internet-Verkehr“ (sog. Spezialdienste) waren hiervon jedoch ausgenommen. Im Jahr 2017 hob die FCC mit ihrer Verordnung zur Wiederherstellung der Internetfreiheit (Restoring Internet Freedom Order, RIF) das relativ strenge Regulierungsregime der 2015er OIO wieder auf. Während dieser Kurswechsel durch veränderte Mehrheitsverhältnisse innerhalb der FCC begründet war, unterscheidet sich das Regulierungsregime in den USA seitdem fundamental von den strengen Regelungen, die nach wie vor in der EU gelten.
Neben diesem Überblick über die Ursprünge und Entwicklung von Netzneutralitätsregulierungen in den USA und der EU, erläutern Stocker & Knieps in ihrem einleitenden Beitrag Verzerrungswirkungen strenger Netzneutralitätsregulierungen hinsichtlich optimaler Kapazitätsallokationen und Innovationen und daraus resultierende Ineffizienzen. Während solche Regulierungen aus netzökonomischer Perspektive nicht gerechtfertigt sind, weisen die Autoren auf die Notwendigkeit (i) geeigneter Maßnahmen zur Erlangung hinreichender Markttransparenz sowie (ii) einer adaptiven und marktbasierten Interpretation von Netzneutralität hin.
Relevante theoretische und empirische Untersuchungen
Jamison skizziert die historische Entwicklung der US-Netzneutralitätspolitik, die schließlich zu den jüngsten Entscheidungen (OIO, RIF) führte, sowie die relevanten modelltheoretischen Beiträge. Jamison zeigt auf, wie die wohlfahrtstheoretischen Implikationen von einer Reihe von Modellannahmen abhängen; ein eindeutig positiver Effekt von Netzneutralität kann keinesfalls abgeleitet werden. Er folgert, dass wettbewerbliche Bedenken im Rahmen des ex-post-Regimes (Wettbewerbsrecht, aber auch Verbraucherschutzrecht) adressiert werden sollten, nicht jedoch im Rahmen eines stark interventionistischen ex-ante-Regimes mit generellen Verhaltensregeln, die unabhängig von missbräuchlichem Verhalten pauschal gelten.
In Hinblick auf empirische Untersuchungen gibt es nach wie vor nur einige wenige Beiträge, die Rückschlüsse auf die kausale Wirkung von Netzneutralitätsregulierungen auf ökonomische Zielgrößen wie Investitionen, Innovationen, Preise und gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt erlauben. Ford gibt hierzu einen Überblick für die Studien auf Basis von Datensätzen für die USA, die auch von der FCC in ihrer jüngsten Entscheidung herangezogen wurden. Ford kommt zu dem Schluss, dass die RIF im Vergleich zur OIO auf weitaus umfangreicherer und validerer empirischer Basis gegründet war, speziell in Hinblick auf die (negativen) Auswirkungen der Netzneutralitätsverpflichtungen auf Netzinvestitionen. Layton bildet mit ihrem Vergleich von unterschiedlichen Netzneutralitätsregimen in den Niederlanden und in Dänemark eine der allerersten Untersuchungen auf der Basis von europäischen Datensätzen. Sie kommt zu dem Schluss, dass Dänemark mit eher „soften“ Netzneutralitätsregulierungen („self-regulation“ und Transparenz) mehr mobile Diensteinnovationen („apps“) im Vergleichszeitraum hervorbrachte, als die Niederlande mit strengen Netzneutralitätsregulierungen, wobei beide Länder ansonsten sehr ähnliche sozioökonomische Niveaus aufweisen.
Während die meisten theoretischen Beiträge wohlfahrts- und effizienzbezogene Auswirkungen der jeweiligen Netzneutralitätspolitik untersuchen, fokussiert Vogelsang in seinem Beitrag auf die Effektivität der Netzneutralitätspolitik. Vogelsang zeigt, dass die Netzneutralitätsregulierung weitgehend unwirksam ist, insbesondere, wenn es um das Verbot der Priorisierung und andere Differenzierungen von Servicequalität geht. Grund dafür sind Entwicklungen in den letzten Jahren im Zusammenhang mit sog. Content Delivery Netzwerken, Netzwerken im Besitz von Dienstanbietern sowie mobile apps und 5G. Die Netzneutralitätsregulierung ist nur wirksam, um die Sperrung bestimmter Inhalte und die Bevorzugung von Inhalten von Netzbetreibern zu verhindern und zur Verhinderung gewisser Formen von Preisdiskriminierung. Insbesondere sollten Regelungen zur Differenzierung von Priorität/Servicequalität aufgehoben werden. Vogelsang argumentiert weiter, dass eine Umgehung der Netzneutralitätsregulierung auch ineffizient sein kann, wenn dies zu teureren Bypass-Lösungen bei der Netzwerkintegration und bei der Preisgestaltung führt.
Politikempfehlungen: Erst Evaluieren, kein regulatorischer Blindflug!
Die relativ umfangreiche theoretische Literatur zeigt, dass Netzneutralitätsregulierungen keinesfalls eindeutig positive Effekte aufweisen. Im Gegenteil, nur unter ganz bestimmten Marktbedingungen kann eine entsprechende Politik überhaupt wohlfahrtssteigernd sein. Die relevante empirische Literatur basiert nach wie vor auf einer sehr geringen Zahl von Untersuchungen und verweist auf negative Auswirkungen der Netzneutralitätsregulierungen insbesondere in Hinblick auf Netzinvestitionen. Zudem gibt es bislang keinerlei theoretische und empirische Untersuchungen über die Auswirkungen der physischen oder virtuellen Umgehung auf die Effektivität von Neutralitätsregulierungen. Die aktuelle Netzneutralitätsregulierung in der EU lässt vor diesem Hintergrund keine hinreichend positiven Auswirkungen auf Marktergebnisse erwarten, um die gegenwärtige Politik zu rechtfertigen. Die vorhandene Literatur deutet vielmehr darauf hin, dass die einzelnen Netzneutralitätsregelungen möglichst im Rahmen eines ex-post-Regimes darauf begrenzt werden sollten, spezifisches missbräuchliches Verhalten zu verhindern.
In Hinblick auf künftige empirische Untersuchungen sollten die jüngsten Änderungen in der Netzneutralitätspolitik und die resultierende gegensätzliche Ausrichtung von EU- und US-Gesetzgebung Anlass geben, um die kausalen Effekte von unterschiedlichen Netzneutralitätsregimen besser bestimmen zu können. Ebenso ist zu hoffen, dass dieser Aspekt einer ökonomisch und empirisch fundierten Evaluierung in der aktuellen Konsultation und der anschließenden Revision der GEREK Guidelines Eingang und Gewicht findet.[ 3 ] Diesfalls sollten in Zukunft auch stärker evidenzbasierte Entscheidungen auf Seiten der Politik getroffen werden können. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Netzneutralitätsregulierungen auch für mobiles Internet gelten, obwohl sich der größte Teil der akademischen Diskussion bislang auf leitungsgebundene Netzwerkinfrastrukturen konzentriert hat. Insbesondere der Rollout von 5G-Mobilfunknetzen, die gerade errichtet werden müssen, erfordert eine Neubewertung des vermeintlichen Trade-offs zwischen den Anreizen für Netzinvestitionen und den Anreizen für Diensteinnovationen.
Briglauer, W. (2019), Editorial: Recent Net Neutrality Polices in Europe and the US, Review of Network Economics 17(3), 109-114.
Ford, G., S. (2019), Net Neutrality and Investment in the US: A Review of Evidence from the 2018 Restoring Internet Freedom Order, Review of Network Economics 17(3), 175-206.
Jamison, M., A. (2019), Net Neutrality Policies and Regulation in the United States, Review of Network Economics 17(3), 151-174.
Layton, R. (2019), Net Neutrality and Mobile App Innovation in Denmark and Netherlands 2010-2016, Review of Network Economics 17(3), 207-224.
Stocker, V. & Knieps, G. (2019), Network Neutrality Through the Lens of Network Economics, Review of Network Economics 17(3), 115-150.Vogelsang, I. (2019), Net Neutrality Regulation: Much Ado about Nothing?, Review of Network Economics 17(3), 225-243.
©KOF ETH Zürich, 21. Okt. 2019