Die expansive EZB-Politik der vergangenen Jahre bringt Risiken mit sich. Die Kritik an der EZB ist meist jedoch unberechtigt. Die Eurozone wäre sogar gut beraten, der EZB als weiteres Instrument eine regelgebundene monetäre Staatsfinanzierung zur Verfügung zu stellen, wie dieser Beitrag zeigt. Monetäre Staatsfinanzierung wird im Vertrag von Maastricht ausdrücklich untersagt.[ 1 ] Die Europäische Zentralbank (EZB) darf den Mitgliedsstaaten der Währungsunion somit keine Staatsanleihen (direkt) abkaufen. Diese Festlegung gilt vielen als unumstößlich und wird teilweise als notwendige Bedingung einer guten Geldpolitik betrachtet. Vor diesem Hintergrund werden die meisten Diskussionen im deutschsprachigen Raum um die expansive Geldpolitik der EZB in den letzten Jahren geführt. Das
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Die
expansive EZB-Politik der vergangenen Jahre bringt Risiken mit sich. Die Kritik
an der EZB ist meist jedoch unberechtigt. Die Eurozone wäre sogar gut beraten,
der EZB als weiteres Instrument eine regelgebundene monetäre Staatsfinanzierung
zur Verfügung zu stellen, wie dieser Beitrag zeigt.
Monetäre Staatsfinanzierung wird im Vertrag von Maastricht ausdrücklich untersagt.[ 1 ] Die Europäische Zentralbank (EZB) darf den Mitgliedsstaaten der Währungsunion somit keine Staatsanleihen (direkt) abkaufen. Diese Festlegung gilt vielen als unumstößlich und wird teilweise als notwendige Bedingung einer guten Geldpolitik betrachtet. Vor diesem Hintergrund werden die meisten Diskussionen im deutschsprachigen Raum um die expansive Geldpolitik der EZB in den letzten Jahren geführt. Das eigentliche Problem ist jedoch das Gegenteil: Die EZB hat nicht zu viele, sondern zu wenige Spielräume, um ihr Mandat zu erfüllen.
Eine vollkommen unregulierte Staatsfinanzierung, bei der die EZB den Staaten nach Belieben Geld zukommen lassen kann, wäre sicherlich problematisch. Was aber, wenn es der EZB (beziehungsweise den nationalen Zentralbanken im Eurosystem) nur nach bestimmten Regeln erlaubt wäre, öffentliche Haushalte zu finanzieren, um so ihr Mandat der Preisstabilität besser zu erfüllen? Diese Frage ist besonders relevant, da die momentan verfügbaren Instrumente um Preisstabilität zu erreichen (im Besonderen die sogenannte Quantitative Lockerung) wesentliche Nachteile mit sich bringen und das Inflationsziel trotz ihrer Anwendung über einen längeren Zeitraum verfehlt wurde (und immer noch wird).
Dass die EZB begonnen hat, das Volumen der monatlichen Wertpapierankäufe zu reduzieren, ist für viele Beobachter – gerade in Deutschland – nicht genug. Nicht wenige plädieren für einen zügigeren Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik. Dabei machen die makroökonomischen Rahmendaten der letzten Jahre deutlich, weshalb die EZB bis an die Grenzen ihres derzeitigen Mandats gegangen ist: Die Verbraucherpreise im Euroraum sind zwischen 2013 und 2017 um bedeutend weniger als die gewünschten 2 Prozent pro Jahr gestiegen – die EZB hat also trotz ihrer extrem expansiven Geldpolitik ihr Inflationsziel deutlich unterschritten. Gleichzeitig verharrte die Arbeitslosenquote im Euroraum über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren oberhalb der 10-Prozent-Marke. Die sozialen Folgekosten der Finanzkrise waren und sind somit beträchtlich. Die zu niedrige Inflation und die hohen Arbeitslosenzahlen zeigen, dass die Kombination aus der Geldpolitik der EZB und der in weiten Teilen des Euroraums betriebenen Sparpolitik unzureichend war. Der EZB kann jedoch kaum ein Vorwurf gemacht werden. Vielmehr spiegelt ihre Politik den Versuch wieder, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln das Inflationsziel zu erreichen. Dass die geldpolitische Expansion gleichzeitig einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Stabilisierung der öffentlichen Haushalte geleistet hat, ist für Bürger und Staaten wesentlich, aus Sicht der EZB streng genommen aber zweitrangig.
Dennoch: Die EZB hat zwar die ihr zur Verfügung stehenden Mittel genutzt, um ihr Ziel der Preisstabilität zu verfolgen, aber ausreichend waren diese Mittel nicht. Nachdem die Nullzinsgrenze erreicht war, versuchte es die EZB mit anderen Mitteln. Doch auch das so umstrittene Programm der Quantitativen Lockerung, also dem massiven Aufkauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren auf dem Sekundärmarkt, führte bislang nur zu überschaubaren Effekten. Zwar mag die Quantitative Lockerung eine deflationäre Preisentwicklung verhindert haben, doch waren selbst die bisher ausgegebenen Billionen unzureichend, das moderate Inflationsziel von knapp zwei Prozent zu erreichen.
Die Nebenwirkungen der derzeitigen EZB-Politik
Neben der geringen Effektivität des herkömmlichen geldpolitischen Instrumentariums, entfaltet die derzeitige EZB-Politik eine ganze Reihe von unangenehmen Nebenwirkungen. Durch die andauernde Niedrigzinsphase werden Pensionskassen und Versicherungen in eine äußerst schwierige Lage versetzt. Zusammen mit der Quantitativen Lockerung ergeben sich zudem beträchtliche verteilungspolitische Konsequenzen. So muss für die letzten Jahre von einer erheblichen Konzentration von Vermögen aufgrund der EZB-Politik ausgegangen werden. Während die ärmere Hälfte der Bevölkerung ohne Eigenheim und Wertpapierdepot die Stagnation ihrer Vermögenswerte erlebte, ist das Vermögen der reichsten 20 Prozent, das zu einem großen Teil aus Immobilien und Aktien besteht, beträchtlich gewachsen.
Sicher würde es ärmeren Menschen ohne die Lockerungsmaßnahmen der EZB nicht besser gehen, trotz der damit verbundenen höheren Vermögensungleichheit. Schließlich hat die expansive Geldpolitik dafür gesorgt, dass sich die Arbeitsmärkte in der Eurozone nicht noch schlechter entwickelt haben, wovon vor allem Geringverdiener und Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen profitiert haben. Allerdings wäre eine regelgebundene monetäre Staatsfinanzierung eine bessere Alternative zu dem Anleihenkaufprogramm der EZB gewesen. Die Auswirkungen unmittelbarer Staatsfinanzierung auf die wirtschaftliche Entwicklung, sprich Arbeitslosigkeit und Inflation, sind direkter, so dass das Inflationsziel schneller hätte erreicht werden können. Gleichzeitig wären die negativen verteilungspolitischen Nebenwirkungen deutlich geringer ausgefallen. Dass unmittelbare monetäre Staatsfinanzierung direkter wirkt als die Quantitative Lockerung, liegt daran, dass der Effekt auf Arbeitsmarkt und Preise bei der Quantitativen Lockerung davon abhängt, dass diejenigen, die die Anleihen verkaufen, das Geld, das sie dafür erhalten, auch in Umlauf bringen müssen. Dass monetäre Staatsfinanzierung besser wirkt, setzt dementsprechend voraus, dass die Staaten die zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel auch einsetzen. Aber darauf könnten sich die Staatschefs der Eurozone durchaus verständigen. Diese zusätzlichen EZB-finanzierten Mittle wären für alle Eurostaaten wünschenswert. In Deutschland könnten sie dazu genutzt werden dringend notwendige Investitionen in Infrastruktur und Bildung vor zu nehmen.
Die Kombination aus einem unerfüllten Inflationsziel, hoher Arbeitslosigkeit und hoher Staatsverschuldung stellt eine Situation dar, in der die Möglichkeit der monetären Staatsfinanzierung vorteilhaft ist, jedenfalls bis zum Erreichen des 2-Prozent-Inflationsziels. Stünde das Instrument nur dann zur Verfügung, wenn das Inflationsziel untererfüllt ist, wäre die Hauptsorge einer unkontrollierten Geldentwertung unberechtigt. Die EZB würde ihre Unabhängigkeit und ihr Mandat der Preisstabilität behalten. Sollte die Inflation sich ihrem Ziel nähern, müsste die EZB die Staatsfinanzierung stoppen und könnte zudem – wie gewohnt – mit Leitzinsanhebungen reagieren. Zu hohe Inflation ist für die EZB (durch ihre Zinsentscheidungen) deutlich leichter unter Kontrolle zu bringen als zu niedrige. Dass Staatsfinanzierung in Staaten, in denen die Zentralbank der Regierung untersteht, leicht zu Inflation führen kann, ist eine andere Sache. In solchen Staaten macht es die Regierung der Zentralbank unmöglich, Inflation erfolgreich zu bekämpfen. Diese Situation ist in der Eurozone aber nicht gegeben, da keine nationale Regierung die Möglichkeit hat, die Unabhängigkeit der EZB zu beschneiden. Sicherlich könnten einzelne Regierungen versuchen, Druck auf die EZB auszuüben, um sie zu einer Ausweitung der Staatsfinanzierung zu bewegen. Öffentlichem Druck ist die EZB aber auch heute bereits ausgesetzt. Eine Verletzung ihres Mandats lässt sich der EZB aber nicht nachweisen.
Die Risiken
Doch würde diese Form der Staatsfinanzierung nicht zu einer Umverteilung zwischen den Eurostaaten führen? Um dies zu verhindern, bräuchte es eine weitere zentrale Regel. Diese müsste besagen, dass nur alle Staaten gleichzeitig unterstützt werden dürfen und zwar im Umfang ihrer (wirtschaftlichen) Größe, zum Beispiel nach dem Kapitalschlüssel der EZB. Das würde das Problem der Umverteilung zwischen verschiedenen Euroländern unter Kontrolle halten und das Instrument auch für den Norden der Eurozone attraktiv machen (tatsächlich wird der Kapitalschlüssel auch schon bei der Quantitativen Lockerung angewendet).
Was die technischen Details der direkten Staatsfinanzierung angeht, bestehen verschiedene Möglichkeiten. Eine Möglichkeit bestünde darin, dass die nationalen Notenbanken Staatsanleihen mit langer (oder sogar unendlich langer) Laufzeit direkt von den Staaten zinsfrei kaufen dürfen – bis zu dem durch die EZB gesetzten Limit und im Umfang den der Kapitalschlüssel festlegt. Dabei ließen sich die Finanzströme sowohl als spezifische Verbindlichkeiten der Staaten als auch als Forderungen der Notenbanken dokumentieren.
Ob eine solche, regelgebundene Staatsfinanzierung im heutigen Stadium der Krise noch angebracht wäre, sei dahingestellt. Möglicherweise ist das Wirtschaftswachstum in den Staaten der Eurozone in diesem Jahr so stabil, dass die EZB ihr Anleihenkaufprogramm zurückfahren kann und die Preise bald wieder mit einer Rate von annähernd zwei Prozent wachsen. Sollte sich die Erholung dann in einen regelrechten Boom verwandeln, könnten in den darauffolgenden Jahren auch die Zinsen wieder auf ein Niveau signifikant über Null angehoben werden. Eine solche Entwicklung ist jedoch keineswegs sicher. Unabhängig davon, ob eine regelgebundene monetäre Staatsfinanzierung im Moment noch angebracht wäre, sollte die Einführung dieses Instruments jetzt in Erwägung gezogen werden, um spätestens für die nächste Krise zur Verfügung zu stehen.
©KOF ETH Zürich, 27. Jun. 2018