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Solidarisch Aufstocken

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Hartz IV ist reformbedürftig. Die meisten der vorgeschlagenen Reformideen führen allerdings zu neuen Problemen, wie dieser Beitrag zeigt. Ein gangbarer Weg wäre die Einführung eines "solidarischen Aufstockens", d.h. Arbeitslose könnten ihre Grundsicherung monatlich abzugsfrei durch gemeinnützige Arbeit erhöhen. Hartz IV steht in der Kritik.[ 1 ] Ein zentraler Kritikpunkt an Hartz IV lautet: Wer davon leben muss, hat nicht genug Geld für eine angemessene Existenzsicherung. Deshalb gab es so viel Empörung, als Gesundheitsminister Jens Spahn sagte, Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. Wie aber könnte man diese Antwort verbessern? Die aktuell diskutierten Verbesserungsvorschläge – etwa die Erhöhung des Regelsatzes oder das

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Hartz IV ist reformbedürftig. Die meisten der vorgeschlagenen Reformideen führen allerdings zu neuen Problemen, wie dieser Beitrag zeigt. Ein gangbarer Weg wäre die Einführung eines "solidarischen Aufstockens", d.h. Arbeitslose könnten ihre Grundsicherung monatlich abzugsfrei durch gemeinnützige Arbeit erhöhen.

Hartz IV steht in der Kritik.[ 1 ] Ein zentraler Kritikpunkt an Hartz IV lautet: Wer davon leben muss, hat nicht genug Geld für eine angemessene Existenzsicherung. Deshalb gab es so viel Empörung, als Gesundheitsminister Jens Spahn sagte, Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. Wie aber könnte man diese Antwort verbessern? Die aktuell diskutierten Verbesserungsvorschläge – etwa die Erhöhung des Regelsatzes oder das "Solidarische Grundeinkommen" – tun dies nicht.

In einer gemeinsamen Erklärung fordern mehr als 30 Sozialverbände, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Arbeiterwohlfahrt, die Regelsätze beim Arbeitslosengeld II deutlich anzuheben. Das wäre eine scheinbar einfache Lösung. Doch damit würden viele neue Probleme entstehen: Steigt der Regelsatz, haben plötzlich viel mehr Menschen einen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen. Denn mit dem Regelsatz würde auch die Einkommensgrenze steigen, bis zu der Menschen ihr Einkommen mit Hartz IV aufstocken können. Die Zahl der Leistungsempfänger in diesem Hilfesystem würde sprunghaft steigen. Das wird niemand wollen.

Eine andere Idee ist der "Soziale Arbeitsmarkt", den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil schaffen will. Er möchte 150.000 schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen hohe Lohnzuschüsse zahlen, damit sie in eine Beschäftigung kommen. In eine ähnliche Richtung zielt der Vorschlag des "Solidarischen Grundeinkommens". Auch hier sollen ähnlich viele Arbeitslose dauerhaft in eine vom Staat finanzierte Beschäftigung bekommen. Sie hätten dann mehr Geld zur Verfügung als im heutigen Hartz-IV-System. Doch diese für den Staat sehr kostspielige Verbesserung würde nur einem sehr kleinen Teil der Betroffenen zugutekommen können. Schließlich sind derzeit 1,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger arbeitslos gemeldet.

Freiwilliges Aufstocken als Möglichkeit

Es gäbe einen besseren Weg: Statt einigen wenigen ein "Solidarisches Grundeinkommen" zu gewähren, könnte der Staat allen 1,7 Millionen ein "Solidarisches Aufstocken" anbieten. Sie bekämen die Möglichkeit, ihre Grundsicherung um 100 Euro monatlich abzugsfrei durch gemeinnützige Arbeit aufzustocken. Diese Arbeit könnte in genau den Bereichen geleistet werden, für die jetzt ein sozialer Arbeitsmarkt geschaffen werden soll, also zum Beispiel durch Hilfsarbeiten in der Garten- und Landschaftspflege oder unterstützende Begleit- und Einkaufsdienste für erkrankte oder pflegebedürftige Menschen. Orientiert man sich bei der Bezahlung am Mindestlohn, so müssten für das solidarische Aufstocken in Höhe von 100 Euro monatlich rund zwölf Stunden gearbeitet werden. Für Bedarfsgemeinschaften mit Kindern könnten entsprechend höhere Zuverdienstmöglichkeiten eingeräumt werden. Denkbar ist, so eine Regelung auch für diejenigen, die sich in Um- und Fortbildungsmaßnahmen befinden oder sich um Angehörige kümmern. Wenn der Staat allen dieses Angebot macht, stünde jedem Empfänger frei zu entscheiden, ob er mit dem geltenden Regelsatz zurechtkommt oder ihn durch eine geringfügige Gegenleistung aufstockt.

Die Grundlagen für diesen Vorschlag sind im Sozialgesetzbuch II bereits angelegt. Zum einen sieht der Gesetzgeber dort vor, dass Arbeitslosengeld-II-Empfänger geringfügig hinzuverdienen dürfen. So können sie die ersten 100 Euro ihres monatlichen Bruttoeinkommens ohne Abzüge behalten. Erst darüber hinaus werden vom zusätzlichen Einkommen mindestens 80 Prozent einbehalten. Derzeit machen rund 1,2 Millionen Empfänger von diesen Regeln Gebrauch und stocken ihr Arbeitslosengeld II durch Arbeit in der freien Wirtschaft auf.

Zum anderen heißt es im Gesetz explizit: "Erwerbsfähige Hilfebedürftige müssen ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen." Entsprechend dieser Bestimmung würde das solidarische Aufstocken die aktive Mitwirkung der Leistungsempfänger unterstützen.

Dieses Konzept knüpft in sehr moderater Form an das Motto des Förderns und Forderns an. Es sichert allen Bedürftigen eine elementare Grundsicherung und bietet ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, ihr Einkommen durch eine solidarische Gegenleistung zu ergänzen. Das entschärft die Diskussion um die richtige Höhe der Regelsätze. Und der Staat müsste keinen großen zweiten Arbeitsmarkt aufbauen.


©KOF ETH Zürich, 24. Apr. 2018

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