Mit dem Urteil vom 10. April 2018 hat das Bundesverfassungsgericht die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer als verfassungswidrig verworfen. Finden Bundestag und Bundesrat bis Ende 2019 keine Neuregelung, darf die Grundsteuer nicht weiter erhoben werden. Dieser Beitrag diskutiert fundamentale Probleme der Grundsteuer sowie Reformoptionen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsteuer hat ein breites Echo gefunden. Dabei mischen sich Hoffnungen auf mehr Gerechtigkeit mit Ängsten vor höheren Belastungen für Eigentümer und Mieter. Im Weiteren wird argumentiert, dass die Hoffnungen unbegründet und die Ängste begründet sind. Im Ergebnis wird es wesentlich darauf ankommen, wie sich die Länder in den kommenden Monaten positionieren. Bemessungsgrundlage der Grundsteuer
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Mit dem Urteil vom 10. April 2018 hat das Bundesverfassungsgericht die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer als verfassungswidrig verworfen. Finden Bundestag und Bundesrat bis Ende 2019 keine Neuregelung, darf die Grundsteuer nicht weiter erhoben werden. Dieser Beitrag diskutiert fundamentale Probleme der Grundsteuer sowie Reformoptionen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsteuer hat ein breites Echo gefunden. Dabei mischen sich Hoffnungen auf mehr Gerechtigkeit mit Ängsten vor höheren Belastungen für Eigentümer und Mieter. Im Weiteren wird argumentiert, dass die Hoffnungen unbegründet und die Ängste begründet sind. Im Ergebnis wird es wesentlich darauf ankommen, wie sich die Länder in den kommenden Monaten positionieren.
Bemessungsgrundlage der Grundsteuer sind die Einheitswerte der Grundstücke. Sie sollten die Wertverhältnisse am 1. Januar 1964 (Westdeutschland) bzw. 1. Januar 1935 (Ostdeutschland) widerspiegeln, erfüllten diese Vorgabe aber von Anfang an nicht und wurden seither aufgrund des enormen Aufwands nicht aktualisiert. Indem der Gesetzgeber an Werte anknüpfte, eine regelmäßige Neubewertung aber unterließ, verletzte er das verfassungsrechtliche Gebot der Folgerichtigkeit, wonach eine einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umgesetzt werden muss. Dem zweiten Leitsatz des Urteils folgend "rechtfertigt selbst die Vermeidung eines noch so großen Verwaltungsaufwands" nicht den Ansatz veralteter Einheitswerte.
Eine gerechte Grundsteuer?
Die letzte Hauptfeststellung begann 1965 und dauerte viele Jahre. Jeder Eigentümer hatte 176 Fragen zur Grundstücksbeschaffenheit zu beantworten, wobei ein Bundestagsabgeordneter gestand, er sei dazu zu dumm. Die Hausbesitzerverbände empfahlen ihren Mitgliedern, gegen jeden Einheitswertbescheid Einspruch einzulegen, weil die pauschalierten Einheitswerte schon damals erheblich von den Verkehrswerten abwichen.[ 1 ] Unter Inkaufnahme eines "noch so großen Verwaltungsaufwands" könnte der Gesetzgeber natürlich Verkehrswertermittlungen vorschreiben, die eine Begehung erfordern und Bauzustand, Markteignung, Raumzuschnitt sowie andere Besonderheiten berücksichtigen. Bei vorsichtigem Ansatz von 1.000 Euro für ein Verkehrswertgutachten ergäben sich bei 35 Mio. Einheiten Bewertungskosten von 35 Mrd. Euro, denen ein Grundsteueraufkommen von 14 Mrd. Euro gegenübersteht. Die Kosten einer Neubewertung im 3-Jahres-Turnus würden das Steueraufkommen fast verzehren.
Das ist kein sinnvoller Vorschlag, aber Ausgangspunkt eines Gedankenexperiments, das auf tiefere Problemaspekte führt. Gesetzt, den Finanzämtern lägen 35 Mio. aktualisierte Einheitswerte vor. Wäre die Grundsteuer dann gerecht? Schon die dem Urteil unterliegenden Verfassungsbeschwerden wecken Zweifel daran, weil die Beschwerdeführer mitnichten veraltete Einheitswerte monieren, sondern den gesetzlich vorgeschriebenen Dualismus von Ertragswert- und Sachwertverfahren. Die erste Beschwerdeführerin kann nicht verstehen, dass ein und dasselbe Haus (Sachwert: 94.588 Euro) nach Einräumung eines Wohnrechts mit einem Ertragswert von 40.391 Euro bewertet wird. Ein zweiter Beschwerdeführer bemängelt ähnliches und argumentiert darüber hinaus, die Grundsteuer sei als Sondervermögensteuer gleichheitswidrig: Grundbesitzer zahlten extra, Wertpapierbesitzer blieben steuerfrei.
Ein dritter Mangel betrifft die Diskriminierung von Wohnungen, die nirgends begründet wird: Einfamilienhäuser erhalten im Vergleich zu Wohnungen einen Steuerrabatt von bis zu einem Viertel, weil ihr Einheitswert mit einer kleineren Steuermesszahl multipliziert wird. Diese Gleichheitswidrigkeit hat nichts mit der Wertermittlung zu tun, sondern ist ihr nachgelagert.
Viertens unterliegen selbst gleich wertvolle Wohnungen unterschiedlichen Grundsteuerbelastungen, die oft nicht recht einleuchten: Wohnt A als Mieter oder Eigentümer in Starnberg bei München, wird er mit einem Hebesatz von 350 Prozent belastet, B aber, der in Duisburg-Marxloh haust, mit einem Hebesatz von 855 Prozent. Entgegen der mancherorts gehegten Hoffnung, "Villenbesitzer" würden demnächst richtig zur Kasse gebeten, würde eine Neubewertung diese Ungleichheit nicht beseitigen. Zwar ist der Wert Starnberger Grundstücke relativ zu Duisburger Grundstücken in den letzten Jahrzehnten mit Sicherheit gestiegen, doch ergäbe sich nach Neubewertung und bei örtlicher Aufkommensneutralität lediglich eine noch größere Hebesatzspreizung, etwa in der Form, dass Starnberg den Hebesatz auf 200 Prozent senkt und Duisburg ihn auf 1200 Prozent erhöht.
Besonders schwer wiegt aber der fünfte und letzte Punkt: Als Objektsteuer kann die Grundsteuer ihrer Natur nach nicht gerecht sein: Sie trifft das Existenzminimum, nimmt keine Rücksicht auf Familienstand und außergewöhnliche Belastungen und versagt auch den Abzug von Schuldzinsen. Historisch entstand die Grundsteuer als "Siegersteuer", die im besiegten Gebiet den Besitzenden auferlegt wurde, während die Besitzlosen Kopfsteuer zahlten. Im 19. Jahrhundert bildete die Grundsteuer zusammen mit Lohnsummen- und Gewerbekapitalsteuer ein Konglomerat roher Ertragsteuern, das alle Produktionsfaktoren belastete. Nach Herausbildung der modernen synthetischen Einkommensteuer hat sich die Grundsteuer überlebt und verdankt ihre Fortexistenz lediglich dem Motto "alte Steuern, gute Steuern". Es verwundert nicht, dass weite Teile der Steuerrechtswissenschaft die Abschaffung der Grundsteuer verlangen.[ 2 ]
Äquivalenz statt Gerechtigkeit?
Im wissenschaftlichen Schrifttum wird die Ungerechtigkeit der Grundsteuer nicht ernsthaft bestritten, doch fragen manche Autoren, ob sie nicht unter Äquivalenzgesichtspunkten gerechtfertigt sei. Im Ausland mag das stellenweise stimmen, nicht aber in Deutschland, wo Eigentümer zusätzlich zur Grundsteuer eine Vielzahl von Äquivalenzabgaben zahlen: Bei der Erschließung eines Baugebiets werden Erschließungsbeiträge fällig, bei späterer Straßensanierung Anliegerbeiträge, und fortlaufend Niederschlagswassergebühren, Abwasserabgabe, Straßenreinigungsgebühr und Abfallentsorgungsgebühren. Diese Ausdifferenzierung trägt allen denkbaren Externalitäten und Kosten Rechnung (und zeigt zugleich, warum isolierte internationale Grundsteuervergleiche fragwürdig sind).
Wegfall der Grundsteuer
Eine Abschaffung der Grundsteuer wäre effizient und gerecht, wobei Bund und Länder die Gemeinden durch eine höhere Beteiligung am Umsatzsteueraufkommen entschädigten. Angesichts eines gesamtstaatlichen Budgetüberschusses von 35 Mrd. Euro in 2017 wäre der Ausfall von 14 Mrd. Euro Grundsteuer ohne weiteres zu verkraften. Alternativ könnte die Einkommensteuer erhöht werden, um den Ausfall zu kompensieren. Die resultierende Belastungsverteilung wäre aus den oben genannten Gründen weit gerechter als jede denkbare Grundsteuerreform.
Mögliche Steuererhöhungen
Nach Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts haben alle politisch Verantwortlichen, vom Bundesfinanzminister bis zu den Kommunen, eine aufkommensneutrale Reform angekündigt. Diesem Versprechen ist zu misstrauen, weil es an politischer "accountability" fehlt: Kommt es tatsächlich zu einer Steuererhöhung, können alle Akteure mit den Fingern aufeinander zeigen, ohne selbst verantwortlich gemacht zu werden. Wichtigste Akteure sind die Länderfinanzminister, weil sie die Verfahrensherrschaft innehaben und es auf ihre Zustimmung im Bundesrat ankommt. Das Grundsteuergesetz wird aber vom Bund unter Federführung des Bundesfinanzministeriums beschlossen. Und letztlich hängt die Steuerbelastung von den Hebesatzentscheidungen der Kommunen ab. Ein weiteres politisches Kraftzentrum ist die Deutsche Steuergewerkschaft, die die Reform nutzen will, um einige tausend neue Kollegen in den Bewertungsabteilungen zu begrüßen. Im Dickicht dieser vielschichtigen Interessen droht die Aufkommensneutralität in den Hintergrund zu geraten. Ein durchaus mögliches Ergebnis des Urteils besteht darin, dass die Bürger mehr zahlen, der Staat mehr Beamte beschäftigt und in puncto Gerechtigkeit nichts gewonnen wird.
Ein pragmatischer Vorschlag
Finanzwissenschaftlern ist die Unterscheidung "erstbester" und "zweitbester" Lösungen geläufig. Gemessen am Ziel einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist die Abschaffung der Grundsteuer erstbest, wobei über eine etwaige Gegenfinanzierung durch Anhebung der Einkommensteuer politisch entschieden werden muss. Eine solche Lösung erscheint aber angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat unerreichbar. Andererseits wird die Regierung davor zurückschrecken, das Gut "Wohnen" im jetzigen Umfeld zu verteuern und ein allfälliges Mehraufkommen in die Finanzierung zusätzlicher Beamtenstellen zu stecken, die anfangs Millionen Grundstücke einer Erstbewertung unterziehen und dies nachfolgend in mehrjährigem Turnus wiederholen.
Vor diesem Hintergrund bietet eine flächenbezogene Grundsteuer, wie sie bereits der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium erwogen hatte[ 3 ] , einen Ausweg. Die Grundidee des Vorschlags, den seither mehrere Bundesländer aufgegriffen haben, besteht darin, die Kosten der Grundsteuererhebung durch Anknüpfung an Boden- und Gebäudeflächen zu begrenzen und auf individuelle Bewertungen zu verzichten. Nach Modellrechnungen der Länder hätte eine Steuerbemessungsgrundlage von 2 Cent pro Quadratmeter Bodenfläche zuzüglich 20 Cent pro Quadratmeter Gebäudefläche geringe Umverteilungseffekte im Verhältnis zum status quo. Eine Verwendung von Bodenflächen allein scheidet wegen extremer Umverteilungswirkungen aus: In den Frankfurter Bürotürmen würden die Sektkorken knallen, da die Gebäude nunmehr belastungsfrei bleiben, und die darin liegende Steuersenkung müsste von Millionen Einfamilienhausbesitzern refinanziert werden.
Bodenflächen und Gebäudeflächen können dem amtlichen Liegenschaftskataster (ALKIS) entnommen werden. Aufwendige Bewertungen entfallen, und Grundstücksbesitzer können ihre Belastung leicht nachvollziehen: Für den Eigentümer eines Bungalows von 200 qm Bruttogrundfläche auf einem Grundstück von 500 qm ergibt sich ein Grundsteuerwert von 0,20 x 200 + 0,02 x 500 = 50 Euro, der mit dem örtlichen Hebesatz multipliziert wird.
Um opportunistisches Verhalten der Gemeinden auszuschließen, sollte die Reform mit einer einmaligen gesetzlichen Umrechnung der Hebesätze verbunden werden, und zwar dergestalt, dass alle örtlichen Grundsteueraufkommen bei der Umstellung unverändert bleiben. Eine zusätzliche Anpassung des Finanzausgleichsgesetzes würde darüber hinaus Umverteilungen zwischen den Ländern begegnen.[ 4 ]
Fazit
Zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Grundsteuer gibt es im wesentlichen drei Wege. Erstens kann die Grundsteuer abgeschafft und der Einnahmeausfall gegebenenfalls durch eine Erhöhung der Einkommensteuer gegenfinanziert werden. Im Hinblick auf die Ziele "Einfachheit" und "Gerechtigkeit" ist das der beste Weg.
Zweitens kann der Gesetzgeber eine Maschinerie in Gang setzen, um 35 Mio. Grundstücke nach neuen Verfahren zu bewerten. Dieser Weg wird hohe Verwaltungskosten verursachen, soweit er innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist überhaupt gangbar ist, da die Finanzbeamten nicht einfach eingestellt werden können, sondern erst ausgebildet werden müssen und die IT-Systeme noch zu entwickeln sind. Das Ergebnis wird absehbar zu Masseneinsprüchen führen, da eine typisierende Verkehrswertermittlung nicht gelingen kann. Die Hebesatzdifferenzen zwischen reichen und armen Gemeinden werden zunehmen, die wahrgenommene Gerechtigkeit aber keineswegs, da Objektsteuern niemals gerecht sind.
Als Mittelweg bietet sich an, die streitanfällige Wertermittlung durch eine Flächenorientierung zu ersetzen und die örtlichen Hebesätze gesetzlich umzurechnen, damit die Reform tatsächlich aufkommensneutral ist. Die ursprünglich vom BMF-Beirat anregte Flächenorientierung war Teil eines Vorschlags der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Später trat Hamburg der Idee bei, und in letzter Zeit scheinen auch Niedersachsen und weitere Länder in diese Richtung zu tendieren. Eine Reform nach diesem Muster würde turnusmäßige Wertanpassungen erübrigen. Sie würde darüber hinaus den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen[ 5 ] , Bürokratieaufwuchs vermeiden und insbesondere der Gefahr veritabler Steuererhöhungen begegnen, die das Wohnen für Millionen Mieter und Selbstnutzer weiter verteuerten.
©KOF ETH Zürich, 23. Apr. 2018