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Wie soll sich Europa in einem drohenden Handelskrieg verhalten?

Summary:
Die protektionistische Handelspolitik der USA nimmt spätestens seit März 2018 immer konkretere Formen an. Nachdem die EU zunächst noch von den amerikanischen Strafzöllen ausgespart worden war, verhängte die US-Regierung ab dem 1. Juni 2018 Strafzölle auch gegen Stahl und Aluminium aus EU-Ländern. Der von den USA ausgehende Protektionismus, der sich vor allem – aber keinesfalls ausschließlich – gegen China richtet, droht weiter zu eskalieren. Wie soll die EU darauf reagieren? Vorbemerkung Die EU hat meiner Überzeugung nach fünf grundsätzliche Ansatzpunkte, um auf die wirtschaftlichen Abschottungstendenzen seitens der US-Regierung und einen daraus möglicherweise resultierenden amerikanisch-chinesischen oder sogar weltweiten Handelskonflikt zu reagieren.[ 1 ] Ziel aller dieser

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Die protektionistische Handelspolitik der USA nimmt spätestens seit März 2018 immer konkretere Formen an. Nachdem die EU zunächst noch von den amerikanischen Strafzöllen ausgespart worden war, verhängte die US-Regierung ab dem 1. Juni 2018 Strafzölle auch gegen Stahl und Aluminium aus EU-Ländern. Der von den USA ausgehende Protektionismus, der sich vor allem – aber keinesfalls ausschließlich – gegen China richtet, droht weiter zu eskalieren. Wie soll die EU darauf reagieren?

Vorbemerkung

Die EU hat meiner Überzeugung nach fünf grundsätzliche Ansatzpunkte, um auf die wirtschaftlichen Abschottungstendenzen seitens der US-Regierung und einen daraus möglicherweise resultierenden amerikanisch-chinesischen oder sogar weltweiten Handelskonflikt zu reagieren.[ 1 ]

Ziel aller dieser Bemühungen sollte es sein, den weltweiten grenzüberschreitenden Handel so weit wie möglich von diskriminierenden Handelshemmnissen zu befreien. Gleichzeitig sollten protektionistische Maßnahmen der USA, die sich gegen die EU richten, nicht unbeantwortet bleiben, sondern mit moderaten Vergeltungsmaßnahmen beantwortet werden.

1. Abbau europäischer Handelsbeschränkungen gegenüber dem Rest der Welt

Zunächst einmal könnte die EU ihrer Forderung nach einem möglichst freien Handel dadurch Nachdruck verleihen, dass sie bestehende eigene Handelshemmnisse abbaut. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dies die US-Regierung nicht von ihrem protektionistischen Kurs gegenüber der EU abhalten. Diese Maßnahme gilt daher primär nicht dem Ziel, die USA zu "besänftigen". Der Abbau bestehender diskriminierender Handelsbeschränkungen dient vielmehr dem Zweck, dem Rest der Welt glaubhaft zu zeigen, dass die EU das Bekenntnis zu einem freien Welthandel ernst nimmt – auch und gerade in Zeiten eines zunehmenden Protektionismus.

Klar muss in diesem Kontext sein, dass eine einseitige Absenkung der Zölle gegenüber amerikanischen Produkten nicht möglich ist. Die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verlangen, dass Zollerleichterungen, die ein WTO-Mitglied einem Partnerland der WTO einräumt, für alle WTO-Länder gelten muss (Prinzip der Meistbegünstigung).

Um das Bekenntnis zum fairen Welthandel zu bekräftigen, sollte die EU zudem ihre Subventionen und Quotenregelungen für Agrarprodukte reduzieren oder sogar gänzlich abbauen, um die damit verbundene Wettbewerbsverzerrung gegenüber den stärker von der Agrarwirtschaft abhängenden Schwellenländern zu beseitigen. Auch diese Maßnahme ist in erster Linie kein Entgegenkommen gegenüber den USA, sondern ein Zeichen dafür, dass die EU das Bekenntnis zum freien Welthandel nicht nur als Lippenbekenntnis versteht.

2. Ausbau des europäischen Binnenmarktes

Wenn die Exportchancen der EU wegen eines protektionistischen Kurses der USA oder anderer Länder zurückgehen, schwächt dies die wirtschaftliche Entwicklung Europas. Zur Kompensation der Exporte in diese Länder bietet sich ein Ausbau des europäischen Binnenmarktes an.

Der gemeinsame Binnenmarkt und die zunehmende EU-Integration haben sich in der Vergangenheit positiv auf das Wirtschaftswachstum der EU-Mitgliedstaaten ausgewirkt. Die Verwirklichung des EU-Binnenmarktes ist aber noch längst nicht abgeschlossen. Nationale Grenzen spielen immer noch eine große Rolle, u. a. im Bereich des Dienstleistungshandels, der grenzüberschreitenden Mobilität von Arbeitskräften und der öffentlichen Auftragsvergabe. Auch der digitale Binnenmarkt bietet noch weitreichende Potenziale zur Stärkung des EU-Binnenmarktes.

Wird die EU als eine Volkswirtschaft angesehen, würde diese Strategie also die Binnennachfrage erhöhen, das Wirtschaftswachstum in der EU ankurbeln und damit auch die Beschäftigung stabilisieren. Weil die Gefahr einer Eskalation der gegenwärtigen Handelskonflikte wächst, sollte die Stärkung des EU-Binnenmarktes rasch erfolgen, um damit besser auf drohende Exporteinbrüche vorbereitet zu sein.

3. Unterstützung des Multilateralismus im Rahmen der WTO

Die WTO als normativer Rahmensetzer für das multilaterale Handelssystem sollte zwei wichtige Funktionen erfüllen: Erstens sollte sie das Forum sein, in dem handelspolitische Probleme – wie beispielsweise Überkapazitäten in der Stahlindustrie – angesprochen und gelöst werden können. Zweitens stellt der Streitschlichtungsprozess das wichtigste Element internationalen Rechts dar, um eine Eskalation von Handelskonflikten zu vermeiden.

Beide Funktionen der WTO sind derzeit nur in begrenztem Umfang funktionsfähig. Die normbildende Funktion wird von wichtigen Akteuren zunehmend weniger genutzt. Auch die Rechtsprechung der WTO ist am Rande ihrer Funktionsfähigkeit: Die USA blockieren seit Jahren die Nominierung neuer Mitglieder des "Appellate Body", mit der Konsequenz, dass dieses Gremium bald weniger Mitglieder haben wird, als zur Entschlussfähigkeit vorgeschrieben sind.

Ein Wiedererstarken der WTO sollte die EU unterstützen, denn sie hat sich im Rahmen ihrer Handelsstrategie "Trade for all" (European Commission 2015) zurecht zur WTO bekannt und eine verstärkte Rolle gefordert. Auch beruft sie sich in ihren Reaktionen auf mögliche amerikanische Strafzölle dezidiert auf WTO-Recht und achtet darauf, mit ihren Gegenmaßnahmen die internationalen Regeln zu respektieren.

Ein Reformprozess in der WTO wäre allerdings selbst im günstigsten Fall langwierig und würde schwierige Kompromisse von allen Beteiligten verlangen. Dennoch ist es wichtig, die liberale, regelbasierte Ordnung des Welthandelssystems zu verteidigen und weiterzuentwickeln: Nur im multilateralen Handelssystem lassen sich die Gerechtigkeitsanforderungen an Handel zufriedenstellend durchsetzen und eine Benachteiligung kleiner und mittlerer Volkswirtschaften vermeiden.

4. Abschluss regionaler Handelsabkommen

Aus wohlfahrtstheoretischer Sicht ist der regionale Freihandel im Vergleich zum multilateralen Freihandel zwar nur die zweitbeste Lösung, denn die Intensivierung der Handelsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten eines solchen Abkommens geht über Handelsumlenkungen mit Einkommens- und Beschäftigungsverlusten in Drittländern einher.

Dennoch sind regionale Freihandelsabkommen immer noch besser als der Verzicht auf diese Intensivierung des internationalen Handels. Zudem ist es durchaus plausibel, dass die Drittländer ihrerseits versuchen, durch eine stärkere wirtschaftliche Kooperation mit regionalen Partnerländern ebenfalls Wachstums- und Beschäftigungsimpulse zu generieren. Regionale Freihandelsabkommen können so dazu führen, dass es unter den übrigen Volkwirtschaften zu einer stärkeren regionalen wirtschaftlichen Integration kommt. Auf diese Weise würden regionale Freihandelsabkommen als Schub und nicht als Bremse für die ins Stocken geratenen multilateralen Verhandlungen dienen.

Im Rahmen solcher Abkommen müssen die hohen Standards und Schutznormen, die die EU mittlerweile erreicht hat, enthalten sein. Dies betrifft vor allem die Bereiche Verbraucherschutz, Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz und soziale Sicherungsstandards. Die in der EU erreichten Schutzstandards dürfen beim Abschluss entsprechender regionaler Freihandelsabkommen nicht aufgegeben werden, denn sie sind integraler Bestandteil einer Sozialen Marktwirtschaft.

5. Maßvolle Vergeltungsmaßnahmen gegenüber den USA

Spätestens seit der Erhebung von Strafzöllen, die sich auch gegen EU-Produkte richten, stellt sich die Frage, ob – und wenn ja, in welchem Ausmaß – die EU mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren soll.

Bei der Beantwortung dieser Frage herrscht in Wissenschaft und Politik keine Einigung. Rolf Langhammer, Handelsexperte des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, plädiert dafür, die US-Strafzölle zu ignorieren. Anstelle einer Marktschließung gegenüber den US-Produkten sollte die EU vielmehr auf eine Strategie der Marktöffnung setzen und ihre Importzölle einseitig absenken – so, wie dies China mit Blick auf die Zölle auf Autos für den 1. Juli 2018 abgekündigt hat (vgl. Langhammer 2018). Auch der Handelsexperte Jagdish Bhagwati ist der Ansicht, dass Europa seine Märkte offenhalten sollte, selbst wenn die USA ihre Märkte für europäische Produkte schließen (Bhagwati 2018).

Letztlich wird befürchtet, dass Vergeltungsmaßnahmen der EU zu einer Eskalationsspirale führen, da Trump weder zur Einsicht fähig noch zum Nachgeben bereit zu sein scheint, sondern auf Zölle nur mit weiteren Zöllen reagieren würde. Das Ende einer solchen "Tit-for-Tat-Strategie" wäre also völlig unabsehbar. Eine Eskalationsspirale würde in Europa allen voran Deutschland treffen, dessen Wirtschaft am stärksten auf Exporte angewiesen ist.

Auf der anderen Seite gibt es auch Stimmen, die eine Schwächung der europäischen Wirtschaft durch die Erhebung eigener Strafzölle hinnehmen und Strafzölle gegen die USA fordern, weil nur so Druck auf die US-Regierung aufgebaut werden kann. Da der Hinweis auf die Vorteile eines multilateralen und regelgebundenen Welthandels die US-Regierung nicht von ihrem protektionistischen Kurs abbringen wird (vgl. Felbermayr und Südekum 2018), muss die EU "den Amerikanern Paroli bieten und mit Strafzöllen antworten" (Fratzscher 2018). Selbst wenn diese Zölle die Trump-Administration nicht unmittelbar zu einer handelspolitischen Umkehr bewegen, lässt sich damit politischer Druck in den USA aufbauen. Innerhalb der EU wird diese Strategie von der EU-Kommission und Ländern wie Frankreich und den Niederlanden vertreten.

Aufgrund der Uneinigkeit der Europäer hat die Kommission eine differenzierte und schrittweise Reaktion auf die amerikanischen Zölle vorgeschlagen. Die aktuell beschlossenen Strafzölle der EU gegen ausgewählte Produkte wie Jeans, Motorräder und Erdnussbutter sind zwar nur Nadelstiche. Sie können jedoch in den betroffenen US-Bundesstaaten erhebliche wirtschaftliche Schäden für einzelne Unternehmen und deren Beschäftigte bedeuten, was zu politischen Reaktionen bei Politikern aus diesen Bundestaaten führen könnte. Sollten sich die US-Zölle auch auf Autos beziehen, wären entsprechend wichtige US-Produkte zu identifizieren.

Die europäischen Vergeltungsmaßnahmen sollten maßvoll in dem Sinne sein, dass die EU bezüglich des betroffenen US-Exportvolumens jeweils nur nachzieht und ein US-Exportvolumen mit Strafzöllen belegt, das dem Exportvolumen der von US-Strafzöllen betroffenen Exporten der EU in die USA entspricht. Es bleibt aber fraglich, ob Präsident Trump auf Drohungen und Nadelstiche wie erhofft reagiert oder sich nur weiter reizen lässt.

Bhagwati, J. (2018). "Ich finde es verachtenswert, was Trump tut". Die Welt. 4.6.2018, S. 10.

European Commission (2015). Trade for all – Towards a more responsible trade and investment policy. Luxembourg[ a ].

Felbermayr, G., und J. Südekum (2018). "Europa muss sich im Handelsstreit mit Trump seiner Stärke bewusst werden[ b ]". Zeit Online. 25.5.2018.

Fratzscher, M. (2018). "Die EU muss mit Strafzöllen kontern[ c ]". Statement vom 24.5.2018.

Langhammer, R. (2018). "Vergeltung schützt nicht die Handelsordnung vor Trump[ d ]". IfW-Fokus 226. Kiel.


©KOF ETH Zürich, 6. Jul. 2018

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