Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sei in seiner Funktionsweise nicht mehr zeitgemäß und müsse stärker gemäß Vorgaben des Bundeskanzleramts Politikberatung betreiben, so Bert Rürup vor Kurzem im Handelsblatt. Dieser Beitrag verteidigt hingegen die Unabhängigkeit des Rats, die ganzheitliche Antworten auf komplexe Fragen ermögliche. In dem Leitartikel "Ein besserer Rat für die Regierung" (Handelsblatt, Nr. 15, vom 22.01.2018, S. 14[ a ]) plädiert Bert Rürup für die Abschaffung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seiner jetzigen Grundstruktur bzw. für einen radikalen Umbau dieses Beratergremiums. Als Begründung dafür führt er die mangelnden Umsetzungserfolge des Rates an. Die dafür
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Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sei in seiner Funktionsweise nicht mehr zeitgemäß und müsse stärker gemäß Vorgaben des Bundeskanzleramts Politikberatung betreiben, so Bert Rürup vor Kurzem im Handelsblatt. Dieser Beitrag verteidigt hingegen die Unabhängigkeit des Rats, die ganzheitliche Antworten auf komplexe Fragen ermögliche.
In dem Leitartikel "Ein besserer Rat für die Regierung" (Handelsblatt, Nr. 15, vom 22.01.2018, S. 14[ a ]) plädiert Bert Rürup für die Abschaffung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seiner jetzigen Grundstruktur bzw. für einen radikalen Umbau dieses Beratergremiums. Als Begründung dafür führt er die mangelnden Umsetzungserfolge des Rates an. Die dafür vorgebrachten Argumente sind wenig überzeugend.
Die zentrale These von Bert Rürup lautet, die Grundidee des Rates habe sich überlebt; effektive Politikberatung sei nur unter Aufgabe der Neutralität des Beraterkreises im Rahmen konkreter Vorgaben des Bundeskanzleramts und einer permanenten Präsenz in Berlin im Zentrum der Macht machbar, beispielsweise mit einem Gremium nach dem Modell des amerikanischen Council of Economic Advisors des US-Präsidenten.
Genau das wollte der deutsche Gesetzgeber vor mehr als 50 Jahren aus guten Gründen bewusst vermeiden.
Nach § 1 des Gesetzes zur Bildung eines Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung besteht die Kernaufgabe des Rates nämlich nicht darin, die Regierung zu beraten, sondern als unabhängiges Gremium" … zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit" beizutragen. Anlass für die Schaffung des Gremiums waren nicht nur die sich damals abzeichnenden Tarifkonflikte am deutschen Arbeitsmarkt, sondern auch höchst kontroverse Debatten zur Geld- und Währungspolitik.
Der von Rürup behauptete Mangel an Erfolg im tatsächlichen Regierungshandeln wird der komplexen Natur des Beratungsmandats des Sachverständigenrats nicht gerecht und kann deshalb nicht an der Umsetzung einzelner Maßnahmen durch amtierende Bundesregierungen gemessen werden. Wer, wie Rürup, einem "Wirtschaftspolitischen Rat der Bundesregierung" das Wort redet, nimmt damit bewusst in Kauf, dass die bisher gewichtige Stimme dieser Institution im gesellschaftlichen Diskurs und bei der Meinungsbildung vieler nationaler und europäischer Organisationen und Verbände verstummt. Wirtschaftspolitische Beratergremien der Bundesregierung gibt es viele – wie Rürup selbst erwähnt: der Beirat beim Wirtschaftsministerium, der Beirat beim Finanzministerium, der Sozialbeirat, der Umweltrat um nur einige zu nennen. Hinzu kommen die von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen halbjährlichen Gutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute. Ein weiteres, etwa beim Bundeskanzleramt angesiedeltes Gutachtergremium macht keinen Sinn.
Fundierte statt schnelle Antworten
Mehr noch, wer nur noch nach konkreter eng vorgegebener Auftragslage arbeitet im hektischen Alltagsbetrieb der Berliner Politik, wird nolens volens auf das "Bohren dicker Bretter" und auf das mühsame Konzipieren ganzheitlicher Lösungsansätze verzichten (müssen) zugunsten schneller Antworten und mehrheitsfähig erscheinender Formelkompromisse. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Wirtschaftspolitik hat das Recht auf wissenschaftlich fundierte Antworten auf schwierige Fragen der Zeit, aber ebenso gilt, es gibt kein Recht darauf, auf schwierige Fragen einfache Antworten per Knopfdruck mit unsicherer Halbwertzeit zu erhalten.
Der Sachverständigenrat bildet konstruktionsbedingt ein wichtiges Scharnier zwischen wissenschaftlicher Forschung und wirtschaftspolitischer Beratung; hier die Verbundeffekte problemorientiert zu heben und die Balance zwischen Nähe und Distanz zur Politik zu halten, das ist die wahre Kunst der Politikberatung und das macht sie so wertvoll zugleich. Dabei ist auch zu würdigen, dass der Rat regelmäßig zahlreiche Gespräche mit hochrangigen Vertretern aus den Ministerien, der Bundesbank und der EZB, den wissenschaftlichen Forschungsinstituten und Organisationen sowie Verbänden über aktuelle Fragen der Wirtschafts-, Geld-, Währungs- und Finanzpolitik führt, so dass seine Meinungs- und Urteilsbildung breit fundiert und keineswegs auf den politischen Bereich im engeren Sinne beschränkt ist.
Freilich, zur effektiven Politikberatung bedarf es eines wechselseitigen Interesses und Grundverständnisses auf der Angebots- und Nachfrageseite. Wer für sich in Anspruch nimmt, kein Erkenntnisproblem zu haben, wird dem noch so nützlichen Rat wenig Beachtung schenken. Ansonsten – und das dürfte der wirtschaftspolitische Normalfall sein – sollten die Adressaten der wissenschaftlichen Vorschläge sorgfältig die vorgetragenen Optionen und Szenarien prüfen. Dies ist die "Bringschuld" der Politik. In ihren Jahreswirtschaftsberichten nimmt z.B. die Bundesregierung auch Stellung zu den Diagnosen, Prognosen und wirtschaftspolitischen Grundlinien des Sachverständigenrats. Bei einer genauen Lektüre kann man sich oftmals nicht des Eindrucks erwehren, dass dieser Teil im Bericht der Bundesregierung mehr und mehr zu einer Pflichtübung geworden ist.
Die Suche nach dauerhaft tragfähigen und gut durchdachten Problemlösungen sollte erfahrungsgemäß am besten im transparenten Licht der Öffentlichkeit und der Parlamente unter Beteiligung vieler Argumente im Wege des Wettbewerbs und der Offenlegung der Kosten und Nutzen sowie Risiken und Verteilungsaspekte erfolgen. Insbesondere der oft unbequeme Rat darf in einer aufgeklärten pluralistischen Gesellschaft nicht fehlen; insofern sind auch die Minderheitsvoten in den Ratsgutachten kein grundsätzlicher Makel.
Wer
also wirklich, wie Bert Rürup, für eine "kohärente Agenda 2030" werben möchte,
der wird beim US-Council of Economic Advisers kaum einen Kronzeugen für einen
radikalen Umbau des Sachverständigenrats finden. Fündig wird er hingegen auch im
neuen Jahresgutachten 2017/2018, sei es bei den Themen Markt und Klimaschutz,
Bedingungen für mehr Stabilität im Euro-Raum oder Digitalisierung und
Arbeitsmarkt. An diesen Beispielen wird deutlich, dass der Sachverständigenrat
sehr wohl und zeitnah auf wechselnde und neue Problemlagen im Rahmen seines
jetzigen Mandats diskussionswürdige Vorschläge anbietet, die für eine
Reformagenda sehr fruchtbar erscheinen.
©KOF ETH Zürich, 19. Feb. 2018